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Lachstatar auf Kartoffelpuffer

Das Restaurant „Maszoperia“ in Hela und die Vorgeschichte des Hauses

Es vergeht keine Reise auf die Halbinsel Hela, den „Kuhschwanz“, bei der ich nicht mindestens einmal in der „Maszoperia“ sitze, Fisch esse und etwas trinke. Es ist ein höchst empfeh­lens­wertes Restaurant – und befindet sich zudem in einem für mich und meine Familie ganz beson­deren Haus.

Das Gebäude war das Elternhaus meiner Großmutter Hermine Kroll (1909–1942), später verhei­ratet mit Alfred Henry Zuch. Meine Urgroß­eltern, Ludwig Kroll (1881–1962 ) mit seiner ersten, 1916 verstor­benen Ehefrau Hermine, geb. Hallmann – und später in zweiter Ehe mit Berta, geb. Neumann, aus Leba –, lebten dort noch bis 1945. 1937 waren sie aus Hela vertrieben worden und nach Leba in Pommern gezogen. Nach Beginn des Zweiten Weltkrieges gingen sie Weihnachten 1939 nach Hause zurück, um die Halbinsel dann im April 1945 für immer zu verlassen. – Gebaut wurde das Haus in der Mitte des 19. Jahrhun­derts vermutlich von Ludwig Krolls Großvater, der ebenfalls Ludwig hieß und von 1802 bis 1880 gelebt hat. Heute umfasst die „Maszoperia“ zwei alte Fachwerk­häuser, die letzten beiden in Hela. In dem linken wohnte die Familie Kroll, rechts lebte Familie Kamrath.

Seit meiner ersten Reise nach Hela, im März 1978, ist mir dieses Restaurant vertraut. Links vom Haus gab es früher einen Weg zum Hafen, zur Ostmole ;  im Garten stand ein großer Birnbaum. Wenn wir auf dem Weg vom Bahnhof oder aus der Richtung der evange­li­schen Kirche, dem heutigen Fischerei-Museum, durch Hela  gehen, bildet das Restaurant eine markante Raststation am Ende des Ortes, die – zumindest auf ein Bier – zum Einkehren einlädt. Erst recht begrüßt es dieje­nigen, die Hela von der anderen Seite aus zustreben – vom Außen­strand, von der Bliese oder jetzt, nachdem der Weg durch das Militär wieder freige­geben ist, von der Spitze, vom „Zippel“, herkommend. Es ist dann gleichsam der Vorposten der heelschen Gastlichkeit, bei dem man sich ausruhen bzw. mit (zum Teil noch auf Hela lebenden) deutschen sowie mit polni­schen Freunden zusam­men­kommen kann :  „Wir sehen uns dann bei Opa Kroll ! “ In der „Maszoperia“ wird also viel geschabbert und gelacht, aber auch vorzüglich gegessen. Neben den leiblichen Genüssen vermag das Haus auf mannig­fache Weise unsere Nostalgie zu fördern. Man sitzt im Haupthaus (demje­nigen von Opa Kroll) in kleineren, intimen Räumen, die mit altem Fische­rei­gerät dekoriert sind ;  die Wände zieren viele Fotos aus vergan­genen Zeiten (mit deutscher Unter­schrift), und holzbe­feuerte Kaminöfen spenden in den kälteren Monaten Wärme und Gemütlichkeit.

„Maszoperia“ heißt auf Deutsch „Mannschaft“ und bezeichnet die sozial organi­sierte Form der Fischerei, wie sie in den früheren Tagen (zu Zeiten der Segel­kutter) in Hela und wahrscheinlich auch sonst auf der ganzen Halbinsel üblich war. Ein Segel­kutter war mit meist drei Mann aus unter­schied­lichen Familien besetzt. Sie bildeten die „Mannschaft“. Nach einem alten, geradezu ritua­li­sierten Brauch gingen sie morgens auf dem Weg zum Strand und zu den Booten (der Hafen in Hela wurde erst 1892 gebaut) zunächst zum „Wecken“ der anderen Männer – und dabei gab es dann schon dieses oder jenes „Schluckchen“. (Es war übrigens das Verdienst von Pastor Seeger und seiner Frau, dass sie – Anfang des 20. Jahrhun­derts – das „Blaue Kreuz“ propa­gierten und dadurch den Alkohol­konsum in Hela spürbar senken konnten). Eine Beson­derheit der heelschen Fischerei war zudem, dass Witwen, wenn sie beim Trietzen, dem Fischen mit einem Zugnetz vom Strand aus, symbo­lisch ihre Hand an die Zugleine legten, den Anteil bekamen, der auch jedem aktiv teilneh­menden Fischer zustand.

Die Tradition der Fischer-Gemeinschaften lässt sich in der Atmosphäre der „Maszoperia“ durchaus noch verspüren. Erst recht prägt sie das Speise­an­gebot. Mein eigenes Leibge­richt bildet Lachs­tatar auf Kartof­fel­puffer. Aber es gibt Fisch freilich auch in mannig­fachen anderen Varianten :  Lachs, gebraten oder gekocht, einge­legte Heringe mit Zwiebeln nach kaschu­bi­schem, aber auch nach jüdischem Rezept, Dorsch­filet, Zander oder Flunder. Wünsche, selbst von ausge­spro­chenen Fisch-Kennern, dürften hier aller­meist in Erfüllung gehen. Unerwähnt bleiben darf freilich auch nicht die Palette schmack­hafter Suppen, bei denen sich für mich ebenfalls bestätigt, welch hohes Niveau die Kochkunst in Polen erreicht hat. Dabei zeichnet sich die Küche der „Maszoperia“ sowohl durch ihre hohe Qualität als auch durch ihre Boden­stän­digkeit aus. Dass zum Essen ein ordent­liches Bier gehört und das Mahl erst mit einem oder zwei guten polnische Wodkas einen angemes­senen Abschluss findet, braucht hier vermutlich nicht weiter ausge­führt zu werden.

Nicht zuletzt dank der „Maszoperia“ wird Opa Kroll für uns also nicht in Verges­senheit geraten !

Jürgen Zuch