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Westpreußen als Teil einer frühen Welt-Gesellschaft

oder: Warum gibt es in Bromberg eine Esperanto-Brücke ?

Von Joanna Skolnicka

»Welche Vorstellungen haben Sie von dem, was ›Esperanto‹ bedeuten könnte ? « – Es wäre sicherlich aufschlussreich, Mitmenschen – und gerade jüngeren Leuten – einmal diese Fragen vorzulegen. Selbst wenn dabei zuweilen noch einige wüssten, dass es sich bei Esperanto um eine Plansprache handelt, um eine konstruierte menschliche Sprache, die eine internationale Kommunikation wesentlich erleichtern soll, stieße die Anschlussfrage vermutlich auf weitgehendes Unverständnis :  »Haben Sie selbst schon einmal persönliche Erfahrungen mit Esperanto gemacht – oder würden Sie sich sogar für das Erlernen dieser Sprache interessieren ? «  Diese Idee wirkt heute tatsächlich eher abwegig ;  denn die Suche nach einer universell verwendbaren und überall verständlichen Sprache ist doch schon längst – zugunsten des Englischen – entschieden. – Der Kalender der runden Geburts- und Todesjahre, der unsere Erinnerungskultur inzwischen ganz entscheidend prägt, gibt allerdings einen wichtigen Impuls, die Frage nach der Bedeutung des Esperanto nicht vorschnell zu übergehen :  Am 14. April jährt sich zum 100. Male der Todestag von Ludwik Lejzer Zamenhof, dem polnischen Augenarzt, der diese voll ausgebildete und bis in die Gegenwart noch am weitesten verbreitete Plansprache entwickelt hat. Dieses Datum kann somit einen willkommenen Anlass bieten, genauer nachzufragen, ob bzw. an welchen Orten und auf welche Weise das Konzept von Zamenhof auch in Westpreußen Fuß gefasst hat, welche geschichtlichen Zusammenhänge unter dieser Perspektive sichtbar werden – und welche Spuren der Esperanto-Bewegung sich im Land an der unteren Weichsel heute noch entdecken lassen.

Elbing 

Die Ideen von Lud­wik Zamen­hof fan­den in den west­preu­ßi­schen Städ­ten recht zügig eine brei­te­re Reso­nanz :  Eine orga­ni­sier­te Esperanto-­Bewegung begann hier bereits Anfang des 20. Jahr­hun­derts. In Elb­ing wur­de schon 1905 ein Esperanto-Verein gegrün­det – in dem Jah­re, in dem der ers­te Esperanto-Weltkongress im fran­zö­si­schen Boulogne-sur-Mer statt­fand. Der Ver­ein hielt sei­ne Ver­samm­lun­gen regel­mä­ßig diens­tags im »Rats­kel­ler«, im Erd­ge­schoss des Rat­hau­ses, ab ;  der jun­ge Ver­ein wur­de jedoch bald aus heu­te nicht mehr erschließ­ba­ren Grün­den auf­ge­löst oder setz­te zumin­dest sei­ne Tätig­keit aus. Neu gegrün­det bzw. wie­der­be­lebt wur­de er 1912. Die­se Grün­dungs­ver­samm­lung, anbe­raumt von einem Che­mi­ker, Greff mit Namen, fand am 21. Okto­ber im Han­dels­lehr­in­sti­tut des Buchdruckerei-Inhabers Otto Sie­de statt. Auf der Ver­samm­lung wur­de die Sat­zung beschlos­sen. Zu Vor­stands­mit­glie­dern wur­den Herr Greff, ein Leh­rer Glo­witz und ein Post­se­kre­tär Kubicki gewählt. Dem Ver­ein tra­ten 32 Per­so­nen bei, dar­un­ter auch Frau­en (u. a. die Tele­gra­fis­tin Johan­na Zell­we­ger, ein Fräu­lein Pen­ner und eine Frau Cars­tenn). Nach den über­lie­fer­ten Doku­men­ten zu urtei­len, rekru­tier­ten sich die Ver­eins­mit­glie­der in ers­ter Linie aus der Leh­rer­schaft, dem Beam­ten­tum und aus Frei­be­ruf­lern, somit aus Berufs­grup­pen und sozia­len Schich­ten, die in beson­de­rem Maße an all­ge­mei­ner Wei­ter­bil­dung und Inno­va­tio­nen wie einer Hilfs­spra­che inter­es­siert waren.

Der Elb­in­ger Ver­ein bil­de­te zugleich eine offi­zi­el­le Grup­pe des Deut­schen Esperanto-Bundes. Der auf der ers­ten Ver­samm­lung zum Vor­sit­zen­den gewähl­te Che­mi­ker Greff hielt die­se Funk­ti­on vie­le Jah­re lang inne. Er stell­te auch sei­ne Pri­vat­woh­nung (zuerst in der Tal­stra­ße 27, spä­ter Geor­gen­damm 25) für die offi­zi­el­len Ver­samm­lun­gen zur Ver­fü­gung. Die Haupt­tä­tig­keit des Ver­eins rich­te­te sich auf die Durch­füh­rung von Esperanto-­Kursen, wobei das Bemü­hen um eine Ver­brei­tung die­ser Kennt­nis­se von den städ­ti­schen Behör­den unter­stützt wur­de, indem sie dem Ver­ein für das Abhal­ten des Kurs-Programms 1913 einen Saal in der alt­städ­ti­schen Kna­ben­schu­le über­lie­ßen. Die Esperanto-Kurse wur­den allen Elb­in­ger Ver­ei­nen ange­bo­ten, von denen anzu­neh­men war, dass sie die Beherr­schung einer uni­ver­sa­len Spra­che bei ihren Tätig­kei­ten als för­der­lich emp­fän­den. Dies traf bei­spieslwei­se auf den Elb­in­ger Arbeiter-Samariterbund zu, der sich um Not­fall­hil­fe sowie die Aus­bil­dung von Erst­hel­fern küm­mer­te, aber über­ra­schen­der Wei­se auch auf den Jungdeutschland-Bund, der trotz sei­ner Ziel­set­zung einer nicht nur sport­li­chen Ertüch­ti­gung, son­dern auch vor­mi­li­tä­ri­schen Erzie­hung offen­bar die Beschäf­ti­gung mit Esperanto-­Kursen – zumin­dest bis zum Aus­bruch des Ers­ten Welt­krie­ges – für hilf­reich hielt.

Der Elb­in­ger Esperanto-Verein blieb min­des­tens bis zur zwei­ten Hälf­te der 1920er Jah­re aktiv, sei­ne Tätig­keit gewann jedoch kei­ne Außen­wir­kung, die der­je­ni­gen des Schwes­ter­ver­eins in Dan­zig ver­gleich­bar wäre. – Im Kon­text der El­binger Ver­ei­ni­gung muss auch der Name von Karl Van­se­low (1876–1959) genannt wer­den – einem aus Schönlan­ke stam­men­den Schrif­stel­ler, Ver­le­ger, Foto­gra­fen und – in sei­nen spä­te­ren Lebens­jah­ren – lei­den­schaft­li­chen Esperanto-Verfechter. Nach dem Tode sei­nes Vaters (1882) hat­te ihn sein älte­rer Bru­der Juli­us zu sich nach El­bing geholt (wo die­ser als Leh­rer tätig war und auch als Schrift­stel­ler her­vor­trat) und ermög­lich­te ihm den Besuch des dor­ti­gen Gym­na­si­ums. Nach Juli­us’ frü­hem, plötz­li­chem Tod muss­te Karl Van­se­low Elb­ing aber wie­der ver­las­sen und sich sei­ner­seits um den Unter­halt der Fami­lie kümmern.

Danzig 

Der Dan­zi­ger Esperanto-­Verein wur­de 1907 ins Leben geru­fen. Zu sei­nen Mit­be­grün­dern gehör­te Anna Eli­za Tusch­in­ski. 1908 lern­te sie Lud­wik Zamen­hof auf dem 4. Esperanto-Weltkongress in Dres­den per­sön­lich ken­nen – und die bei­den eröff­ne­ten dann als Tanz­paar den Abschluss­ball des Kon­gres­ses. Vom 27. Juli bis zum 1. August 1912 fand in Dan­zig der 7. Deut­sche Esperanto-Kongress statt. Neben Fest­re­den und Vor­trä­gen wur­den in der Nikolai- und in der Mari­en­kir­chen – jeweils getrennt für Katho­li­ken und Pro­tes­tan­ten – Andach­ten mit Pre­dig­ten auf Espe­ran­to gehal­ten. (Ein gemein­sa­mer »öku­me­ni­scher« Got­tes­dienst war – unge­ach­tet der fried­li­chen und völ­ker­ver­bin­de­nen Bot­schaft der Espe­ran­tis­ten – zu die­ser Zeit offen­bar noch völ­lig undenkbar.)

Wäh­rend des Welt­kriegs ruh­ten die Akti­vi­tä­ten des Dan­zi­ger Ver­eins, der im Novem­ber 1919 wie­der­erstand. In der kul­tu­rell viel­fäl­ti­gen Frei­en Stadt Dan­zig, die auch von vie­len Frem­den, Geschäfts­leu­ten wie Tou­ris­ten, besucht wur­de, flo­rier­te die Bewe­gung. Dan­zi­ger Zei­tun­gen publi­zier­ten Esperanto-Lektionen, es wur­den Bücher in der neu­en »Welt­spra­che« ver­öf­fent­licht (wie z. B. ein Dan­zi­ger Rei­se­füh­rer), und die aus­län­di­schen Gäs­te konn­ten Aus­künf­te und Stadt­füh­run­gen in Espe­ran­to erhal­ten. Von einer auch poli­tisch nutz­ba­ren Dimen­si­on der uni­ver­sa­len Spra­che gibt 1920, bald nach dem Kriegs­en­de, ein Arti­kel aus der pol­ni­schen Zei­tung Gaze­ta Gdańs­ka Aus­kunft. Der Ver­fas­ser hebt die Bedeu­tung von Espe­ran­to für alle kauf­män­ni­schen Tätig­kei­ten her­vor, denn nun bie­te sich end­lich die Mög­lich­keit, dass ein Pole ange­sichts der Tat­sa­che, dass die Deut­schen sich in aller Regel sowie­so nicht mit dem Pol­ni­schen aus­ein­an­der­setz­ten, in Gesprä­chen nicht mehr deutsch spre­chen müs­se, son­dern auf die »neu­tra­le« Hilfs­spra­che aus­wei­chen könne.

Einen Höhe­punkt der Espe­ran­to­be­we­gung in Dan­zig bil­de­te der 19. Esperanto-Weltkongress, der vom 28. Juli bis zum 4. August 1927 im Friedrich-Wilhelm-Schützenhaus statt­fand. Als Ehren­gäs­te des Kon­gres­ses kamen Mit­glie­der der Fami­lie Zamen­hof nach Dan­zig, zum Ehren­ko­mi­tee gehör­ten aus­län­di­sche Diplo­ma­ten und Wür­den­trä­ger sowie Hein­rich Sahm und Wil­helm Rie­pe, die dem Senat der Frei­en Stadt in die­sem Jahr als Prä­si­dent bzw. Vize­prä­si­dent vor­stan­den. Die Ver­an­stal­tung wur­de mit der Esperanto-Sommeruniversität ver­bun­den, und den Gäs­ten wur­de eine Rei­he von zusätz­li­chen Pro­gramm­punk­ten ange­bo­ten, dar­un­ter eine Fahrt mit dem Damp­fer Paul Bene­ke sowie Aus­flü­ge nach Oli­va und zur Zopot­ter Wald­oper. Höchst sym­bo­lisch war das Pflan­zen einer Erin­ne­rungs­ei­che auf einem Hügel in Zop­pot :  Ver­tre­ter der Esperanto-Bewegung ver­schie­de­ner Natio­na­li­tä­ten hat­ten jeweils etwas Erde aus ihren Hei­mat­län­dern mit­ge­bracht, die um das Bäum­chen her­um ver­teilt wur­de ;  und der Hain, in dem der Baum gepflanzt wur­de, hieß nun »Espe­ran­to­grund«. Zudem wur­de an die­sem Ort ein Gedenk­stein aufgestellt.

Weitere Städte in Westpreußen 

In Brom­berg ent­stand ein Esperanto-Verein im Jah­re 1908. Der von Moritz Kandt, einem Dok­tor der Phi­los­phie, gelei­te­ten Ver­ei­ni­gung gehör­ten sowohl Polen als auch Deut­sche an. Im Juni 1910 unter­nah­men die Ver­ei­ne aus Brom­berg und Thorn gemein­sa­men einen Aus­flug nach Ciech­o­ci­nek, das damals in Kon­gress­po­len lag, und besuch­ten die dor­ti­ge Schwes­ter­or­ga­ni­sa­ti­on. Die­ses Tref­fen erhielt für die Teil­neh­mer einen ganz beson­de­ren Wert, weil sich ihnen auch Lud­wik Zamen­hof höchst­per­sön­lich zuge­sell­te. Nach einer kriegs­be­ding­ten Pau­se erwach­te die Brom­ber­ger Bewe­gung 1919 erneut. In den 1930er Jah­ren bestan­den in die­ser Stadt sogar vier Esperanto-Vereine par­al­lel, und es erschien unter dem Titel Ligi­lo ein eige­nes Esperanto-Bulletin.

1909 erreicht das Inter­es­se an der inter­na­tio­na­len Plan­spra­che auch ande­re Städ­te West­preu­ßens. In Grau­denz grün­det der Kauf­mann Alo­j­zy Kam­row­ski den dor­ti­gen Ver­ein, und im glei­chen Jahr wur­de in Mari­en­burg – nach Edward Kozy­ras Geschich­te der Espe­ran­to­be­we­gung in Mari­en­burg – eine Abtei­lung des Ori­ent Ger­ma­na Espe­ran­ti­s­ta Ligo (des Ost­deut­schen Esperanto-Bundes) ins Leben geru­fen. Zum Vor­sit­zen­den wur­de der Apo­the­ker Hein­rich Mehr­län­der gewählt. In die­ser Stadt hat­te Espe­ran­to aber schon viel frü­her Lieb­ha­ber gefun­den, denn bereits 1893 abon­nier­te ein gewis­ser H. Zeid­ler aus Mari­en­burg die ers­te, 1889 begrün­de­te Esperanto-Zeitschrift La Esperantisto.

Blockade durch das NS-Regime 

Mit dem Jah­re 1933 ende­ten in Deutsch­land jeg­li­che wei­te­ren Ent­fal­tungs­mög­lich­kei­ten für die Esperanto-Bewegung, denn mit der soge­nann­ten Macht­über­nah­me ver­schwand die Akzep­ta­bi­li­tät von Vor­stel­lun­gen wie dem Uni­ver­sa­lis­mus, der Völ­ker­freund­schaft oder gar der Gleich­wer­tig­keit von Ras­sen und Kul­tu­ren. Damit wur­den die Idea­le, die die Espe­ran­tis­ten ver­tra­ten, ins­ge­samt obso­let – ganz zu schwei­gen von der Tat­sa­che, dass der Schöp­fer die­ser Spra­che ein pol­ni­scher Jude gewe­sen war. So wur­de Espe­ran­to vom Beginn des NS-Regimes an unter­drückt, auch wenn das offi­zi­el­le Ver­bot des Unter­richts in den Schu­len erst 1935 kam. 1936 wur­den sodann alle Ver­ei­ne, die sich der Pfle­ge von »Kunst­spra­chen« wid­me­ten, auf­ge­löst. 1938 wur­de schließ­lich die Esperanto-Eiche in Zop­pot gefällt und die Erin­ne­rungs­ta­fel zer­stört. Dabei soll aber nicht über­gan­gen wer­den, dass die Plan­spra­che von Zamen­hof nicht nur bei Anhän­gern des Natio­nal­so­zia­lis­mus in Deutsch­land, son­dern auch bei anti­se­mi­ti­schen Krei­sen in Polen auf mas­si­ve Ableh­nung traf. Seit 1933 z. B. wur­de Espe­ran­to in Brom­berg von der Gaze­ta Byd­go­s­ka, einer den Natio­na­len Demo­kra­ten nahe­ste­hen­den Zei­tung, aggres­siv als »jüdi­sche Spra­che« bekämpft.

Ver­bo­te, Ver­fol­gun­gen, Dro­hun­gen und Stra­fen haben aber auch star­ke Gegen­kräf­te mobi­li­siert. Ein Bei­spiel dafür ist die Geschich­te von Albin Makow­ski, einem in Konitz behei­ma­te­ten Polen. Er hat­te 1928, als 20-Jähriger, damit begon­nen, Espe­ran­to zu ler­nen. Nach­dem er 1943 ins KZ Stutt­hof gebracht wor­den war, ver­fass­te er nun aus dem Gedächt­nis her­aus ein Esperanto-Lehrbuch und unter­rich­te­te heim­lich sei­ne Mit­häft­lin­ge. Das war sei­ne Metho­de, sich und ande­re in einer sol­chen Aus­nah­me­si­tua­ti­on durch sinn­vol­le Beschäf­ti­gung vor der Ver­ro­hung zu bewah­ren. Auf die­se Wei­se ent­sprach sein Bemü­hen in einem tie­fe­ren Sin­ne dem Namen von »Espe­ran­to«, denn die­se Benen­nung ist von dem Wort »la Espe­ra« – »Hoff­nung« – abge­lei­tet. (Makow­ski über­leb­te den Auf­ent­halt in Stutt­hof übri­gens und kehr­te nach Konitz zurück. Da er zeit­le­bens ein lei­den­schaft­li­cher Samm­ler war, wur­de sei­ne Woh­nung nach sei­nem Tode im Jah­re 1982 zu einem Teil des Konit­zer Museums.)

Die Enwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 

Nach 1945 ent­wi­ckel­te sich die zuvor ver­bo­te­ne Hilfs­pra­che in Polen zunächst sehr rege, zumal sie in der Volks­re­pu­blik qua­si ein Fens­ter zur Welt zu öff­nen ver­moch­te. 1959 wur­de wäh­rend des 15. Inter­na­tio­na­len Kon­gres­ses der Esperanto-Jugend in Zop­pot an der­sel­ben Stel­le, an der bis 1938 die Esperanto-Eiche gestan­den hat­te, ein neu­er Baum gepflanzt, und auch ein Erin­ne­rungs­stein wur­de an der Stel­le des Vor­gän­gers errich­tet. Baum und Stein sind dort bis heu­te zu sehen. Zop­pot war, viel­leicht ein­ge­denk der star­ken Tra­di­tio­nen, Zamen­hofs Kunst­spra­che beson­ders zuge­neigt :  Von 1972 bis 1977 gab es hier ein eige­nes Esperanto-Museum, und in einer der Grund­schu­len wur­de von 1967 bis 1982 Esperanto-Unterricht erteilt.

In Brom­berg ent­stand 1959 eine Abtei­lung des Pol­ni­schen Esperantisten-Verbands ;  und in den 1970er Jah­ren wur­de eine Ini­ti­ta­ti­ve ergrif­fen, inter­na­tio­na­le Esperanto-Treffen mit der regel­mä­ßig statt­fin­den­den städ­ti­schen Groß­ver­an­stal­tung Tage von Brom­berg zu ver­bin­den. So wur­de die Stadt zum Zen­trum der gesamt­pol­ni­schen Esperanto-Bewegung. Über­dies war an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn schon in den 1950er Jah­ren ein stu­den­ti­scher Esperanto-Club aktiv, der eine eige­ne Zeit­schrift her­aus­gab ;  und im Thor­ner Päd­ago­gi­schen Lyze­um wur­de ein Esperanto-Kurs durchgeführt.

Seit­dem Eng­lisch zu Lin­gua fran­ca der moder­nen Welt wur­de, ist die von Zamen­hof erfun­de­ne Spra­che aller­dings auch in sei­nem Hei­mat­land nicht mehr son­der­lich popu­lär. Die Grup­pen, die noch Espe­ran­to pfle­gen, bestehen oft aus Enthu­si­as­ten, die der älte­ren Gene­ra­ti­on zuge­hö­ren. Rela­tiv leben­dig bleibt die Bewe­gung noch in der Drei­stadt. Als wich­ti­ger Ver­fech­ter der Spra­che wirkt der 1935 gebo­re­ne Zop­po­ter Józef Golec, der zugleich ein ver­dienst­vol­ler Päd­ago­ge, Exlibris-Schöpfer und Ken­ner der Geschich­te von Zop­pot (und dem Tesche­ner Schle­si­en) ist und der 2008 eine Mono­gra­phie über die Dan­zi­ger Esperanto-Entwicklung ver­öf­fent­lich­te. Die in der Dan­zi­ger Diö­ze­se leben­den Espe­ran­tis­ten haben sogar einen eige­nen Seel­sor­ger. Für sie ist Pfarr­rer Sta­nisław Pła­tek zustän­dig, der Anfang der 1970er Jah­re begon­nen hat­te, sich auf das Aben­teu­er mit der Plan­spra­che Espe­ran­to ein­zu­las­sen. In Brom­berg schließ­lich bie­tet die Pri­vat­hoch­schu­le Inter­na­tio­na­les Stu­di­um für Tou­ris­tik und Kul­tur immer noch Espe­ran­to als eine der Lehr­spra­chen an.

Auch wenn Espe­ran­to selbst durch die neue­ren Ent­wick­lun­gen all­mäh­lich zu einer »toten Spra­che« wer­den soll­te, wird die heh­re Grund­idee von Zamen­hof, die er durch sei­ne Erfin­dung ver­wirk­li­chen woll­te, nicht dem Ver­ges­sen anheim­fal­len. Davon zeu­gen neue­re Namens­ge­bun­gen, die Zamen­hof ehren und die Erin­ne­rung an sein Werk bewah­ren sol­len. 2014 wur­de eine Grün­flä­che im Elb­in­ger Traugutta-Park nach ihm benannt. (Bei die­ser Gele­gen­heit wur­de im Rat­haus der Stadt auch das Mono­dra­ma Dr. Espe­ran­to auf­ge­führt.) Mit beson­de­rer Inten­si­tät wid­met sich Brom­berg der Auf­ga­be, Zamen­hof fes­te Orte in der Erin­ne­rungs­kul­tur der Stadt zuzu­wei­sen :  Neben einer Zamenhof-Grünfläche und einem Esperanto-Haus gibt es eine Esperanto-Brücke über die Bra­he. Die schon 1979 errich­te­te Brü­cke bekam ihren Namen auf­grund eines Beschlus­ses des Brom­ber­ger Stadt­ra­tes im Jah­re 2012. Dadurch soll­ten die Bedeu­tung der Stadt für die Esperanto-Bewegung gewür­digt und die Inten­ti­on der Plan­spra­che, eine Brü­cke zwi­schen Völ­kern und Kul­tu­ren zu schla­gen, sinn­fäl­lig gemacht wer­den. Das Esperanto-Haus letzt­lich – ein attrak­ti­ves, moder­nes Wohn­ge­bäu­de, des­sen Archi­tek­tur sich an Kon­zep­tio­nen von Le Cor­bu­si­er ori­en­tiert – wur­de 2016 fer­tig­ge­stellt ;  und am 14. April des glei­chen Jah­res, am Todes­tag von Zamen­hof, wur­de dort eine Tafel mit einem Zamenhof-Bildnis ent­hüllt. Ein sehr ori­gi­nel­les Schmuck- (und Studien-)Element bil­den zudem drei­di­men­sio­nal wir­ken­de Esperanto-Inschriften, die in den Trep­pen­häu­sern des Hau­ses ange­bracht wor­den sind.


EIN SPRACHGENIE AUS NEUGUT (Kreis Culm)

Beim The­ma »Espe­ran­to in West­preu­ßen« ist es unaus­weich­lich, auch auf Anto­ni Gra­bow­ski ein­zu­ge­hen, der am 11. Juni 1857 in Neu­gut (Nowe Dobra) gebo­ren wur­de und am 4. Juli 1921 in War­schau gestor­ben ist. Er wuchs in Thorn auf, war ein bril­lan­ter Schü­ler und leg­te dort am Nikolaus-Kopernikus-Gymnasium sein Abitur ab. Er stu­dier­te Natur­wis­sen­schaf­ten und Phi­lo­so­phie in Bres­lau, arbei­te­te als Che­mie­in­ge­nieur, pro­fi­lier­te sich aber dank erfolg­rei­chen Pro­jekt­ar­bei­ten auch schon bald als Wis­sen­schaft­ler. Im Kon­text der Esperanto-Bewegung liegt sei­ne her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung in dem ent­schei­den­den Bei­trag, den er zur Ent­wick­lung von Zamen­hofs Plan­spra­che zu einer voll­gül­ti­gen Lite­ra­tur­spra­che geleis­tet hat.

Gra­bow­ski hat­te eine stau­nens­wer­te Sprach­be­ga­bung, beherrsch­te neben sei­ner Mut­ter­spra­che neun wei­te­re Spra­chen per­fekt und ver­füg­te bei mehr als zehn wei­te­ren über ein zufrie­den­stel­len­des Lese- und Hör­ver­ständ­nis. Unter die­ser Vor­aus­set­zung war er gera­de­zu prä­de­sti­niert, die inter­na­tio­na­le Spra­che Espe­ran­to auf viel­fa­che Wei­se in Kon­takt mit den natio­na­len Lite­ra­tur­spra­chen zu brin­gen. Bereits ab 1888, nur ein Jahr nach­dem Zamen­hof sein ers­tes Lehr­buch publi­ziert hat­te, erschie­nen Gra­bow­skis Über­set­zun­gen. Die­se Bemü­hun­gen kul­mi­nier­ten schließ­lich 1913 im Par­nass der Völ­ker (El Par­na­so de Popo­loj). Die­se Antho­lo­gie umfasst 116 Gedich­te, von denen Gra­bow­ski sechs selbst ver­fasst hat, wäh­rend die ande­ren 110 Über­set­zun­gen aus nicht weni­ger als 30 Spra­chen bieten.

Um den Lesern des West­preu­ßen wenigs­tens einen klei­nen Ein­druck von der Lite­ra­tur­spra­che Espe­ran­to zu ver­mit­teln, zitie­ren wir in Gra­bow­skis Esperanto-Übersetzung die ers­ten drei Stro­phen der (1822 erschie­ne­nen) Dich­tung Die drei Budrys­se von Adam Mickie­wicz (1798–1855), die der pol­ni­sche Dich­ter als »Litaui­sche Bal­la­de« bezeich­net hat. Beglei­tet wird die­ses Text­bei­spiel von der deut­schen Über­set­zung, die der Elb­in­ger Schrif­stel­ler, Kom­po­nist sowie Ken­ner und Über­set­zer pol­ni­scher Lite­ra­tur, Hein­rich Edu­ard Nit­sch­mann (1826–1905), ange­fer­tigt und erst­mals 1860 in Dan­zig ver­öf­fent­licht hat.

Tri Budri­soj

Budrys, for­ta kaj sana, mal­junu­lo Lit­va­na,
Sur la kor­ton alvo­kas tri filojn :
»Iru tuj en la sta­lo­jn, selu bone ĉeva­lo­jn,
Kaj akri­gu la gla­vo­jn, ĵetilojn.

Kuras famo en ron­do, por tri flan­koj de l’ mon­do
Al ni Vil­no trumpe­tos ordo­no­jn :
Olgerd falos Rusu­jon, Skir­gel iros Polu­jon
Prin­co Kej­stut ata­kos Teŭtonojn.

For­taj, sanaj vi estas ;  iru, filoj, mi res­tas ;
Lit­vaj dioj kon­du­ku vin, benu !
Por la vojo uti­la, bona vor­to kon­si­la :
Tri vi estas, tri vojo­jn vi prenu.[«] 

Die drei Budrysse

Einst rief der alte Budrys die Söh­ne zu sich her.
Von Litauns ech­tem Stam­me drei Recken stark wie er :
»Führt aus dem Stall die Ros­se, beschickt das Sat­tel­zeug
Und schär­fet eure Spee­re, die Säbel auch zugleich !

In Wil­na ward mir Kun­de, es sol­len drei Armeen
nach drei ver­schied­nen Sei­ten der Welt zum Krie­ge gehn :
Gen Reus­sen strei­tet Olgierd mit sei­nem Hee­res­bann,
Fürst Kei­stut greift Teu­to­ni­en, die Lachen Skir­gel an.

Ihr seid gesund und rüs­tig, so dient denn eurem Land,
Der Schutz von Litauns Göt­tern sei stets euch zuge­wandt !
Ich will dies Jahr nicht rei­ten, doch hab’ ich guten Rat :
Ein jeder von euch drei­en zieht einen andern Pfad. [«]