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Westpreußens letzter Konservator

Wiesław Sieradzans Biografie über Bernhard Schmid

Bei der Beschäf­tigung mit der deutsch-polnischen Geschichte und dem Kulturerbe der Region an der unteren Weichsel kann die Sprache bisweilen noch ein Hindernis sein. In der Wissen­schaft ist aber seit Jahren ein enger Austausch im Gang, weil die Kenntnis der jeweils anderen Sprache bei deutschen und polni­schen Forschern durchaus verbreitet ist. Als der Histo­riker Wiesław Sieradzan, Lehrstuhl­in­haber an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn, ein Buch über den Marien­burger Archi­tekten und Denkmal­pfleger Bernhard Schmid vorbe­reitete, war ihm gleichwohl klar, dass dieses Thema in Deutschland auch jenseits des engeren wissen­schaft­lichen Diskurses auf Interesse stoßen könnte. Seine Schrift ist deshalb im Verlag der Univer­sität auf Deutsch erschienen.

Bernhard Schmid, über den es bisher noch keine größere biogra­fische Studie gab, wurde 1872 in Bernburg an der Saale geboren, wuchs in Kolberg in Pommern auf und sollte wie viele seiner Vorfahren, die vorwiegend in Pommern und Ostpreußen gelebt hatten, eine militä­rische Laufbahn einschlagen. Als untauglich einge­stuft entschloss er sich zu einem Archi­tek­tur­studium an der Techni­schen Hochschule in Charlot­tenburg, das damals noch nicht zu Berlin gehörte. Er inter­es­sierte sich vor allem für die Archi­tektur des Mittel­alters und kam so 1894 zum ersten Mal nach Marienburg, um dort die gewaltige Burganlage zu sehen, die der Deutsche Orden im 13. und 14. Jahrhundert erbaut hatte. Bereits drei Jahre später wurde Schmid in Marienburg ansässig und hatte dort bis 1945 den Mittel­punkt seines Lebens und seiner Tätigkeit.

Nachdem Schmid sich zunächst als Baube­amter mit dem Wieder­aufbau der Stadt Marienburg befasst hatte, das durch einen Brand im Juli 1899 erheb­liche Schäden erlitten hatte, wurde er im Laufe der Zeit zum Provinzial-Konservator für Westpreußen, zum Schloss­bau­meister der Marienburg und zum Professor an der ­Albertus-Universität zu Königsberg. Außerdem legte er über 200 Publi­ka­tionen vor und führte ständig Besucher­gruppen durch die Marienburg, die Ende der 1930er Jahre bereits über 100.000 Besucher pro Jahr anzog. Bis zum Winter 1944 hat Schmid über viele Aspekte seiner Tätigkeit genau­estens Buch geführt, wie Wiesław Sieradzan dankbar vermerkt. Auch seine Flucht vor der heran­rü­ckenden Roten Armee lässt sich genau nachver­folgen: Sie führte ihn über Danzig, das heimat­liche Kolberg, Swine­münde und Greifswald schließlich nach Husum in Nordfriesland. Dort starb Schmid im Jahre 1947.

Den Archi­tekten und Konser­vator Bernhard Schmid muss man sich zweifellos als sehr arbeit­samen Menschen vorstellen. Im Rahmen seiner Dienst­pflichten als Denkmal­pfleger bereiste er intensiv die Provinz Westpreußen und kam laut seinem Biografen zum Beispiel im Jahr 1906 auf 45 Dienst­reisen, bei denen er „das bereits gut ausge­baute Eisen­bahnnetz nutzen konnte“. Obwohl nicht als Histo­riker ausge­bildet, habe er außerdem mehrere noch heute gültige Monografien zur Regio­nal­ge­schichte verfasst. Schmids popular­wis­sen­schaft­liche Schriften über die Marienburg verbrei­teten nicht nur zu dessen Lebzeiten seinen Ruf als Kenner der Ordens­bau­kunst; auch nach seinem Tod wurden sie mehrfach wieder aufgelegt und waren in Kreisen der Vertrie­benen aus Westpreußen „von großer senti­men­taler Bedeutung“, wie Sieradzan anmerkt.

Während Conrad Stein­brecht, Schmids Vorgänger als Schloss­bau­meister, in der heutigen polni­schen Öffent­lichkeit durchaus gewürdigt wird, hat Schmids Berufs­tä­tigkeit in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lismus sein Bild getrübt. Sein Verhältnis zum Regime der NSDAP sei, so meint Wiesław Sieradzan, ein zwiespäl­tiges gewesen, es sei schwer im Hinblick auf seine politische Haltung „größere Genera­li­sie­rungen vorzu­nehmen“. Zwar ist eine Partei­mit­glied­schaft Schmids belegt, es ließen sich in seinen Publi­ka­tionen und Aufzeich­nungen aber kaum „die in den Veröf­fent­li­chungen der deutschen Forscher jener Zeit allgemein üblichen NS-Wendungen“ finden. Mit dem abgedankten Kaiser Wilhelm II. stand Schmid dagegen während der zwanziger und dreißiger Jahre in Brief­kontakt und infor­mierte den im nieder­län­di­schen Exil lebenden ehema­ligen Monarchen über den Fortgang der Konser­vie­rungs­ar­beiten an der Marienburg. Vieles spreche demnach dafür, dass Schmid ein konser­va­tiver Natio­nalist war. Auf jeden Fall aber war er überzeugt, dass Westpreußen und auch die zu Beginn des Zweiten Weltkriegs vom Deutschen Reich eroberten umgebenden Gebiete, die Schmid 1940 auf „Studi­en­fahrten durch das ehemalige Polen“ erkundete, ein „rein deutsches Land“ seien.

Ungeachtet dieser antipol­ni­schen Haltung des Provinzialkonser­vators seien die Bücher aus dessen Werkstatt nach dem Zweiten Weltkrieg zur Grundlage zahlreicher Arbeiten von polni­schen Forschern geworden. Die Bücher gingen damals an verschiedene Biblio­theken in Polen und  Wiesław Sieradzan hat nun im letzten Teil seines Buches versucht, den ursprüng­lichen Bestand von Schmids Sammlung zu rekon­stru­ieren, denn die Privat­bi­bliothek könne ihrer­seits als ein Kulturerbe gelten, das es zu würdigen gelte. Dieser Abschnitt ist eher von fachwis­sen­schaft­lichem Interesse, kann aber mit einigen sehens­werten Abbil­dungen aufwarten. Zumindest auf einer davon ist auch Schmid selbst recht gut zu sehen: Ein Gruppenbild von 1912 oder 1913 zeigt den etwa Vierzig­jäh­rigen im Kreis der Marien­burger Schlossbau-Kommission.

Alexander Kleinschrodt