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Die Bedeutung des Deutschen Ordens für die Entwicklung des Ostseeraumes

Von Udo Arnold

Anwege und Optionen

Die Region, die viel später den Namen Westpreußen erhielt, lag vor der Ankunft des Deutschen Ordens im 2. Viertel des 13. Jahrhun­derts weit entfernt von den christ­lichen Vorstel­lungen, die sich eher dem Mittel­meerraum als dem Ostseeraum zuwandten, wenngleich die Gebiete dem Kaufmann durchaus bekannt waren. Die Kreuzzugs­ideologie richtete sich aber inzwi­schen nicht mehr nur auf das Heilige Land, sondern generell auf nicht­christ­liche Länder. Damit geriet auch der Ostseeraum stärker in den Fokus. Längst waren Mission und politische Unter­werfung als terri­to­riale Erwei­terung eines Herrschafts­raumes gleich­ge­setzt. Kreuz­zugs­ideo­logie und Terri­to­ri­al­denken deckten sich.

Bislang hieß die führende Macht im Ostseeraum Dänemark. Das König­reich griff zu Beginn des 13. Jahrhun­derts intensiv nach Osten aus, Livland hieß das Ziel. Vom damals unter dänischer Herrschaft stehenden Erzbistum Lund (Schweden) wurde das Bistum Reval am Finni­schen Meerbusen 1219 begründet. Von der Weser­mündung her erfolgte der Ausgriff auf die Dünamündung, das Erzbistum Hamburg-­Bremen erhoffte sich mit der Gründung des Bistums Riga zu Beginn des 13. Jahrhun­derts ein neues Einflussfeld. Auch Kaiser und Papst richteten in den 20er Jahren ihre Aufrufe in Regionen, in denen sie nicht zu spät kommen wollten beim Erschließen neuer Macht­be­reiche. Am wenigsten betroffen von diesem Ausgreifen war noch das Land zwischen Weichsel und Memel.

Polen hatte seit der Mitte des 12. Jahrhun­derts die Herrschaftsform des Seniorats: Der jeweils Älteste der verzweigten Piasten­sippe sollte König sein, die Oberherr­schaft  rotieren, damit kein Zweig der Familie die anderen dominierte. Diese Theorie ließ sich in der Praxis jedoch nicht durch­führen. Der Kampf um die Führungs­po­sition kannte daher zu Beginn des 13. Jahrhun­derts zwei piastische Kraft­felder: Schlesien und Masowien-Kujawien, also im Süden und im Norden Polens. Masowien hatte einen Nachteil und einen Vorteil zugleich – in den Prußen besaß es heidnische Nachbarn. Ließen sie sich unter­werfen und taufen, besaß Herzog Konrad von Masowien ein entschei­dendes Plus gegenüber seinem Vetter Herzog Heinrich I. dem Bärtigen von Schlesien und damit den höheren Anspruch auf die gesamt­pol­nische Herrschaft.

Doch inzwi­schen konnte der aus Pomme­rellen oder Kujawien kommende Zister­zi­enser Christian einige Tauferfolge in Preußen aufweisen, so dass der Papst ihn 1215 zum Bischof von Preußen ernannte. Aber der pru­ßische Wider­stand wuchs, nicht zuletzt durch den Plan einer Verbindung der Mission mit der Unter­werfung unter Masowien. Damit geriet Herzog Konrad selber in die Defensive. In dieser Situation suchte er 1225 Hilfe am Kaiserhof.

Friedrich II. geriet dadurch in eine Zwick­mühle. Zwar hatte er im Jahr zuvor ein Manifest an die balti­schen Völker erlassen, das seine Inter­essen dort wider­spiegelt. Doch sein bereits 1215 in Aachen gegebenes Kreuz­zugs­ver­sprechen gegenüber der Kurie und seine nicht zuletzt mit der Heirat Isabellas von Brienne, der Erbin des König­reichs Jerusalem, in den Mittel­meerraum gerichtete Politik hatte Vorrang. In dieser Situation erhoffte er sich Unter­stützung bei dem längst fälligen Kreuzzug ins Heilige Land durch den regie­renden Landgrafen Ludwig von Thüringen, den Mann der später heilig­ge­spro­chenen Elisabeth von Ungarn. Ihm versprach er die Anwart­schaft auf Preußen, das Ludwig sich nach dem Kreuzzug aller­dings erst erobern müsste.

Die Thüringer hatten sich im Zuge der Thron­fol­ge­wirren zwischen Staufern und Welfen schließlich Friedrich II. zugewandt, und neben der verspro­chenen Eventu­al­nach­folge in der Mark Meißen war dies die zweite Möglichkeit für die aufstre­bende Landgraf­schaft, eine wichtigere Rolle im Reichs­gefüge einnehmen zu können. Wesentlich beteiligt an diesen Überle­gungen auf einem Hoftag in Rimini 1226 war Hermann von Salza, von Hause aus thürin­gi­scher Minis­te­riale, Hochmeister des Deutschen Ordens und enger Berater des Kaisers.

Eine Seuche, der auch Ludwig 1227 zum Opfer fiel, verhin­derte noch in Süditalien den Beginn von Fried­richs Kreuzzug. Das änderte jedoch nicht den ausgrei­fenden politi­schen Blick des Kaisers und des Hochmeisters. Der Deutsche Orden trat in die ursprünglich auf Landgraf Ludwig ausge­richtete Politik ein. Sie passte gut zu den Plänen des Hochmeisters, für seinen Orden ein eigenes Terri­torium zu erwerben.

Den ersten Erfolg verspre­chenden Ansatz hatte es im ungari­schen Burzenland gegeben, in das er 1211 von König An­dreas II. zum Kampf gegen die heidni­schen Kumanen gerufen worden war. Auf dem Hinter­grund einer generellen politi­schen Umori­en­tierung Ungarns, verbunden mit inneren Ausein­an­der­set­zungen des Königs mit seinem Adel, hatte der Orden jedoch 1225 das Land wieder verlassen müssen. Zur gleichen Zeit hatte er weitere Optionen, im König­reich Armenien, im Heiligen Land, in Spanien – nun kam Preußen hinzu. Welche der Optionen sich als tragfähig für die Zukunft erweisen würde, ließ sich nicht vorher­sehen. Nun erkundete der Orden 1228 das in Frage kommende Gebiet und verhan­delte nach seinen negativen Erfah­rungen mit Ungarn sehr vorsichtig, bis Herzog Konrad von Masowien (Konrad Mazowiecki) ihm 1230 das zu Masowien gehörende, aber von Prußen­ein­fällen betroffene Kulmerland ohne Vorbe­halte schenkte. Bis zum Ende des 20. Jahrhun­derts blieb dies ein Problem polni­scher Tages­po­litik, hieß es doch in der Polemik gegen den ersten nicht­kom­mu­nis­ti­schen Premier­mi­nister Polens, Tadeusz Mazowiecki, dass schon einmal ein Mazowiecki das Unglück Polens vorbe­reitet habe.

Landnahme und Territorialausbau

Nachdem Fried­richs keineswegs unpro­ble­ma­tisch verlau­fener Kreuzzug nach Jerusalem 1229 mit kräftiger Unter­stützung des Deutschen Ordens erfolg­reich abgeschlossen worden war und 1230 die Aussöhnung des Kaisers mit dem Papst unter Vermittlung Hermann von Salzas gelang, begann die Eroberung des Kulmer­landes und anschließend Preußens durch den Deutschen Orden. Die Prußen nahmen Bischof Christian 1233 gefangen und räumten damit den kirchen­recht­lichen Konkur­renten des Ordens aus dem Weg, so dass 1234 die päpst­liche Privi­le­gierung des Ordens für sein Preußen­un­ter­nehmen erfolgte („Rieti­bulle“). Recht­zeitig vor der Mündigkeit und damit der Möglichkeit eines Erban­spruchs Hermanns II. von Thüringen, des Sohnes und Erben Ludwigs und der 1234 heilig­ge­spro­chenen Elisabeth, stellte Friedrich II. 1235 sein Privileg für den Orden in Preußen aus („Rimini­bulle“). Es wurde auf den Hoftag von 1226 rückda­tiert und besaß einen Inhalt, der für Ludwig sicher nicht geplant gewesen war. Der Orden hatte inzwi­schen ein päpst­liches Lehns­verbot, die Exemtion, erhalten, und damit konnte Preußen nicht mehr Teil des Deutschen oder Römischen Reiches werden. Das wurde entscheidend für die preußische Entwicklung bis ins 19. Jahrhundert.

Die Unter­werfung des Landes zwischen Weichsel und Memel durch den Deutschen Orden fand in den nächsten fünf Jahrzehnten statt. Franzis­kaner und Domini­kaner übernahmen die Mission. Durch die Inkor­po­ration der livlän­di­schen Schwert­brüder in den Deutschen Orden 1237 kam Livland als Heiden­kampf­front hinzu, dessen Ostgrenze gegenüber dem Großfürs­tentum Nowgorod durch die Schlacht auf dem Peipussee 1242 für die folgenden Jahrhun­derte fixiert wurde – bis in die Gegenwart als Grenze zwischen Estland und Russland. Als Teil der polni­schen und jüngeren Rigaer Kirchen­provinz musste der Orden in Preußen den entste­henden Bistümern ein Drittel des eroberten Terri­to­riums übergeben. Im Gegenzug versuchte der Orden, sich die Bistümer zu inkor­po­rieren. Das gelang für Kulm, Pomesanien, Samland und Kurland, misslang für Ermland und die livlän­di­schen Bistümer. Im Ergebnis bedeutete das für Preußen ein weitgehend einheit­liches Terri­torium unter der Oberhoheit des Ordens.

In Preußen erfolgte ein syste­ma­ti­scher Terri­to­ri­al­ausbau. Die Prußen hatten nur eine lockere Stammes­or­ga­ni­sation besessen, wenngleich sie bereits weitgehend sesshaft und von einer Natur­re­ligion geprägt waren, die durchaus Trini­täts­vor­stel­lungen kannte. Der Orden hatte sie nach dem ersten Aufstand im Christ­burger Frieden von 1249 als Partner akzep­tieren müssen, sofern sie sich taufen ließen und seiner Herrschaft unter­stellten. Damit war ein ethni­sches Neben­ein­ander vorpro­gram­miert, das in den kommenden Jahrzehnten sich verstärken sollte infolge inten­siver deutscher Siedlung. Mit der Eroberung des Herzogtums Pomme­rellen westlich der Weichsel mit seinem Hauptort Danzig zu Beginn des 14. Jahrhun­derts kam ein erheb­licher Anteil slawi­scher Unter­tanen hinzu; etliche hatte es bereits im Kulmerland gegeben. Doch aus diesem ethni­schen Neben­ein­ander wurde ein Mitein­ander, es entstand der Neustamm der Preußen, der infolge wirtschaft­licher, recht­licher und kultu­reller Dominanz deutsch geprägt war und seine prußi­schen und slawi­schen Wurzeln seit dem Beginn des 17. Jahrhun­derts kaum noch erkennen ließ. Namens­formen der Gegenwart sind jedoch noch ein deutliches Erbe.

Die deutsche ländliche Siedlung in Preußen war stark thürin­gisch und schle­sisch bestimmt, die neu gegrün­deten Städte vor allem im Küsten­be­reich nieder­deutsch. Kaufleute und Bauern siedelte der Orden an, jedoch keinen Adel, da er keinen großen, konkur­rie­renden Grund­besitz wünschte. Der Orden gab den Neusiedlern ein einheit­liches, von ihm geschaf­fenes, deutsch­rechtlich orien­tiertes Recht, das sein Terri­torium deutlich zusam­men­schloss und gegenüber den Nachbarn abgrenzte. Genauso grenzte er selbst sich gegenüber seinen Unter­tanen ab, da sein Nachwuchs an Rittern aus dem Deutschen Reich kam und eine ihm vergleichbare Schicht des niederen Adels und der Minis­te­ria­lität in Preußen nicht existierte. Das bedeutete automa­tisch eine Übernahme westlicher Kultur, auch wenn sie teilweise eigene Ausfor­mungen erhielt, wie in der Archi­tektur oder der Dichtung.

Im benach­barten Livland, nicht nur unter der Herrschaft des Ordens, sondern auch der nicht inkor­po­rierten Bistümer, erreichte die bäuer­liche deutsche Siedlung die Gebiete nicht. Es kam der Ordens­ritter aus dem Reich, vor allem aus Westfalen und dem Rheinland. Ihm folgte – im Gegensatz zu Preußen – der dortige Adel, häufig Verwandte, der in den Bistumster­ri­torien die Gutswirt­schaft aufbaute; im eigenen Terri­torium versuchte der Orden eine ähnliche Struktur wie in Preußen durch­zu­setzen. Die Bauern stellten die Autochthonen. In den Städten siedelten sich nieder­deutsche Kaufleute an. Auf diesem Wege war zwar die Oberschicht ebenfalls deutsch, doch es blieb eine relativ große Zahl undeut­scher Unter­tanen. Somit war zwar die wirtschaft­liche, recht­liche und kultu­relle Prägung ebenfalls weitgehend deutsch, doch kam es nicht zur Bildung eines deutsch geprägten Neustammes, auch wenn sich ethnische Verschie­bungen bei der Urbevöl­kerung ergaben. Daher konnten sich nach dem Ersten Weltkrieg mit Estland und Lettland eigene Natio­nal­staaten entwickeln.

Strukturen der Landesherrschaft

Einzu­gehen ist auf eine weitere Entwick­lungs­stufe der Landes­herr­schaft in den Ordens­ge­bieten. Der Orden war darauf bedacht, in Preußen als Rahmen seiner Terri­to­ri­al­herr­schaft ein einheit­liches Recht im gesamten Land durch­zu­setzen mit einem eigenen Oberhof in Kulm; so gab es lübisches Recht nur im nicht inkor­po­rierten Bistum Ermland, und nach der Eroberung Pomme­rellens wurden die dortigen Städte, z. B. Danzig, umgerechtet nach Kulmer Recht. Ebenso schuf er eine einheit­liche Münze und ein einheit­liches Maßsystem. So ließ er außer den Bettel­orden keine anderen Orden im Lande zu, da der Grund­besitz ebenfalls in seiner Hand bleiben sollte. Nur in Pomme­rellen gab es bereits vor der Eroberung durch den Orden ­einige Zister­zi­en­ser­klöster wie Oliva und Pelplin, dort und in Preußen selber nur ganz wenige Frauen­klöster mit minimalem Besitz. Diese Form einer verein­heit­li­chenden Landes­herr­schaft war im 13. /14. Jahrhundert sehr ungewöhnlich; sie stellt einen Vorläufer des frühneu­zeit­lichen europäi­schen Flächen­staates dar. Das Ergebnis lässt sich auch in Kunst und Kultur feststellen. Wir haben es zwar mit einer Art Koloni­al­land­schaft zu tun, in die aus Süden wie Westen impor­tiert wurde, in der sich aber eigene Formen im städti­schen wie im ländlichen Bereich entwickelten.

Einen wesent­lichen Unter­schied zu anderen Terri­torien bildete auch die Form der Terri­to­ri­al­herr­schaft. Landesherr war nicht etwa der seit 1309 in Preußen residie­rende Hochmeister, sondern der Orden als Gesamtheit; jeder Ordens­ritter war somit Teil der Landes­herr­schaft. Es gab also keine personale Herrschaft, sondern eine korpo­rative. Da der Orden in der Erobe­rungszeit das Land mit einem recht dichten Netz von Burgen überzogen hatte, die die Verwaltungs- und Wirtschafts­zentren des Landes darstellten, war der Landesherr in ganz anderer Art präsent als dies etwa in Livland in den Bistums­ge­bieten der Fall war. Dort saß neben dem Bischof und den Domka­piteln ein lokaler Adel als Vasallen, was es in Preußen nicht gab. Die landes­herr­liche Durch­dringung des Terri­to­riums Preußen war damit weit stärker, als es in jedem anderen mittel­al­ter­lichen Terri­torium der Fall sein konnte. Auch das schuf intensive Formen der Verein­heit­li­chung wie des kultu­rellen Transfers.

Diese kleingliedrig-dominierende Landes­herr­schaft war zudem aufs engste mit der kongruent dispo­nierten Grund­herr­schaft verbunden; der Orden bewirt­schaftete über seine Burgen und Vorwerke das Land, das sonst dem Adel gehört hätte. Das bedeutete ein erheblich höheres Maß an Einkünften, als sie andere Landes­herren erhielten. Hinzu kam ein weiteres Spezi­fikum. Gerade innerhalb des Deutschen Reiches stammten anfangs viele Ordens­brüder aus dem städti­schen Patriziat, also aus einer mit Wirtschafts- und Handels­fragen vertrauten Sozial­schicht. Auf diesem Erfah­rungs­schatz aufbauend, betei­ligte er sich mit einem umfang­reichen Eigen­handel von Preußen aus am nordeu­ro­päi­schen Wirtschafts­leben, völlig ungewöhnlich für einen mittel­al­ter­lichen Landes­herrn. Damit erreichte er eine bedeu­tende Liqui­dität, die ihm auch politisch erheb­liche Bewegungs­freiheit im Ostseeraum gab. Polen und der europäische Adel hatten dem Orden geholfen, seine Landes­herr­schaft in Preußen aufzu­bauen und dort ein autonomes, souve­ränes, keinem Reichs­verband angehö­rendes Terri­torium zu schaffen. Preußen wie auch die Ordens­ter­ri­torien in Livland bildeten eine scharfe politische, jedoch nicht wirtschaft­liche Abgrenzung zu den jewei­ligen Nachbar­ter­ri­torien, wobei für Livland die Abgrenzung zur ortho­doxen Welt, also zu Häre­tikern hinzukam. Das bedeutete in vielen Fällen auch eine kultu­relle Abgrenzung. Das damit verbundene Bewusstsein erhielt sich nicht nur bis in die Refor­ma­ti­onszeit hinein, sondern ist bis in die Gegenwart zu spüren.

Der Niedergang einer Regionalmacht

Die politische Macht des mittel­al­ter­lichen Ordens bedeutete für den gesamten Ostseeraum einen prägenden Faktor. War es noch zu Beginn des 13. Jahrhun­derts Dänemark gewesen, das den Raum dominiert hatte, so wurde dessen Einfluss deutlich zurück­ge­drängt. Bereits in der von Dänemark gegen die norddeut­schen Fürsten und Städte verlo­renen Schlacht von Bornhöved 1227 hatte sich entschieden, dass der norddeutsche Raum eindeutig Reichs­gebiet blieb. Auch der dänischen Ausdehnung in die Ostsee war damit ein deutlicher Riegel vorge­schoben. Das zeigt sich sowohl hinsichtlich Pommerns als auch der nordliv­län­di­schen Gebiete, d. h. Harriens und Wierlands. Der Orden hat sie im 14. Jahrhundert Dänemark abgekauft. Es blieb für das dänische Königtum nur der skandi­na­vische Raum als Expan­si­ons­gebiet, die südliche und östliche Ostsee­küste war von der pommer­schen Ostgrenze an durch die Militär­macht des Ordens besetzt. Diese Gegner­schaft sollte in der Kalmarer Union, dem Zusam­men­schluss der drei nordi­schen Reiche unter der dänischen Königin Marga­rethe I. 1397, nochmals einen Höhepunkt finden, auch in der Gegner­schaft zum Deutschen Orden.

Selbst in diesen Raum griff der Orden aus, wenngleich nicht dauerhaft. So besetzte er zu Beginn des 15. Jahrhun­derts die Insel Gotland, um dem Seeräu­ber­un­wesen ein Ende zu bereiten, auch wenn die Insel anschließend an Dänemark zurück­ge­geben wurde. Gleich­zeitig kaufte er dem böhmisch-luxemburgischen Königshaus die Neumark ab, damit sie nicht in die Hände des Nachbarn Polen gelangte, mit dem es seit der Eroberung Pomme­rellens Anfang des 14. Jahrhun­derts dauer­hafte Probleme gab. Der Orden war zu jenem Zeitpunkt auf der Höhe seiner Macht. Gleich­zeitig war ihm jedoch im Nordosten und Osten ein mächtiger Gegner erstanden durch die polnisch-litauische Heirat und die damit verbundene Chris­tia­ni­sierung Litauens am Ende des 14. Jahrhun­derts. Es war ihm trotz aller Versuche nicht gelungen, das westliche Litauen zu erobern, das wie ein Keil die preußi­schen und livlän­di­schen Ordens­lande vonein­ander trennte. Nun saß er in der Zange, die sich wenige Jahre später schloss. 1410 erlitt er seine schwerste Niederlage in der Schlacht von Tannenberg. Sie kostete ihn viel Geld, jedoch bedeutete sie keine Terri­to­ri­al­ver­luste. Die Terri­to­ri­al­herr­schaft des Ordens wurde nun zwar auch innerhalb des Landes durch das Begehren vor allem der Städte nach Teilhabe an der Herrschaft erschüttert, doch konnte er sich noch bis in die Mitte des 15. Jahrhun­derts halten – er blieb eine politische Macht im Ostseeraum, mit der man zu rechnen hatte.

Der entschei­dende Einbruch erfolgte erst in der Jahrhun­dert­mitte, als sich die Unter­tanen vor allem der westlichen Städte gegen ihren Landes­herrn erhoben, mit dem polni­schen König verbün­deten und das Geld für einen Krieg aufbrachten, den der Orden mangels Finanzen und eigener militä­ri­scher Ressourcen nicht gewinnen konnte. Ergebnis war der Zweite Thorner Friede von 1466, der das Land teilte in ein Orden­spreußen mit dem Zentrum Königsberg im Osten und ein königlich-polnisches Preußen mit den Zentren Danzig, Elbing, Thorn im Westen. Auch wenn der Orden sich in seinem östlichen Landesteil noch sechs Jahrzehnte halten konnte, war er doch als wichtigste Macht im Ostseeraum ausge­schieden. Damit ging gerade im späteren Westpreußen eine deutliche ethnische Durch­mi­schung slawi­scher (kaschu­bi­scher und polni­scher) und deutscher Bevöl­ke­rungs­teile einher, die ihre Nachwir­kungen bis ins 20. Jahrhundert im Bewusstsein der Bevöl­ke­rungs­gruppen hatte.

Die Unter­stellung Hochmeister Albrechts von Brandenburg-­Ansbach nach Abfall vom Orden als Herzog in Preußen unter den polni­schen König Sigismund I. Stary 1525 stellte nur eine ein paar Jahrzehnte verzö­gerte Folge­er­scheinung der Landes­teilung von 1466 dar. Damit verlor der livlän­dische Ordensteil seinen letzten Rückhalt in der Region, so dass er den Ansturm Moskaus in der Mitte des 16. Jahrhun­derts ebenfalls nicht mehr abwehren konnte – 1562 gab es den Deutschen Orden im Ostseeraum nicht mehr, vor allem Polen-Litauen hatte die Macht übernommen.

Was ist geblieben? Zum einen Terri­to­ri­al­grenzen, die teilweise über Jahrhun­derte, sogar bis in die Gegenwart Bestand hatten. Das gilt sowohl für die im Frieden am Melnosee 1422 festge­legte Grenze, die die Grenze Ostpreußens zu Polen noch im 20. Jahrhundert darstellte, wie auch die estnisch-russische Grenze an der Newa heute. Hinzu kam die Einglie­derung eines Raumes in den Geltungs­be­reich der römischen Kirche und der nachfol­genden Refor­mation, damit die Abwehr eines kirchlich-politischen Einflusses vom ortho­doxen Osten. Die Erwei­terung Polens nach Osten wie auch die Refor­mation schufen im dortigen König­reich zwangs­weise einen multi­kon­fes­sio­nellen Raum, dessen Tolerierung eine politische Überle­bens­not­wen­digkeit für das katho­lische Königtum darstellte. Die Entwicklung in Preußen und im Baltikum hatte ein Staaten­system zur Folge, das noch in der Europäi­schen Union Bestand hat.

Die staats­recht­liche Fundierung des Ordens­landes Preußen als eines souve­ränen, außerhalb der Grenzen des Deutschen wie des Römischen Reiches gelegenen Terri­to­riums bot 1525 die Möglichkeit der Lehns­un­ter­stellung des Herzogtums Preußen unter die polnische Krone und die Mitbe­lehnung der übrigen hohen­zol­lern­schen Linien Ansbach und Brandenburg. Das war die Grundlage für die Erlangung der Souve­rä­nität des Herzogtums Preußen durch den branden­bur­gi­schen Kurfürsten im Frieden von Oliva 1660 und die Krönung des branden­bur­gi­schen Kurfürsten zum König in Preußen 1701 – innerhalb des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation wäre dieser Vorgang nicht möglich geworden. Damit blieb der Name des mittel­al­ter­lichen Ordens­ter­ri­to­riums erhalten für eine neue Monarchie – die Markgrafen von Brandenburg wurden zu Königen in Preußen. Nach der Übernahme der Herrschaft in einem neuen Deutschen Reich 1871 durch jene Monarchie wurde dieser Name sogar zum Synonym für das neue Reich. Das galt auch noch für die natio­nal­so­zia­lis­tische Ausprägung jenes Reiches, so dass die alliierten Kontroll­mächte in einer Art Leichen­fled­derung sich 1947 bemüßigt fühlten, den Staat Preußen endgültig für erloschen zu erklären – eine zumindest ungewöhn­liche Form der Vergan­gen­heits­be­wäl­tigung und des Kampfes gegen einen Schatten, den der auch nach 1525 im Deutschen Reich und nach dessen Zerstörung durch Napoleon im Kaiser­reich Öster­reich weiter existie­rende Deutsche Orden schon lange nicht mehr selber warf.

Neben Grenzen und staats­recht­lichen Folgen gab es eine deutsche Prägung der südlichen und östlichen Küsten­länder des Ostsee­raumes, die ebenfalls bis in die Mitte des 20. Jahrhun­derts Bestand hatte. Die Folge war eine entspre­chende wirtschaft­liche, recht­liche, sprach­liche und kultu­relle Prägung, die das ehemalige Ordensland Preußen in der Ideologie des 19. Jahrhun­derts sogar zum deutschesten aller deutschen Lande machte – eine Anschauung, die noch während der deutsch-polnischen Schul­buch­ge­spräche der 70er Jahre des 20. Jahrhun­derts ein Problem darstellte. Die wirtschaft­liche, recht­liche und sprach­liche Prägung existiert seit der Mitte des 20. Jahrhun­derts nicht mehr. Unüber­sehbar geblieben sind jedoch Zeugnisse der kultu­rellen Prägung in Archi­tektur, Malerei, Skulptur, Goldschmie­de­kunst etc., kurz all den Bereichen, mit denen sich die Kunst­ge­schichte beschäftigt. Ihre Bedeutung wird glück­li­cher­weise nicht mehr unter natio­nalen Gesichts­punkten gesehen, sondern als wertvoller Teil einer gesamt­eu­ro­päi­schen Kultur, die es zu bewahren, zu erfor­schen und weiter­zu­ver­mitteln gilt über den engen Raum hinaus – die Aufnahme der Marienburg oder der Stadt Thorn in das Weltkul­turerbe der UNESCO stellen signi­fi­kante Beispiele dar. In diesem Rahmen haben auch heute noch die Hinter­las­sen­schaften des Deutschen Ordens eine für uns teilweise heraus­ra­gende Bedeutung. Diese in gemein­samer Arbeit zu erkennen und zu erschließen, ist eine gleicher­maßen reizvolle und lohnende Aufgabe, unabhängig von modernen Staats­grenzen und Nationalitäten.