Text und Fotos: Joanna Szkolnicka
Dass in Westpreußen Deutsche und Polen über Jahrhunderte friedlich zusammengelebt haben, zeigt sich beispielhaft an der Kultur des polnischen Adels, die auch nach 1772 – wenn auch in geringerem Ausmaß – fortbestanden hat, im Gesamtbild der Provinz allerdings nur selten berücksichtigt wird. Wer sich mit dieser Tradition eingehender beschäftigen möchte, sollte einmal das im Kreis Stuhm gelegene großzügige Haus der Sierakowskis in Groß Waplitz (Waplewo Wielkie) besuchen.
Seit 2006 unterhält das Danziger Nationalmuseum dort eine eigene Abteilung, die der Wohnkultur des polnischen Adels gewidmet ist. Ein Besuch der Erinnerungsstätte lohnt sich insbesondere, weil sie von 2012 bis 2015 gründlich restauriert worden ist und dabei das Erscheinungsbild des Haupthauses so weit wie möglich wiederhergestellt werden konnte. Mit den Überresten der Wirtschaftsgebäude, einem Park und einer Grabkapelle bewahrt das Palais das Andenken an ein wichtiges, wenn auch kleines Zentrum des Polentums in Westpreußen.
Im Palast weilten berühmte polnische Künstler und Schriftsteller. Im »Weißen Saal« konzertierte Fryderyk Chopin, 1877 kam Jan Matejko zu Besuch, der ein Bleistiftporträt der gastfreundlichen Eigentümer – Maria und Adam Sierakowski – anfertigte. Der Schriftsteller Stefan Żeromski ergötzte sich – nach seinen eigenen Worten – an der Schönheit der Parkanlage und den unschätzbaren Kunstwerken : Tatsächlich war der romantische Park mit seinen Inselchen, Brückchen und Lichtungen ebenso bewundernswert wie die Kunstsammlung, die, von Kajetan Sierakowski (1753–1841) begründet, im Laufe von gut 100 Jahren erweitert und ergänzt worden war, bis sie schließlich etwa 400 Gemälde umfasste.
Vom 1760 angelegten, 10 ha umfassenden Park sind nur kärgliche Überreste der Gartenarchitektur und des Dekors erhalten geblieben – die Figur eines polnischen Adeligen, der mit dem traditionellen Kontusz bekleidet ist, sowie eine Laube im chinesischen Stil. Die Gemäldesammlung, in der sich einst Werke von Meistern wie Tizian, Dürer, Tintoretto, Giorgione und Rubens befanden, wurde während des Zweiten Weltkrieges zerstreut – wieder aufgetaucht sind davon lediglich etwa 40 Werke, die sich teilweise in Privathand, teilweise bei den Nachkommen der Sierakowskis und teilweise in polnischen Museen (darunter im Danziger Nationalmuseum) befinden. Ein noch schlimmeres Schicksal erlitt die Bibliothek der gebildeten und belesenen Familie : von den 11.000 katalogisierten Büchern sind ganze zwei Bände erhalten geblieben.
Der Bau des Anwesens
Seit den Anfängen des 14. Jahrhunderts sind mehrere Gutsbesitzer nachgewiesen. In den 1640er Jahren errichtete dann Jan Zawadzki eine steinerne Residenz, die mit Türmen, Galerien und Arkaden einem Schloss ähneln sollte. Gut 100 Jahre später, 1759, das Anwesen befand sich inzwischen in Händen der Familie Bagniewski, wurde eine aufschlussreiche Urkunde verfasst, die heute im Danziger Staatsarchiv aufbewahrt wird, und zwar ein Inventar des gesamten Komplexes von Waplewo. Die Residenz bildete damals ein zweistöckiges Gebäude mit 17 Räumen im Erdgeschoss ; die Oberräume wurden als »leer«, die Treppen und Fußböden als teilweise »schlecht« oder »verrottet« bezeichnet. Fast alle Zimmer waren aber mit Öfen ausgestattet. Viel Aufmerksamkeit wurde in der Urkunde den Wandbezügen geschenkt, detailliert beschrieben wurde die Ausstattung der Hausapotheke sowie die 165 Einheiten umfassende Büchersammlung, »von denen aber die meisten deutsch« seien. Sitzmöbel, Beleuchtungskörper oder Musikinstrumente tauchen in dem Verzeichnis allerdings nicht auf. Das Inventar legt den Schluss nahe, dass die Anlage damals ihre ersten Glanzjahre wohl schon hinter sich hatte.
Die ersten drei Generationen
Wenige Jahre nach jener Bestandsaufnahme heiratete Teodor Sierakowski Teresa Bagińska, die verwitwete Eigentümerin von Waplewo. Von diesem Zeitpunkt an waren die Geschichte des Gutes und diejenige des Geschlechts Sierakowski untrennbar miteinander verflochten. Um 1782 heiratete die etwa 17-jährige Tochter von Teodor, Anna Teodora, einen entfernten Verwandten, den letzten Kastellan von Słońsk, Kajetan Onufry Sierakowski. Kajetan engagierte sich als Gesandter beim »Vierjährigen Sejm« (1788–1792), dessen Reformen er nachdrücklich unterstützte. Seine Tatkraft kam auch Waplewo zu Gute, denn er förderte die Entwicklung der Bibliothek und ließ den Park weiter ausbauen.
Sein Sohn Antoni (1783–1842) trat in die Fußstapfen seines Vaters. Nach dem Verlust der polnischen Souveränität blieb für politische Tätigkeiten nur noch wenig Raum. Antoni konzentrierte sich stattdessen darauf, sein Gut nach den Verwüstungen durch die Napoleonischen Kriege wiedererstehen zu lassen. Dabei errichtete er auch als einer der ersten Gutsbesitzer im Weichselgebiet auf eigene Kosten eine Schule, – freilich unter der Vorbedingung, dass der Lehrer ein der polnischen Sprache mächtiger Katholik sein müsse. Selbst musikalisch begabt, hatte er im August 1827 den jungen Fryderyk Chopin zu Gast ; und durch den Kauf von etlichen Gemälden, die er in Italien erwarb, legte er den Grundstein zu der späteren prächtigen Kunstsammlung.
1842 erbte Alfons Sierakowski (1816–1886) das Gut von seinem Vater. Er war ein tüchtiger und kenntnisreicher Landwirt, baute eine Brennerei und züchtete Schafe. Zugleich förderte er weiterhin das polnische Volksschulwesen, veranstaltete mit seiner Ehefrau Maria national gesinnte »Polenbälle« und ließ Bühnenstücke in polnischer Sprache aufführen. Von den preußischen Behörden wurde er sogar beschuldigt, den »Januaraufstand« (1863/64) unterstützt zu haben. Seine große Leidenschaft bildete der Waplitzer Park, wo er neben einheimischen Pflanzen auch manche exotischen Gewächse anpflanzte. Der polnische Literaturkritiker und Publizist Stanisław Tarnowski (1837–1917), der 1881 – noch zu Alfons’ Lebzeiten – das Gut besucht hatte, verfasste eine von großer Bewunderung bestimmte Beschreibung der Parkanlage und des Anwesens. Ihm schienen die exotischen Pflanzen farblich arrangiert wie »Seidenfäden zu einer Stickerei«. Das Innere des Hofes empfand er als bequem und geräumig, einige der Zimmer ließen – groß, sonnig und luftig – seiner Meinung nach Kinder gesund aufwachsen, andere hingegen – klein, gemütlich und mit Gegenständen erfüllt – begünstigten lange, vertraute Gespräche. An der Ausstattung hebt Tarnowski zudem hervor, dass sie auf »Goldverzierungen« oder »Glitzerschmuck« ebenso verzichte wie auf moderne Accessoires ; alles sei stattdessen alt und solide wie die Danziger Möbel im Esszimmer.
Auf dem Weg in die Katastrophe
Adam Sierakowski (1846–1912), der nächste Eigentümer von Groß Waplitz, muss eine außerordentliche Persönlichkeit gewesen sein, denn er war Jurist, Reichstagsabgeordneter – und Weltenbummler, der Nordafrika, den Vorderen Orient, Indien und Indonesien bereiste. Anspruchsvoll gestaltete er auch die Hochzeitsfeierlichkeiten zu seiner Eheschließung mit der galizischen Edelfrau Maria Potocka im Jahre 1876. Neben der Beteiligung von einheimischen Blumenkindern wurde bengalisches Feuer abgebrannt, und lebende Bilder stellten slawische und litauische Gottheiten und Geister dar. Mit großer Genugtuung wurde bei diesem Fest übrigens vermerkt, dass die »deutsche« Kapelle aus Elbing zur Begrüßung des Paares »Noch ist Polen nicht verloren« intoniert habe.
Die letzten Besitzer von Groß Waplitz waren Helena und Stanisław Sierakowski. Der Hausherr hatte an den Universitäten in Berlin und Brüssel studiert und war Mitglied der polnischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in Thorn. Gemeinsam mit seiner Frau setzte er sich für das nationale Schulwesen im Weichselgebiet und für ein propolnisches Votum bei der Volksabstimmung von 1920 ein. Stanisław gehörte 1922 überdies zu den Gründern des »Bundes der Polen in Deutschland«.
Als die Familie 1926 in finanzielle Schwierigkeiten geriet, bot dies der deutschen Seite eine nicht unwillkommene Gelegenheit, auf den Besitz zuzugreifen : Die von einer deutschen Bank angebotenen Kredit-Konditionen waren derart unannehmbar, dass – trotz eines Darlehens der polnischen Regierung – beinahe das gesamte Gut verlorenging : Mit Unterstützung des polnischen Staates, der um jeden Preis die »Brückenköpfe« des Polentums im Reichsgebiet halten wollte, erwarb Kazimierz Donimirski noch einen Teil, alles Übrige wurde aber unter deutschen Siedlern aufgeteilt. Helena und Stanislaw zogen auf ihren Besitz in Osiek Rypiński, wo sie 1939 von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Von ihren sieben Kindern haben sechs den Krieg überlebt und wurden in aller Herren Länder zerstreut.
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach 1945 wurde das Gut verstaatlicht und als Zentrum für Viehzucht genutzt. 2006 übergab Izabella Sierakowska-Tomaszewska, die ihren Familienbesitz nach der politischen Wende wiedererlangt hatte, Groß Waplitz dem Danziger Nationalmuseum, das nun das »Museum der Polnischen Adelstraditionen« sowie ein Zentrum für Kontakte mit Auslandspolen einrichtete. Durch die eingangs genannten Restaurierungsarbeiten (2012–2015), für die etwa 8 Mio. Złoty zur Verfügung gestellt worden waren, erstrahlt das Palais jetzt wieder in seinem ehemaligen Glanz. Die Restaurierung der Innenräume war dank einer erhalten gebliebenen reichen photographischen Dokumentation möglich ; so wurden u. a. Fußböden aus Ölsandstein, Zimmertüren auf den Vorderseiten der Danziger Schränke sowie Glasfenster in der Diele und Orangerie wiederhergestellt. Originale Möbel oder Ausstattungselemente konnten leider kaum auf ihre früheren Plätze zurückkehren. Sie sind entweder verloren gegangen oder gehören nun zu anderen musealen Sammlungen. Lediglich ein manieristischer Kamin aus dem 1777 niedergebrannten Elbinger Rathaus sowie die Decke im »Danziger Saal« sind noch erhalten geblieben. Deshalb wurde das Interieur mit passenden Möbeln und Gegenständen aus dem 17. bis 19. Jahrhundert ausgestattet. Gräfin Sierakowska-Tomaszewska schenkte dem Museum zudem eine kleine Sammlung von Gemälden und Graphiken sowie einen Kristallspiegel und einen kostbaren, mit Schnitzereien verzierten Kasten. Es gibt in dem Museum somit viel zum Betrachten und Bewundern ; und die Attraktivität der gesamten Anlage wird sicherlich nochmals deutlich erhöht, wenn in absehbarer Zukunft auch die bislang vernachlässigten Parkanlagen sowie die vom Zerfall bedrohten Wirtschaftsgebäude fachgerecht restauriert werden.