Ein Hotel lädt zur Lektüre seiner Geschichte ein
Von Joanna Szkolnicka
Wer bei Celbau, südwestlich von Putzig, die Woiwodschaftsstraße 213 nimmt und in Richtung Stolp fährt, kommt wenige Kilometer vor Krockow an einem auffälligen, turmbewehrten Gutshaus vorbei, auf das von der Straße aus eine schnurgerade Allee zuläuft. Während man das Gebäude und den Park für lange Zeit nur durch das Gartengitter betrachten konnte, ist das Tor jetzt geöffnet : Seit kürzerem laden dort ein Hotel und ein Restaurant, die beide höheren Ansprüchen genügen können, zum Verweilen ein (http : //klanino.pl).
Neben vielen Attraktionen, zu denen auch Möglichkeiten zu Ausritten sowie ein luxuriöser Wellness-Bereich zählen, finden die Gäste bei der Rezeption auch noch eine Vitrine, in der sich in einer polnischen Übersetzung Exemplare der »Wspomnienia«, der »Erinnerungen«, von Gerhard Behrend von Graß befinden. Wenn hier die Memoiren des letzten deutschen Besitzers von Klanin erworben werden können, sieht das Management somit offenbar selbst das Hotel in der langen Tradition des Hauses und fordert ausdrücklich dazu auf, sich mit der deutsch-polnischen Lokalgeschichte – und insbesondere mit derjenigen des 20. Jahrhunderts – auseinanderzusetzen. »Reisen« und »Erkunden« erscheinen somit aufs Engste miteinander verbunden.
Wiedergeburt eines Gutshauses als „Palast“
Von Kriegszerstörungen verschont, konnte der Gebäudekomplex der Familie von Graß späterhin unterschiedlichen Nutzungszwecken dienen, so dass er als Heimstatt einer Landwirtschaftsschule oder eines Mädcheninternats auch weiterhin vor allmählichem Verfall geschützt war. Seit den 1990er Jahren fand er aber keine Verwendung mehr, und die Bausubstanz drohte in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
Mateusz Deling, der die Anlage 2012 erwarb, ist es zu verdanken, dass das Gebäude seinen alten Glanz wiedergewonnen hat. Er ließ es sorgfältig renovieren und richtete schließlich das Hotel ein. Die größte Sehenswürdigkeit ist gewiss die Danziger Diele aus der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert mit prunkvollen Treppen, einem Danziger Schrank und anderen Möbelstücken. Die Treppe stammt aus einem Bürgerhaus in der Jopengasse 8, in dem Daniel Ludwig Wedel seit 1777 eine Druckerei betrieb. Den Kamin sowie die Wände des an die Diele angrenzenden, zum Keller führenden Treppenhauses zieren Delfter Kacheln. Erhalten geblieben ist nicht nur das Haupthaus, sondern – was eher selten ist – auch die Vorwerksgebäude, darunter ein Speicher aus dem 18. Jahrhundert und der Wasserturm. Erstaunlich ist ebenso, dass einige, in dieser Region seltene Pflanzen wie Hiba-Lebensbäume, Gingkos, Kaukasus-Fichten und Moltke-Linden in der Parkanlage überlebt haben. Dies verdanken sie vermutlich den Schülern der Landwirtschaftsschule, die sich mit der Pflege hinlänglich auskannten.
Klanin vor der Übernahme durch Gerhard Behrend von Graß
Die erste Erwähnung des Dorfes Clenin stammt aus dem Jahre 1285. Das Gut gehörte im Laufe der Jahrhunderte mehreren Adelsgeschlechtern, der letzte polnische Besitzer war ein gewisser Ustarbowski. 1838 ging das Dorf in das Eigentum der preußischen Familie von Graß über.
Das im 17. Jahrhundert errichtete Gutshaus wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts um- und ausgebaut. Es ist ein gemauertes, zweistöckiges Ziegelgebäude, dessen Grundriss an den Buchstaben »F« erinnert. Unter der Familie von Graß wurde der Bau zum Bestandteil eines beeindruckenden Vorwerks. Sie errichtete eine Brennerei, eine Ziegelei sowie Treibhäuser und legte auch den Park an. Der vorletzte Besitzer von Klanin, Joann Leo von Graß-Klanin (1832–1917), der von 1891 bis 1909 als Präsident des Provinziallandtags amtierte, wirtschaftete in Klanin mit besonders großer Tatkraft und mit Erfindungsgeist. Erhalten geblieben sind z. B. einige seiner Entwürfe von landwirtschaftlichen Maschinen. Überdies trat er mit verschiedenen Publikationen hervor. Er ließ auch den Wasserturm errichten, dank dem es im Hause Leitungswasser gab – für die damalige Zeit, insbesondere für eine entlegene Residenz, eine Seltenheit, wenn nicht Kaprice.
Leo von Graß war jedoch nicht nur ein tüchtiger Landwirt, sondern auch ein leidenschaftlicher Sammler und Kunstliebhaber. Sein Erbe, Gerhard Behrend, schreibt in seinen Memoiren, dass Klanin mit erlesenen Kunstwerken ausgestattet gewesen sei, die »Onkel Leo« mit Leidenschaft über viele Jahre zusammengetragen habe. Darunter soll, so Gerhard Behrend von Graß, auch Die Traubenträgerin der berühmten Angelika Kaufmann gewesen sein. Leo von Graß begnügte sich allerdings nicht mit seiner Gemäldesammlung – um seinem Sitz noch mehr Glanz zu verleihen, kaufte er bereits die komplette Ausstattung einer Danziger Diele – einschließlich der originalen Treppe – und ließ sie in sein Herrenhaus einbauen.
Klanin in der Zeit von 1937 bis zum Kriegsbeginn
Da Leo keine eigenen Kinder hatte, adoptierte er 1909 Gerhard Behrend, mit dem er nahe verwandt war. Nach seinem Tod erbte sein Adoptivsohn zunächst Klein Starsin und Reddischau, zu dieser Zeit im Kreis Putzig gelegen. Als Leos zweite Ehefrau, Anna, 1937 starb, wurde Gerhard Behrend auch zum Eigentümer von Buchenrode und dem Witwensitz Klanin. Er hatte zunächst in Kl. Starsin in einem prunkvollen neugotischen Palast mit immerhin 56 Zimmern gewohnt. Kurz nach dem Ersten Weltkrieg verlor er seine beiden Güter infolge der 1920 in Polen durchgeführten Landreform, bei der Güter dieser Größe für die Hälfte ihres Marktwertes an den Staat abgetreten werden mussten, und der Boden wurde landlosen und Kleinbauern zugeteilt. Über diesen Verlust schreibt von Graß voller Erbitterung. Die Darstellungen seines Ringens mit der polnischen Verwaltung und der Zumutungen, die er als deutscher Gutsbesitzer seitens des neu entstandenen Staates erleiden musste, machen einen umfangreichen Teil seiner Erinnerungen aus. Mit seiner Familie – 1918 hatte er Felicitas von Diest geheiratet, die er in seinen Memoiren »Feta« nennt und mit der er fünf Kinder hatte – musste er nach Buchenrode gehen, wo er ein umgebautes und neu eingerichtetes Verwaltungsgebäude bezog.
Nach Klanin übersiedelte die Familie von Graß, nachdem die Adoptivmutter gestorben war, erst im Frühsommer 1938. Für Gerhard Behrend war dieser Umzug selbstverständlich : Klanin war in wirtschaftlicher Hinsicht der wichtigste Bestandteil des Familienvermögens, darüber hinaus war die Lage des Dorfes erheblich günstiger als jene von Buchenrode, denn es lag an einer Verkehrsstraße und einer Bahnstrecke. Nicht zuletzt wollte der neue Eigentümer den Kunstschätzen des Hauses nahe sein. Da seine Frau die Räume von Klanin aber als dunkel und bedrängend empfand, widersprach sie diesem Vorhaben, schließlich aber, wie ihr Mann notiert, »ließ sich Feta überzeugen«.
Dazu mögen auch Zusagen baulicher Veränderungen beigetragen haben. Nun wurde eine neue Zentralheizung eingerichtet : Zur Zeit von Leo von Graß waren die Zimmer noch »nach kaschubischer Art«, d. h. mit heißem Wasserdampf, beheizt worden. Danach ließ das Ehepaar eine alte verglaste Laube und den »völlig unbrauchbaren« zweiten Turm hinter dem Gebäude abreißen. Die Zimmer wurden ebenfalls neu gestaltet : dunkle Vorhänge verschwanden, die Wände erhielten helle Tapeten, der Flur, der früher »einem Museum« ähnelte, wurde zum Esszimmer. Zudem wurden drei Kinderzimmer eingerichtet, obwohl die Kinder, eines nach dem anderen, in Lehranstalten nach Deutschland geschickt wurden : es entstand ein Kabinett für den Hausherrn (ausgestattet mit einem Kamin aus dem Jahre 1605) und ein Boudoir mit einem äußerst wertvollen Porzellan-Kamin, der aus Reddischau stammte.
1938 stand die Welt zwar schon kurz vor dem Ausbruch eines Krieges, das Leben in Klanin aber nahm heiter und ungestört seinen Lauf, gegliedert nur von Familienfeiern, Jagden und Treffen mit den Nachbarn wie mit der verwandtschaftlich verbundenen Familie von Krockow. Nur zuweilen hinterlässt die große Politik ihre Spuren in den Memoiren – so schreibt der Autor z. B. zum Anschluss von Österreich, er sei »unmittelbar nicht spürbar« gewesen. Die Sudeten-Krise hingegen blieb anscheinend nicht ganz ohne merkliche Auswirkungen : Die polnischen Maurer und Zimmerleute, die von Graß eingestellt hatte, kamen eines Tages nicht zur Arbeit, weil sie die Besetzung des Olsagebiets mit einem heftigen Zechgelage gefeiert hatten.
Die Familie von Graß im Zweiten Weltkrieg
Gerhard Behrend von Graß war noch vor dem Kriegsausbruch eingezogen worden. Am 1. September wurde seine Frau, die wegen der sommerlichen Hitze im Freien unter einer Linde schlief, bei Tagesanbruch durch den fernen Lärm von Bombenabwürfen aufgeschreckt. Bald bemerkte sie einen roten Feuerschein am Himmel und wusste sogleich, dass nun der Krieg ausgebrochen war. Kurz zuvor hatten schon die Sommergäste überstürzt ihre Urlaubsquartiere an der Ostseeküste verlassen. Der Chauffeur der Familie, Heinz Zinke, wurde zum polnischen Heer einberufen. Felicitas von Graß rechnete damit, inhaftiert zu werden : dies geschah allerdings nicht. Am 9. September waren dann deutsche Truppen in Neustadt einmarschiert, und am 19. September besuchte »der Führer« die westpreußische Kreisstadt. Zu dieser Zeit war – mit Ausnahme von Hela – schon das gesamte Land in deutscher Hand. Am 2. Oktober wurde aber auch dieser letzte Brückenkopf erobert. (Unter den deutschen Truppen, denen dies gelang, befand sich auch Gerhard Behrend von Graß).
Bald danach schlug die deutsche Verwaltung Felicitas von Graß vor, sich um die inzwischen verlassenen früheren Güter zu kümmern. Dieses Ansinnen nahm sie erfreut auf und machte sich – von ihrem Vater unterstützt – an die Bewältigung dieser Aufgabe. Mit ihrem Ehemann stand sie im regelmäßigen Briefwechsel : alle zwei Woche konnten sie sich auch telefonisch miteinander in Verbindung setzen. Als 1942 Gerhard Behrend mit häufigen Dienstreisen nach Danzig beauftragt wurde, kam es auch zu persönlichen Treffen. Das Leben im Schatten des Krieges verlief anscheinend fast »normal« : die drei älteren Töchter wurden zu Pflegeschwestern ausgebildet, und der Sohn Heinrich schloss eine Kavallerieschule ab, wonach er bei der – eher erfolglosen – Bekämpfung der polnischen Partisanen in der Tucheler Heide eingesetzt wurde. Die Nachricht von der Niederlage der 6. Armee bei Stalingrad nahm Gerhard Behrend von Graß umso schockierter und geradezu ungläubig auf. – In seinen Erinnerungen an die Kriegszeit widmet er der Lage der Kaschuben übrigens verhältnismäßig viel Platz. Er war davon überzeugt, dass sie vor allem wegen der »unbesonnen Politik der Nationalsozialisten«, die sie innerhalb der Deutschen Volksliste »der 3. Kategorie« zugeordnet hatten, zu Deutschland und zum Deutschtum auf Abstand gegangen seien und sich an konspirativen Bewegungen beteiligt hätten.
Im Herbst 1944 wurde Klanin zur vorläufigen Zufluchtsstätte für die aus Ostpreußen ankommenden Verwandten der Familie, einschließlich ihrer Dienstleute und einer Herde von Trakehner-Stuten. Dies waren die Vorboten der unaufhaltsam herannahenden Katastrophe. Anfang 1945 wurde Gerhard Behrend von Graß in Adlershorst stationiert. Da er am 11. März Geburtstag hatte, gelang es ihm, die Zustimmung seiner Vorgesetzten für einen Besuch seiner Ehefrau und der im Zoppoter Lazarett als Krankenschwester arbeitenden Tochter Leonie zu erlangen. Dort, in Adlershorst, traf bei ihnen die Nachricht ein, dass Klanin von den Russen besetzt worden war.
Gerhard Behrend von Graß und seine nächsten Angehörigen überlebten den Krieg, und nach vielen Jahren notierte er wehmütig : »Wenn nicht dieser grausame Krieg mit seinen tragischen Folgen gewesen wäre, würden wir bis heute in Klanin ein gemütliches Familiennest haben«. Während Klanin wenigstens der Nachwelt erhalten blieb, erwies sich das Schicksal den anderen Besitztümern als weniger gnädig. Der neugotische Palast in Kl. Starsin verbrannte bereits 1942 : erhalten geblieben sind im Dorf ein Familiengrabmal sowie einzelne Grabsteine von Familienmitgliedern. In Reddischau sind noch Überreste einer Parkanlage zu sehen sowie eine alte Schmiede, die heute als Dorfklub dient.