Eine Weintraube als westpreußisches Wappensymbol ? – Da das Land an der unteren Weichsel keineswegs zu den klassischen Weinanbaugebieten gehört, ist die Weinrebe dort heraldisch nicht gerade häufig vertreten. Als gemeine Figur findet sie sich allerdings im Wappen von Jastrow (Jastrowie), einer Stadt, die bis 1945 zum Kreis Deutsch Krone gehörte und jetzt dem Kreis Flatow (und mithin der Woiwodschaft Großpolen) zugeordnet ist. Zudem erscheint dieses Motiv auch im strukturell sehr ähnlichen Wappen von Landeck (Lędyczek) – heute, nachdem der damals kleinsten Stadt Polens 1972 die Stadtrechte entzogen wurden, ein Dorf in der Landgemeinde Ratzehbuhr (Okonek), das in nordöstlicher Richtung kaum 15 km von Jastrow entfernt liegt. Das Symbol der Weintraube weist darauf hin, dass es in früheren Zeiten an den Hängen der Jastrower Berge tatsächlich Weinanbau gegeben hat. Diese Felder sind aber schon 1660 während des Kleinen Nordischen Krieges nachhaltig zerstört worden, und seit den 1960er Jahren verschwanden durch Schürfarbeiten sogar große Teile der Berge selbst. Immerhin bewahren die beiden Wappen seit Jahrhunderten die Erinnerung an diese lokale Winzertradition. Unser Foto zeigt überdies, dass das Jastrower Wappen hier mit einer aufschlussreichen Rahmung versehen ist. Ein zusätzlicher Schild gibt Raum für den seitlichen Weinlaub-Dekor und vor allem für den dominierenden polnischen Königsadler. Diese auffällige Ausgestaltung wird durch das unten angefügte Datumsband formal abgerundet und zugleich historisch erschließbar : 1602 wurde Jastrow von Peter Potulicki, dem Starosten von Uść, zur Stadt nach Magdeburger Recht erhoben, und am 5. März des folgenden Jahres – das dann unterhalb des Wappens genannt wird – bestätigte König Sigismund III. Wasa das Stadtprivileg, ließ den Ort nunmehr zum »Königlichen Städtchen Jastrow« werden. Dieser Zusammenhang lenkt die Aufmerksamkeit nicht zuletzt auf das Gebäude, an dem das Wappen-Ensemble offensichtlich mit Bedacht angebracht ist, denn es handelt sich um das sogenannte »Steinerne Haus«, das einstmals bereits dem Starosten gehört hatte und nun, ab 1603, als Sitz des Bürgermeisters, der Ratsmänner und der Verwaltung diente. Späterhin wurden hier für einige Zeit auch protestantische Gottesdienste gefeiert. Das »Steinhaus« überstand, im Unterschied zu vielen der anderen Gebäude, die allesamt aus Fachwerk errichtet waren, mehrere Stadtbrände und blieb sogar im Zweiten Weltkrieg, in dem Jastrow zu 45 % zerstört wurde, vor größeren Schäden bewahrt. Das reich ausgestaltete Wappen-Arrangement kennzeichnet somit einen zentralen Erinnerungsort der Stadtgeschichte – der jetzt sogar seinerseits der Bewahrung des kulturellen Gedächtnisses dient : Dort ist seit geraumer Zeit die – dem Andenken an den mit Jastrow eng verbundenen polnischen Schriftsteller Leon Kruczkowski (1900–1962) gewidmete – Stadtbibliothek beheimatet.
Text: Joanna Szkolnicka / DW
Foto: Tilman Asmus Fischer