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Zum guten Schluss

For­men und Sti­le sind in der Kunst­ge­schich­te oft nicht so ein­deu­tig und pro­blem­los ein­zu­ord­nen, wie es auf den ers­ten Blick scheint. Ein Bei­spiel dafür fin­det sich in Dan­zig: Das an die Lang­gas­se anschlie­ßen­de Hohe Tor, 1588 fer­tig­ge­stellt, war nach Wes­ten hin die Haupt­zu­fahrt in die Stadt. Der im heu­ti­gen Bel­gi­en gebo­re­ne Bild­hau­er und Archi­tekt Wil­lem van den Blo­cke gestal­te­te es im Stil des Manie­ris­mus, der das Erschei­nungs­bild zahl­rei­cher Bau­wer­ke in der Dan­zi­ger Recht­stadt geprägt hat. Unter­halb ihres bekrö­nen­den Auf­baus ist die eigent­li­che Tor­an­la­ge anschei­nend mit soge­nann­ter Rus­ti­ka (von lat. bäu­er­lich, roh) über­zo­gen, mit an der Schau­sei­te nur grob behaue­nen Stein­qua­dern, wie sie zuerst in der ita­lie­ni­schen Renais­sance als Fas­sa­den­ge­stal­tung ver­wen­det wur­den, zum Bei­spiel am Palaz­zo Pit­ti in Flo­renz. Die Rus­ti­ka soll­te Bau­ten den Ein­druck wuch­ti­ger Mas­se und Wehr­haf­tig­keit geben. Das jedoch war – nur noch – eine sym­bo­li­sche Ges­te: Weder muss­ten die dahin­ter lie­gen­den Mau­ern unbe­dingt aus schwe­ren Stein­blö­cken gefügt sein, noch ver­band sich damit wirk­lich die dar­ge­stell­te Soli­di­tät einer Burg. Auch das Hohe Tor war im Inne­ren eigent­lich ein Back­stein­bau. Tritt man aber näher her­an, kommt dort noch etwas völ­lig ande­res zum Vor­schein. Die pro­fi­lier­ten Werk­stei­ne in der Fas­sa­de sind kei­nes­wegs ein­fach rauh, viel­mehr sind in die Ober­flä­chen Schmuck­for­men gemei­ßelt, die wuchern­de Pflan­zen mit Blät­tern und Stän­geln zei­gen. Dass kein Stein dem ande­ren glei­che, mag zuviel gesagt sein, doch ins­ge­samt bie­tet das Tor dem Betrach­ter eine Fül­le sol­cher flo­ra­len Mus­ter. Offen­bar war die Befes­ti­gungs­an­la­ge in die­ser Zeit kein rei­ner „Zweck­bau“ mehr, son­dern wur­de als reprä­sen­ta­ti­ves Entree der Stadt ver­stan­den. Nicht zuletzt wir­ken die sti­li­sier­ten Pflan­zen erstaun­lich modern. Wür­de man die Fas­sa­den­re­li­efs des Hohen Tores „durch­pau­sen“ und die Mus­ter auf Tape­ten oder Klei­dungs­stof­fe über­tra­gen – der Ver­kaufs­er­folg wäre wohl garantiert.

Text und Foto: Alex­an­der Kleinschrodt