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Bischof Dr. Carl Maria Splett zum 120. Geburtstag

Danzigs Oberhirte in schweren Zeiten

Von Stefan Samerski

In diesen Wochen jährt sich zum 120. Mal der Geburtstag des letzten deutschen Bischofs von Danzig, Dr. Carl Maria Splett (1898–1964). Wie kaum ein anderer Oberhirte aus den ehemals deutschen Ostgebieten ist er noch heute im polnisch-­deutschen Dialog präsent. Das hat zahlreiche Ursachen.

Da ist zunächst das tra­gi­sche Schick­sal eines Geist­li­chen, der zwi­schen die Mühl­stei­ne von gleich zwei tota­li­tä­ren Regi­men gera­ten war. Und in bei­de Kon­flik­te geriet er ohne per­sön­li­che Schuld und ohne wei­te­ren per­sön­li­chen Bei­stand. Ein eigent­lich lebens­fro­her Mensch, der allein sei­nen Weg gehen muss­te, ohne dar­an zu zer­bre­chen !  Der zwei­te Grund sind sei­ne letz­ten Lebens­jah­re, die er seit 1956 in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­brach­te :  Splett war seit dem Tod des erm­län­di­schen Bischofs Maxi­mi­li­an Kal­ler 1947 der letz­te kirch­li­che Amts­trä­ger, der in der neu­en Hei­mat sei­nen Titel und sei­ne Funk­ti­on aus der alten Hei­mat im deut­schen Osten wei­ter­führ­te. Bis zu sei­nem Tod hielt er gegen Wider­stän­de aus Polen, Deutsch­land und sogar Rom am Amt eines Bischofs von Dan­zig fest. Der drit­te Grund für unser Erin­nern ist mit dem zwei­ten ver­bun­den :  Als letz­ter deut­scher Bischof stand er in der revi­si­ons­ori­en­tier­ten Adenauer­-Ära im Schein­wer­fer­licht der poli­ti­schen Öffent­lich­keit. Nur noch über sei­ne Per­son hat­te man in den aus­ge­hen­den fünf­zi­ger und begin­nen­den sech­zi­ger Jah­ren ein Faust­pfand der deut­schen Ost­ge­bie­te in der Hand. Das mach­te die­se eigent­lich unpo­li­ti­sche Per­sön­lich­keit – obzwar aus einer Poli­tik­er­fa­mi­lie stam­mend – unge­fragt zu einem veri­ta­blen Poli­ti­kum im Deutsch­land des Wirt­schafts­wun­ders. Sein beweg­tes Schick­sal und der Ost-West-Konflikt führ­ten dann auch zum vier­ten Grund für unser Gedächt­nis :  For­schung und Publi­zis­tik nah­men sich schon zu Leb­zei­ten Spletts sei­ner Tätig­keit in Dan­zig an. Von der einen Sei­te ver­schrien als ‚Polen­fres­ser‘, wur­de er von der ande­ren Sei­te als ‚Mär­ty­rer­bi­schof‘ titu­liert, der eigent­lich zum Woh­le auch sei­ner pol­ni­schen Diö­ze­sa­nen gewirkt hatte.

Die­ser veri­ta­ble His­to­ri­ker­streit, der mit einem Schau­pro­zess 1946 ein­setz­te und bis über die Poli­ti­sche Wen­de von 1989/90 hin­weg fort­ge­setzt wur­de, sicher­te Splett ein Über­le­ben im deutsch-polnischen Gedächt­nis. In den letz­ten Jah­ren ist es wesent­lich ruhi­ger um die­sen Kir­chen­mann gewor­den ;  im ­August 2017 sind als Zei­chen der Ver­söh­nung im Bei­sein von zwei Weih­bi­schö­fen per­sön­li­che Bischofs­in­si­gni­en Spletts an das Dan­zi­ger Diö­ze­san­ar­chiv über­ge­ge­ben wor­den. Aller­dings steht eine offi­zi­el­le Reha­bi­li­ta­ti­on Spletts von staat­li­cher Sei­te immer noch aus, die von der der­zei­ti­gen poli­ti­schen Füh­rung Polens wohl kaum zu erwar­ten ist.

Werdegang in der Zwischenkriegszeit

Der als Sohn eines Schul­rek­tors und Zen­trums­po­li­ti­kers am 17. Janu­ar 1898 in Zop­pot gebo­re­ne Carl Maria Splett trat im Herbst 1917 in das Pries­ter­se­mi­nar in Pel­plin ein, wo er 1921 die Pries­ter­wei­he erhielt und nach juris­ti­schen Spe­zi­al­stu­di­en in Rom (Dr. iur. can.) sowie pas­to­ra­ler Tätig­keit in Pran­ge­nau und Dan­zig 1935 mit der wich­ti­gen Dom­pfar­rei in Danzig-Oliva betraut wur­de. Der ers­te katho­li­sche Bischof von Dan­zig, Edu­ard Graf O’Rour­ke, wur­de 1938 wegen der Ein­rich­tung von pol­ni­schen Per­so­nal­pfar­rei­en zum Rück­tritt gezwun­gen. Als der War­schau­er Nun­ti­us den Pel­pli­ner Pro­fes­sor Franz Sawi­cki als Nach­fol­ger aus­wähl­te, ver­wei­ger­ten die Natio­nal­so­zia­lis­ten Sawi­cki die Ein­rei­se nach Dan­zig und droh­ten, ihn an der Staats­gren­ze zu ver­haf­ten, weil er nomi­nell Pole war. Als Ersatz­mann fiel die Wahl des Nun­ti­us nun auf Splett, der den päpst­li­chen Ver­tre­ter bei des­sen Danzig-Aufenthalten beglei­tet hat­te. Damit stand Splett an der Spit­ze eines klei­nen Bis­tums zwi­schen Deutsch­land und Polen, das seit 1933 im Wür­ge­griff der Natio­nal­so­zia­lis­ten war – sicher noch inten­si­ver als west- und süd­deut­sche Diözesen.

Der jun­ge Splett nahm die Lei­tung des Bis­tums selbst­be­wusst und ziel­stre­big in die Hand. Gegen­über den Natio­nal­so­zia­lis­ten zeig­te er in Ver­hand­lun­gen zunächst Kon­zi­li­anz und konn­te damit anfangs die Wogen nach dem Eklat um Sawi­cki glät­ten. Inhalt­lich mach­te er sei­ne Posi­ti­on aber gleich zu Anfang deut­lich : In einem in deut­scher und pol­ni­scher Spra­che her­aus­ge­ge­be­nen Hir­ten­schrei­ben vom 2. Febru­ar 1939 ver­damm­te er in rück­halt­lo­ser Wei­se das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Regime :  „Nie­mals zuvor in der Geschich­te des Chris­ten­tums hat­te der Unglau­ben eine der­art wun­der­ba­re Ern­te wie in unse­ren Zeiten.“

Bischof von Danzig und Administrator der Diözese Kulm

Der Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs ver­än­der­te die kirch­li­che Situa­ti­on in Dan­zig noch­mals. Splett begrüß­te ganz offen die Rück­kehr Dan­zigs zum Deut­schen Reich und dank­te Gott für die Ret­tung vor der befürch­te­ten Zer­stö­rung der Stadt, konn­te aber nicht ver­hin­dern, dass die Natio­nal­so­zia­lis­ten die gesam­te pol­nisch­spra­chi­ge Seel­sor­ge im Bis­tum Dan­zig eli­mi­nier­ten. Von den ins­ge­samt zehn Geist­li­chen (sechs mit pol­ni­scher Staats­bür­ger­schaft und vier deut­sche Dan­zi­ger), die in den ers­ten Wochen inhaf­tiert wur­den, star­ben sie­ben im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger oder anders­wo. Dem natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ter­ror fie­len spä­ter aber auch deut­sche Pries­ter zum Opfer, wie bei­spiels­wei­se der Dekan Johan­nes Ael­ter­mann, die Pfar­rer Dr. Bru­no Bin­ne­be­sel, Ernst Kar­baum und Robert Wohl­feil. Schon am 5. Sep­tem­ber 1939 such­te Splett den Gau­lei­ter per­sön­lich auf und pro­tes­tier­te gegen die Ver­haf­tun­gen. Die­se und wei­te­re Inter­ven­tio­nen blie­ben zumeist ohne Erfolg.

Noch dra­ma­ti­scher gestal­te­te sich die Situa­ti­on in der angren­zen­den pol­ni­schen Nach­bar­diö­ze­se Kulm mit Sitz in Pel­plin, die Ende Okto­ber 1939 fak­tisch ohne Lei­tung war. Die blu­ti­gen Ereig­nis­se von September/Oktober 1939 und die Flucht der Mehr­zahl der ver­schon­ten pol­ni­schen Geist­li­chen in den fol­gen­den Wochen führ­ten dazu, dass auch in den Pfar­rei­en fak­tisch kei­ne Pries­ter mehr anzu­tref­fen waren und daher die Seel­sor­ge fast voll­stän­dig zum Erlie­gen kam. Dar­auf­hin ernann­te die Römi­sche Kurie Anfang Dezem­ber Splett zum Apos­to­li­schen Admi­nis­tra­tor des pol­ni­schen Bis­tums – eine Auf­ga­be, die Splett als „ein Kreuz“ ansah. Nach sei­ner Ernen­nung ver­bes­ser­te sich die dor­ti­ge pas­to­ra­le Situa­ti­on in weni­gen Mona­ten. In kür­zes­ter Zeit besuch­te Splett zahl­rei­che Pfar­rei­en des Bis­tums Kulm, hielt per­sön­lich Unter­richt für die Jugend ab und pre­dig­te in deut­scher Spra­che, da das Pol­ni­sche auch in der Kir­che ver­bo­ten war. Er zog aus den deut­schen Nach­bar­diö­ze­sen, aber auch aus dem fer­nen Köln wei­te­re Pries­ter her­an, so dass bis Mit­te Janu­ar 1940 ins­ge­samt 140 Geist­li­che Dienst im Bis­tum Kulm tun konnten.

Auseinandersetzung um die polnischsprachige Beichte

Als Teil der NS-Germanisierungspolitik ver­lang­te der Gau­lei­ter das rigo­ro­se und aus­nahms­lo­se Aus­mer­zen alles Pol­ni­schen. Jede Miss­ach­tung wur­de hart bestraft. Schon im Okto­ber 1939 ver­bot die Gesta­po allen pol­ni­schen Pries­tern des Bis­tums Kulm die Sakra­men­ten­spen­dung in der Mut­ter­spra­che. Anfang Janu­ar 1940 war auch die Beich­te expli­zit davon betrof­fen. Splett setz­te dies nicht um und wehr­te sich anfangs dage­gen. Nun spitz­ten sich die Ereig­nis­se dra­ma­tisch zu. Als Druck­mit­tel wur­den Dan­zi­ger Pries­ter, die schon am 1. Sep­tem­ber 1939 in Haft genom­men wor­den waren, am 21. März 1940 ermor­det. Gau­lei­tung und Gesta­po droh­ten stän­dig, wei­te­re Pries­ter zu ver­haf­ten, wenn ihre For­de­run­gen nicht erfüllt wür­den. Ange­sichts die­ser Droh­ku­lis­se gab der Bischof im Mai das Ver­bot der pol­ni­schen Beich­te im Amt­li­chen Kir­chen­blatt der Diö­ze­sen Dan­zig und Kulm her­aus. Fak­tisch wur­de die­ser Beich­t­er­lass in West­preu­ßen jedoch umgan­gen, da selbst vie­le deut­sche Pfarr­ad­mi­nis­tra­to­ren unter Ein­satz ihres Lebens pol­ni­sche Beich­ten hör­ten ;  auch Bischof Splett hat­te dies gesi­chert getan. Unzwei­fel­haft hat Splett durch die­sen Erlass, der zwar dem Kir­chen­recht wider­sprach, die Seel­sor­ge im annek­tier­ten Gebiet gerettet.

Haft, Hausarrest und Ausreise ins Bundesgebiet

Die Beset­zung der Bis­tums­ge­bie­te im März 1945 mach­te die­ser Situa­ti­on ein Ende. Als Splett am 9. August 1945 ein wei­te­res Mal ver­haf­tet wur­de, erhielt er vom pol­ni­schen Pri­mas ­Augus­tyn Kar­di­nal Hlond die Nach­richt, dass er mit Wir­kung vom 1. Sep­tem­ber von sei­nen Funk­tio­nen als Apos­to­li­scher Admi­nis­tra­tor von Kulm und als Bischof von Dan­zig ent­pflich­tet sei. Dabei hat­te Hlond klar sei­ne vati­ka­ni­schen Voll­mach­ten über­tre­ten. Auf sein Dan­zi­ger Bis­tum hat Splett aller­dings nie ver­zich­tet ;  fak­tisch hör­te jedoch mit dem 1. Sep­tem­ber 1945 das deut­sche Bis­tum Dan­zig auf zu bestehen. Nun ver­ur­teil­te die Spe­zi­al­straf­kam­mer Dan­zig den Bischof nach nur weni­gen Pro­zess­ta­gen und mar­gi­na­len Ver­tei­di­gungs­mög­lich­kei­ten am 1. Febru­ar 1946 zu einer har­ten Stra­fe, da er sich vor­geb­lich polen­feind­lich ver­hal­ten hät­te. Vor allem wur­de ihm sein ver­häng­nis­vol­ler Beich­t­er­lass zur Last gelegt. Er wur­de anschlie­ßend in das größ­te pol­ni­sche Gefäng­nis, nach Wron­ki bei Posen, gebracht, wo er unter men­schen­un­wür­di­gen Bedin­gun­gen und Tor­tu­ren fast acht Jah­re ein­saß. Nach Ver­bü­ßung der Haft­zeit wur­de er im August 1953 ohne neu­es Gerichts­ur­teil wei­ter­hin fest­ge­hal­ten, zunächst im Domi­ni­ka­ner­klos­ter in Sta­ry Borek (Süd­po­len), dann bei den Fran­zis­ka­ner­ob­ser­van­ten in Duk­la (Bes­ki­den), wo er iso­liert und unter stren­ger Auf­sicht lebte.

Das poli­ti­sche Tau­wet­ter in Polen wirk­te sich im Som­mer 1956 auch für Splett güns­tig aus :  Ende des Jah­res wur­de er in den Wes­ten abge­scho­ben. Mit sei­ner über­ra­schen­den Ankunft am Rhein lös­te er eine Wel­le von kir­chen­po­li­ti­scher Auf­merk­sam­keit aus, die auch noch nach sei­nem Tode nicht abebb­te. Zunächst muss­te er sich ganz neu ori­en­tie­ren, traf aber schon im Janu­ar 1957 mit den hei­mat­ver­trie­be­nen Dan­zi­gern zusam­men, deren seel­sorg­li­che Betreu­ung er nun orga­ni­sier­te und – zumin­dest rein zah­len­mä­ßig – zu einem Höhe­punkt führte.

„Bischof von Danzig“ im Exil

Anfang März 1957 reis­te er nach Rom, wo er von Pius XII. in Pri­vat­au­di­enz emp­fan­gen wur­de. Die­ser bezeich­ne­te ihn vol­ler Hoch­ach­tung als ‚Beken­ner­bi­schof‘ und beließ ihm den Titel ­eines Bischofs von Dan­zig. Damit war er für die Hei­mat­ver­trie­be­nen in der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ein belieb­ter Ansprech­part­ner und für die poli­ti­schen Grö­ßen der Adenauer-­Ära eine Symbol- und Erin­ne­rungs­fi­gur ers­ten Ran­ges. Ende 1956 wünsch­te ihm der deut­sche Bun­des­prä­si­dent Theo­dor Heuss (1949–1959) hier auf Erden „ewi­ges Leben“, um deut­sche Ansprü­che gegen­über Polen in der Gestalt des letz­ten noch leben­den Ober­hir­ten aus dem Osten auf­recht zu erhal­ten. Am 10. Febru­ar 1960 wur­de Splett sogar das Gro­ße Ver­dienst­kreuz der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land verliehen.

Als Bischof von Dan­zig nahm er am Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zil (1962–65) teil und ließ hier sei­ne per­sön­li­chen Erfah­run­gen ein­flie­ßen. So for­der­te er eine theo­lo­gi­sche Erklä­rung über den Men­schen in sei­ner per­so­na­len Wür­de, sei­nem Ursprung und Ver­hält­nis zu sei­nem Nächs­ten. Er warn­te nicht nur vor den Irr­tü­mern des Kom­mu­nis­mus und Mate­ria­lis­mus, son­dern eben­so vor den Gefah­ren der Ver­mas­sung und Über­tech­ni­sie­rung. In Rom ging Splett auf die pol­ni­schen Bischö­fe freund­schaft­lich zu und för­der­te durch sein offe­nes, herz­li­ches und gesel­li­ges Wesen die brü­der­li­che Ein­tracht der Kon­zils­vä­ter. Mit dem Bischofs-Koadjutor von Dan­zig / Gdańsk, Edmund Nowi­cki, führ­te er ein eben­so freund­schaft­li­ches Gespräch wie mit Kar­di­nal Ste­fan Wyszyń­ski. Nach Düs­sel­dorf zurück­ge­kehrt, starb Splett ganz uner­war­tet am 5. März 1964 in sei­ner Wohnung.

Abschied und Nachleben

Spletts Beer­di­gungs­fei­er in Düs­sel­dorf wur­de zu einer politisch-religiösen Mani­fes­ta­ti­on. Etwa 3.500 Trau­er­gäs­te waren zum Requi­em gekom­men, dar­un­ter der Köl­ner Erz­bi­schof Frings und der Apos­to­li­sche Nun­ti­us Cor­ra­do Bafi­le. Die Bun­des­re­pu­blik war durch Fami­li­en­mi­nis­ter Bru­no Heck ver­tre­ten, das Land Nordrhein-Westfalen direkt durch Minis­ter­prä­si­dent Franz Mey­ers. Fünf Bischö­fe fei­er­ten die Sta­tio am Sarg, und Zehn­tau­sen­de Gläu­bi­ge nah­men an der Über­füh­rung des Toten nach St. Lam­ber­tus teil. Die Pfle­ge sei­ner Memo­ria, die nahe­zu gleich­zu­set­zen war mit der Erin­ne­rung an die ver­lo­re­ne Hei­mat, erfolg­te vor allem in Düs­sel­dorf, das zum Zen­trum der Dan­zi­ger Katho­li­ken in der Bun­des­re­pu­blik gewor­den war. In Polen ver­wei­ger­te man ihm ideo­lo­gie­be­dingt jede greif­ba­re Erin­ne­rung. Splett war längst zu einem Poli­ti­kum ers­ten Ran­ges gewor­den. Die deutsch­spra­chi­ge Lite­ra­tur der fünf­zi­ger und sech­zi­ger Jah­re – selbst die wis­sen­schaft­li­che – war von Ach­tung und Respekt gegen­über der über­lan­gen Gefan­gen­schaft des ‚Beken­ner­bi­schofs‘ geprägt. Die sozia­lis­tisch bestimm­te For­schung Polens war dage­gen auf den Beich­t­er­lass vom Mai 1940 fixiert und ent­warf das Bild eines polen­feind­li­chen Ober­hir­ten. Man ließ dabei die Zwangs­si­tua­ti­on des Bischofs außer Acht und unter­stell­te Splett eine deut­li­che Nähe zum natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Regime. Die staat­li­chen Schu­len vor allem in Nord­west­po­len popu­la­ri­sier­ten sol­che publi­zis­ti­schen Hass­ti­ra­den und lie­ßen Splett als ‚Polen­fres­ser‘ durch den Unter­richt geistern.

Die wie­der­ge­won­ne­ne poli­ti­sche Frei­heit führ­te in Polen zu einer neu­en Sicht der Din­ge :  Der Dan­zi­ger Propst Sta­nisław Bog­danowicz zeich­ne­te ein durch­weg posi­ti­ves Bild von Splett :  Er attes­tier­te dem Bischof „kei­ner­lei nie­de­re Beweg­grün­de, Anti­polonismus oder Ger­ma­ni­sie­rungs­wil­len […], son­dern ganz im Gegen­teil, der Bischof [hat mit dem Beich­t­er­lass] das Ziel [ver­folgt], von der pol­ni­schen Gemein­schaft zu ret­ten, ‚was noch zu ret­ten war‘“. Pol­ni­scher­seits erkann­te man jetzt die Zwangs­si­tua­ti­on, unter der Splett in den Jah­ren 1938 bis 1945 han­del­te, an und des­avou­ier­te sei­nen Pro­zess von 1946 als sta­li­nis­ti­sche Abrech­nung mit der Kir­che. Auf deut­scher Sei­te strich man nach 1989 mehr und mehr die Ver­stän­di­gungs­be­reit­schaft Spletts mit Polen her­aus, und um das Jahr 2000 ver­zeich­ne­te man sogar hüben wie drü­ben einen weit­ge­hen­den Kon­sens in der öffent­li­chen Mei­nung. In der renom­mier­ten Kra­kau­er Wochen­zeit­schrift Tygod­nik Pow­c­zech­ny dis­ku­tier­te man im Mill­en­ni­ums­jahr auf hoher Ebe­ne sogar, ob man Splett nicht reha­bi­li­tie­ren und sei­ne sterb­li­chen Über­res­te von Düs­sel­dorf nach Dan­zig über­füh­ren sol­le. Bis heu­te ist bekannt­lich alles beim Alten. Wenn heu­te Grä­ben in der Erfor­schung von Spletts Leben und Wir­ken erkenn­bar sind, so sind die­se nicht mit der polnisch-deutschen Gren­ze deckungsgleich !

Auch zeigt sich das pol­ni­sche Erz­bis­tum Dan­zig seit etli­chen Jah­ren nicht nur an Splett inter­es­siert, es wid­me­te ihm auch Gedenk­ta­feln und ein Bild in der ‚Ahnen­rei­he‘ der Äbte und Bischö­fe in Oli­va. Trotz viel­fa­cher Akti­vi­tät ist jedoch nicht zu ver­ken­nen, dass die demo­gra­phi­sche Ent­wick­lung vor allem in Deutsch­land ihre Schat­ten auf die Splett-Memoria wirft und es auch in Polen – poli­tisch bedingt – wesent­lich ruhi­ger um Splett gewor­den ist.


Prof. Dr. Stefan Samerski lehrt Kirchengeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie am Priesterseminar Redemptoris Mater und ist Pfarrvikar in Berlin-Charlottenburg.