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Hugo Conwentz und die Einrichtung der staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege

Mit der Einrichtung der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege unter der Leitung des am 20. Januar 1855 in Sankt Albrecht bei Danzig geborenen Hugo Conwentz entsteht 1904 die weltweit erste staatlich ­finanzierte Einrichtung für den Naturschutz. Da sich sein Todestag am 12. Mai 2022 zum hundertsten Male jährt, rückt der umtriebige, unermüdliche Forscher und Netzwerker Conwentz, der die Weichen für den staatlich angeleiteten Naturschutz und somit auch für die historischen Folgeinstitutionen gestellt hat, in diesem Jahr nochmals verstärkt in den Fokus des öffentlichen Interesses.

Auch die Sonder­aus­stellung Mit Merkbuch, Denkschrift, Kamera. Zwei Pioniere des Natur­schutzes in Preußen, die das Westpreu­ßische Landes­museum am 23. Juni eröffnet, erinnert in ihrem ersten Teil an das Wirken von Hugo Conwentz. Sie folgt einem ideen­ge­schicht­lichen Ansatz und stellt anhand von Conwentz’ Schriften dessen Begriff­lichkeit eines »Natur­denkmals« vor. Seine 1904 veröf­fent­lichte »Denkschrift« als Manifest des preußi­schen Natur­schutzes lässt sich in diesem Zusam­menhang als dessen »Geburts­stunde« verstehen. – Der zweite Teil verknüpft die westpreu­ßi­schen Aktivi­täten mit einer analogen Entwicklung in Westfalen: Er zeigt in Zusam­men­arbeit mit dem LWL-Museum für Natur­kunde in Münster das fotogra­fische Werk Hermann Reich­lings (1890–1948), der dort – auch als langjäh­riger Direktor der Vorgänger­institution, des Provin­zi­al­mu­seums für Natur­kunde – seit den 1920er Jahren den Gedanken der »Natur­denk­mal­pflege« als »Landschafts­pflege« weiter­führte und seine Bemühungen durch eine Fülle von Bilddo­ku­menten stützte.

Auftakt in Westpreußen

Hugo Conwentz (1855–1922) wird 1880 zum Direktor des neu gegrün­deten Provin­zi­al­mu­seums in Danzig berufen und initiiert neben seinen musealen Kernauf­gaben wissen­schaft­liche Feldfor­schungen zu den Beständen schützens- und bewah­rens­werter »Natur­denk­mäler« in Westpreußen. Mit Hugo Conwentz als Zugpferd und öffent­lichem Gesicht der »Natur­denk­mal­pflege« wird Danzig zu einem entschei­denden Aktions­zentrum der sich dezentral formie­renden Naturschutz-Bewegung, für die Conwentz einen sachbezogen-empirischen, d. h. »wissen­schaft­lichen« Ansatz begründet.

Im selben Kontext will der 1904 von Ernst Rudorff (1840–1916) in Dresden gegründete Bund Heimat­schutz neben Natur­formen zugleich histo­rische Gebräuche und regionale Beson­der­heiten wie Bauern­häuser, Trachten, Lieder und Sagen vor den Verän­de­rungen der Moderne retten; und der ab 1899 von Lina Hähnle (1851–1941) in Stuttgart geleitete Bund für Vogel­schutz konzen­triert sich, wie der Name schon sagt, auf den Vogelschutz.

Die Begrifflichkeit der Naturdenkmalpflege

Dem Forschungs­in­teresse der Vor- oder Frühge­schichte folgend, faszi­nieren Conwentz »erratische Blöcke«, deren Entste­hungs­ge­schichte rätselhaft und unerklärlich bleibt, sowie »besondere« alte Bäume. Deren »Beson­derheit« liegt für den promo­vierten Botaniker in ihrem Status als einzig­artige Beispiele eines »ursprüng­lichen« Landschafts­en­sembles bzw. als Ausdruck einer zusam­men­ge­hö­rigen regio­nal­spe­zi­fi­schen und histo­risch gewach­senen Natur­land­schaft, die Conwentz erhalten will. »Erratische«, also ortsfremde Felsblöcke sind für ihn Natur­denk­mäler, weil sie eine singuläre, nur an einem einzigen Ort auftre­tende Naturform darstellen.

Im 19. Jahrhundert wird die Geologie zur Leitwis­sen­schaft; der Streit um die Entste­hungs­ge­schichte der Konti­nente und die These der hierfür prägenden »Eiszeit« spaltet die Forscher. Auch andere Mysterien der Erde, wie beispiels­weise die Frage, ob sich unter dem Eisschild der Antarktis festes Land oder Wasser­massen befinden, sind noch nicht geklärt und werden in spekta­ku­lären Südpol-Expeditionen erst im selben Zeitraum erforscht, in dem Conwentz seine Denkschrift präsen­tiert. Auch die Entste­hungs­ge­schichte von errati­schen Blöcken haben die Geologen noch nicht hinrei­chend geklärt; für Conwentz genügt es freilich zunächst, sie als »Natur­denkmale« auszu­weisen und unter Schutz zu stellen.

Im Bereich der Botanik fallen für ihn solche alten Bäume unter den Schutz der Natur­denk­mal­pflege, die als singuläre Einzel­bei­spiele besonders schön anmuten oder die Spuren mensch­licher Überformung tragen. Die Schutz­maß­nahmen der Natur­denk­mal­pflege wählen dabei einfachste Mittel wie beispiels­weise eine Markierung durch Grenz­steine oder Zäune. Das »Natur­denkmal« erhält seinen Stellenwert dabei nicht aufgrund der Bedeutung einer Pflanze im Zusam­menhang eines ökolo­gi­schen Gefüges, in dem sich die Lebens­räume unter­schied­licher Pflanzen (und auch des Menschen) gegen­seitig bedingen, sondern aufgrund einer ästhe­ti­schen oder historisch-kulturellen Zuschreibung.

Conwentz ist zudem einer der ersten, die das Prinzip der ökolo­gi­schen Sukzession als Wandel der Arten­zu­sam­men­setzung in einem bestimmten Naturraum erkennen. Die Eibe, von ihm geschätzt als »deutscher« Baum zur Herstellung von Pfeil und Bogen, wird hier zum Indikator-Baum, da die Eiben-Bestände infolge der Entwäs­serung der Moore, die ihrer­seits durch die Indus­tria­li­sierung der Landwirt­schaft hervor­ge­rufen worden ist, zurück­gehen. Nunmehr trockene Böden bieten vielerorts nicht mehr die idealen Wachs­tums­be­din­gungen für die Eibe als Beispiel einer »ursprüng­lichen«, »heimi­schen« Flora.

Konzeptionelle Alternativen und Probleme

Ein anderer Westpreuße, der Schrift­steller und Natur­schützer Hermann Löns (1866–1914), polemi­siert bereits 1909 gegen das »conwen­tio­nelle« Verständnis der Natur­denk­mal­pflege und Conwentz’ Denken in Einzel­bei­spielen und klein­räu­migen Struk­turen. Auf dem 8. Inter­na­tio­nalen Zoolo­gen­kon­gress 1910 in Graz trägt der schweizer Natur­for­scher Paul Sarasin (1856–1929) seine Ideen eines »Weltna­tur­schutzes« vor und plädiert für inter­na­tionale Schutz­ge­biete. Auch wenn Conwentz seine Erfahrung mit der erfolg­reichen Einrichtung einer ersten staat­lichen Stelle gerne auch inter­na­tional als Vorbild und Parade­bei­spiel für die Einrichtung vergleich­barer Insti­tu­tionen anbietet, richtet sich der oberste Natur­schützer Preußens gegen eine grenz­über­schrei­tende Koope­ration bei der Ausweisung und Unter­haltung inter­na­tio­naler Naturschutzgebiete.

Eine weitere Kontro­verse resul­tiert daraus, dass Conwentz auf dem missver­ständ­lichen Kriterium der »Ursprüng­lichkeit«, verstanden als absolute, statische »Unver­än­der­lichkeit« eines Objekts, beharrt. In den »Beiträgen zur Natur­denk­mal­pflege« beant­wortet er die Frage, ob eine einge­gangene seltene Pflanze an ihrem origi­nalen Standort durch ein Exemplar derselben Art ersetzt werden könne und dann noch als Natur­denkmal gelte, abschlägig. Seine Natur­denk­mal­pflege stellt folglich keine schüt­zens­werte botanische Gattung unter Schutz, wie es heute die Maßnahmen zum Erhalt der Biodi­ver­sität vorschlagen, sondern nur einzelne Unikate an einem unver­än­der­lichen Ort. Die Trans­lo­zierung eines errati­schen Steins oder die Ersetzung eines alten Baums durch ein Exemplar der identi­schen botani­schen Spezies annul­liert seinem Verständnis zufolge den Status eines »Natur­denkmals«. In diesem Rahmen sind somit für den Fall, dass die »ursprüng­lichen«, heimi­schen Pflan­zen­arten oder Tiere eingehen oder gar aussterben, keine Handlungs­mög­lich­keiten mehr vorgesehen.

Diesem Paradigma der heimi­schen »Ursprüng­lichkeit« sind konse­quen­ter­weise auch Conwentz’ Bedenken gegenüber der Einrichtung von Natur­schutz­parks ameri­ka­ni­schen Stils geschuldet. Er selbst bevorzugt den Begriff eines »Reservats«, verstanden als Schon­gebiet, in dem ein gegebener Ist-Zustand bereits bestehender Flora und Fauna, dem mensch­lichen Einfluss entzogen, »einge­froren« und erhalten werden soll. In den ameri­ka­ni­schen Natur­schutz­ge­bieten hingegen erkennt Conwentz die Gefahr eines Freiluft-Zoos bzw. eines nur noch artifi­zi­ellen Themenparks.

Naturschutzdebatten ausstellen

Hugo Conwentz hinterließ ein umfang­reiches Werk von mindestens 262 Schriften, jedoch sind nur wenige dinghafte Objekte seiner Forschung überliefert. Wie aber lassen sich wissen­schaft­liche Beobach­tungen, Thesen, Theorien und Argumen­ta­ti­ons­ketten einer vergan­genen kontro­versen Diskussion um die Formierung und Ausrichtung des Natur­schutzes um 1900 im Rahmen einer Ausstellung sichtbar machen? Die Sonder­aus­stellung wählt ihren Weg über die Instru­men­tarien der Natur­be­trachtung, indem sie die materi­ellen Refle­xi­ons­formen wie das wissen­schaft­liche Feldta­gebuch, die Schriften und Publi­ka­tionen, topografisch-geologische Karten sowie andere Formen visueller Inventare, anhand derer sich die Beobach­tungen der vorge­stellten Akteure anschaulich nachvoll­ziehen lassen, in den Vorder­grund rückt. Die Ausstellung will auf diese Weise zentrale Begriff­lich­keiten, aber auch konzep­tio­nelle Diffe­renzen am Beginn der Natur­schutz­be­wegung um 1900 sichtbar machen und überdies den Blick für die Entwicklung des Natur­schutzes bis hin zur Umwelt­ge­schichte und den heutigen Debatten um den bedroh­lichen globalen Klima­wandel öffnen. Ausge­wiesene Exper­tinnen und Experten wie Frank Uekötter, Anna-Katharina Wöbse und Bernd Tenbergen führen im Rahmen des Begleit­pro­gramms die von Conwentz’ Werk ausge­henden Impulse aus und bieten Einblicke in das Setting histo­ri­scher und gegen­wär­tiger Umweltdiskussionen.

Gisela Parak