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Auf ein Wort (4/2022)

Von Cornelia Pieper

Im Juni die­ses Jah­res waren wir Zeu­gen einer wür­de­vol­len Fei­er anläss­lich der lit­ur­gi­schen Rück­kehr des Altars der Hei­li­gen Drei­fal­tig­keit und der dazu­ge­hö­ren­den Pre­del­la in die Dan­zi­ger Mari­en­kir­che. Dabei han­del­te es sich um einen her­aus­ra­gen­den Erfolg im Gesamt­bild der deutsch-polnischen Bezie­hun­gen; um einen Augen­blick, der uns alle zu Recht mit Stolz erfül­len soll­te. Ich war ganz beson­ders glück­lich und dank­bar dafür, dass ich die­sen Moment im Rah­men mei­ner Tätig­keit als Gene­ral­kon­su­lin der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land in Dan­zig erle­ben durfte!

Mit der Rück­kehr die­ses Altars aus dem 15. Jahr­hun­dert wur­de Dan­zig noch schö­ner und die deutsch-polnischen Bezie­hun­gen wur­den um eine wei­te­re Erfah­rung rei­cher, rei­fer und bes­ser. Die Geschich­te schloss hier übri­gens einen schö­nen Kreis: In beson­ders schwie­ri­gen Momen­ten, wenn die offi­zi­el­len und staat­li­chen Insti­tu­tio­nen manch­mal nicht mehr wei­ter­wis­sen, wenn die Stand­punk­te zu sehr von­ein­an­der ent­fernt schei­nen und eine Eini­gung als unrea­lis­tisch bewer­tet wird, neh­men Kir­chen den Faden des Dia­lo­ges in die Hän­de und füh­ren auf den Pfad der Über­ein­kunft. Der Brief der pol­ni­schen Bischö­fe an ihre Glau­bens­brü­der von 1965 ist heu­te ein his­to­ri­sches Bei­spiel des guten Wil­lens, der offe­nen Her­zen und Köp­fe und des unge­heu­ren Groß­muts von Men­schen, die damals in der Lage waren wei­ter und brei­ter in die Welt hin­aus­zu­bli­cken, auf die Ver­gan­gen­heit und Zukunft. Sie ris­kier­ten mas­si­ve Kri­tik im eige­nen Land, indem sie die his­to­ri­sche Mis­si­on die­ses Brie­fes höher­stell­ten. Der Brief spiel­te eine kolos­sa­le Rol­le, goss Mut in die Her­zen vie­ler ande­rer Für­spre­cher der Aus­söh­nung, wäh­rend sich das Zitat aus ihm über die gegen­sei­ti­ge Ver­zei­hung für immer in unse­re Geschich­te eintrug.

Auch heu­te ist es mit der Kul­tur­gü­ter­rück­ga­be so, dass sie nicht nur Für­spre­cher hat. Welch ein gutes Zei­chen ist daher für die wei­te­ren Gescheh­nis­se die Ver­stän­di­gung der Kir­chen in die­ser Fra­ge! Auch wenn heut­zu­ta­ge nicht alle Men­schen reli­gi­ös sind, so wird doch die Stim­me der Geist­li­chen mit Auf­merk­sam­keit gehört, in Betracht gezo­gen und ihr wird mit Respekt begeg­net. Ganz beson­ders bei sol­chen Ange­le­gen­hei­ten, die zwar vom Sieb­ten Gebot »regu­liert« wer­den, aber schließ­lich nicht nur eine reli­giö­se, son­dern auch eine irdi­sche Dimen­si­on haben.

Dan­zig ist heu­te und wird für immer eine pol­ni­sche Stadt blei­ben. Sei­ne Ver­gan­gen­heit – und damit auch sei­ne gegen­wär­ti­ge kul­tu­rel­le Iden­ti­tät, sein Stadt­ge­we­be und der Geist des Ortes – wur­den aber von vie­len euro­päi­schen Ein­flüs­sen gestal­tet. Über meh­re­re Jahr­hun­der­te war Dan­zig Hei­mat von Men­schen, die ver­schie­de­ne Spra­chen benutz­ten, die sich zu Gott auf ver­schie­de­ne Art und Wei­sen bekann­ten, die diver­se Tra­di­tio­nen und Bräu­che pfleg­ten. Vie­le von ihnen leb­ten hier seit Gene­ra­tio­nen, aber vie­le hiel­ten sich auch nur kurz auf, um trotz­dem eine deut­li­che Spur in der mate­ri­el­len Kul­tur der Stadt zu hin­ter­las­sen. Die Iden­ti­tät des Ortes ist somit in Dan­zig ein gesamt­eu­ro­päi­sches Werk, und Ver­tre­ter vie­ler heu­ti­ger Völ­ker kön­nen Ver­bun­den­heit oder kul­tu­rel­le Nähe zu ihr emp­fin­den. Zudem ist Dan­zig, wie auch ganz Polen, wie auch Deutsch­land, heu­te Teil des ver­ei­nig­ten Euro­pas, in dem wir die Gren­zen zwi­schen Län­dern auf­he­ben. In die­ser Rea­li­tät brau­chen Kul­tur­gü­ter kei­ne Natio­na­li­tät mehr. Für sie ist der bes­te Ort der­je­ni­ge, für den sie von den meis­ter­haf­ten Künst­lern alter Epo­chen geschaf­fen wur­den. Und wo jeder hin­kom­men und sie sehen kann, der die Kul­tur liebt, der Dan­zig liebt, der von ihm fas­zi­niert ist oder aus wel­chem Grund auch immer eine Ver­bun­den­heit mit der Stadt spürt.

Von der for­mel­len Sei­te her­ge­se­hen, ver­bin­det sich mit dem Pro­zess der Kul­tur­gü­ter­rück­ga­be aber den­noch kom­pli­zier­te Mate­rie aus den Berei­chen der juris­ti­schen und his­to­ri­schen For­schung. Des­halb war ich sehr dank­bar, dass wir auch ein Wis­sen­schafts­sym­po­si­um mit aus­ge­zeich­ne­ten Exper­ten orga­ni­sie­ren konnten.

Schon am 3. und 4. Novem­ber 2000 tra­fen in Darm­stadt, auf Ein­la­dung des Deut­schen Polen-Instituts Darm­stadt und des Deutschland- und Nordeuropa-Instituts Stet­tin, zwölf deut­sche und pol­ni­sche Exper­ten zur Sit­zung der »Kopernikus-Gruppe« zusam­men. Sie berie­ten über das Schick­sal der kriegs­be­dingt ver­brach­ten Kul­tur­gü­ter in Deutsch­land und in Polen. In ihrer Mit­tei­lung schrie­ben sie u. a.:

Es wäre ein Zei­chen des guten Wil­lens bei­der Sei­ten und des gegen­sei­ti­gen Ver­trau­ens, kriegs­be­dingt ver­brach­te Kul­tur­gü­ter, soweit sol­che unab­hän­gig von schwer veri­fi­zier­ba­ren Lis­ten gefun­den wur­den, ohne Vor­be­din­gung und sofort zurück­zu­ge­ben, um bei den Ver­hand­lun­gen ein Kli­ma des Ver­trau­ens zu schaffen.

Unse­re deutsch-polnischen Bezie­hun­gen soll­ten von einem eben­sol­chen Ver­trau­en geprägt sein. Wir soll­ten Mut fas­sen und bei die­sem The­ma zu neu­en Ufern stre­ben. Was unse­re Regie­run­gen nicht geschafft haben, ist durch die Kir­chen und die Zivil­ge­sell­schaf­ten auf den Weg gebracht worden.

Ich bin heu­te noch allen dank­bar, die für die­sen Erfolg stan­den: der Uni­on Evan­ge­li­scher Kir­chen Ber­lin und der Mari­en­kir­che Dan­zig. Auch den Part­nern des Sym­po­si­ums: der Uni­ver­si­tät Dan­zig, der Stif­tung für Ent­wick­lung der Uni­ver­si­tät Dan­zig, dem Herder-Zentrum, dem Muse­um der Stadt Dan­zig und dem Dan­zi­ger Kunst-Kantor!

Möge der Altar der Hei­li­gen Drei­fal­tig­keit die Gläu­bi­gen von Dan­zig bei ihren Gebe­ten beglei­ten, möge er den Kunst­freun­den viel Freu­de ver­lei­hen. Möge sei­ne Rück­kehr zu sei­nem Ursprungs­ort, dem Ort, der ihm bestimmt wur­de, zur Wei­ter­ent­wick­lung der deutsch-polnischen Freund­schaft beitragen!

Cornelia Pieper – seit 2014 Generalkonsulin der Bundesrepublik Deutschland in Danzig. Von 2009 bis 2013 war sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt, u. a. Koordinatorin der Bundesregierung für deutsch-polnische zwischengesellschaftliche Beziehungen. Früher – von 1990 bis 1994 – Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt und dessen Vizepräsidentin sowie – von 1998 bis 2013 – Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion im Deutschen Bundestag (u. a. Stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgen­abschätzung). Seit  Dezember 2022 ist sie Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Wissenschaftsstiftung.