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Der „Erwerb“ Westpreußens durch Friedrich II.

Motive und Handlungsoptionen des preußischen Staates

Von Peter Paziorek

Am 5. August des Jahres 1772 – vor 250 Jahren – schaffte die „Erste Polnische Teilung“ die Voraussetzung dafür, dass der Preußenkönig Friedrich II. einen Teil des polnischen Staatsgebietes in Besitz nehmen und daraus eine eigene Provinz bilden konnte, die er im folgenden Jahr „Westpreußen“ nannte.

In jün­ge­rer Zeit wird die­se Anne­xi­on viel­fach pau­schal als völ­ker­rechts­wid­rig bezeich­net. Dabei wird aller­dings der Ein­druck ver­mit­telt, als wären die heu­ti­gen völ­ker­recht­li­chen Regeln zur Aner­ken­nung erober­ter Gebie­te und das heu­ti­ge Selbst­be­stim­mungs­recht der Völ­ker iden­tisch mit den zwi­schen­staat­li­chen Gepflo­gen­hei­ten und mora­li­schen Prin­zi­pi­en frü­he­rer Jahr­hun­der­te. Statt­des­sen gal­ten in die­ser Zeit auch ande­re hand­lungs­lei­ten­de Nor­men als legi­tim: sei es das Gebot der Staats­rä­son, sei es die Not­wen­dig­keit, das Kräf­te­gleich­ge­wicht zwi­schen den euro­päi­schen Staa­ten aus­zu­ta­rie­ren. Unter die­ser Vor­aus­set­zung erscheint es ange­ra­ten, die geschicht­li­chen Vor­gän­ge, die zur Ent­ste­hung West­preu­ßens geführt haben, detail­lier­ter zu erfas­sen und dar­auf­hin auch dif­fe­ren­zier­ter zu beurteilen.

Die Entwicklung Preußens in einem konfliktreichen Umfeld

Das Gebiet am Unter­lauf der Weich­sel hat­te der deut­sche Rit­ter­or­den nach dem Zwei­ten Frie­den von Thorn am 19. Okto­ber 1466 an das König­reich Polen abtre­ten müs­sen. Wei­te­re gro­ße Tei­le des spä­te­ren Ost­preu­ßens ver­blie­ben dage­gen beim rest­li­chen Ordens­staat. Die iso­lier­te Lage die­ses Rest­staa­tes hat­te zur Fol­ge, dass die außen­po­li­ti­sche Situa­ti­on für ihn im Lau­fe der Jahr­zehn­te immer schwie­ri­ger wur­de. Mit gro­ßen Hoff­nun­gen wur­de daher im Orden begrüßt, dass Mark­graf Albrecht von Brandenburg-Ansbach, müt­ter­li­cher­seits ein Nef­fe des pol­ni­schen Königs Sigis­mund, 1510 die Hoch­meis­ter­wür­de annahm, nach­dem er erst zu die­sem Zwe­cke das Ordens­ge­wand ange­legt hat­te. Mit gro­ßem Selbst­be­wusst­sein ver­such­te Albrecht, sich der For­de­rung des Polen­kö­nigs auf Leis­tung eines Hul­di­gungs­ei­des zu entziehen.

Die­se Fra­ge wur­de erst im Frie­den von Kra­kau am 8. April 1525 end­gül­tig geklärt: Unter der Bedin­gung, dass Albrecht den Lehns­eid für sich und sei­ne Erben leis­te­te, erkann­te ihn der Polen­kö­nig als erb­li­chen Her­zog von Preu­ßen an. Von einer Herr­schaft des Ordens in Preu­ßen war somit kei­ne Rede mehr. Aus dem Ver­trag ergab sich zudem, dass erst nach Aus­ster­ben aller männ­li­chen Lei­bes­er­ben des Her­zogs und sei­ner Neben­li­nie das Land wie­der an die Kro­ne Polens zurück­fal­len müss­te. Auch hier­bei wur­de der Orden nicht mehr bedacht.

Im Jahr 1599 regel­te ein Haus­ver­trag zwi­schen dem Kur­fürs­ten Joa­chim Fried­rich von Bran­den­burg und dem Mark­gra­fen Georg Fried­rich als dem Ver­tre­ter der fränkisch-preußischen Linie die Unteil­bar­keit sämt­li­cher hohen­zol­lerscher Lan­de ein­schließ­lich Preu­ßens zuguns­ten der bran­den­bur­gi­schen Linie. Als 1603 Fürst Georg Fried­rich in sei­nem Erb­land Ans­bach ver­starb, hin­ter­ließ er Preu­ßen als ein durch­aus blü­hen­des Land. Den­noch war auf­grund der Krie­ge zwi­schen Schwe­den und Polen und der mili­tä­ri­schen Unter­le­gen­heit des preu­ßi­schen Staa­tes die Situa­ti­on der Hohen­zol­lern als Her­zö­ge von Preu­ßen äußerst gefähr­det. Die Beur­tei­lung der spä­te­ren Ent­wick­lun­gen bis ins Jahr 1772, also bis zur Ers­ten Pol­ni­schen Tei­lung, kann folg­lich nur dann zutref­fend erfol­gen, wenn auch die Pro­ble­me der Bran­den­bur­ger Kur­fürs­ten und Her­zö­ge von Preu­ßen bei der Siche­rung ihres Lan­des berück­sich­tigt werden.

Für jeden Hohen­zol­lern war es von Bedeu­tung, die Aner­ken­nung des ehe­ma­li­gen Ordens­lan­des Preu­ßen als eines eige­nen, sou­ve­rä­nen Ter­ri­to­ri­ums durch die Nach­bar­staa­ten zu errei­chen. Da die­ses Gebiet außer­halb der Gren­zen des Römi­schen Rei­ches Deut­scher Nati­on lag, erfolg­te dies zunächst durch Lehns­un­ter­stel­lung unter die Pol­ni­sche Kro­ne. Trotz die­ses diplo­ma­ti­schen Erfol­ges des Bran­den­bur­gi­schen Kur­fürs­ten blieb sei­ne Lan­des­herr­schaft als Her­zog von Preu­ßen wei­ter­hin zer­brech­lich. Nach dem West­fä­li­schen Frie­den des Jah­res 1648 erstreck­te sich das bran­den­bur­gi­sche Ter­ri­to­ri­um, die west­deut­schen Gebie­te außer Acht gelas­sen, von der Alt­mark bis zur Ost­gren­ze Hin­ter­pom­merns, wobei der Abstand zum Her­zog­tum Preu­ßen von dort aus immer­hin noch 120 Kilo­me­ter betrug, was in einem Kon­flikt­fall durch­aus pro­ble­ma­tisch sein konnte.

Sta­bi­le­re Ver­hält­nis­se erga­ben sich erst mit den Ver­trä­gen von Wehl­au und Oli­va in den Jah­ren 1657 und 1660. Kur­fürst Fried­rich Wil­helm, der spä­ter­hin der Gro­ße Kur­fürst genannt wur­de, ver­moch­te im Zwei­ten Nor­di­schen Krieg von 1655 bis 1660 sein Heer bedeu­tend zu ver­stär­ken und erreich­te es, dass Schwe­den und Polen ihn nicht aus sei­nem Her­zog­tum hin­aus­drän­gen konn­ten. Nach der Nie­der­la­ge bei War­schau 1656 gab der schwe­di­sche König sogar sei­nen Plan auf, Preu­ßen sei­ner­seits zum Lehen zu neh­men. In einem am 19. Sep­tem­ber 1657 bei Wehl­au unter­zeich­ne­ten Geheim­ver­trag erklär­te sich auch Polen bereit, dem Kur­fürs­ten Preu­ßen zu über­las­sen, so dass er dadurch die vol­le Sou­ve­rä­ni­tät über das Her­zog­tum erwarb. Die­ses Ver­hand­lungs­er­geb­nis wur­de schließ­lich im Ver­trag von Oli­va am 3. Mai 1660 inter­na­tio­nal ver­bind­lich aner­kannt, da nun auch Öster­reich, Polen und Schwe­den Mit­un­ter­zeich­ner waren.

Ganz unein­ge­schränkt war die­se Sou­ve­rä­ni­tät jedoch noch nicht; denn inner­halb des Ver­tra­ges von Wehl­au wur­de die Sou­ve­rä­ni­tät auf die unmit­tel­ba­ren männ­li­chen Nach­kom­men des Kur­fürs­ten begrenzt. Falls die­se aus­star­ben, soll­te Preu­ßen an Polen zurück­fal­len; und alle preu­ßi­schen Unter­ta­nen hat­ten sich auf die­se Even­tua­li­tät durch Eid zu ver­pflich­ten. Beim jewei­li­gen Thron­wech­sel muss­te des­halb pol­ni­scher­seits fest­ge­stellt wer­den, ob der neue Herr­scher tat­säch­lich in direk­ter Linie vom Kur­fürs­ten Fried­rich Wil­helm abstamm­te. Des­sen Enkel, König Fried­rich Wil­helm I., mar­kier­te die­sen Sach­ver­halt in sei­nem poli­ti­schen Tes­ta­ment von 1722. Er riet dabei sei­nem zukünf­ti­gen Nach­fol­ger, Kron­prinz Fried­rich, bei sei­nem Regie­rungs­an­tritt die Wahr­neh­mung der pol­ni­schen Rech­te zu umge­hen. Denn wenn es Polen gelän­ge, auf die Besitz­ergrei­fung des neu­en preu­ßi­schen Königs Ein­fluss zu gewin­nen, so kön­ne das lang­fris­ti­ge Schä­den für Brandenburg-Preußen her­vor­ru­fen. Tat­säch­lich wur­de die­ses Recht Polens auf eine Über­prü­fung des Thron­wech­sels in Preu­ßen erst im Zusam­men­hang mit der Ers­ten Tei­lung Polens 1772 aufgehoben.

Die­se Ein­zel­fall­re­ge­lung lässt erken­nen, wie schwie­rig für Preu­ßen die Ver­hält­nis­se in Mittel-Osteuropa noch 1722 gewe­sen sind. Das Bewusst­sein aller hohen­zol­lerschen Kur­fürs­ten für die his­to­ri­sche Bedingt­heit ihrer Erfol­ge war somit ver­bun­den mit dem Wis­sen, dass das Erreich­te auch wie­der rück­gän­gig gemacht wer­den könn­te. Im Gegen­satz zu vie­len ande­ren euro­päi­schen Mäch­ten war das eige­ne Ter­ri­to­ri­um des Hau­ses Hohen­zol­lern wegen sei­ner geo­gra­fi­schen Zer­split­te­rung in hohem Maße ver­letz­bar. So nahm Fried­rich I. den Titel „König in Preu­ßen“ wohl auch des­halb an, weil er mit der neu­en Kro­ne sein Staats­ge­biet im Osten vor etwa­igen Ansprü­chen Polens schüt­zen woll­te. Die Krö­nung des Kur­fürs­ten Fried­rich III. von Bran­den­burg am 18. Janu­ar 1701 in Königs­berg zum König in Preu­ßen ergab eine Rang­erhö­hung, die poli­tisch zur Absi­che­rung des eige­nen Besit­zes bei­tra­gen konnte.

Machtspiele auf dem Weg zur Teilung Polens

Eine neue Kon­stel­la­ti­on ergab sich im Lau­fe des Gro­ßen Nor­di­schen Krie­ges (1700–1721), in dem sich Russ­land unter Zar Peter dem Gro­ßen die Stel­lung einer euro­päi­schen Füh­rungs­macht erkämpf­te. Die­ser über­ra­schen­de Auf­stieg des Zaren­rei­ches bewirk­te schnell einen maß­geb­li­chen rus­si­schen Ein­fluss auf die inne­ren Ver­hält­nis­se Polen-Litauens. Zugleich war der Hohen­zol­lern­staat infol­ge der Zer­ris­sen­heit sei­nes Ter­ri­to­ri­ums von allen Nach­barn Polen-Litauens am stärks­ten von die­sem Wan­del der Macht­ver­hält­nis­se in Ost­eu­ro­pa betrof­fen. Fried­rich Wil­helm I. muss­te not­wen­di­ger­wei­se die Hege­mo­ni­al­stel­lung Russ­lands in Polen aner­ken­nen, wie es dann im Preußisch-russischen Ver­trag von 1720 zum Aus­druck kam.

Trotz der frü­he­ren diplo­ma­ti­schen Erfol­ge blieb die Lan­des­herr­schaft der Hohen­zol­lern in Preu­ßen folg­lich gefähr­det. Dras­ti­sche Unter­bre­chun­gen der Lan­des­ho­heit erfolg­ten im Lau­fe des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges (1756–1763): 1757 muss­te das König­reich Preu­ßen der Rus­si­schen Kai­se­rin Eli­sa­beth hul­di­gen, auch wenn zunächst nur ein Teil des Lan­des von rus­si­schen Trup­pen besetzt wor­den war. Im Jah­re 1758 erfolg­te ein erneu­ter Ein­marsch, der nun­mehr – und bis ins Jahr 1762 – zur Beset­zung des gesam­ten Gebie­tes führ­te. Die­ser Beset­zung war aber schon am 1. Janu­ar 1758 ein kaiserlich-russisches Mani­fest vor­aus­ge­gan­gen, wonach am 24. Janu­ar in Königs­berg sämt­li­che Behör­den, und in den fol­gen­den Tagen und Wochen auch alle Behör­den im Land, den Hul­di­gungs­eid gegen­über der Rus­si­schen Kai­se­rin zu leis­ten hat­ten. Die Ein­nah­men von Behör­den und Pri­vat­per­so­nen waren nun an die Kai­se­rin zu adres­sie­ren, und alle Amts­hand­lun­gen ergin­gen in ihrem Namen. Sie übte wäh­rend die­ser Zeit in vol­lem Umfang alle Hoheits­rech­te im König­reich aus, das als rus­si­sche Pro­vinz ange­se­hen wur­de und nun tat­säch­lich den Namen Neu-Russland führte.

Nach dem Ende des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges ver­stärk­ten die­se trau­ma­ti­sie­ren­den Erfah­run­gen in der preu­ßi­schen Außen­po­li­tik die Über­le­gung, durch die Gewin­nung eines Teils des pol­ni­schen Staats­ge­bie­tes im soge­nann­ten König­li­chen Preu­ßen eine ter­ri­to­ria­le Ver­bin­dung zwi­schen Pom­mern und dem König­reich Preu­ßen her­zu­stel­len. In Ber­lin beab­sich­tig­te man aber nicht, die­ses Ziel durch eine neue krie­ge­ri­sche Aus­ein­an­der­set­zung zu errei­chen; denn Preu­ßen war sich über sei­ne eige­nen aku­ten wirt­schaft­li­chen und mili­tä­ri­schen Defi­zi­te durch­aus im Klaren.

Über­haupt wuss­te man bereits aus frü­he­ren Kon­stel­la­tio­nen, dass Preu­ßen in Ost-Mitteleuropa nur eine rela­tiv schwa­che Posi­ti­on ein­nahm. So war bei­spiels­wei­se im Jah­re 1717 ein Kon­flikt, der sich in Polen zwi­schen König und Adel erge­ben hat­te, unter rus­si­schem Ein­fluss bei­gelegt wor­den, wobei u. a. gere­gelt wur­de, dass das gesam­te Polnisch-Litauische Reich nur über regu­lä­re Trup­pen in Stär­ke von 24.000 Mann ver­fü­gen dür­fe. Damit geriet Polen-Litauen gegen­über sei­nen Nach­barn mili­tä­risch hoff­nungs­los ins Hin­ter­tref­fen, was nun schritt­wei­se sei­tens Russ­lands zur wei­te­ren Stär­kung der eige­nen Posi­ti­on aus­ge­nutzt wur­de. So ope­rier­te wäh­rend des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges das zaris­ti­sche Heer gegen Preu­ßen vom Gebiet Polens aus, obwohl die pol­ni­sche Adels­re­pu­blik selbst offi­zi­ell neu­tral geblie­ben war.

Obwohl Russ­land am Ende des Sie­ben­jäh­ri­gen Krie­ges auf die ursprüng­li­chen Anne­xi­ons­plä­ne gegen­über Preu­ßen ver­zich­te­te, blieb die Lage an des­sen öst­li­cher Flan­ke über­aus kri­tisch, da rus­si­sche Trup­pen wei­ter­hin in Polen ope­rier­ten. Das führ­te dazu, dass Fried­rich sei­ne Poli­tik der Ver­stän­di­gung gegen­über Russ­land wie­der auf­nahm – zumal er das Ziel, eine Land­ver­bin­dung nach Ost­preu­ßen über pol­ni­sches Staats­ge­biet her­zu­stel­len, kei­nes­wegs auf­gab: Er war sich dabei bewusst, dass die Abtre­tung des unte­ren Weich­sel­lan­des durch den pol­ni­schen Staat nur mit Zustim­mung Russ­lands erfol­gen könne.

Nach meh­re­ren pol­ni­schen Reform­ideen zur Innen­po­li­tik, die alle­samt geschei­tert waren, kam es am 24. Febru­ar 1768 zu einem neu­en polnisch-russischen Ver­trag, der gezwun­ge­ner­ma­ßen vom pol­ni­schen Reichs­tag gebil­ligt wur­de. Die­ser soge­nann­te „Ewi­ge Ver­trag“ beinhal­te­te auch eine rus­si­sche Garan­tie für die ter­ri­to­ria­le Inte­gri­tät und poli­ti­sche Sou­ve­rä­ni­tät Polens. Trotz die­ses Ver­tra­ges nah­men die Ereig­nis­se aber noch in die­sem Jahr eine völ­lig ande­re Rich­tung, und zwar auf eine Tei­lung Polens hin: Im König­reich Polen ver­stärk­te sich der Unmut des pol­ni­schen Adels über die fak­tisch bestehen­de rus­si­sche Pro­tek­to­rats­herr­schaft und die offe­ne Miss­ach­tung der eige­nen Sou­ve­rä­ni­tät. In Polen wur­de von der Oppo­si­ti­on somit ver­stärkt die Rück­nah­me des Ewi­gen Ver­tra­ges gefor­dert. Das wie­der­um nahm Russ­land zum Anlass, mit eige­nen Trup­pen wie­der­um in Polen ein­zu­mar­schie­ren. Nur weni­ge Mona­te spä­ter folg­te im Herbst eine Kriegs­er­klä­rung des Osma­ni­schen Rei­ches an das Rus­si­sche Zaren­reich, aus­ge­löst durch die inne­ren Unru­hen in Polen. Das Osma­ni­sche Reich hat­te die rus­si­sche Ein­fluss­nah­me in Polen schon län­ger miss­bil­ligt und nutz­te die Unru­hen, um sich mit den Auf­stän­di­schen zu soli­da­ri­sie­ren. Russ­land befand sich somit in einer Zwei-Fronten-Situation, wobei die Gefahr bestand, dass Österreich-Habsburg sich dadurch eben­falls zu einem Kriegs­ein­tritt pro­vo­ziert füh­len könn­te. Preu­ßen sei­ner­seits bemüh­te sich, die explo­si­ve Lage durch den Plan zu ent­schär­fen, dass sich die drei Groß­mäch­te dar­auf eini­gen soll­ten, sich jeweils Tei­le des pol­ni­schen Staats­ge­bie­tes abtre­ten zu lassen.

Unter dem wach­sen­den Druck auf­stän­di­scher pol­ni­scher Trup­pen wil­lig­te die Zarin Katha­ri­na II. letzt­lich ein und ebne­te so den Weg zu einer Tei­lung Polens. Durch die­se Stra­te­gie woll­te Preu­ßen – wie spä­ter auch Habs­burg – einen allei­ni­gen Macht­zu­ge­winn des Zaren­rei­ches ver­hin­dern. Bei sei­nen diplo­ma­ti­schen Bemü­hun­gen war Fried­rich II. bestrebt, einen Weg zu fin­den, auf dem Ver­schie­bun­gen des Mäch­te­gleich­ge­wichts und auch wei­te­re krie­ge­ri­sche Ver­wick­lun­gen in Ost­eu­ro­pa ver­mie­den wer­den könn­ten. Die­se Poli­tik soll­te aus preu­ßi­scher Sicht aber auch wei­ter­hin zur Abtre­tung des pol­ni­schen Weich­sel­lan­des an die Hohen­zol­lern füh­ren – was schließ­lich gelang.

Nach­dem schon am 17. Febru­ar 1772 eine russisch-preußische Ver­stän­di­gung über das wei­te­re Vor­ge­hen erzielt und schrift­lich nie­der­ge­legt wor­den war, wur­de am 5. August 1772 schließ­lich der Tei­lungs­ver­trag zwi­schen Preu­ßen, Russ­land und Öster­reich unter­zeich­net. Die­ser Ver­trag bedeu­te­te für Polen einen Ver­lust von über einem Drit­tel sei­ner Bevöl­ke­rung sowie von über einem Vier­tel sei­nes bis­he­ri­gen Staats­ge­bie­tes. Preu­ßen erhielt zwar der Bevöl­ke­rung und Grö­ße nach den kleins­ten Anteil, stra­te­gisch gese­hen aber war die­ses erwor­be­ne Ter­ri­to­ri­um für Preu­ßen von höchs­ter wirt­schaft­li­cher und mili­tä­ri­scher Bedeu­tung. Zudem durf­te Fried­rich II. sich künf­tig König von Preu­ßen – und nicht nur König in Preu­ßen – nennen.

Die Annexion des unteren Weichsellandes und ihre Nachwirkungen

Schon am 27. Sep­tem­ber 1772 fand die fei­er­li­che Hul­di­gung der Stän­de im gro­ßen Rem­ter der Mari­en­burg statt. Zuvor, am 13. Sep­tem­ber 1772 und an den fol­gen­den Tagen, hat­te Fried­rich II. unter Erlass eines Paten­tes von Polnisch-Preußen, dem Bis­tum Erm­land sowie den drei Woi­wod­schaf­ten Kulm, Mari­en­burg und Pom­me­rel­len und außer­dem vom Netz­e­di­strikt Besitz ergrif­fen. Für die­ses Ter­ri­to­ri­um wur­de von Fried­rich II. durch Kabi­netts­or­der vom 31. Janu­ar 1773 der Name „West­preu­ßen“ bestimmt. Die Inbe­sitz­nah­me des Netze-Gebietes erfolg­te aller­dings nicht in einem Schritt, son­dern durch zwei­ma­li­ge Erwei­te­run­gen in den Jah­ren 1773 und 1774. Dadurch erfolg­te die Hul­di­gung des Preu­ßi­schen Königs im Netz­e­di­strikt erst am 22. Mai 1775.

Für das König­reich Polen bedeu­te­te die Abtren­nung grö­ße­rer Gebie­te sei­nes Ter­ri­to­ri­ums eine tie­fe Zäsur, da jetzt in kei­ner Wei­se mehr von einer Vor­macht­stel­lung Polens gespro­chen wer­den konn­te. Damit war zugleich ein wich­ti­ges Ziel der rus­si­schen Poli­tik erreicht, die schon früh­zei­tig kon­se­quent dar­auf gerich­tet war, mit Polen an den eige­nen West­gren­zen einen ver­arm­ten und geschwäch­ten Kli­en­tel­staat als Puf­fer gegen­über den ande­ren euro­päi­schen Mäch­ten zu haben. Genau zu die­sem Zweck erkauf­te sich die Rus­si­sche Zarin auch den Gehor­sam von höchs­ten Amts­trä­gern der Pol­ni­schen Repu­blik. Nur Russ­land besaß die poli­ti­schen Mit­tel, um in Polen in mas­si­ver Form auf die innen­po­li­ti­sche Ent­wick­lung Ein­fluss zu neh­men. Russ­land glaub­te sogar anfangs, es könn­te sein Pro­tek­to­rat in Polen auf unbe­grenz­te Zeit auf­recht­erhal­ten, was aber nicht gelang; denn es wur­de immer deut­li­cher, dass die Ent­sen­dung rus­si­scher Trup­pen zur Nie­der­schla­gung der Auf­stän­de in Polen das gesam­te Macht­gleich­ge­wicht in Euro­pa zu zer­stö­ren droh­te. Russ­land muss­te daher, um freie Hand in Polen zu haben, die Befürch­tun­gen Preu­ßens und Öster­reichs beschwich­ti­gen, indem es ter­ri­to­ria­len Kom­pen­sa­tio­nen zuguns­ten die­ser Staa­ten zustimm­te. Macht­pol­tisch ergab sich somit aus dem Ziel der rus­si­schen Zarin, in Polen russ­land­feind­li­che Refor­men um jeden Preis zu zer­schla­gen, die Not­wen­dig­keit, Preu­ßen und Habs­burg mit ter­ri­to­ria­len Zuge­ständ­nis­sen zum Still­hal­ten zu bringen.

Es erscheint daher als unzu­läs­sig ver­kürzt, Fried­rich II. als den wah­ren Archi­tek­ten der Ers­ten Tei­lung Polens zu bezeich­nen. Er ziel­te ange­sichts des aggres­si­ven Vor­ge­hens Russ­lands gegen Polen zunächst dar­auf ab, aus die­ser Poli­tik kei­ne tief­grei­fen­den Fol­gen für das Macht­gleich­ge­wicht in Mittel-Osteuropa ent­ste­hen zu las­sen. Über­dies muss Fried­rich II. vor dem Hin­ter­grund der preu­ßi­schen Staats­rä­son durch­aus zuge­stan­den wer­den, dass er kei­nes­falls die Zer­stö­rung des pol­ni­schen Staa­tes ange­strebt, son­dern sich viel­mehr auf die Inbe­sitz­nah­me eines Gebie­tes kon­zen­triert hat, das von den Hohen­zol­lern hin­sicht­lich der Siche­rung ihres Staats­ge­bie­tes als äußerst wich­tig ange­se­hen wurde.

Nach der Unter­zeich­nung der Tei­lungs­ver­trä­ge wur­den der Pol­ni­sche König und der Pol­ni­sche Reichs­tag – nicht zuletzt durch Bestechung – dazu gebracht, die­sen Ver­trä­gen 1773 auch völ­ker­recht­lich zuzu­stim­men. Polen blieb nach der Abtre­tung der betrof­fe­nen Gebie­te an die drei Tei­lungs­mäch­te staats­recht­lich ein hand­lungs­fä­hi­ger Staat, denn die Rege­lung von 1772 hat­te eben nicht eine Auf­tei­lung Polens zur Fol­ge. Dies wird heu­te oft über­se­hen. Dage­gen müs­sen die Zwei­te und Drit­te Tei­lung Polens als ein­deu­ti­ges Unrecht bezeich­net wer­den. Schon der zwei­te Tei­lungs­ver­trag, durch den das his­to­ri­sche Groß­po­len neben Dan­zig und Thorn an Preu­ßen fiel, brach­te ein hete­ro­gen zusam­men­ge­setz­tes pol­ni­sches Staats­ge­biet her­vor, das kaum mehr als trag­fä­hig oder lebens­fä­hig ange­se­hen wer­den konn­te. Durch die Drit­te Tei­lung schließ­lich ver­schwand Polen gänz­lich von der euro­päi­schen Land­kar­te und soll­te nach dem Wil­len der Tei­lungs­mäch­te dort auch nie wie­der auf­tau­chen. Damit wur­de aus der Brandenburgisch-Preußischen Poli­tik der Absi­che­rung des eige­nen öst­li­chen Staats­ge­bie­tes durch Inkor­po­ra­ti­on des Gebie­tes an der Weich­sel eine Poli­tik der Zer­stö­rung eines Nach­bar­staa­tes. Das preu­ßi­sche Anne­xi­ons­stre­ben unter dem Nach­fol­ger Fried­richs hat­te nichts mehr mit der Wahr­neh­mung rea­ler preu­ßi­scher Inter­es­sen zu tun, viel­mehr war es nichts ande­res als hem­mungs­lo­se Territorialpolitik.

Ange­sichts der rigo­ro­sen Anne­xi­ons­po­li­tik hat­te Frei­herr vom Stein schon im Juni 1807 die pol­ni­schen Tei­lun­gen in sei­ner Nas­sau­er Denk­schrift, die zur Grund­la­ge der preu­ßi­schen Staats­re­form wer­den soll­te, fol­gen­der­ma­ßen verurteilt:

Die Tei­lung von Polen zeig­te das trau­ri­ge Bild einer durch frem­de Gewalt unter­joch­ten Nati­on, die in der selb­stän­di­gen Aus­bil­dung ihrer Indi­vi­dua­li­tät gestört wur­de, der man die Wohl­tat einer sich selbst gege­be­nen frei­en Ver­fas­sung ent­riss und an ihrer Stel­le eine aus­län­di­sche Büro­kra­tie aufdrang.

Gleich­wohl wur­de auf dem Wie­ner Kon­gress 1814/15 das fata­le Bemü­hen, Polen mög­lichst nie­der­zu­hal­ten, auf Druck Russ­lands von den Tei­lungs­mäch­ten fort­ge­setzt. Für Russ­land kam nur ein pol­ni­scher Staat in Betracht, der durch Per­so­nal­uni­on dem rus­si­schen Zaren unter­stellt war. Der Wie­ner Kon­gress, des­sen Ziel es eigent­lich sein soll­te, die durch Napo­le­on mit Gewalt her­bei­ge­führ­te Neu­ord­nung Euro­pas durch eine Wie­der­her­stel­lung legi­ti­mer Ver­hält­nis­se rück­gän­gig zu machen, bestä­tig­te viel­mehr aus­drück­lich die vor­an­ge­gan­ge­ne fina­le Tei­lung Polens.