Der Tourismus in der Region der Danziger Bucht
Von Magdalena Lemańczyk
Der Tourismus in der Danziger Bucht hat eine bereits jahrhundertelange Tradition und wird bis heute nicht nur durch naturlandschaftliche, geschichtliche und kulturelle Faktoren, sondern auch durch wirtschaftliche Interessen geprägt. Mittlerweile ist er in der Region sogar zu einer tragenden Komponente der Ökonomie geworden. Diese breite Vermarktung touristischer Möglichkeiten schafft Voraussetzungen, die mit den Konfigurationen des Fremdenverkehrs in der Zeit vor 1945 – und erst recht mit jenen während des real existierenden Sozialismus bis 1989 – gänzlich unvergleichlich sind. Deshalb dürfte eine genauere Betrachtung der aktuellen Situation und der weiteren Entwicklungsperspektiven gerade Leserinnen und Lesern in Deutschland vertiefte Einsichten in die komplexen Zusammenhänge des heutigen Reiselandes Westpreußen vermitteln.
Landschaft und Kultur
Das Gebiet der Danziger Bucht reicht im Süd-Osten bis an die Frische Nehrung. Sie schließt das Frische Haff ein, das mit der Ostsee über die Meerenge von Pillau verbunden ist. Der nord-westliche Teil der Danziger Bucht, vom Nord-Osten durch die Halbinsel Hela begrenzt, trägt den Namen Putziger Wiek. Die Grenze der Danziger Bucht zum offenen Meer bestimmt das Seegebiet zwischen den Kaps von Brüsterort (heute Taran, dt. Rammbock) und Rixhöft (Rozewie). Das eigentliche Seegebiet der Bucht wird, trotz seiner vielen Vorzüge, freilich erst in Verbindung mit dem Angebot der in Küstennähe sowie der im Hinterland liegenden Ortschaften der Woiwodschaft Pommern zu einem perfekten Ort für die Etablierung und das Angebot verschiedener Tourismusformen.
Dabei kann man zunächst die wesentlichen Elemente des Kultur- und Naturerbes hervorheben, die der Region einen spezifischen Charakter verleihen und zugleich touristische »Markenzeichen« darstellen. – Die kulturellen Attraktionen gehen hauptsächlich aus der mehr als tausendjährigen Geschichte des alten Danzigs, der modernen Stadt Gdingen (Gdynia) und des Kurorts Zoppott hervor und basieren auf dem multikulturellen Erbe des Landes sowie der sich rapide entwickelnden Wirtschaft und Wissenschaft (hauptsächlich im Ballungsgebiet der Dreistadt). Ihre Kristallisationspunkte sind beispielsweise die auf der Liste des UNESCO-Welterbes stehende Burg des Deutschen Ordens in Marienburg und die Tafeln mit den 21 Forderungen der im August 1980 streikenden Arbeiter, das Netz der weiteren Deutschordensburgen, die Klöster und Kathedralen sowie Orte, die mit der Geschichte des 2. Weltkrieges und mit dem Erbe der »Solidarność«-Bewegung verbunden sind (das Massaker an Arbeitern in Gdingen 1970; der Solidarność-Platz mit dem Denkmal der gefallenen Werftarbeiter in Danzig, das Tor Nr. 2 der Danziger Werft und das Administrationsgebäude mit der Arbeitsschutzhalle).
Die einzigartigen Elemente des Naturerbes der Woiwodschaft Pommern bilden vor allem die Ostseeküste und zwei Nationalparks: die Tucheler Heide (Bory Tucholskie) und der Slowinzische Nationalpark (Słowiński Park Narodowy) – Biosphärenreservate im Rahmen des Programms »Man and the Biosphere« – sowie sieben Landschaftsschutzparks, die gänzlich in den Grenzen der Woiwodschaft liegen, zwei weitere, die ihr nur teilweise zugehören, sowie schließlich Gebiete des Netzwerks »Natura-2000«.
Lokale Ausprägungen
Die touristische Attraktivität des Gebiets ist hinsichtlich des Umfangs und der Struktur der touristischen Dienstleistungen allerdings unterschiedlich verteilt. Aus diesem Grunde beschäftigt sich die Pommersche Regionale Tourismusorganisation (Pomorska Regionalna Organizacja Turystyczna) mit der Förderung aller Aktivitäten, die mit der Öffentlichkeitsarbeit und der Entwicklung der Touristik verbunden sind; denn die Woiwodschaft zerfällt in zwei Teilgebiete, deren Erschließung dringend einer Koordination bedarf: in den sich dynamisch entwickelnden Ballungsraum der Dreistadt (Trójmiasto) als dem wirtschaftlichen und gesellschaftlich-kulturellen Zentrum und in die übrigen Kreise, die zwar mehr oder weniger im förderlichen Einflussbereich der Dreistadt verbleiben, deren Infrastruktur im Verhältnis zum Zentrum jedoch eher peripher wirkt. Eine gewisse Ausnahme bilden dabei – mit internen Differenzierungen – kaschubische Gemeinden, die wegen ihrer einzigartigen klimatischen, natürlichen und kulturellen Vorzüge als ein touristisches Hauptpotential der Region zu kennzeichnen sind.
Generell lässt sich jedoch feststellen, dass – zumal in der ganzjährigen Perspektive – die Dreistadt bereits die meisten Nachfragen in den Bereichen des Kultur- sowie des Stadt‑, Sport‑, Küsten‑, Erholungs‑, Geschäfts- und Tagungstourismus befriedigt. Flankiert wird dieser Erfolg durch eine Reihe von Institutionen, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind – wie das Europäische Solidarność-Zentrum, das Bernsteinmuseum, das Centrum Hewelianum, das Emigrationsmuseum in Gdingen oder – für Sport-Fans – das Stadion Energa Danzig und die Ergo Arena.
Demgegenüber suchen sich die außerhalb des Zentrums liegenden Ortschaften hauptsächlich über Angebote auf den Gebieten des Natur‑, Küsten- und Dorftourismus mit den spezifischen Möglichkeiten von Sport, Leistungssport, Erholung und Wellness bzw. des Kultur- und Fachtourismus zu profilieren. Besondere Aufmerksamkeit erwecken hier z. B. die Marienburg, das (dem Andenken von Teodora und Izydor Gulgowski gewidmete) Freilichtmuseum »Kaschubischer Ethnografischer Park« in Wdzydze Kiszewskie, das Museum der Kaschubisch-Pommerschen Literatur und Musik in Neustadt (Wejherowo), das Slowinzische Dorfmuseum in Kluki, das Museum der Pommerschen Herzöge in Stolp (Słupsk) mit dem Mittelpommerschen Museum oder die Kunstfabrik (Fabryka Sztuk) in Dirschau (Tczew).
Ein immer noch unzureichend genutztes Potential steckt in den vielen erhaltenen Schlössern und Landhäusern sowie in den prächtigen Parkanlagen, in den Holzbauten in der Kaschubei, im Kociewie und im Werder (Żuławy), in den Fachwerkbauten der Stolper Gegend und in den verschiedenen Innenausstattungen der Sakralbauten, die faszinierende Zeugnisse der multikulturellen und multireligiösen Traditionen in diesem Land bieten. Weitere wesentliche, wenngleich oft noch vernachlässigte, Attraktionen wären – dank der Küsten‑, See- und Flusslage reichlich vorhandene – historische Objekte der Wasserbaukunst (Wasserkraftwerke, Mühlen, Staudämme, Zugbrücken, Kanäle) sowie Häfen und Anlegestellen mit historischer Infrastruktur, historische Fischerdörfer oder Wasserfahrzeuge, nicht zu vergessen die Elemente des olendrischen und mennonitischen Erbes im Werder. Zusätzliche Nischen innerhalb des Tourismusangebots bilden auch Erkundungsmöglichkeiten ehemaliger Militärgebiete wie auf Hela oder der Besuch von Industrie- und Technikdenkmälern (wie Speichern oder Brücken).
Nicht zuletzt bemühen sich die Gemeinden, Touristen durch die Vermarktung einzigartiger naturlandschaftlicher Vorzüge anzuziehen. Zu den Gebieten, die solche besonderen Markmale bieten, gehören unter anderem die slowinzisch-kaschubische Küste, die Halbinsel Hela, die Frische Nehrung und das Frische Haff, die Seenplatte von Bütow (»Blaues Ländchen«) sowie das Gebiet der Tucheler Heide.
Infrastruktur
Einen wichtigen Faktor des touristischen Erfolgs bildet die Erreichbarkeit der einzelnen Ortschaften, die sehr unterschiedlich ausgeprägt ist; denn es gibt einerseits im Ballungsgebiet der Dreistadt ein gut funktionierendes Verkehrsnetz, während andererseits im übrigen Teil noch ein erheblicher Modernisierungsbedarf besteht. Ein Tourist, der in der Woiwodschaft Pommern ankommt, bemerkt allerdings schon jetzt viele wesentliche Verbesserungen im Verkehrsnetz, die sich dank den in den Jahren 2007 bis 2014 getätigten Investitionen sowie dank den Mitteln möglich geworden sind, die aus den strategischen Programmen zur Entwicklung der Woiwodschaft Pommern bis 2020 stammen. Dazu zählen, um nur einige Beispiele zu nennen, der Ausbau des Lech-Wałęsa-Flughafens in Danzig, der eine immer stärker anwachsende Zahl an In- und Auslandsverbindungen bedient (2015 hat der Flughafen 3.706.108 Passagiere abgefertigt), die Modernisierung und der Ausbau des Eisenbahnnetzes (z. B. der im Jahre 2015 eröffneten Pommerschen Stadtbahnlinie, die langfristig die Dreistadt mit der Kaschubei verbinden soll, und der Express-Eisenbahnverbindung »Pendolino« zwischen Gdingen und Warschau), der Bau der Autobahn A1, der Südumgehung und des Straßentunnels unter der Toten Weichsel in Danzig, die Konstruktion der Weichselbrücke in Marienwerder oder der Bau mancher weiteren Umgehungsstraßen, nicht zuletzt die Einrichtung von Radwegen und die Verbesserung der Infrastruktur, die das Segeln auf der See und das Befahren von Binnengewässern ermöglicht bzw. erleichtert.
Über einen Mangel an Übernachtungsmöglichkeiten brauchen die Touristen, die die Region der Danziger Bucht bereisen, schon jetzt nicht zu klagen, obwohl es im hochpreisigen Sektor des Premium-Standards immer noch zu wenige Angebote gibt. Die Anzahl der Touristenunterkünfte ist eine der höchsten in Polen, zeichnet sich gleichzeitig aber auch durch ein erhebliches Maß an saisonalen Schwankungen aus. Die Woiwodschaft steht im Hinblick auf die Anzahl der Betten (101.739, davon 19.113 in Hotels) und auf die Anzahl der Objekte (1.512, davon 188 Hotels) an zweiter Stelle im ganzen Land. Im Jahre 2015 stieg ihre Zahl im Vergleich zum Vorjahr 2014 um 4,3%, was 15,1% der neugeschaffenen Beherbergungsstätten in Polen ausgemacht hat. Allein in den Jahren von 2005 bis 2015 verdoppelte sich die Anzahl der Hotels in Pommern, denn sie erhöhte sich von 94 auf 188, woran mit Sicherheit die 2012 auch in Danzig ausgetragene Fußball-Europameisterschaft Anteil hatte. Außerdem hat die Woiwodschaft die meisten Camping- (27) und Zeltplätze (31) und liegt auch bei der Anzahl der Ferienanlagen (223) und der Komplexe mit Fremdenzimmern (546) national mit an der Spitze. Erwähnenswert ist zudem, dass mehr als 70% der Übernachtungsmöglichkeiten in den küstennahen Landkreisen – in Putzig, Tiegenhof (Nowy Dwór Gdański), Lauenburg (Lębork), Stolp (Słupsk) – sowie freilich auch in Danzig selbst liegen.
Auffallend ist schließlich der stetige Aufwärtstrend bei der Zahl der Touristen, die die Übernachtungsmöglichkeiten nutzen: Von 1.221.300 (davon 234.100 ausländischen) Besuchern im Jahre 2000 stieg sie auf 2.439.200 Personen (davon 451.900 aus dem Ausland) im Jahre 2015. Unter den ausländischen Besuchern waren im Jahre 2015 überwiegend Deutsche (25,8%) und Norweger (18,1%), gefolgt von Schweden (7,3%), Engländern (6,8%) und Russen (6,5%).
Zukunftsperspektiven
In den kommenden Jahren wird mit einer weiter wachsenden Zahl an Touristen in der Woiwodschaft Pommern zu rechnen sein. Diese Tendenz ist zum einen durch die Aufnahme Polens in die Strukturen der EU im Jahre 2004, durch den Beitritt zum Schengen-Raum (2007) und die Etablierung des (vorübergehend blockierten) kleinen Grenzverkehrs mit dem Kaliningrader Gebiet begünstigt worden. Zum anderen dürfte hinsichtlich möglicher terroristischer Bedrohungen auch das relativ stabile Sicherheitsniveau in Polen die Beliebtheit der dortigen Reiseziele weiterhin fördern. Grundsätzlich gilt es allerdings noch eine Reihe von Herausforderungen zu bewältigen, zu denen vor allem die Sicherung eines angemessenen, nach internationalen Maßstäben überzeugenden Preis-Leistungs-Verhältnisses gehört.
Die Entwicklung des gesamten wirtschaftlichen Sektors wird durch die politische und finanzielle Unterstützung der Woiwodschaftsverwaltung sicherlich auch weiterhin vorangebracht, denn die Landesregierung hat dazu auf nationaler wie auf europäischer Ebene bereits eine Reihe wichtiger Strategie-Papiere verabschiedet. Dazu gehören die Wachstumsstrategie der EU für das kommende Jahrzehnt, »Europa 2020«, die »EU-Strategie für den Ostseeraum« (mit dem entsprechenden Aktionsplan), die Nationale Strategie für die regionale Entwicklung (Krajowa Strategia Rozwoju Regionalnego) 2010–2020: Regionen, Städte, ländliche Gebiete (Regiony, Miasta, Obszary Wiejskie) sowie das Konzept der räumlichen Entwicklung des Landes 2030 (Koncepcja Przestrzennego Zagospodarowania Kraju 2030).
Für die Tourismus-Förderung in der Woiwodschaft gehört es in der Perspektive des Jahres 2020 gewiss zu den vordringlichen Aufgaben einer stabilen Zukunftssicherung, strategisch bedeutsame Bereiche zu identifizieren. Dazu können z. B. der Geschäfts- und Tagungstourismus, der Sanatoriums- und Reha-Tourismus oder der Kultur- und Fachtourismus gehören, die in einem weiter ausdifferenzierten Angebot erschlossen werden und als klar erkennbare eigenständige Marktsegmente – und mit bedarfsgerechten Konzepten versehen – zufriedenstellende und mithin erfolgsorientierte Antworten auf den soziodemografischen Wandel und die gesellschaftliche Nachfrage nach spezialisierten Dienstleistungen zu geben vermögen.
Dr. Magdalena Lemańczyk – Danzigerin, Soziologin; beschäftigt sich mit Fragen der Ethnizität und Nationalität, insbesondere der deutschen Minderheit, sowie der Multikulturalität in Pommerellen und der Kaschubei. Sie arbeitet vor allem in den Bereichen der soziologischen Feldforschung, qualitativer Forschungsmethoden und der Anthropologie.