Zurück

Zur elektronischen Ausgabe

Zum Heft

Zur Rubrik

Das Kaschubische Museum in Karthaus

Ein Speicher der Erinnerung an die Kulturgeschichte der Region

Von Magdalena Pasewicz-Rybacka

Nach nur dreißig Kilometern erreicht man von Danzig aus die malerisch an vier Seen gelegene Stadt Karthaus (Kartuzy), die als „Haupt­stadt der Kaschubei“ bezeichnet wird. Diese Akzen­tu­ierung erscheint durchaus berechtigt, denn Karthaus verfügt nicht nur über eine reiche Geschichte, prächtige Baudenk­mäler und bezau­bernde Aussichts­punkte, sondern beher­bergt auch diejenige Insti­tution, die sich seit langem der Aufgabe widmet, das Andenken an die Tradi­tionen der Kaschuben für die Nachwelt zu bewahren und sie zugleich für die Gegenwart lebendig zu erhalten; denn hier befindet sich – neben dem seit 1970 in Putzig aufge­bauten „Florian-Ceynowa-Museum des Putziger Landes“ – das zentrale Muzeum Kaszubskie, das das Alltags­leben und die Bräuche der Kaschuben dokumen­tiert, erforscht und präsentiert.

Geschichte des Museums

Bereits in der Zwischen­kriegszeit waren Anstren­gungen unter­nommen worden, ein Museum zu gründen, in dem Gegen­stände der kaschu­bi­schen Kultur gesammelt werden sollten. Zunächst fand sich Raum in einem Gebäude des ehema­ligen Kranken­hauses, wo in einem ersten Schritt 106 Exponate zusam­men­ge­tragen wurden. Einige Zeit später, in den 1930er Jahren, begann sich Franciszek Treder, ein für die Geschichte seiner Heimat begeis­terter junger Mann, für den Schutz des kaschu­bi­schen Erbes einzu­setzen. Er bemühte sich seiner­seits, histo­rische Erinne­rungs­stücke sowie Zeugnisse der Volks­kunst und des Volks­hand­werks syste­ma­tisch zu erfassen und organi­sierte 1932 in seinem Heimatort Borschestowo (Borzestowo) eine eigene Ausstellung. 1939 erhielt er dann auch offiziell den Auftrag, in Karthaus ein kaschu­bi­sches Museum zu errichten; doch dieser Plan wurde aufgrund des Kriegs­aus­bruchs nicht mehr in die Tat umgesetzt.

Bereits unmit­telbar nach dem Ende des Krieges, noch im Jahre 1945, wurde das Projekt wieder­auf­ge­nommen. Im „Kaschu­bi­schen Hof“, einem ehema­ligen Hotel, entstand die Keimzelle dieser Einrichtung. Kurz darauf wurde sie in eine histo­rische Villa in der Kościerska-Straße verlegt, in der sie sich bis heute befindet. Neuerlich wurde die Aufgabe vertrau­ensvoll in die Hände von Franciszek Treder gelegt; und am 1. Mai 1947 konnte das Museum offiziell eröffnet werden. Es blieb bis zu Treders Pensio­nierung im Jahre 1974 unter dessen Leitung und trägt heute den Namen seines Förderers: Muzeum Kaszubskie im. Franciszka Tredera

Jenseits der Einschrän­kungen, die von der Corona-Pandemie verur­sacht worden sind, darf das Museum heute pro Jahr etwa 20.000 Besucher begrüßen, die sich genauer über das Leben der Kaschuben infor­mieren wollten. Die attraktive Dauer­aus­stellung ist inzwi­schen in zwei Gebäuden unter­ge­bracht, denn zusätzlich zum Haupthaus, das acht Themen­räume beher­bergt, wurde 2019 in einem moder­ni­sierten Wirtschafts­ge­bäude u. a. „Basils Schmiede“ (Kuźnia Bazylego) einge­richtet, eine Werkstatt, in der zahlreiche Exponate das Arbeitsfeld des alten Schmie­de­hand­werks anschaulich werden lassen.

Die Abtei­lungen des Museums entführen den Besucher, wie der folgende Rundgang zeigen möchte, in die Welt der ehema­ligen Kaschubei und laden ihn dazu ein, sich dank den mannig­fachen wertvollen Belegen, die zumeist aus dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert stammen, diffe­ren­ziert mit dieser vielfäl­tigen Kultur auseinanderzusetzen.

Ernährungssicherung und Haushaltung

Zwei der vier Räume im Erdge­schoss des Haupt­ge­bäudes beschäf­tigen sich mit den Grund­lagen der Existenz­si­cherung, der Landwirt­schaft und der Fischerei. – Die geringe Qualität des Bodens ermög­lichte beim Ackerbau nur einen dürftigen Ertrag, und das wenig förder­liche Klima minderte die Aussichten noch zusätzlich. Aus diesem Grund gehörten die meisten Kaschuben zu den ärmeren Bevöl­ke­rungs­schichten. Sie bewirt­schaf­teten das Land mit einfachen Holzwerk­zeugen und erledigten die Arbeit oft von Hand und manchmal sogar ohne die Hilfe von Nutztieren. Die Ausstellung zeigt viele alte Objekte der Arbeiten im Landbau: Pflüge, Eggen oder Joche für Gespanne. Zudem gibt es Beispiele einfachen Schuh­werks z. B. aus Buchenholz, Filz und aus gefloch­tenem Stroh, das auch allgemein als Füllma­terial genutzt wurde. Ein beson­deres Beispiel bilden die Seiten­polster eines kunstvoll gearbei­teten Holzschlittens.

Zahlreiche fisch­reiche Seen sowie – im nördlichen Landesteil – der Zugang zum offenen Meer bildeten die Voraus­set­zungen für die Entwicklung des zweiten Berufs­zweiges, der Fischerei. Das Augenmerk wird zunächst auf zwei Boots­typen gelenkt, die von den Kaschuben benutzt worden sind. Der ältere Typ ist ein aus einem einzigen Stamm gefer­tigter Einbaum, der mit Hilfe von schwe­lendem Feuer ausge­höhlt worden ist. Das ausge­stellte Exemplar stammt aus dem Jahre 1788. Solche Einbäume wurden dann durch Boote ersetzt, die nach üblicher Bauart aus einem Holzboden und Seiten­wänden mit einge­passten Planken bestehen. Die Fische wurden, wie anschaulich gemacht wird, mit einer Vielzahl von Netzen gefangen, die nicht nur vom Boot, sondern auch vom Ufer aus ins Wasser ausge­worfen wurden. Neben dieser Fangtechnik ist offenbar auch eine Reihe von anderen Geräten bzw. Anlagen wie Fisch­speere oder Reusen zum Einsatz gekommen. Dazu gehört auch eine Lampe, die Fische durch den Schein des Lichts anlockte.

Eine bedeu­tende Rolle spielte das Eisfi­schen, das während der Winter­monate die eigene Ernährung sicherte und mögli­cher­weise einen Zusatz­ver­dienst einbrachte. Dabei wurden die Boote durch Schlitten ersetzt, in denen die notwen­digen Werkzeuge trans­por­tiert wurden: eine Axt zum Aufschlagen des Eises, große Schlepp­netze, Mistgabeln, mit denen die Netze unter der Eisober­fläche bewegt wurden, oder eine Haspel, die dem Bergen der Netze aus den Eislö­chern diente.

In den beiden anderen Räumen des Erdge­schosses werden Gegen­stände präsen­tiert, die in jedem kaschu­bi­schen Haushalt Verwendung fanden. Es gibt Messgefäße sowie Werkzeuge und Gerät­schaften zum Aufbe­wahren, Bearbeiten und Zubereiten von Lebens­mitteln sowie alle notwen­digen Utensilien für die Hausarbeit. In der Regel ernährten sich Kaschuben sehr bescheiden und verwen­deten Produkte, die sie selbst erzeugt bzw. herge­stellt hatten. Ihre Ernährung basierte auf Feldfrüchten, insbe­sondere Getrei­de­pro­dukten und Kartoffeln. Milch und Milch­er­zeug­nisse waren von gerin­gerer Bedeutung, und Fisch oder gar Fleisch wurden nur selten gegessen, meistens gesalzen oder geräu­chert, und frisch eigentlich nur zu festlichen Anlässen. Zur Sammlung gehören selbst­ver­ständ­li­cher­weise auch Waagen, Mühlen, Kochge­schirr oder verschiedene Arten von Butter­fässern sowie Schmuckteller, die als Einzel­stücke jede Anrichte dekorierten. Bemer­kenswert ist letztlich ein Ensemble von reich­haltig verzierten Holzmodeln, die der Butter nach ihrer Herstellung eine kompakte und ansehn­liche Form gaben.

Eine Vielzahl von wertvollen Gefäßen, die in den Küchen wohl seltener zum regel­mä­ßigen Gebrauch bestimmt waren, können im vierten und letzten Raum des unteren Geschosses bewundert werden, denn dort wird eine reiche Kollektion von Töpfer­waren präsen­tiert. Die Kaschuben sind bis heute für die Herstellung ihrer mit tradi­tio­nellen Mustern verzierten Keramik berühmt. Von dieser Kunst zeugen hier mannig­fache Produkte der bekann­testen kaschu­bi­schen Töpfer­fa­milien, der Meissners, Necels und Kaźmier­czaks. Deren Krüge, Vasen, Schalen oder auch Kacheln variieren kunst­reich die charak­te­ris­ti­schen, in tradi­tio­nellen Farben gehal­tenen kaschu­bi­schen Motive des Sterns, der Tulpe, des Flieder­zweigs oder der Fischschuppe.

Alltagskultur und Volkskunst

Weitere vier Räume befinden sich in der ersten Etage. Zunächst erreichen die Besucher eine Abteilung mit altem kaschu­bi­schem Spielzeug: Klappern, Karus­sells oder auch Windmühlen. Sie spiegeln oft Bewegungs­ab­läufe oder Tätig­keiten der täglichen Arbeit auf dem Feld oder im Hause wider, als sollten Kinder schon von früh an auf das Erwach­se­nen­leben vorbe­reitet werden.

Die Freunde der kaschu­bi­schen Musik kommen ebenfalls auf ihre Kosten, denn hier finden sich die Instru­mente, die für die Region in hohem Maße spezi­fisch sind: der Burczybas (der „Brummtopf“), die „Teufels­geige“ oder die tradi­tionell von Schäfern und Fischern geblasene Bazuna, eine lange hölzerne Natur­trompete. Natürlich dürfen in diesem Zusam­menhang auch die „kaschu­bi­schen Noten“ nicht fehlen, die bis heute beim Sprach­erwerb gute Dienste leisten.

In einem separaten Raum werden neben einer Sammlung von Münzen, deren Prägung histo­risch zum Teil bis ins 15. Jahrhundert zurück­reicht, einzelne Beispiele von geschnitzten religiösen Skulp­turen – darunter eine ausdrucks­volle Pietà – aufbe­wahrt, die in früheren Zeiten ihren Ort in einer der vielen kaschu­bi­schen Wegeka­pellen hatten.

Gleichsam als Vorspiel zu dieser Abteilung werden im Erdge­schoss bereits die tradi­tio­nellen Kostüme und Maska­ronen der Stern­singer präsen­tiert, deren „Gwiózdka“ – ebenfalls als ausge­spro­chenes Charak­te­ris­tikum der Kaschubei – einen wesent­lichen Bestandteil der Weihnachts­fei­er­lich­keiten bildet. Damit wird ein Umzug von kostü­mierten Menschen bezeichnet, die am Weihnachts­abend in die kaschu­bi­schen Häuser gehen und in typischen Rollen wie dem Storch, der Ziege, dem Schorn­stein­feger oder dem Teufel ein phanta­sie­volles Spektakel veranstalten.

Der weitere Rundgang führt zu wertvollen Zeugnissen des Kunst­hand­werks. Zunächst fallen die Frauen­hauben ins Auge. Die ältesten von ihnen stammen aus dem 17. Jahrhundert. Diese Kopfbe­de­ckungen wurden natur­gemäß vor allem von Damen der wohlha­benden Schicht getragen und gehörten zur Festtags­kleidung. Sie waren meist aus teuren Materialien gefertigt, aus Samt, Brokat oder Taft, und wurden rundum reich bestickt. Dabei dominieren florale Motive wie Tulpen, Gänse­blümchen oder Palmetten. Je aufwän­diger diese Kopfbe­de­ckungen gestaltet waren, desto höher stieg ihr Preis. Beispiels­weise konnte ihr Wert, wie aus der Mitte des 19. Jahrhun­derts überliefert ist, sogar über demje­nigen einer Kuh rangieren.

Ein eigener Bereich widmet sich den Elementen der Mitgift, die auch in der Kaschubei vornehmlich aus Gegen­ständen des täglichen Gebrauchs bestand. Die Eltern und Verwandten trugen die Aussteuer, den Braut­schatz, zusammen, und die zukünftige Braut sammelte Kleidungs­stücke, Unter­wäsche und Bettzeug in einer bemalten Truhe, die später prakti­scher­weise auch als Sitzge­le­genheit genutzt wurde und in der sich manchmal auch Geheim­fächer für Wertge­gen­stände wie den Famili­en­schmuck verbargen.

In diesem Umfeld finden sich zudem Beispiele der volks­tüm­lichen Plastik, die in ihrem Formen­reichtum und eigen­wil­ligen Stil bis heute ein überall begeg­nendes Abzeichen kaschu­bi­schen Kunst­ge­werbes bildet.

Der letzte Raum der oberen Etage erweckt den Eindruck einer Zeitreise in die Vergan­genheit. Dort wurde eine tradi­tio­nelle kaschu­bische Stube mit all ihren Elementen detail­getreu einge­richtet. Zu den zahlreichen Möbel­stücken, die reali­tätsnah arran­giert sind, gehört ein originell konstru­iertes Kinderbett, das in der Länge variabel ist und dadurch der jewei­ligen Körper­größe der Heran­wach­senden angepasst werden kann. Ein weiteres ungewöhn­liches Objekt ist an der Wand angebracht. Es handelt sich um eine Leder­peitsche (einen „pyzder“), die bei den jüngeren Mitgliedern einer Familie durchaus Furcht erregen sollte, weil sie zuweilen wohl bei Unartig­keiten tatsächlich zum Einsatz kam. Zu der Stube gehören schließlich auch Exempla der in der Kaschubei beliebten Hinter­glas­ma­lerei und deren Variante, der Spiegelmalerei.

Einen origi­nellen Schluss­punkt der ganzen Abteilung setzt eine Sammlung von Schnupf­ta­bak­dosen, die meistens aus Kuhhorn gefertigt und künst­le­risch oft sehr aufwändig gestaltet sind. Diese spezi­ellen Behälter belegen, welch große Verbreitung der Konsum von Schnupf­tabak gefunden hat und welch hohe Wertschätzung ihm gerade in der Kaschubei, und zwar bis in die Gegenwart hinein, entge­gen­ge­bracht worden ist.

Die neuen Räumlichkeiten

Neben dem Haupt­ge­bäude liegt, wie eingangs schon erwähnt, ein instand­ge­setztes und umgebautes früheres Wirtschafts­ge­bäude, das seit 2019 dem Kaschu­bi­schen Museum zur Verfügung steht und das neben einem Konfe­renzraum und großzü­gigen Flächen für Sonder­schauen zwei zusätz­liche Bereiche der Dauer­aus­stellung beherbergt.

Dazu gehört zum einen die bereits genannte Schmiede, in der unter­schied­liche Werkzeuge, Blase­bälge, Drehbänke oder Schleif­ma­schinen gezeigt werden. Alle Objekte in „Basils Schmiede“ gehörten einst Bazyli Dąbrowski, einem wasch­echten kaschu­bi­schen Schmied, der sein Handwerk von den 1920er Jahren an bis zu seinem Tod im Jahre 1968 in Borek, in der Gemeinde Sullen­schin (Sulęczyno), ausübte. Die origi­nalen Gegen­stände wurden dem Museum von Andrzej Dąbrowski, dem Enkel des Besitzers, geschenkt und können nun gleicher­maßen die Erinnerung an den Großvater wie an das alte Handwerk des Schmieds bewahren.

Der zweite Bereich der Dauer­aus­stellung besteht aus einer multi­medial konzi­pierten Präsen­tation von auf Leinwand gedruckten Grafiken, die Małgorzata Walkosz-Lewandowska geschaffen hat. Den Titel – „Die kaschu­bisch Moderne erwächst aus ihren Wurzeln“ – machen die einzelnen Werke sinnfällig: Auf märchen­hafte Weise zeigen sie nicht nur die Geschichte der Kaschuben, sondern auch deren Bräuche, religiöse Vorstel­lungen und Legenden.

Die Museums­di­rek­torin Barbara Kąkol hat als Kuratorin dafür gesorgt, dass sich – techno­lo­gisch avanciert – die Realität der Bilder virtuell erweitern lässt. Auf der Grundlage der gezeigten Elemente können die Besucher 3D-Ansichten generieren und dabei ebenso unter­haltsam wie lehrreich das Märchen über die Kaschubei eigen­ständig weiterentwickeln.

Neben seiner Sammlungs- und Ausstel­lungs­tä­tigkeit entfaltet das „Kaschu­bische Museum“ ein breites Spektrum an Bildungs- und Kultur­ange­boten und gibt auch eine Reihe von einschlä­gigen Publi­ka­tionen heraus. Insgesamt bildet es einen wichtigen Faktor im kultu­rellen Leben der Stadt und der Region. Dazu gehören Vorträge, inter­es­sante Wechsel­aus­stel­lungen, Vernis­sagen heimi­scher Künstler, Wettbe­werbe oder Workshops für Kinder. Großer Beliebtheit erfreut sich auch das „Festival des Kaschu­bi­schen Likörs“ sowie der regel­mäßige Folklore-Markt, bei dem man Produkte der tradi­tio­nellen regio­nalen Küche kennen­lernen – und probieren – kann oder auch in die Geheim­nisse der alten Handwerks­kunst einge­weiht wird.

Auf verschie­denste Weise gelingt es dem Museum somit, Menschen an den Reichtum der alten und weiterhin leben­digen kaschu­bi­schen Kultur heran­zu­führen. Dabei gehört es zu den beson­deren Vorzügen des Hauses, dass alle Mitar­bei­te­rinnen und Mitar­beiter freundlich, entgegenkom­mend und warmherzig auftreten und als Motto anscheinend das kaschu­bische Sprichwort „Bëlné słowò òtmikô serce“ – „Ein gutes Wort öffnet das Herz“ – auser­koren haben, denn an solchen „guten Worten“ mangelt es dort – wie übrigens auch in der gesamten Kaschubei – gewiss nicht.