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Schmuggel in der Freien Stadt Danzig –

Ein ausgeblendetes Kapitel der Alltagsgeschichte

Von Adrian Mitter

Im Som­mer 1930 ver­han­del­te die Dan­zi­ger Straf­kam­mer wegen »gewerbs­mä­ßi­gen Ban­den­schmug­gels« gegen neun Ange­klag­te. Die acht Män­ner und eine Frau hat­ten zu nächt­li­cher Stun­de auf Fischer­boo­ten Waren über den Fluss Nogat nach Dan­zig ein­ge­schmug­gelt. Nach­dem die Stadt und ein Teil ihres Umlan­des zur Frei­en Stadt erklärt wor­den waren, ver­lief ent­lang des Gewäs­sers eine inter­na­tio­na­le Gren­ze zwi­schen dem Deut­schen Reich und der Frei­en Stadt Dan­zig. Auch west­lich und süd­lich der Stadt dau­er­te es nicht son­der­lich lan­ge, bis die Dan­zi­ger auf Stein­säu­len tra­fen, die die Gren­ze zum pol­ni­schen Staats­ge­biet markierten. 

Auf­grund der erdrü­cken­den Beweis­last stand die Schuld der Ange­klag­ten im Schmug­gel­pro­zess schnell fest. Der Kopf der Ban­de und sei­ne rech­te Hand wur­den zu sat­ten Geld­stra­fen (36.000 bzw. 18.000 Gul­den) sowie Haft­stra­fen ver­ur­teilt. Doch was war eigent­lich des Nachts auf die Fischer­boo­te ver­la­den und nach Dan­zig gebracht wor­den? Es waren weder Dro­gen, Waf­fen, Falsch­geld noch Ziga­ret­ten oder sons­ti­ge Güter, die heut­zu­ta­ge übli­cher­wei­se mit Schmug­gel in Ver­bin­dung gebracht wer­den. Die Ban­de schmug­gel­te Spiel­zeug, das nicht unter der Hand, son­dern in loka­len Geschäf­ten ver­kauft wur­de. Auf­grund der Zoll­be­stim­mun­gen der Frei­en Stadt Dan­zig fie­len bei der Ein­fuhr von Spiel­wa­ren hor­ren­de Zöl­le an. Für einen Metall­bau­kas­ten bei­spiels­wei­se betrug der Zoll allein 85 Dan­zi­ger Gul­den. Selbst die Vor­ar­bei­ter der Dan­zi­ger Werft konn­ten sich bei einem Stun­den­lohn von unter einem Gul­den solch ein Geschenk für ihre Klei­nen ver­mut­lich nicht leis­ten. Mit Mur­meln, Blech­schiff­chen, Mund­har­mo­ni­kas und ande­ren Favo­ri­ten der Dan­zi­ger Kin­der sah es bei den Zöl­len nicht anders aus. 

Die Danziger Schmugglergesellschaft 

In der Frei­en Stadt Dan­zig war Schmug­gel all­ge­gen­wär­tig; er wur­de, bei­spiels­wei­se durch den Kauf von geschmug­gel­ten Waren, von wei­ten Tei­len der Bevöl­ke­rung tole­riert, wenn nicht selbst aus­ge­übt. Der Eth­no­lo­ge Mat­thi­as Wag­ner bezeich­net eine sol­che Gemein­schaft tref­fend als »Schmugg­ler­ge­sell­schaft«. Der Dan­zi­ger Jour­na­list Fried­rich von Wil­pert stell­te sogar fest, dass die Dan­zi­ger Schmug­gel als eine Art »Sport« betrach­te­ten: »Man­che betrie­ben die­sen ›Sport‹ aus rei­ner Lei­den­schaft, und nie­mand kam auch nur auf den Gedan­ken, er bege­he eine straf­wür­di­ge Tat. Wer ein­mal gefasst wur­de, der schimpf­te auf die Polen, zahl­te die Stra­fe und beschloss, nächs­tens noch vor­sich­ti­ger ans Werk zu gehen.« 

Man könn­te argu­men­tie­ren, dass es Schmug­gel über­all gibt, wo Län­der­gren­zen ver­lau­fen. Von Wil­pert prä­zi­sier­te in sei­nen Memoi­ren aller­dings des Wei­te­ren: »Infol­ge der kom­pli­zier­ten Ver­kehrs­ver­hält­nis­se im Ver­ein mit den pro­hi­bi­ti­ven pol­ni­schen Zoll­ge­set­zen wur­den die meis­ten Dan­zi­ger sys­te­ma­tisch zu Schmugg­lern erzo­gen.« Die Mehr­heit der Dan­zi­ger Ein­woh­ner wur­de aber nach dem Ers­ten Welt­krieg nicht allein zu Schmugg­lern, nur weil Dan­zig nach der Unter­zeich­nung des Ver­sailler Ver­tra­ges zur semi­au­to­no­men Frei­en Stadt erklärt wor­den und nun von Gren­zen umge­ben war. Es war zunächst vor allem die Not der Nach­kriegs­jah­re, die dafür sorg­te, dass der Schmug­gel blüh­te. Als Stadt­staat war Dan­zig nicht in der Lage, sich selbst mit Lebens­mit­teln und Brenn­stof­fen zu ver­sor­gen; so tra­fen die Hun­ger­jah­re die Stadt mit äußers­ter Här­te, zumal auch in Deutsch­land und Polen Nah­rungs­mit­tel­eng­päs­se auf­tra­ten. Auch des­halb hat­ten weder der pol­ni­sche noch der deut­sche Staat ein aus­ge­präg­tes Inter­es­se dar­an, Dan­zig zu belie­fern, und die loka­le poli­ti­sche Lage über­for­der­te den Völ­ker­bund und sei­ne Ver­tre­ter heillos. 

Die Dan­zi­ger blie­ben somit wei­test­ge­hend auf sich allein gestellt. Der ein­zi­ge Weg, um an Nah­rungs­mit­tel zu kom­men, war für die Ein­woh­ner Dan­zigs oft­mals eine Rei­se ins deut­sche und pol­ni­sche Umland. Soge­nann­te Hams­ter­fahr­ten, bei denen die Stadt­be­woh­ner aufs Land fuh­ren, um sich bei den Bau­ern mit Lebens­mit­teln ein­zu­de­cken, waren im Dan­zi­ger Gebiet des­halb in der Regel mit ille­ga­lem Grenz­über­tritt und Schmug­gel verbunden. 

Überlebensstrategie oder Profitgier?

Ange­sichts der Lebens­mit­tel­knapp­heit in Polen grif­fen die Sol­da­ten, die nun die Gren­zen nach Dan­zig bewach­ten, hart durch. Selbst in der loka­len pol­nisch­spra­chi­gen Gaze­ta Gdańs­ka gab es des­halb gegen die­ses Kon­fis­zie­ren von Lebens­mit­teln an der Gren­ze wüten­de Pro­tes­te. Über­dies kon­trol­lier­te auch die Dan­zi­ger Bür­ger­wehr inner­halb der Stadt­gren­zen. Prei­se für Lebens­mit­tel erreich­ten unge­ahn­te Höhen, denn auch die in der Stadt sta­tio­nier­ten eng­li­schen und fran­zö­si­schen Trup­pen muss­ten ver­sorgt wer­den und konn­ten mit ihren Devi­sen fast jeden Preis zah­len. Ähn­li­che Vor­tei­le hat­ten die Aus­wan­de­rer, die im Lager Troyl, oft­mals mit Geld ihrer nord­ame­ri­ka­ni­schen Ver­wand­ten aus­ge­stat­tet, auf die Fahrt über den Atlan­tik warteten. 

Wäh­rend der Groß­teil der Bevöl­ke­rung hun­ger­te, blie­ben die Dan­zi­ger Restau­rants bes­tens ver­sorgt, und ange­sichts des dor­ti­gen Ange­bots zwei­fel­te der spä­te­re Völ­ker­bund­kom­mis­sar Regi­nald Tower anfäng­lich an der Lebens­mit­tel­knapp­heit. Die Dan­zi­ger Bevöl­ke­rung hin­ge­gen konn­te bestimm­te Lebens­mit­tel wie Fleisch und But­ter nur auf Schwarz­märk­ten erste­hen, wo die Bau­ern die knap­pen Waren jedoch zu Prei­sen anbo­ten, die sich ein­fa­che Arbei­ter nicht leis­ten konnten.

Die explo­die­ren­den Prei­se mach­ten nicht nur die loka­len Land­wir­te reich, son­dern führ­ten auch dazu, dass Lebens­mit­tel­schmug­gel, der weit über den Eigen­be­darf hin­aus­ging, für orga­ni­sier­te Ban­den aus dem deut­schen und pol­ni­schen Umland zu einem ein­träg­li­chen Geschäft wur­de. Töd­li­che Schie­ße­rei­en zwi­schen Schmugg­lern und der pol­ni­schen Grenz­be­wa­chung waren in den Nach­kriegs­jah­ren nicht sel­ten, und Kugeln tra­fen auch man­ches Dan­zi­ger Fischer­boot, das sich in pol­ni­sche Hoheits­ge­wäs­ser ver­irr­te. In gro­ßem Stil wur­den außer­dem Hilfs­gü­ter ver­scho­ben, die eigent­lich für die not­lei­den­de pol­ni­sche Bevöl­ke­rung bestimmt waren und aus Über­see im Dan­zi­ger Hafen ein­tra­fen. Statt nach Polen wur­den die Wagons in ande­re Län­der umge­lei­tet, wo man hohe Prei­se für Mas­sen­gü­ter wie Getrei­de und Koh­len zahlte.

Als der Dollar stieg 

Ein wei­te­rer Fak­tor, der dem Schmug­gel in Dan­zig zusätz­li­chen Auf­trieb gab, war die ein­set­zen­de Hyper­in­fla­ti­on. Im Stadt­staat blieb bis 1923 die Papier­mark der Wei­ma­rer Repu­blik die offi­zi­el­le Wäh­rung. Der Wert­ver­lust der Mark ver­teu­er­te nicht nur die Lebens­mit­tel und Brenn­stof­fe, son­dern mach­te die ille­ga­le Ein­fuhr von Devi­sen und Edel­me­tal­len zu einem lukra­ti­ven Geschäft. Durch die Infla­ti­on ver­lor nicht nur die deut­sche, son­dern auch die pol­ni­sche Mark gegen­über ande­ren Wäh­run­gen rasant an Wert. In Polen wur­de des­halb die Wäh­rungs­aus­fuhr ver­bo­ten, um den Kurs zu sta­bi­li­sie­ren. Die Bewoh­ner ver­such­ten trotz­dem, sowohl pol­ni­sche als auch deut­sche Mark, die in den ehe­ma­li­gen preu­ßi­schen Gebie­ten noch vor­han­den waren, nach Dan­zig ein­zu­schmug­geln, um sie gegen Devi­sen oder Edel­me­tal­le einzutauschen.

Die Dan­zi­ger Bör­se im Artus­hof war in der Nach­kriegs­zeit der ein­zi­ge Ort außer­halb Polens, an dem die pol­ni­sche Wäh­rung gehan­delt wer­den konn­te, und ab 1922 waren dort auch ame­ri­ka­ni­sche Dol­lar und bri­ti­sche Pfund zu haben. Neben der offi­zi­el­len Bör­se im Artus­hof ent­stand auf der Lang­gas­se eine ille­ga­le Bör­se, die soge­nann­te »Schwar­ze Bör­se«, und Wech­sel­stu­ben schos­sen wie Pil­ze aus dem Boden. Zur Hoch­zeit der Infla­ti­on war Dan­zig ein inter­na­tio­na­ler Finanz­platz, und Devi­sen­händ­ler ström­ten aus Polen und dem Deut­schen Reich in den Stadt­staat – sehr zum Miss­fal­len der pol­ni­schen Regie­rung, die im Som­mer 1923 sogar alle Tele­fon­ver­bin­dun­gen zwi­schen Polen und der Frei­en Stadt für eini­ge Tage unter­brach, um gegen die Spe­ku­la­tio­nen vor­zu­ge­hen. Die Ära des Devisen- und Nah­rungs­mit­tel­schmug­gels ende­te schließ­lich im Herbst 1923 mit der Ein­füh­rung einer eige­nen Dan­zi­ger Wäh­rung, des Gul­den, der an das bri­ti­sche Pfund gekop­pelt war.

Der Dan­zi­ger Schrift­stel­ler Felix Scher­ret hat die­se tur­bu­len­te Infla­ti­ons­zeit im Roman Der Dol­lar steigt ver­ewigt. Auch der Pro­tagonist die­ses Buches, Alfred Arp, spe­ku­liert an der Bör­se und ver­dient sich einen Teil sei­nes Gel­des als Schmugg­ler. Er bringt Koka­in aus Polen im Tank sei­nes Autos ver­steckt nach Dan­zig. Koka­in, das in den Zwan­zi­gern noch auf Rezept in Apo­the­ken erhält­lich war, spiel­te unter den Schmug­gel­gü­tern der Zwi­schen­kriegs­zeit frei­lich nur eine sehr unter­ge­ord­ne­te Rolle.

Spiritus für Skandinavien

Es war das Ver­bot einer ande­ren Dro­ge, das Dan­zig in den Zwan­zi­gern zur Dreh­schei­be für inter­na­tio­na­len Schmug­gel mach­te – die Alko­hol­pro­hi­bi­ti­on in den skan­di­na­vi­schen Län­dern. Noch vor den Ver­ei­nig­ten Staa­ten führ­te Finn­land 1919 ein tota­les Alko­hol­ver­bot ein, Schwe­den erschwer­te durch das Bratt-System den Kauf für alle Ein­woh­ner und ver­bot den Kon­sum für bestimm­te Per­so­nen­grup­pen kom­plett, wäh­rend Nor­we­gen zeit­wei­se den Ver­kauf von Geträn­ken mit mehr als 20 Pro­zent Alko­hol­ge­halt unter­sag­te. Getrun­ken wur­de natür­lich trotz­dem, vor allem geschmug­gel­ter Alko­hol aus Mitteleuropa. 

Für die Schmugg­ler war Dan­zig sehr güns­tig gele­gen zwi­schen den Absatz­märk­ten im Nor­den und den gro­ßen Her­stel­ler­län­dern im Süden und Wes­ten. Auch wenn die eine oder ande­re Fla­sche »Dan­zi­ger Gold­was­ser« den Weg nach Finn­land fand, war es vor allem Spi­ri­tus, der geschmug­gelt wur­de. Des­sen Vor­tei­le lagen auf der Hand: Durch den hohen Alko­hol­ge­halt von über 95 Pro­zent nahm Spi­ri­tus wenig Platz auf den Boo­ten ein und konn­te teu­er ver­kauft wer­den. Die nor­di­schen Ver­brau­cher ver­dünn­ten den Spi­ri­tus und misch­ten sich dann das Getränk ihrer Wahl zurecht. ­Außer­dem war Spi­ri­tus nach dem Ers­ten Welt­krieg sehr güns­tig von den natio­na­len Alko­hol­mo­no­po­len zu bekom­men, denn fast jedes Land hat­te einen Pro­duk­ti­ons­über­schuss, so auch Polen, Deutsch­land und die Tsche­cho­slo­wa­kei. Die loka­len Dan­zi­ger Sprit­wer­ke in Neu­fahr­was­ser pro­du­zier­ten bei wei­tem nicht so günstig. 

Nur wäh­rend der Anfangs­jah­re um 1920 fand der Schmug­gel in klei­ne­rem For­mat direkt mit schnel­len Boo­ten von Küs­te zu Küs­te statt. Der Dan­zi­ger Hafen bot den Vor­teil einer Frei­zo­ne, die aus Lager­flä­chen bestand, die nicht Teil des Dan­zi­ger Zoll­ge­biets waren. Durch die Frei­zo­ne soll­te vor allem der Tran­sit­han­del über Dan­zig erleich­tert wer­den, indem man den Kauf­leu­ten ermög­lich­te, Waren ohne Zoll­ab­fer­ti­gung ein­zu­füh­ren, umzu­pa­cken und wei­ter ins Aus­land zu ver­schif­fen. Für die nor­ma­le Wirt­schaft hat­te die Frei­zo­ne nur unter­ge­ord­ne­te Bedeu­tung. Die Schmugg­ler hin­ge­gen ver­moch­ten immens davon zu pro­fi­tie­ren, denn der in Kes­sel­wa­gen über den Schie­nen­weg ein­tref­fen­de Spi­ri­tus konn­te in Dan­zig in Blech­ka­nis­ter umge­füllt und ver­schifft wer­den. Die­ses Pro­ze­de­re war nach der loka­len Gesetz­ge­bung legal, und Fir­men wie die Holm Export und Han­dels­ge­sell­schaft mit Sitz am Koh­len­markt ent­stan­den, die sich nur mit dem Alko­hol­ex­port zu Schmug­gel­zwe­cken befassten. 

Die Holm Export ließ den Spi­ri­tus auf gro­ße Schif­fe ver­la­den, und die Schiffs­mak­ler gaben in den Regis­tern sogar offen die Ziel­hä­fen in den Pro­hi­bi­ti­ons­län­dern an. Statt die­se anzu­steu­ern, blie­ben die Schif­fe aber außer­halb der Hoheits­ge­wäs­ser für Wochen und Mona­te wie eine Art schwim­men­der Ver­kaufs­stand lie­gen. Im Jahr 1924 doku­men­tier­te ein loka­ler Alko­hol­geg­ner, dass ein Spi­ri­tus­schiff ost­wärts von Kiel nach Dan­zig segel­te und spä­ter, ohne sei­ne Ladung gelöscht zu haben, gar wei­ter west­wärts nach Ham­burg fuhr. Bei sol­chen Fahr­ten war der Zweck, unter­wegs Spi­ri­tus zu ver­kau­fen, offen­sicht­lich. Im sel­ben Jahr ver­zeich­ne­ten die Regis­ter des Dan­zi­ger Hafens Schif­fe, die mit Alko­hol bela­den aus Finn­land nach Dan­zig fuh­ren. Das bedeu­te­te frei­lich nicht, dass Alko­hol aus einem Pro­hi­bi­ti­ons­land impor­tiert wur­de. Viel­mehr brach­ten die­se Schif­fe ledig­lich unver­kauf­ten Spi­ri­tus zurück.

Auf­grund der unter­schied­li­chen Lie­fe­ran­ten, Abneh­mer und betei­lig­ten Per­so­nen waren die Schmug­gel­netz­wer­ke inter­na­tio­nal. Sowohl Dan­zi­ger als auch pol­ni­sche, deut­sche und ande­re Natio­na­li­tä­ten orga­ni­sier­ten und stell­ten die Besat­zun­gen der Schif­fe. Über die Hin­ter­män­ner und die Finan­zie­rung des Schmug­gels ist wenig bekannt. Wenn die­se ein­mal ans Licht kom­men, dann wir­ken sie im Rück­blick über­ra­schend, denn sie legen häu­fig nahe, dass auch ehr­bar anmu­ten­de Dan­zi­ger Bür­ger invol­viert waren. Dies lässt sich am Bei­spiel eines Schmie­de­meis­ters able­sen, der 1930 heim­lich 4.400 Gul­den aus der Kas­se der Schmie­dein­nung ent­wen­det hat­te, um sie in ein Schmug­gel­schiff zu inves­tie­ren. Nach­dem das Schiff jedoch von Grenz­be­am­ten auf­ge­spürt und kon­fis­ziert wor­den war, konn­te der Schmied das Geld nicht mehr erset­zen: Der Dieb­stahl und des­sen Hin­ter­grün­de flo­gen auf.

Torpedos, Schnellboote und fremde Flaggen

Vor Finn­land waren es vor allem loka­le est­ni­sche und fin­ni­sche Schmugg­ler, die den Spi­ri­tus von den Schif­fen kauf­ten und sich mit dem fin­ni­schen Grenz­schutz ein Ver­steck­spiel lie­fer­ten. Dazu wur­den auf bei­den Sei­ten vie­ler­lei Tricks ange­wandt. Schon auf den Mut­ter­schif­fen wur­den die Spi­ri­tus­ka­nis­ter bei­spiels­wei­se in einer Rei­he anein­an­der gebun­den, um sie wie eine Art Tor­pe­do unter dem Was­ser­spie­gel – und für die Zöll­ner aus grö­ße­rer Distanz mit­hin unsicht­bar – hin­ter dem Boot her­zu­zie­hen, anstatt die Kanis­ter an Deck ver­la­den zu müs­sen. Bei die­ser Tech­nik bestand zudem noch eine Chan­ce, die »Tor­pe­dos« noch recht­zei­tig über Bord zu wer­fen, wenn sich ein Zoll­boot näher­te. Mit Hil­fe einer ande­ren Erfin­dung ver­moch­te man den Alko­hol dann mit etwas Glück auch in der Ost­see wie­der­zu­fin­den: Eine her­kömm­li­che Boje wur­de mit Salz beschwert und an den Tor­pe­do gebun­den. Durch das zusätz­li­che Gewicht ver­sank die Boje zunächst mit den Kanis­tern und war für die Gren­zer nicht erkenn­bar. Nach­dem sich das Salz auf­ge­löst hat­te, kam der Schwimm­kör­per aber wie­der an die Was­ser­ober­flä­che und erleich­ter­te die Suche für die Schmugg­ler. Eine gro­ße Rol­le spiel­te nicht zuletzt die Boots­ge­schwin­dig­keit. Hier fand zwi­schen den Schmugg­lern und dem Grenz­schutz ein regel­rech­tes Wett­rüs­ten statt, wobei Letz­te­rer auch kon­fis­zier­te Schmug­gel­boo­te nutzte. 

In Est­land und Finn­land gibt es in der Popu­lär­li­te­ra­tur und im Film zahl­rei­che roman­ti­sie­ren­de Dar­stel­lun­gen des Alko­hol­schmug­gels. In Wirk­lich­keit schreck­ten die orga­ni­sier­ten Ban­den aber kei­nes­wegs vor Waf­fen­ge­walt zurück, und die soge­nann­ten Syn­di­ka­te lie­fer­ten sich erbit­ter­te Revier­kämp­fe. Durch die nied­ri­gen Spi­ri­tus­prei­se waren auch Län­der Ziel der Schmugg­ler, in denen es kein Alko­hol­ver­bot gab, bei­spiels­wei­se die bal­ti­schen Staa­ten. Hier ope­rier­te ein Dan­zi­ger Schmug­gel­schiff, das den harm­los anmu­ten­den Namen Wil­li trug, aber durch sei­ne Pan­ze­rung eher einem Kriegs­schiff glich. Vor der litaui­schen Küs­te kam es Anfang 1926 zwi­schen der Besat­zung und dem Grenz­schutz zu einer Schie­ße­rei. Gegen die Maschi­nen­ge­weh­re der Gren­zer hal­fen weder Pan­ze­rung noch Pis­to­len, und der Kapi­tän und ein wei­te­res Crew­mit­glied wur­den erschos­sen. Sol­che Todes­fäl­le schreck­ten die Schmugg­ler aber nicht son­der­lich ab. 1930 wur­de das Dan­zi­ger Schmug­gel­schiff Anni sogar von meh­re­ren Flug­zeu­gen der let­ti­schen Armee bom­bar­diert, nach­dem es die­se beschos­sen hat­te, und die Besat­zung muss­te sich ergeben. 

Die nor­di­schen Län­der ver­such­ten ver­ständ­li­cher­wei­se, den Alko­hol­ex­port zu unter­bin­den. Dazu wur­de nach zähem Rin­gen – die ande­ren Staa­ten fürch­te­ten eine Stö­rung des regu­lä­ren Han­dels – 1925 in Hel­sin­ki ein Abkom­men geschlos­sen und von den Anrai­ner­staa­ten, dar­un­ter auch Dan­zig, suk­zes­si­ve rati­fi­ziert. Der Ver­trag ver­bot den Alko­hol­ex­port aus den Ost­see­län­dern für klei­ne­re Schif­fe mit weni­ger als 100 Net­to­re­gis­ter­ton­nen (NRT) und erschwer­te den Trans­port für grö­ße­re Schif­fe. Die fin­ni­schen Anstren­gun­gen erwie­sen sich aller­dings als ver­geb­lich, denn nun wur­den die Schmug­gel­schif­fe noch grö­ßer und fuh­ren unter Flag­gen von Län­dern, die das Abkom­men nicht unter­zeich­net hat­ten. Ein Teil die­ser Staa­ten hat­te nicht ein­mal einen direk­ten Mee­res­zu­gang. Für die Regis­trie­rung war dies aber gar nicht not­wen­dig; dazu bedurf­te es nur eines Kon­su­lats, und Dan­zig hat­te als Freie Stadt Dut­zen­de davon. Die Schif­fe regis­trier­te man z. B. in Län­dern wie der Tür­kei, der Tsche­cho­slo­wa­kei, Ungarn oder Pana­ma. – Erst das Ende der Pro­hi­bi­ti­on in Finn­land 1931 brach­te einen merk­li­chen Abschwung des Alko­hol­schmug­gels, bedeu­te­te aber nicht des­sen Ende.

Sprit aus dem Freihafen und Schuhe aus Marienburg

Der Schmug­gel hat­te für Dan­zig vie­ler­lei nega­ti­ve Aus­wir­kun­gen. So führ­ten die nied­ri­gen Spi­ri­tus­prei­se im Frei­ha­fen dazu, dass Alko­hol auch nach Dan­zig selbst ein­ge­schmug­gelt wur­de. Der Dan­zi­ger Grenz­schutz ver­füg­te nur über zwei Motor­boo­te und konn­te die Küs­te des Stadt­staa­tes nicht kon­trol­lie­ren. Die Dan­zi­ger Zoll­be­am­ten waren auch nicht son­der­lich moti­viert, denn die Dan­zi­ger Zoll­di­rek­ti­on wur­de von Polen ver­wal­tet, wäh­rend den Groß­teil der Ange­stell­ten deut­sche Dan­zi­ger bil­de­ten. Die­se sahen in der pol­ni­schen Kon­trol­le, die durch eini­ge weni­ge lei­ten­de Beam­ten aus­ge­übt wur­de, eine Bevor­mun­dung. Nicht sel­ten stan­den auch Dan­zi­ger Zoll­be­am­te vor Gericht, weil sie selbst am Schmug­gel betei­ligt waren und sich zu berei­chern gesucht hatten. 

Aus den Zoll­ein­nah­men erhielt Dan­zig nur einen gerin­gen Teil, und die­ser wur­de durch den Schmug­gel noch geschmä­lert. Als der Frei­staat 1930 die Alko­hol­steu­er von vier auf acht Gul­den erhöh­te, sank der Alko­hol­kon­sum nach amt­li­chen Sta­tis­ti­ken um 70 Pro­zent. Eher unwahr­schein­lich, dass so vie­le Dan­zi­ger abs­ti­nent wur­den. Weit wahr­schein­li­cher ist wohl, dass danach noch­mals ver­stärkt geschmug­gel­ter Alko­hol kon­su­miert wur­de. So berich­te­te der Dan­zi­ger Bow­ke Bru­n­on Zwar­ra in sei­nen Erin­ne­run­gen, dass er sich mit Alkohol- und Tabak­schmug­gel aus dem Frei­ha­fen gern etwas dazu­ver­dient habe.

Für die Dan­zi­ger blieb der Schmug­gel aller Arten von Gütern nach den Hun­ger­jah­ren der Nach­kriegs­zeit eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Auch die Pro­du­zen­ten stell­ten sich dar­auf ein. In den Schuh­ge­schäf­ten der Innen­stadt wur­den stets die neu­es­ten Model­le deut­scher Fir­men aus­ge­stellt, nur kauf­te laut den Erin­ne­run­gen Fried­rich von Wil­perts fast nie­mand dort ein. Statt­des­sen waren die Prei­se nicht nur in Dan­zi­ger Gul­den, son­dern auch in Reichs­mark ange­ge­ben, weil die Her­stel­ler wuss­ten, dass die Ein­woh­ner sowie­so nach Mari­en­burg oder Elb­ing fah­ren wür­den, um die Schu­he dort güns­ti­ger zu kau­fen. Die Laden­be­sit­zer hiel­ten hier fei­nes Sand­pa­pier bereit, damit die Dan­zi­ger Kun­den ihren Schu­hen ein leicht gebrauch­tes Aus­se­hen ver­schaf­fen konn­ten, bevor sie wie­der in die Freie Stadt zurück­kehr­ten. Als ähn­lich trick­reich erwie­sen sich deut­sche Phar­ma­her­stel­ler, deren Medi­ka­men­te in Polen nicht zuge­las­sen waren, aber in Dan­zig ver­kauft wer­den durf­ten. Sie ver­trie­ben ihre Pro­duk­te über Ver­sand­apo­the­ken in der Frei­en Stadt an pol­ni­sche Kun­den, denn der Paket­ver­kehr zwi­schen Dan­zig und Polen wur­de nicht kontrolliert.

Schmuggelnde Senatoren und verschwiegene Danziger 

Bei all sei­ner All­täg­lich­keit hat­te Schmug­gel in Dan­zig ver­schie­de­ne Facet­ten und Moti­va­tio­nen: Hun­ger, Armut, Geld­gier und kri­mi­nel­le Ener­gie, viel­leicht sahen vie­le Dan­zi­ger den Schmug­gel auch als eine Art Pro­test gegen die unge­woll­te Frei­staat­lich­keit und Abtren­nung vom Deut­schen Reich. Und war­um soll­te sich der Nor­mal­bür­ger zurück­hal­ten, wenn sogar Dan­zi­ger Spit­zen­po­li­ti­ker mit Diplo­ma­ten­päs­sen schmug­gel­ten? Die öffent­li­che Empö­rung blieb weit­ge­hend aus, als der deutsch­na­tio­na­le Sena­tor und spä­te­re Senats­prä­si­dent Ernst Ziehm mit Kof­fern vol­ler Ein­käu­fe, die er nicht beim Zoll dekla­riert hat­te, im Fern­zug von Ber­lin nach Dan­zig ertappt wurde. 

Die pol­ni­schen Zoll­be­am­ten, die jen­seits der Frei­stadt­gren­zen ihren Dienst taten, wur­den von den Dan­zi­gern dage­gen als Feind­bild betrach­tet. Dies mach­ten sich die Nazis zu Nut­ze, und der pol­ni­sche Grenz­schutz wur­de im Lau­fe der 1930er Jah­re immer mehr zur Ziel­schei­be ihrer Pro­pa­gan­da. Nach­dem die über­wie­gen­de Mehr­heit der Frei­stadt­be­woh­ner 1933 natio­nal­so­zia­lis­tisch gewählt hat­te, schlug die­se Dis­kre­di­tie­rung der pol­ni­schen Grenz­trup­pen in offe­ne Gewalt um. Aus dem Deut­schen Reich wur­den Waf­fen zur Aus­rüs­tung loka­ler Nazi-Gruppen nach Dan­zig geschmug­gelt, die noch vor Kriegs­be­ginn pol­ni­sche Grenz­pos­ten angrif­fen, um so Kon­flik­te im Grenz­ge­biet wei­ter anzu­hei­zen. In Kalt­hof wur­de das Wohn­ge­bäu­de pol­ni­scher Gren­zer ange­zün­det, und es gab bei Schuss­wech­seln und Über­fäl­len Tote auf bei­den Sei­ten, wobei die Aggres­sio­nen ein­deu­tig von Sei­ten getarn­ter Dan­zi­ger SA-­Einheiten aus­gin­gen. Der pol­ni­sche Grenz­schutz zog sich aus Kalt­hof zurück, und die Gren­ze nach Ost­preu­ßen stand dort offen für den Trans­port schwe­rer Waf­fen und Sol­da­ten für den zu Kriegs­be­ginn geplan­ten Angriff auf pol­ni­sche Insti­tu­tio­nen in Danzig.

Aus his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve ist die Erfor­schung von Schmug­gel schwie­rig, denn nach­dem die Schmugg­ler die Gren­ze erfolg­reich pas­siert haben, bleibt er schließ­lich in der Regel geheim. Nur wenn Schmug­gel miss­lingt, fin­det er den Weg in die Akten und kann der­art zum Gegen­stand der For­schung wer­den. Zudem haf­tet dem Schmug­gel im öffent­li­chen Dis­kurs immer etwas Unmo­ra­li­sches an, so dass die Dan­zi­ger, ob sie nun Deutsch, Pol­nisch, Kaschu­bisch oder eine ande­re Spra­che spra­chen, ungern von sich aus zuge­ben woll­ten, dass sie die gan­ze Zwi­schen­kriegs­zeit hin­durch Schmug­gel betrie­ben haben: In der Regel schmug­gel­ten immer nur die ande­ren. Dass der Schmug­gel in der Frei­en Stadt Dan­zig all­ge­gen­wär­tig war, spie­geln aber unzwei­deu­tig die vie­len Zei­tungs­ar­ti­kel wider, die in den Dan­zi­ger Gazet­ten jener Zeit erschie­nen sind.

Dar­aus erklärt sich viel­leicht auch, war­um in die­ser Zei­tung, die seit 1949 vie­ler­lei Arten von Erin­ne­run­gen an die Frei­stadt­zeit ent­hielt, Schmug­gel bis­her schwer­lich als Teil des Dan­zi­ger All­tags the­ma­ti­siert wur­de und es dem Dan­zi­ger His­to­ri­ker Marek Andrze­jew­ski vor­be­hal­ten geblie­ben ist, in den 90er Jah­ren über­haupt ers­te For­schun­gen zu die­sem Kapi­tel der All­tags­ge­schich­te anzustellen.