Von Hans-Jürgen Schuch
Im Prußenland wurde am Ilfing, dem Elbing, vor 780 Jahren die ehemalige Ordens- und Hansestadt Elbing gegründet. Der diesjährige Geburtstag ist sicher kein Anlass, ein Stadtjubiläum zu feiern, wohl aber ein guter Grund, die Stadt zu besuchen, durch wichtige und interessante Stadtteile und Straßen zu gehen.
Ständig stellt sich den Elbingern fern der Heimat die Frage, wie die Stadt aussieht, was 1945 und in 72 Jahren nach Kriegsende untergegangen ist, restauriert wurde und neu entstanden ist ? Was ist aus der Industrie- und Schulstadt geworden, was aus der 1945 zu fast 100 % zerstörten Altstadt ? Was wurde in Elbing wo, wie einst oder anders wieder aufgebaut ? Schließlich drängt sich die Frage auf, was 2017 noch das alte Elbing dokumentiert ? Bekannt ist, dass in den letzten 40 Jahren – und besonders seit 1990 – viel geschehen, viel gebaut worden ist und auch verändert wurde. (Bei diesem Rundgang werden zur einfacheren Orientierung sowie zugunsten einer leichteren Lesbarkeit nur die deutschen Straßennamen genannt.)
Eine Stadt in Bewegung
Das Stadtbild verändert sich ständig. Allerdings hat das Tempo im Häuserbau nachgelassen, die Qualität ist jedoch erheblich besser geworden. Bei einem Stadtrundgang fallen markante Veränderungen sofort auf, und es ist zu bemerken, dass in den letzten Jahren sehr viel für die Erhaltung der großen und kleinen alten Wohnhäuser getan wurde, die den Krieg überstanden hatten. Sehr viele Häuser erhielten einen gefälligen Hausanstrich. Dies betrifft sowohl die vielen Häuser, die heute der städtischen Wohnungsgesellschaft gehören, als auch Privathäuser. Das Bild der Stadt wurde dadurch bunter und damit auch freundlicher.
Leider ist der Friedrich-Wilhelm-Platz kein Stadtzentrum mehr. Er dient lediglich noch als reine Durchfahrtsstraße von Süd nach Nord und umgekehrt, jeweils am alten Hauptpostamt und an der 1837 gepflanzten Stadtjubiläums- und Friedenseiche vorbei. Nichts anderes am Friedrich-Wilhelm-Platz hat übrigens die Kampfhandlungen 1945 überstanden. Über den Friedrich-Wilhelm-Platz führen noch immer die Straßenbahnschienen der früheren Linie 2 zur Alten Werft auf Pangritz-Kolonie. Nach 1945 wurde diese Straßenbahnstrecke bis Lärchenwalde und dann entlang der Benkensteiner Straße bis zur Tolkemiter Chaussee verlängert. Auch die ehemalige Straßenbahnlinie 1 in Richtung Lönsallee und Vogelsang fährt noch über den Friedrich-Wilhelm-Platz, auch an der Post vorbei, aber nur noch bis Kl. Teichhof.
Das wird nicht mehr auf Dauer so bleiben. Vor einiger Zeit wurden die vor längerer Zeit unterbrochenen Arbeiten in der Hohezinnstraße wiederaufgenommen, um die Straßenbahnlinien zur Hochstraße und zur Lönsallee (Kl. Teichhof) künftig unter Umgehung des Friedrich-Wilhelm-Platzes fahren zu lassen. Über den Alten Markt fährt bereits seit Jahrzehnten keine Straßenbahn mehr. Insgesamt gibt es jetzt fünf Straßenbahnlinien. Zu deutscher Zeit waren es drei.
Die Veränderungen in der Altstadt fallen besonders auf. Es sind erfreuliche Zeichen des Wiederaufbaus aus den Trümmerhaufen der Nachkriegszeit, der erst mit großer Verspätung erfolgt ist. Dieses Wiederentstehen vieler Häuser und die Herrichtung der meisten Straßen können als zufriedenstellend oder sogar gelungen bezeichnet werden. Aber noch ist die Altstadt nicht vollständig wieder aufgebaut, abgesehen davon, dass einige Straßenzüge nicht wieder bebaut werden sollen.
Der neue Alte Markt
Den Mittelpunkt der Altstadt bildet nach wie vor der Alte Markt. Fast alle Grundstücke zu beiden Straßenseiten zwischen Hl. Geiststraße und Markttor sind wieder bebaut. Ein lebendiges Stadtzentrum ist allerdings nicht wieder entstanden. Zum einen leben in der Altstadt nicht mehr so viele Einwohner wie früher. Zum anderen fehlen am Alten Markt Geschäfte. Bis 1945 war wohl in jedem Haus mindestens ein Geschäft oder in mehreren miteinander verbundenen Häusern jeweils ein Kaufhaus. Die Schaufenster lockten auch aus den Außenbezirken die Käufer an. Die Geschäfte eiferten miteinander um die Kunden. Das ist jetzt anders. Restaurants und Cafés laden in großer, vermutlich zu großer Zahl zum Besuch ein. An dieser alten Marktstraße befinden sich in der Gegenwart kein Konfektions- oder z. B. Schuhgeschäft, keine Konditorei, kein Bäcker, kein Papierwarengeschäft, auch kein Feinkostgeschäft und kein Kaufhaus. Es fällt sogar auf, dass ein jahrelang florierendes Restaurant sowie ein Geschäftslokal seit längerer Zeit neue Inhaber suchen.
Der Wiederaufbau des Alten Marktes wurde lange vor der politischen Wende geplant. Damals wurde anders gedacht. Geschäftslokale waren unwichtig, zumal das Warenangebot sowieso gering und mangelhaft war. Viele Gebäude erhielten beim Wiederaufbau z. B. Beischläge oder ähnliche Vorbauten. Beischläge waren vor langer Zeit einmal eine Zierde, doch sie wurden – oft bedauerlicherweise – bereits im 19. und 20. Jahrhundert aus unterschiedlichen Gründen entfernt.
Einige neue Gebäude am Alten Markt fallen dem Besucher sofort auf. Dazu gehört das wiedererrichtete Rathaus der Altstadt, das 1777 abbrannte und dann durch Wohn- und Geschäftshäuser ersetzt wurde. Es stammte aus dem 13./14. Jahrhundert und wurde in Anlehnung an die Backsteingotik aufgebaut – ohne den Schmuck, der in der Renaissance angebracht worden war. Seit einigen Jahren kann das erneuerte Königshaus bewundert werden. Unter Einbeziehung der Nachbargrundstücke des früheren Manufaktur- und Modewarengeschäfts Albert Dyck wurde aus dem Häuserkomplex zwischen Spiering- und Wilhelmstraße das Viersterne-Hotel Elbląg. Da die acht kleinen Grundstücke Nr. 20–27 vor der Nikolaikirche nicht wieder bebaut werden, kann zwischen Brück- und Fischerstraße der mächtige Ostgiebel der Kirche – im Dunkeln angestrahlt – gesehen und bewundert werden.
Eine Baulücke ist geblieben. Das sind die sieben Grundstücke Nr. 35–41 zwischen der Hl. Geiststraße und der Fleischerstraße. Hier befanden sich bis 1945 u. a. die bekannte Konditorei von Josef Groß und das kleinste der fünf Kinos in Elbing, die Tonlichtspiele, viel vertrauter – weil die Kinobesucher so eng beieinander sitzen mussten – unter dem Namen „Flohkiste“. Und an der Ecke zur Fleischerstraße war das beliebte Café Vaterland von Franz Both. Das war alles einmal. Seit sehr vielen Jahren verdeckt dort ein Bauzaun freigelegte Grundmauern. Rechts daneben befindet sich seit mehr als 30 Jahren eine große Bauruine mit eigener Geschichte. Für den Wiederaufbau der Altstadt zum Stadtjubiläum 1987 sollte an dieser Stelle die Bauleitung ein zentrales Domizil erhalten. Mit dem Aufbau der Altstadt klappte es genauso wenig wie mit dem der Residenz. Die Altstadt wurde dann nach und nach aufgebaut. Das Bauleitungsgebäude hingegen wurde ein Denkmal an die frühere Fehlentwicklung. Die Grundstücke zwischen Hl. Geiststraße und Fleischerstraße gingen in Privathand über und gerieten damit aus der Verfügungsgewalt der Stadtbehörden.
Weitere Projekte in der Altstadt
Längere Zeit war auch die Grundstücksecke Kleine Hommel– / Hl. Geiststraße eine Bauruine. Doch dieser Makel ist überwunden. Die Häuser Nr. 13 und 14 sind jetzt zusammen mit den Nachbarhäusern Nr. 11 / 12 Schmuckstücke. In dem gotischen Gebäude Nr. 13 befand sich bis 1945 die Fahrradhandlung Oskar Seydel. Lange davor diente dieses ansprechende Gebäude in Elbing als erste Baptistenkirche.
Erfreulich ist, dass das als zuverlässig geltende Bauunternehmen Mittich auf der Nordseite der Fischerstraße ab Enge Gasse bis zur Wasserstraße und auch um die Ecke auf der Ostseite dieser Straße derzeit große Wohnhäuser hochzieht. Obwohl die Neubauten noch nicht fertig sind, konnten bereits alle Wohnungen verkauft werden.
Bis zur Zerstörung 1945 galt das aus der Zeit um 1390 stammende Haus Wilhelmstraße 56 als das älteste ganz aus Stein gebaute und erhalten gebliebene Bürgerhaus. Darin befand sich die weit über Elbing hinaus bekannte Orgelbauanstalt E. Wittek. Vor einiger Zeit wurde der Wiederaufbau mit der alten schmucken Fassade abgeschlossen und im Frühsommer 2017 von einem Gesundheitsbetrieb bezogen.
Die Bebauung der Altstadt wird stetig fortgesetzt. Kürzlich erwarb ein Hotelier das Grundstück Wilhelmstraße 29. An dieser Stelle stand bis 1945 das ehemalige Kramerzunfthaus. Es gehörte zuletzt dem Elbinger Heimatverein. Carl Pudor schuf darin das Heimatmuseum und eine Weinstube. Das Grundstück soll bald bebaut werden. Bisher ist unbekannt, für welchen Zweck. Hoffentlich erfolgt die Rekonstruktion der einst eindrucksvollen Fassade aus dem 16./17. Jahrhundert. Leider darf das früher zur Mauerstraße hin angebaute Taschengebäude nicht wiedererrichtet werden, weil die Mauerstraße für die Feuerwehr ausreichend breit bleiben muss.
Die ehemalige Mädchenmittelschule, die Agnes-Miegel-Schule auf dem früheren Gelände der nördlichen Vorburg, bildet heute das Hauptgebäude des Historisch-Archäologischen Stadtmuseums. Dieses historische Gebäude wurde vor einiger Zeit völlig geräumt. Jetzt wird es gründlich renoviert. Es erhält auch ein neues Dach. Für die umfangreichen Baumaßnahmen stehen 16 Mio. Złoty (ca. 4 Mio. Euro) zur Verfügung.
Die Suche nach einem Parkplatz ist in der Altstadt äußerst schwierig. Und das Problem wird noch größer, wenn die noch freien Flächen bebaut werden. Deshalb sollen die Anwohner möglichst eine Tiefgarage bekommen. In letzter Zeit wird immer häufiger der Vorschlag diskutiert, auf dem Gelände südlich der Engen Gasse zwischen Spiering- und Wilhelmstraße, eine Hochgarage zu bauen und sie mit rekonstruierten alten Häuserfassaden – wie z. B. die vom Kamelhaus – zu verkleiden. Eine solche Hochgarage würde Besucher in die Altstadt locken, aber auch den Autoverkehr erheblich verstärken. Andere Vorschläge regen den Bau einer Hochgarage auf der anderen Seite des Elbing an, und zwar auf der fast unbebauten Speicherinsel.
Bautätigkeit in den Außenbezirken
Die Stadtbevölkerung wohnt zum großen Teil in den Außenbezirken. Dort sind viele Neubaugebiete entstanden und auch Einkaufszentren wie z. B. an der Ecke Hochstraße/Benkensteiner Straße. Da gibt es alles : Brot und Butter, Gemüse und Fleischprodukte, Bekleidung von H&M oder z. B. Schuhe von Deichmann.
Die von der Königsberger Straße abbiegende Hochstraße hat an Bedeutung stark gewonnen, eigentlich wie keine andere Straße in Elbing. Sie wurde erheblich verbreitert. Die Straßenbahn fährt auf einem eigenen Bahnkörper. Viele neue Wohnhäuser wurden hier gebaut und in letzter Zeit sogar drei Hochhäuser. Alte Häuser mussten Platz machen. Stadtauswärts entstanden auf der linken Seite, gegenüber der Einmündung des Süvernweges in die Hochstraße, das neue Amts- und Bezirksgericht mit Parkplätzen. In diesem Sommer wird das elf Etagen hohe und gefällige Gebäude bezogen. Etwas weiter, auf der rechten Straßenseite, steht ein neun Etagen hohes Wohnhaus und ziemlich am Ende der Hochstraße, kurz vor der Hoppenbeek, wurde ein 15 Etagen hohes Wohnhaus gebaut. Es ist das wohl höchste Gebäude in der Stadt.
Die fünf ältesten Hochhäuser (mit neun Etagen) stammen aus der Zeit um 1960. Sie stehen an der breiten „Straße des tausendjährigen Polen“, einer Nachkriegsstraße zwischen Elbingfluss und dem Holländer Tor. Ähnliche Hochhäuser wurden später an der Ackerstraße und an wenigen anderen Stellen der Stadt gebaut. Nach einer längeren Pause gibt es inzwischen wieder zahlreiche hohe Wohnungsbauten mit acht, zehn oder mehr Stockwerken. Dies sind aber keine freistehenden Hochhäuser, sondern gewaltige Wohnblöcke.
Nach 1945 wurden im Stadtgebiet einige, vor allem katholische Kirchen errichtet. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die kleine, etwa 300 Seelen umfassende griechisch-katholische Kirchengemeinde seit Jahren an der Ecke Mühlendamm/Bergstraße ein großes Gotteshaus baut. Die goldverzierte Kirchenkuppel grüßt bereits nach allen Himmelsrichtungen. Das Bautempo wird von der Gemeindekasse bestimmt. Das Pfarrhaus mit dem Gemeindezentrum ist bereits fertiggestellt.
Perspektiven
Elbing blieb nach 1945 Industriestadt. Ihre Bedeutung als solche ist allerdings erheblich zurückgegangen. Sie ist auch wieder eine Hafenstadt, obgleich von einer Schifffahrt kaum etwas zu merken ist. Der am Kraffohlsdorfer Weg angelegte große Platz zur Lagerung von Containern und anderer Schiffsfracht wird fast ausschließlich als Parkplatz für große Lastkraftwagen genutzt.
Kontinuierlich besteht auch die Tradition von Elbing als Schulstadt fort. Die Schullandschaft ist umfangreich und ausdifferenziert. Zu ihr gehören eine staatliche Fachhochschule und mehrere private Hochschulen.
Selbst wenn im Straßenbild nur selten polnische Soldaten zu sehen sind, sollte dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten der Elbinger Kasernen, die allesamt im Krieg unversehrt geblieben sind, vom Militär belegt sind. Überdies ist hier ab August (wie DW im letzten Monat berichtete) das Kommando der multinationalen NATO-Division Nord-Ost stationiert. Diese rd. 80 Soldaten, vor allem hohe Offiziere, werden mit ihren Familien sicherlich die Nachfrage nach Konsumgütern erhöhen. Der Stab soll in dem nach 1945 von der polnischen Armee erweiterten ehemaligen HJ-Heim in der Mackensenstraße untergebracht werden, also am Zugang zur Ludendorff-Höhe, dem Elbinger Gänseberg.
In Elbing sind somit beim 780. Geburtstag der Stadt insgesamt erhebliche Fortschritte und erfreuliche Entwicklungstendenzen festzustellen. Die Stadt hat nach amtlichen Angaben 127.000 Einwohner. Vielleicht sind es auch nur 120.000. Der Rückgang der Einwohnerzahl konnte inzwischen aber gestoppt werden. Dennoch hat die Stadt weiterhin mit einem deutlichen Handicap zu kämpfen, denn sie läuft aufgrund ihrer geografischen Lage immer wieder Gefahr, ins Abseits zu geraten. Als weitere Einschränkung ihrer Perspektiven kommt gegenwärtig noch hinzu, dass der kleine Grenzverkehr zur Enklave Königsberg von Warschau vor längerem ausgesetzt worden ist, was seitdem zu einer spürbaren Verschlechterung der ökonomischen Daten geführt hat.