Von Bartosz Skop
Unter diesem attraktiven Titel zeigt das Westpreußische Landesmuseum seit September eine Sonderausstellung, die bei ihren Besuchern eine vorzügliche Resonanz findet und für die weitere Arbeit dieses Hauses neue Maßstäbe setzt.
Das Jahr 1878 markiert in der Geschichte Nordostdeutschlands einen gewichtigen Einschnitt: Die 1824 als Personalunion gebildete und seit 1829 in einer Realunion bestehende Provinz Preußen mit der Hauptstadt Königsberg wurde in die beiden separaten Provinzen West- und Ostpreußen geteilt, wodurch Westpreußen – 1772 von Friedrich II. gegründet – neuerlich eigenständig wurde und Danzig wiederum zum Rang einer Provinzhauptstadt aufzusteigen vermochte. Prononciert ließe sich sagen, dass Westpreußen erst von nun an eine realistische Chance erhielt, sich – wenn auch nur noch für einen Zeitraum von gut 40 Jahren – zu der eigenständigen politischen, ökonomischen und soziokulturellen Einheit zu entwickeln, die heute im allgemeinen Diskurs das Verständnis von »Westpreußen« bestimmt.
Sicherlich ist es lohnend, diese zentrale Phase in der Geschichte der ehemaligen preußischen Provinz zum Gegenstand einer Ausstellung zu erheben. Eine Realisierung vermag allerdings nur zu gelingen, wenn dabei zumindest die folgenden drei methodischen Grundfragen zufriedenstellend beantwortet werden können:
- Wie kommt eine ganze Epoche in ein Museum und lässt sich dort auf einer Fläche von etwa 100 m² sinnfällig präsentieren?
- Wie stellt man komplexe Zusammenhänge dar, die zwar in Westpreußen angesiedelt sind, zugleich aber die Strukturen des Kaiserreichs insgesamt widerspiegeln und sogar maßgeblich die weitere Geschichte Deutschlands und Europas geprägt haben?
- Und wie spricht man über eine Beziehungsgeschichte zweier benachbarter Staaten, die über lange Zeit in zwei gegensätzlichen Versionen erzählt worden ist?
Angesichts dieser Problemstellung hat Martin Koschny, der Kurator – und gegenwärtige Leiter des Westpreußischen Landesmuseums –, von Beginn an darauf verzichtet, die »historische Wahrheit« zu erschließen und die Ergebnisse als lineare Entwicklung in handlichen Kapiteln vermitteln zu wollen. Die Besucher finden an den Wänden kein »Buch« vor und es gibt auch keine Stelle, an der ihr Rundgang quasi »anfängt«. Stattdessen werden sie eingeladen, die Epoche der Kaiserzeit in Westpreußen aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und sich die Zusammenhänge im Sinne einer Geschichtswerkstatt oder eines historischen Baukastens selbst zu erschließen.
Dabei finden sie folgende Angebote zum Schauen, Lesen, Betrachten und Nachdenken vor:
- eine Reihe von zwölf »Emblemata«, von Sinnbildern, die einen kompakten Überblick über vorherrschende Wirkkräfte und Probleme der Epoche erlauben;
- einen »Zeitstrahl«, der mannigfache Phänomene quasi zusammenzwingt, weil er alle Einträge nach der starren chronologischen Abfolge der einzelnen Jahre sortiert – gerade dadurch aber auch das Ineinanderwirken von politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Prozessen sowie häufig auch die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« hervortreten lässt;
- eine Reihe von insgesamt fünf Stationen, die eher vertraute Formen der Informationsvermittlung leisten sollen, indem dort einzelne Themen jeweils zusammenhängend diskutiert werden.
Wenn die Besucher sich – gezielt ihren Interessen »nachgehend« oder von spontanen Eindrücken geleitet – den Ausstellungsraum erschließen, helfen ihnen drei Grundfarben bei der Orientierung:
- Zwei grüne Quader bieten Einführungen in einzelne Aspekte der westpreußischen Geschichte, verdeutlichen den zielgerichtet vorbereiteten und in die Tat umgesetzten Aufbruch der neuerlich eigenständigen Provinz, die Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung, die soziopolitischen Veränderungen sowie die Bemühungen, die Autonomie »Westpreußens« durch repräsentative Bauten und die Gründung der Technischen Hochschule demonstrativ manifest werden zu lassen.
- Zwei blaue Gestelle vereinigen jeweils vier Biographien von Persönlichkeiten, die in dieser Zeit gewirkt haben und deren Lebensläufe die Vielfalt der Möglichkeiten und Probleme zu erkennen geben, die sich auf die Lebensplanung der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen förderlich bzw. hemmend auswirkten. Hier steht die Werftbesitzerin und Konzertpianistin Elisabeth Ziese-Schichau (1854–1919) neben Augustinus Rosentreter, dem Bischof von Pelplin (1844–1926) oder der Kolonialbeamte Franz Boluminski (1863–1913) neben dem Juristen, Politiker und Reichstagsabgeordneten Stefan Łaszewski (1862–1924), der ab Oktober 1919 zum ersten Wojewoden von »Pommerellen«, dem »polnische Korridor«, berufen wurde.
- Ein roter Polyeder schließlich, der an einen Vulkan gemahnt, lenkt den Blick darauf, dass diese Epoche von einer tiefgreifenden Doppelgesichtigkeit geprägt wird, weil die geradezu stürmische Entwicklung der Provinz – zumal nach der 1871 endlich erreichten Reichseinheit – Hand in Hand mit einer nationalen, wenn nicht nationalistischen Grundhaltung geht. Sie bietet den Nährboden für die Politisierung der Massen und verleitet insbesondere in Westpreußen dazu, das »Deutschtum« einseitig zu betonen und derart einen fortschreitend konfliktuösen Ausschluss der polnischen bzw. kaschubischen Minderheit zu betreiben.
Dank der Vielfalt der möglichen Zugänge und der Kombination komplementärer Informationsangebote lässt diese ambitionierte Ausstellung ein vielschichtiges Bild einer nur kurzen historischen Epoche entstehen, die von schwerwiegenden Widersprüchen geprägt gewesen ist und die – angesichts des gänzlichen Untergangs der Provinz – vom Kurator höchst treffend als »Tanz auf dem Vulkan« interpretiert wird.
Dieser Sonderausstellung ist zu wünschen, dass sie weiterhin auf ein zahlreiches interessiertes Publikum trifft, und rechtfertigt durchaus, für einen Besuch eine Anfahrt nach Warendorf auf sich zu nehmen. Zu besichtigen ist sie dort noch bis zum 11. Januar 2025.
Erik Fischer