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Kontextualisierung tut not

Vom Reiterstandbild bis zur modernen Erinnerungskultur

Von Alexander Kleinschrodt

Durch Denkmäler wird der öffentliche Raum zu einer Bühne für die Inszenierung der Vergangenheit. Ihre Gestalt und Aussage waren aber selten unumstritten – und werden auch heute vielerorts wieder diskutiert. Ein Überblick mit Impressionen aus Westpreußen und dem Ruhrgebiet.

… einen »sozialen Rahmen« stiften

Wenn man alten Sprach­ge­brauch sowie den Schutz von Kultur- und Natur­er­be außen vor lässt und Denk­mä­ler als Erin­ne­rungs­zei­chen im öffent­li­chen Raum ver­steht, dann wird erkenn­bar, was sie für eine Gesell­schaft leis­ten: Denk­mä­ler erklä­ren ein zurück­lie­gen­des Ereig­nis oder eine zumeist schon ver­stor­be­ne Per­son für denk­wür­dig und heben etwas oder jeman­den aus den will­kür­li­chen Erin­ne­run­gen der ein­zel­nen Men­schen her­aus. Als Insti­tu­tio­nen des Erin­nerns wir­ken sie mit an einem »sozia­len Rah­men«, wie es der fran­zö­si­sche Sozio­lo­ge Mau­rice Halb­wachs aus­ge­drückt hat – einem Rah­men, durch den flüch­ti­gen Gedächt­nis­in­hal­ten eine gewis­se Dau­er­haf­tig­keit und spe­zi­fi­sche his­to­ri­sche Bedeut­sam­keit zuteil­wird. Wer sich heu­te mit dem The­ma »Erin­ne­rungs­kul­tur« beschäf­tigt, wird auch dar­auf sto­ßen, dass Mau­rice Halb­wachs, der die­ses Gebiet als einer der ers­ten sys­te­ma­tisch erforscht hat, im März 1945 als Häft­ling des Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers Buchen­wald zu Tode gekom­men ist. Das Lager ist heu­te selbst zu einer Insti­tu­ti­on des Erin­nerns, zu einer Gedenk­stät­te geworden. 

Wäh­rend Gedenk­stät­ten, ins­be­son­de­re sol­che für trau­ma­ti­sche Ereig­nis­se, sich in der Regel an dem authen­ti­schen Ort des his­to­ri­schen Gesche­hens befin­den, wer­den Denk­mä­ler an ver­schie­dens­ten Plät­zen errich­tet. Sie schaf­fen damit selbst eine eige­ne, neue Raum­er­fah­rung: Bereits eine klei­ne Skulp­tur auf einem städ­ti­schen Platz kann den öffent­li­chen Raum zu einer Büh­ne des Erin­nerns machen. In Ber­lin sind seit 1990 zahl­rei­che Denk­mä­ler ent­stan­den, die Fül­le der Orte und The­men ist kaum zu über­bli­cken. Das Bekann­tes­te unter den Ber­li­ner Denk­mä­lern dürf­te heu­te jenes für die ermor­de­ten Juden Euro­pas nach Ent­wurf von Peter Eisen­man sein, wäh­rend das im Bau befind­li­che Freiheits- und Ein­heits­denk­mal am Humboldt-Forum (»Ein­heits­wip­pe«) zur­zeit wohl das Umstrit­tens­te ist. Es ist in den heu­ti­gen moder­nen Gesell­schaf­ten, in denen sich vie­le ver­schie­de­ne Inter­es­sen­grup­pen zu Wort mel­den kön­nen, nicht mehr leicht, für ein­schnei­den­de his­to­ri­sche Ereig­nis­se im öffent­li­chen Raum einen kon­sens­fä­hi­gen Aus­druck gemein­sa­mer Erin­ne­rung zu finden.

Ein Groß­teil der heu­te in euro­päi­schen Städ­ten vor­han­de­nen Denk­mä­ler ist wäh­rend des 19. Jahr­hun­derts errich­tet wor­den. Herr­schern wur­de häu­fig, anti­ken Vor­bil­dern fol­gend, mit Rei­ter­stand­bil­dern gehul­digt. Hin­zu kamen nun aber ver­mehrt auch Denk­mä­ler für Künst­ler, Lite­ra­ten und Kom­po­nis­ten, so wie das 1857 auf­ge­stell­te Dop­pel­stand­bild für Goe­the und Schil­ler in Wei­mar oder das 1872 errich­te­te Ensem­ble von Sta­tu­en für Leo­nar­do da Vin­ci in Mai­land. Aus heu­ti­ger Per­spek­ti­ve fällt natür­lich auf, dass fast kei­ne Frau­en auf die­se Wei­se geehrt wur­den. Die Erin­ne­rungs­zei­chen dien­ten auch nicht ein­fach nur der Kunst, mit ihnen wur­de in vie­len Staa­ten Euro­pas ein natio­na­les Selbst­be­wusst­sein aus­ge­stellt: Die Künst­ler­per­sön­lich­kei­ten und ihre Wer­ke wur­den zugleich immer auch als das »Erbe einer Nati­on« begrif­fen. Die Ent­hül­lung eines Denk­mals wur­de daher oft­mals wie ein Ritu­al insze­niert. In der Wal­hal­la bei Donaus­tauf ließ der bay­ri­sche König Lud­wig I. um 1840 eine Fül­le von Denk­mä­lern für his­to­ri­sche Per­sön­lich­kei­ten – dar­un­ter Köni­ge eben­so wie Künst­ler – in einer Gedenk­stät­te zusam­men­fas­sen, mit der an eine erst noch zu schaf­fen­de natio­na­le Iden­ti­tät der Deut­schen appel­liert wurde.

Städtische Erinnerungslandschaften

Selbst in klei­ne­ren Städ­ten bil­den alle Denk­mä­ler, die wie selbst­ver­ständ­lich das Stadt­bild prä­gen und an denen man im All­tag zumeist acht­los vor­bei­geht, eine Art Erin­ne­rungs­land­schaft. Die­se wird sogar noch deut­lich umfang­rei­cher, wenn man auch die Benen­nung von Stra­ßen berück­sich­tigt. Wäh­rend es im Stadt­raum nur weni­ge reprä­sen­ta­ti­ve Stell­plät­ze für plas­ti­sche Denk­mä­ler gibt, braucht jede Stra­ße einen Namen – wenn man von Aus­nah­men wie Mann­heim oder auch man­chen ame­ri­ka­ni­schen Städ­ten absieht, in denen Stra­ßen ein­fach durch­num­me­riert wor­den sind. Das Auf­stel­len eines Stra­ßen­schil­des ist außer­dem deut­lich kos­ten­güns­ti­ger als die Pla­nung und Rea­li­sie­rung eines Denk­mals. So wird in Paris der zwi­schen dem Eif­fel­turm und der Sei­ne ver­lau­fen­de Quai Jac­ques Chi­rac wahr­schein­lich noch lan­ge an den ehe­ma­li­gen Staats­prä­si­den­ten erin­nern. In Lon­don kann man das bestä­tigt sehen: Schon seit 1843 ver­weist dort die Säu­le für Hora­tio Nel­son auf dem Tra­fal­gar Squa­re auf den Admi­ral und den Sieg von Groß­bri­tan­ni­ens Mari­ne gegen Frank­reich und Spa­ni­en an der Atlan­tik­küs­te im Jah­re 1805.

Ein genaue­rer Blick auf den Lon­do­ner Tra­fal­gar Squa­re führt dann jedoch wie­der direkt in die Gegen­wart. Unter den vier Sockeln in den Ecken der Platz­an­la­ge war einer seit der Erbau­ungs­zeit ver­waist geblie­ben, da für ein geplan­tes Rei­ter­stand­bild König Wil­helms IV. das Geld gefehlt hat­te. In den 1990er Jah­ren wur­de dann damit begon­nen, auf die­ser »vier­ten Plin­the« wech­seln­de zeit­ge­nös­si­sche Skulp­tu­ren zu zei­gen. Der von einer »glor­rei­chen« natio­na­len Geschich­te erzäh­len­de Tra­fal­gar Squa­re wur­de dadurch immer wie­der um neue Bedeu­tun­gen erwei­tert: Es stand dort schon ein Selbst­por­trät der ohne Arme gebo­re­nen Künst­le­rin Ali­son Lap­per; der deut­sche Künst­ler Hans Haa­cke setz­te sich in sei­ner Plas­tik kri­tisch mit den Finanz­märk­ten aus­ein­an­der; und Micha­el Rako­witz erin­ner­te hier mit der his­to­ri­sie­ren­den Dar­stel­lung eines assy­ri­schen Schutz­dä­mons an die Zer­stö­rung von ira­ki­schen Kul­tur­gü­tern durch den soge­nann­ten Isla­mi­schen Staat. Zur­zeit ist auf dem Tra­fal­gar Squa­re eine Dar­stel­lung des mala­wi­schen Geist­li­chen John Chil­emb­we zu sehen, die von dem Künst­ler Sam­son Kam­ba­lu gefer­tigt wur­de. Nach dem Tod von Köni­gin Eli­sa­beth II. wird nun aber dis­ku­tiert, ob der vier­te Platz nicht dau­er­haft die­ser his­to­ri­schen Per­sön­lich­keit gebüh­ren sollte.

Streitfall „Ehrenmal“

Die Erin­ne­rungs­land­schaf­ten sind inzwi­schen vie­ler­orts in Bewe­gung gekom­men. Neue The­men und Ereig­nis­se ver­lan­gen nach Auf­merk­sam­keit, wäh­rend älte­re Denk­mä­ler, die für vie­le Men­schen wie selbst­ver­ständ­lich »zum Stadt­bild gehö­ren«, Gegen­stand kri­ti­scher Dis­kus­sio­nen wer­den. Die­se Ent­wick­lung gibt es in vie­len Län­dern. In Deutsch­land führt sie dazu, dass sich bei­spiels­wei­se Hin­den­burg­stra­ßen, Kai­ser­plät­ze und auch das Her­manns­denk­mal im Teu­to­bur­ger Wald die Fra­ge gefal­len las­sen müs­sen, wor­an hier eigent­lich erin­nert wird. Die kri­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen fin­den in ganz unter­schied­li­cher Form statt. Sie rei­chen von nüch­ter­nen kom­mu­nal­po­li­ti­schen Debat­ten bis hin zu ein­zel­nen gewalt­tä­ti­gen Aktio­nen wie etwa dem Nie­der­rei­ßen einer Sta­tue des durch Skla­ven­han­del reich gewor­de­nen Edward Col­s­ton im eng­li­schen Bristol.

Die Auf­re­gung über sol­che Über­grif­fe soll­te nicht ver­de­cken, dass es längst vie­le kon­struk­ti­ve Pro­jek­te zum Umgang mit pro­ble­ma­ti­schen Denk­mä­lern gibt. Ein beson­ders sub­ti­ler Debat­ten­bei­trag kommt aus Wien. Dort stand das 1926 errich­te­te Ehren­mal für Karl Lue­ger seit lan­gem in der Kri­tik. Lue­ger war ent­schei­dend am Aus­bau Wiens zur moder­nen Groß­stadt betei­ligt. Er war aber auch ein Dem­ago­ge und Anti­se­mit und gilt als eines der poli­ti­schen Vor­bil­der von Adolf Hit­ler. In Wien wur­de nun beschlos­sen, das Lueger-Ehrenmal durch eine »künst­le­ri­sche Inter­ven­ti­on« absichts­voll in ein neu­es Licht zu set­zen: Dem Vor­schlag des Künst­lers Kle­mens Wih­li­dal fol­gend, soll das Lueger-Standbild aus Bron­ze mit­samt sei­nem Sockel um 3,5 Grad gekippt wer­den. Die­ser gera­de­zu kleinst­mög­li­che Ein­griff lässt jeden Vor­be­halt gegen eine ver­meint­li­che »Bil­der­stür­me­rei« ins Lee­re lau­fen. Er wird aber den­noch nicht zu über­se­hen sein und damit der kri­ti­schen Neu­be­wer­tung auf klu­ge Wei­se Aus­druck ver­lei­hen. Die Zei­tung Die Pres­se lob­te das Vor­ha­ben »als Sym­bol dafür, dass mit der hier ver­herr­lich­ten Per­son schlicht etwas nicht in Ord­nung ist«.

Ein ande­res Argu­ment hat der His­to­ri­ker Jens-Christian Wag­ner ins Spiel gebracht, der bereits meh­re­re Gedenk­stät­ten in ehe­ma­li­gen natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern gelei­tet hat. Der Ent­fer­nung von Denk­mä­lern ste­he er kri­tisch gegen­über, weil er sie »für zeit­his­to­ri­sche Doku­men­te hal­te«. Zur Dis­kus­si­on um ein Denk­mal zu Ehren einer Wehr­machts­di­vi­si­on in Lüne­burg aus dem Jahr 1960 sag­te Wag­ner im Inter­view mit dem Deutsch­land­funk, dass es doku­men­tie­re, »wie sich in den 60er Jah­ren ein restau­ra­ti­ver, ver­schwei­gen­der, beschö­ni­gen­der und eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den NS-Verbrechen aus dem Weg gehen­der Dis­kurs« über die Geschich­te gelegt habe. »Kon­tex­tua­li­sie­ren« ist für Wag­ner daher das Schlüs­sel­wort beim Umgang mit pro­ble­ma­ti­schen Denk­mä­lern: »Sie müs­sen erklärt wer­den, sie müs­sen erläu­tert wer­den, sie müs­sen in einen Zusam­men­hang gestellt werden.«

Copernicus in Thorn und Warschau – Denkmäler mit eigener Geschichte

Gewis­ser­ma­ßen etwas abseits der aktu­el­len Debat­ten kann auch in der his­to­ri­schen Pro­vinz West­preu­ßen eine cha­rak­te­ris­ti­sche Erin­ne­rungs­land­schaft besich­tigt wer­den. In ganz Polen gibt es, wie Peter Oli­ver Loew, der Direk­tor des Deut­schen Polen-Instituts in Darm­stadt, fest­stellt, »Gedenk­stät­ten, Denk­mä­ler, Tafeln, Hin­weis­schil­der, Stra­ßen­na­men und Muse­en«, mit denen an die Geschich­te erin­nert wird, »die Deut­sche dem Land im Zwei­ten Welt­krieg auf­ge­zwun­gen haben«. Doch gibt es auch eini­ge älte­re oder noch recht neue Denk­mä­ler, die zum Teil ganz ande­re Geschich­ten erin­nern und Auf­schluss geben über die beson­de­re Iden­ti­tät der Regi­on am Unter­lauf der Weichsel.

Eine Schlüs­sel­fi­gur ist in die­ser Hin­sicht der Astro­nom und Dom­herr Nico­laus Coper­ni­cus, der 1473 in Thorn gebo­ren wur­de. Auf dem Alt­städ­ti­schen Markt wur­de ihm im Jah­re 1853 ein Denk­mal errich­tet. Der Ent­wurf für das auf einem hohen Sockel plat­zier­te Stand­bild kam von dem Ber­li­ner Bild­hau­er Chris­ti­an Fried­rich Tieck. Obwohl die­ses Denk­mal von der deut­schen Bür­ger­schaft Thorns initi­iert und sei­ne Errich­tung vom preu­ßi­schen Staat begrüßt wur­de, kam es ohne einen aus­drück­li­chen Hin­weis auf eine Natio­na­li­tät von Coper­ni­cus aus, der einer deutsch­spra­chi­gen Fami­lie ent­stamm­te, sich aber als Unter­tan des pol­ni­schen Königs ver­stand. Statt Coper­ni­cus natio­nal zu ver­ein­nah­men, stellt das Thor­ner Denk­mal viel­mehr die uni­ver­sel­len wis­sen­schaft­li­chen Ver­diens­te des Gelehr­ten her­aus – sein Ein­tre­ten für das helio­zen­tri­sche Welt­bild – und bin­det die­se lokal­pa­trio­tisch an die Stadt Thorn selbst zurück: »Nico­laus Coper­ni­cus Thor­u­nen­sis« lau­tet die latei­ni­sche Inschrift auf dem Sockel des Denk­mals. So konn­te es in spä­te­rer Zeit auch umstands­los zu einem Denk­mal für den nun als pol­ni­schen Natio­nal­hel­den begrif­fe­nen Coper­ni­cus werden.

Die Geschich­te des bereits 1830 auf­ge­stell­ten Copernicus-Denkmals in War­schau bil­det dage­gen die kom­pli­zier­ten Bezie­hun­gen zwi­schen Deutsch­land und Polen ab. Als unab­hän­gi­ger Staat exis­tier­te Polen zu die­ser Zeit nicht: Es war Ende des 18. Jahr­hun­derts in meh­re­ren Schrit­ten, den drei Tei­lun­gen Polens, unter Preu­ßen, Öster­reich-Ungarn und Russ­land auf­ge­teilt wor­den. Das Copernicus-­Denkmal stand aber für das ideel­le Fort­be­stehen Polens, wobei sei­ne erin­ne­rungs­po­li­ti­sche Stoß­rich­tung nicht pri­mär gegen Preu­ßen gerich­tet war, son­dern eher gegen Russ­land, zu des­sen Tei­lungs­ge­biet War­schau gehör­te. Auf dem Sockel spricht das pol­ni­sche »Vater­land« Coper­ni­cus sei­nen Dank aus (»Nico­lao Coper­ni­co Gra­ta Patria«). Weni­ge Mona­te nach der Auf­stel­lung des Denk­mals begann der »Novem­ber­auf­stand«, der für eine Los­lö­sung Polens von Russ­land ein­stand. Die­ses letzt­lich erfolg­lo­se revo­lu­tio­nä­re Gesche­hen wur­de wie­der­um von deut­schen Repu­bli­ka­nern mit gro­ßer Anteil­nah­me ver­folgt. Es kam zu einer regel­rech­ten »Polen­be­geis­te­rung«, denn in dem Auf­stand der Polen sahen die fort­schritt­lich gesinn­ten Deut­schen einen Teil einer euro­päi­schen Freiheitsbewegung.

Als mehr denn ein Jahr­hun­dert spä­ter das natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Deutsch­land im Zwei­ten Welt­krieg Polen besetz­te, wur­de das War­schau­er Denk­mal von deut­scher Sei­te ver­ein­nahmt: Eine neu ange­brach­te Tafel wies Coper­ni­cus nun als »gro­ßen Deut­schen« aus. Der pol­ni­sche Wider­stand rekla­mier­te das Denk­mal jedoch wei­ter­hin für sich, und ein jun­ger pol­ni­scher Pfad­fin­der ent­fern­te 1942 die deut­sche Beschrif­tung – ein Vor­gang, der als »Copernicus-Aktion« (Akc­ja Koper­nik) zusam­men mit dem Denk­mal in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis Polens ein­ge­gan­gen ist.

Auch in den letz­ten Jah­ren sind in Polen wie­der Copernicus-Denkmäler auf­ge­stellt wor­den. Städ­te, in denen Coper­ni­cus vor über fünf­hun­dert Jah­ren leb­te und tätig war, schmü­cken sich heu­te mit der welt­weit bekann­ten his­to­ri­schen Per­sön­lich­keit. Die neu­en Denk­mä­ler – vor allem das­je­ni­ge in Allen­stein – las­sen Coper­ni­cus nah­ba­rer denn je wir­ken. Die Bron­ze­skulp­tu­ren laden dazu ein, sich neben den Gelehr­ten zu set­zen und viel­leicht mit­hil­fe des Smart­phones am aus­ge­streck­ten Arm eine Selfie-Aufnahme zu machen. Zahl­rei­che »Copernicus-Städte« haben sich außer­dem zu einer tou­ris­ti­schen Auto-Route zusam­men­ge­schlos­sen, die um Besu­cher aus Euro­pa und aller Welt wirbt. Auch deut­sche Gäs­te, die sich ein Bild davon machen wol­len, wo der »Erfin­der des Son­nen­sys­tems« gelebt hat, wer­den damit angesprochen.

Ein »virtuelles Denkmal«: die Porta Polonica

In Deutsch­land wie­der­um gibt es eine Regi­on mit einem beson­de­ren Bezug zu Polen: das Ruhr­ge­biet. Nach 1870 wan­der­ten Hun­dert­tau­sen­de pol­ni­sche Arbeits­kräf­te dort­hin aus. Etli­che der »Ruhr­po­len« kamen auch aus West­preu­ßen bezie­hungs­wei­se der Kaschub­ei. Noch heu­te hat Nordrhein-Westfalen unter allen Bun­des­län­dern mit gro­ßem Abstand die meis­ten pol­nisch­stäm­mi­gen Ein­woh­ner. So ist es dann auch kein Zufall, dass im Ruhr­ge­biet eine digi­ta­le Doku­men­ta­ti­ons­stel­le zur Kul­tur und Geschich­te der Polen in Deutsch­land ent­stan­den ist. Das Inter­net­por­tal Por­ta Polo­ni­ca ist ange­sie­delt am LWL-Industriemuseum Zeche Han­no­ver in Bochum und kann als eine Art vir­tu­el­les Denk­mal ver­stan­den wer­den. Über eine digi­ta­le Land­kar­te macht die Platt­form Orte und Objek­te mit Polen­be­zug zugäng­lich, die sich im Ruhr­ge­biet oder auch anders­wo in Deutsch­land fin­den lassen.

Im digi­ta­len Raum füllt Por­ta Polo­ni­ca auf die­se Wei­se eine Leer­stel­le, denn »ange­sichts der engen Nach­bar­schaft von Deut­schen und Polen« sei es erstaun­lich, meint Peter Oli­ver Loew, »wie ein­sei­tig auf den Zwei­ten Welt­krieg bezo­gen und wie lücken­haft ins­ge­samt die Erin­ne­rungs­land­schaft bei­der Län­der in Bezug auf den Ande­ren ist«. So erschei­nen auch die »Ost­vier­tel«, die es in vie­len Städ­ten auf dem Gebiet der alten Bun­des­re­pu­blik gibt, mitt­ler­wei­le einer Rei­he von Men­schen als eine weit­ge­hend bezugs­lo­se Kurio­si­tät. Ange­legt nach dem Zwei­ten Welt­krieg soll­ten Oppel­ner, Grau­den­zer oder Til­si­ter Stra­ßen den »deut­schen Osten« in Erin­ne­rung hal­ten und den Mil­lio­nen Geflüch­te­ten von dort auf sym­bo­li­sche Wei­se das Ein­le­ben erleich­tern. Für jün­ge­re Gene­ra­tio­nen jedoch ste­hen sol­che Namen ein­fach nur für Städ­te in Polen und dem Ost­see­raum oder sind sogar völ­lig unbe­kannt. Kon­tex­tua­li­sie­rung wäre auch hier das rich­ti­ge Stich­wort: In einem euro­päi­schen Rah­men kön­nen die­se Namen heu­te einen neu­en Sinn erhalten.