Die Stadt Wörlitz mit ihrem Schlossgarten und Südseepavillon ist schon seit 1784 als ein Ort bekannt, an dem auf kleinem Raum die Weite und faszinierende Vielfältigkeit der Welt anschaulich und begreifbar wird (darüber hat DW 1/2019 schon ausführlich berichtet). Somit bildete die Stadt auch im September 2018 den passenden Rahmen für die Tagung Gesammelte Welten – Johann Reinhold und Georg Forster der Dessau-Wörlitz-Kommission, der Alexander von Humboldt-Professur für neuzeitliche Schriftkultur und europäischen Wissenstransfer sowie der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz. Ihre Beiträge über die beiden weltoffenen westpreußischen Wissenschaftler im Sammelband Weltensammeln: Johann Reinhold Forster und Georg Forster wurden 2020 publiziert.
Die Wissenschaftler Johann Reinhold und dessen Sohn Georg Forster, beide unweit von Danzig in Königlich Preußen, dem nachmaligen Westpreußen, geboren, zogen während Georgs Jugend nach England. Hier gelang es dem nur siebzehnjährigen Georg Forster, in Begleitung seines Vaters als Zeichner und wissenschaftlicher Assistent auf der von James Cook geleiteten zweiten Weltumseglung mitzufahren. Die Forsters (besonders der jüngere) sind heute freilich nicht nur als Kosmopoliten zu betrachten, vielmehr besaßen sie auch ein sehr vielseitiges Wissen: Beide Gelehrte müssen gleichermaßen als Weltreisende, Naturwissenschaftler, Ethnologen, Illustratoren und aufklärerische Philosophen erfasst werden. Die Beiträge des Sammelbandes fokussieren deshalb auch die verschiedenen Facetten der beiden Persönlichkeiten. Entsprechend der Intention der Herausgeber nehmen die unterschiedlichen Beiträge die Wissenschaftler hauptsächlich aus der Perspektive der „Materialitätsgeschichte“ in den Blick: Die jeweiligen Autoren untersuchen, wie konkrete Gegenstände, die durch Austausch oder sogar Gewalt ihren ursprünglichen Ort verlassen haben, etwas über Zeit und Menschen erzählen. Im Fall der Forsters bedeutet dies, dass die Beiträger hauptsächlich die während der Weltreise gesammelten Objekte, ihre Briefe und die von ihnen inspirierten Schauplätze unter die Lupe nehmen.
Den Sammelband zeichnen drei besondere Stärken aus. Zunächst lässt die bereits erwähnte Konkretisierung durch Objekte die bildreichen Beiträge nie rein theoretisch wirken und vermittelt stattdessen dem Leser das Gefühl, die historischen Orte der Forsters oder die heutigen musealen Schauplätze ihrer Sammlungen konkret zu besuchen. Schon zu Beginn des Buches wird der Schwerpunkt der Materialitätsgeschichte deutlich. Zum Beispiel verfolgt Uwe Quilitzsch die Geschichte der Forster-Sammlung im Südseepavillon des Wörlitzer Schlosses: vom ersten Treffen der Forsters mit dem Regenten-Paar von Anhalt-Dessau, das 1784 geschenkte Objekte der Forsters ausstellte, bis zur heutigen Zeit, wo viele der Objekte wieder in einer neu eingerichteten Dauerausstellung des Wörlitzer Schlosses zu finden sind. Spannend ist auch die Spurensuche von Frank D. Steinheimer, der die Herkunft des in Berlin zu findenden „Ous“ (einer als Präparat bewahrten, inzwischen ausgestorbenen Finkenart) hinterfragt. Mit seinem Beitrag nimmt er den Leser auf eine rätselhafte Entdeckungsreise mit. Anhand von Röntgenaufnahmen und internationalem Archivmaterial gelingt es dem Autor, die Herkunft des Vogelpräparats auf James Cooks dritte Weltumseglung zurückzuführen. Die hier angewandten altmodischen Mumifikationsmethoden hatten die Besatzungsmitglieder auf der zweiten Weltumseglung von Johann Reinhold Forster gelernt.
Sodann arbeiten viele der Autoren fast zwangsläufig interdisziplinär, was nicht nur den vielseitigen Interessen der Forsters entspricht, sondern auch die Aspektvielfalt von deren kulturellem und wissenschaftlichem Erbe hervorhebt. Michael Niedermeier schreibt über die preußischen Landschaftsgärten und die Darstellung von „Paradiesvögeln“, die beispielhaft auf „dekadenten“ Südseetapeten im noch erhaltenen „Otaheitischen Kabinett“ auf der Potsdamer Pfaueninsel zu sehen sind. Der Beitrag erklärt dem Leser, wie es seit der Cook-Forster-Reise in der deutschen und besonders in der preußischen Gesellschaft zu der Faszination für Südseeinseln kam. Dies wird vorbildlich auch am Beispiel von Goethes Übersetzung von Aristophanes’ Komödie Die Vögel gezeigt, die Goethe aufgrund Georg Forsters exotischer Vogelbilderreihe für ein südseefasziniertes Publikum umwandelte.
Schließlich ist zu akzentuieren, wie intensiv sich die Autoren mit aktuellen Problemstellungen – wie beispielsweise dem Erbe der Kolonialzeit oder der menschlichen Naturempfindung – beschäftigen. Alana Thyng untersucht, wie das Sammeln der Südseeobjekte von Vater und Sohn Forster an den verschiedenen Ursprungsorten vor sich gegangen ist. Sie erklärt durch Briefstellen und die Analyse von künstlerischen Objekten, wie getauschte Maori-Artefakte einen nicht nur für Europäer vorteilhaften Wissenstransfer zwischen den Indigenen und den Reisenden bedeuten konnten. Auch Christian Helmreichs Vergleiche von Georg Forster mit dem jungen Alexander von Humboldt zeigen, dass der ökologische Vorreiter Humboldt nicht nur naturwissenschaftlich, sondern auch literarisch viel von Forster lernte. Nicht zuletzt hier zeigt sich: Ästhetik spielte für die beiden Wissenschaftler und ihr ganzheitliches Naturverständnis und dessen Vermittlung eine nicht zu unterschätzende Rolle.