Vorspann

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AUF EIN WORT

Unter die­ser Rubrik fin­den Ver­tre­ter von Ver­bän­den, poli­ti­schen Par­tei­en oder ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen einen Ort, an dem sie sich in per­sön­li­chem Ton und zu einem frei gewähl­ten The­ma an die Leser­schaft des West­preu­ßen wenden.

Polen, Frankreich und Deutschland vor den EU-Wahlen

Von Ben­ja­min Kurc

Die Wah­len zum Euro­pa­par­la­ment mar­kie­ren einen ent­schei­den­den Moment für die poli­ti­sche Land­schaft der EU: Die Bür­ger des Staa­ten­bun­des tra­gen dazu bei, die Rich­tung zu bestim­men, die die Ent­wick­lung der Euro­päi­schen Uni­on – aber auch der ein­zel­nen Mit­glieds­staa­ten – in den kom­men­den Jah­ren neh­men wird. Dies gilt in beson­de­rer Wei­se für die Staa­ten des Wei­ma­rer Drei­ecks – Polen, Frank­reich und Deutsch­land. Die­se drei haben einer­seits das Poten­zi­al, aus der Mit­te Euro­pas her­aus poli­ti­sche Impul­se zu set­zen, ande­rer­seits aber müs­sen die­se Län­der selbst tief­grei­fen­de inne­re Kon­flik­te überwinden.

Polen kommt dabei auf­grund sowohl sei­ner wirt­schaft­li­chen und poli­ti­schen als auch sei­ner zuneh­men­den mili­tä­ri­schen Bedeu­tung in Euro­pa eine beson­de­re Bedeu­tung zu. Die EU-Wahl könn­te die Abkehr von der natio­na­lis­ti­schen Poli­tik der Par­tei Recht und Gerech­tig­keit (PiS) bestä­ti­gen und die Rück­kehr Polens zu euro­päi­schen Wer­ten und Prin­zi­pi­en unter­strei­chen. Die neue pro­eu­ro­päi­sche Regie­rung unter Pre­mier­mi­nis­ter Donald Tusk, dem ehe­ma­li­gen Prä­si­den­ten des Euro­päi­schen Rates, hat die Chan­ce, einen bedeu­ten­den Bei­trag zur Sta­bi­li­tät Euro­pas zu leis­ten und im Hin­blick auf den Kon­flikt in der Ukrai­ne in der Koope­ra­ti­on mit Frank­reich und Deutsch­land eine Schlüs­sel­rol­le zu über­neh­men. Trotz­dem durch­zie­hen noch immer Ris­se die pol­ni­sche Gesell­schaft. Die acht Jah­re unter der PiS-Regierung haben die Öffent­lich­keit tief gespal­ten und den Rechts­staat nach und nach aus­ge­höhlt. Außen­po­li­tisch deu­ten die jüngs­ten Äuße­run­gen von Prä­si­dent Andrzej Duda – einem Mit­glied des rech­ten Lagers – zur Krim sowie die Wider­stän­de sei­tens der pol­ni­schen Land­wir­te, die auf­grund unfai­ren Wett­be­werbs gegen die Getrei­de­ex­por­te aus der Ukrai­ne pro­tes­tie­ren, auf ein ambi­va­len­tes Ver­hält­nis gegen­über dem öst­li­chen Nach­barn hin.

In Frank­reich fin­den die EU-Wahlen gleich­falls vor dem Hin­ter­grund einer wach­sen­den poli­ti­schen Frag­men­tie­rung und des Auf­stiegs popu­lis­ti­scher Bewe­gun­gen statt. Die Anein­an­der­rei­hung von Pro­tes­ten (sei­tens der »Gelb­wes­ten­be­we­gung«, der Geg­ner der Ren­ten­re­form sowie aktu­ell der Land­wir­te) sind nur eini­ge der Her­aus­for­de­run­gen, mit denen Prä­si­dent Emma­nu­el Macron kon­fron­tiert war und ist und die auch dazu bei­getra­gen haben, die poli­ti­sche Land­schaft neu zu orga­ni­sie­ren sowie die tra­di­tio­nel­len Par­tei­en in Fra­ge zu stel­len. Die im Grun­de rechts­extre­me Par­tei Ras­sem­blem­ent natio­nal von Mari­ne le Pen hat ihre Poli­tik der »Ent­dia­bo­li­sie­rung« abge­schlos­sen und sich mit Hil­fe ihres cha­ris­ma­ti­schen und jun­gen Par­tei­vor­sit­zen­den Jor­dan Bar­del­la an die Spit­ze der Umfra­gen kata­pul­tiert. Unter den fran­zö­si­schen Eli­ten scheint sich eine gewis­se Apa­thie breit­zu­ma­chen, und ein Wahl­sieg von Le Pen bei der nächs­ten Prä­si­dent­schafts­wahl ist ein rea­lis­ti­sches Sze­na­rio gewor­den. Für die fran­zö­si­sche Wäh­ler­schaft die­nen die EU-Wahlen oft als Ven­til, um ihre Unzu­frie­den­heit mit der natio­na­len Regie­rung aus­zu­drü­cken, wovon meis­tens die Par­tei von Mari­ne Le Pen profitiert.

Deutsch­land kämpft mit einem sta­gnie­ren­den Wirt­schafts­wachs­tum, das weit unter den erwar­te­ten Pro­gno­sen liegt und die Vor­ha­ben der Bun­des­re­gie­rung in allen poli­ti­schen Res­sorts erschwert. Poli­tisch scheint die Ampel-Koalition nicht in der Lage zu sein, ihre Mei­nungs­ver­schie­den­hei­ten zu über­brü­cken, was den Ein­druck erweckt, dass Bun­des­kanz­ler Olaf Scholz sich nicht durch­set­zen kann oder will. Gleich­zei­tig setzt die AfD – trotz der Radi­ka­li­sie­rung ihres natio­na­lis­ti­schen Dis­kur­ses – ihren Auf­stieg fort.

Polen, Frank­reich und Deutsch­land sind somit in meh­re­ren Hin­sich­ten mit ver­gleich­ba­ren Her­aus­for­de­run­gen kon­fron­tiert und müs­sen dem Auf­stieg popu­lis­ti­scher Bewe­gun­gen ent­ge­gen­tre­ten, die nicht nur die Sta­bi­li­tät der Demo­kra­tie bedro­hen, son­dern auch den euro­päi­schen Zusam­men­halt infra­ge stel­len. Dies ist beson­ders im Hin­blick auf den Kon­flikt in der Ukrai­ne der Fall: Die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät der Ukrai­ne ist nicht nur für Euro­pa von zen­tra­ler geo­po­li­ti­scher Bedeu­tung, son­dern auch für die Lebens­fä­hig­keit der Demo­kra­tie als eines poli­ti­schen Modells in der Zukunft. Auf viel­fäl­ti­ge Wei­se for­dert dies die Euro­päi­sche Uni­on her­aus, sich als poli­ti­scher Akteur in der sich wan­deln­den Welt­ord­nung neu zu definieren.

Gera­de auch in die­sem Zusam­men­hang kommt nun das soge­nann­te »Wei­ma­rer Drei­eck« ins Spiel. Die­ses For­mat, das 1991 ins Leben geru­fen wur­de, hat das Ziel, die Bezie­hun­gen zwi­schen Polen, Frank­reich und Deutsch­land zu stär­ken und die Zusam­men­ar­beit in Berei­chen wie Poli­tik, Wirt­schaft, Kul­tur und Bil­dung zu för­dern. Die Stär­ke des Wei­ma­rer Drei­ecks liegt in sei­ner Funk­ti­on als Dia­log­platt­form zwi­schen die­sen drei bedeu­ten­den euro­päi­schen Län­dern. In einer Zeit, in der der deutsch-französische Motor zu stot­tern scheint, kann das Wei­ma­rer Drei­eck durch den Aus­tausch von Ideen, die För­de­rung gemein­sa­mer Inter­es­sen und die Lösung von Pro­ble­men auf regio­na­ler und inter­na­tio­na­ler Ebe­ne neue Ansät­ze und Kom­pro­mis­se ent­wi­ckeln, die zur Sta­bi­li­tät und Ent­wick­lung Euro­pas bei­tra­gen können. 

Und ins­ge­samt fin­den die Her­aus­for­de­run­gen, denen die drei Län­der gegen­über­ste­hen, ihre Lösun­gen eben vor allem auf euro­päi­scher Ebe­ne. Die kom­men­den Euro­pa­wah­len wer­den in die­sen bevöl­ke­rungs­star­ken Staa­ten maß­geb­lich die Zusam­men­set­zung und Stär­ke der ver­schie­de­nen poli­ti­schen Par­tei­en im Euro­päi­schen Par­la­ment bestim­men, was wie­der­um die Rich­tung und Poli­tik der EU beein­flus­sen wird. Die­se Wahl ist damit nicht nur für die demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­ti­on der EU-Institutionen von ent­schei­den­der Bedeu­tung, son­dern auch für das Leben und die Zukunft jedes ein­zel­nen Bür­gers unse­res Kontinents.


Ben­ja­min Kurc war Direk­tor des Insti­tut fran­çais in Sachsen-Anhalt und ist seit 2020 Lei­ter des Deutsch-Französischen Bür­ger­fonds, der die zivil­ge­sell­schaft­li­che Zusam­men­ar­beit zwi­schen Deutsch­land und Frank­reich för­dert. Das Stu­di­um der Phi­lo­so­phie, Geschich­te und Poli­tik­wis­sen­schaft sowie der dar­in auf die deutsch-französisch-polnischen Bezie­hun­gen gesetz­te Schwer­punkt führ­ten ihn u. a. an die Freie Uni­ver­si­tät Ber­lin und das Euro­pa­kol­leg in Nato­lin / Warschau.