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Großbürgerliche Wohnkultur in einem mondänen Badeort

Ein vielfältiges Themenspektrum für das »Museum von Zoppot«

Von Ursula Enke

Als im Frühjahr des Jahres 1904 die Bauar­beiten abgeschlossen waren und die Familie des wohlha­benden Danziger Kaufmanns Ernst ­August Claaszen (1853–1924) ihre – vom ortsan­säs­sigen Baumeister Walter Schulz entworfene – Villa in Zoppot beziehen konnte, muss dieses neue Gebäude gewiss viel Beachtung und Bewun­derung hervor­ge­rufen haben: Stolz und prächtig erhob es sich weit sichtbar in unmit­tel­barer Nähe des Ostsee­strandes und entsprach mit seinen Türmchen, Erkern und Balkonen gänzlich dem Geschmack der Epoche. 

Heute verbirgt sich das Gebäude eher inmitten eines reichen Baumbe­standes, gerade jetzt im Herbst von maleri­scher Schönheit, übt jedoch, sobald man es entdeckt hat, weiterhin einen großen Reiz aus, insbe­sondere, da es inzwi­schen seine Pforte für Inter­es­senten öffnet: Was an kostbarem Interieur die Familie und ihre illustren Gäste umgab und einst dem gemeinen Blick verborgen blieb, darf nunmehr geschaut und bestaunt werden; denn anlässlich der 100-Jahr-Feier zur Gründung der Stadt Zoppot wurde 2001 die Claas­zensche Villa ihrer neuen Bestimmung zugeführt, aufwändig saniert und für ein Museum herge­richtet, das einer­seits von dem eleganten Lebensstil einer gutbür­ger­lichen Familie vor Ort erzählen und anderer­seits in Sonder­aus­stel­lungen breit­ge­fä­cherte Aspekte aus der Stadt- und Regio­nal­ge­schichte aufgreifen will.

Auf Infor­ma­ti­ons­tafeln sowie durch einen mit Zeichen­trick­ele­menten und zahlreichen histo­ri­schen Aufnahmen unter­haltsam gestal­teten Film erfährt der Besucher viel Wissens­wertes über das Haus und seine Bewohner. Ernst August Claaszen, dessen Vorfahren als Handwerker über Genera­tionen in Danzig ansässig waren, hatte der lukrative Handel mit Zucker zu einem nicht nur reichen, sondern auch wohlan­ge­se­henen Geschäftsmann gemacht, infol­ge­dessen er mit diversen ehren­vollen Ämtern betraut wurde; so war er u. a. General­ver­treter der Berliner Daimler-Motorenwerke für Westpreußen und wurde für die Provinz sogar zum Kultur­agenten der Verei­nigten Staaten von Amerika berufen. Sein wachsendes Vermögen erlaubte es ihm um die Jahrhun­dert­wende, mehrere begehrte Baugrund­stücke in Zoppot zu erwerben und als Ausweis der reichen Ernte seiner Arbeit ein pracht­volles Anwesen errichten zu lassen. 

Das Glück jedoch währte nicht lange, denn der Erste Weltkrieg nahm der Familie den einzigen Sohn, einen promo­vierten Juristen, sowie der ältesten Tochter ihren Ehemann und stürzte überdies das ehemals blühende Unter­nehmen letztlich in den finan­zi­ellen Ruin. In tiefe Depression verfallen, nahm sich Claaszen 1924 das Leben, die Witwe musste die Villa an den Danziger Fabrik­be­sitzer Herbert Meltzner verkaufen; nach 1945 wurde sie verstaat­licht und später zu einem beliebten Rückzugsort namhafter polni­scher Promi­nenter auser­koren. In den letzten drei Jahrzehnten vor der Museums­gründung beher­bergte das Haus eine psychologisch-­pädagogische Beratungsstelle.

Heute zeigt das Museum im Hochpar­terre die reprä­sen­ta­tiven Räume der Familie; sie sind reich ausge­stattet und lassen noch viel von dem Glanz vergan­gener Tage erahnen. Über 10.000 histo­rische Gegen­stände und Kunst­werke soll die Sammlung des Museums mittler­weile umfassen. Manche dieser Objekte wurden von Bürgern der Stadt gespendet. Von heraus­ra­gender Bedeutung aller­dings erwiesen sich jene Schätze, die Ruth Asta Koch, die jüngste Tochter des Ehepaares Claaszen, den Kuratoren überließ. 

Sie hatte 1934 den dänischen General­konsul Harald Koch in Danzig gehei­ratet, der aller­dings schon zwei Jahre später verstarb. Aufgrund ihrer Eheschließung konnte sie aber noch 1944, als sich die Niederlage des Großdeut­schen Reichs bereits deutlich abzeichnete, ein Visum für Dänemark erhalten, einige der Famili­en­er­b­stücke, Möbel und Kunst­werke, die Ernst August Claaszen einst zusam­men­ge­tragen hatte, dorthin voraus­schicken und mit ihrer Mutter Martha nach Kopen­hagen gehen. 2001 lebte sie hochbetagt in Bad Pyrmont und konnte bei der Konzeption des Museums nun wesent­liche Hinweise geben, denn viele alte private Fotografien gewährten die Möglichkeit, die Rekon­struktion der Räume sehr präzise zu planen. 

Nach Ruths Tode 2005 gaben die Erben sogar das gesamte Famili­en­archiv sowie edle Danziger Möbel, den barocken Kronleuchter und Kunst­werke, aber auch persön­liche Schmuck- und Kleidungs­stücke als Schenkung an das Geburtshaus von Ruth Asta Koch. Diesem glück­lichen Umstand ist es letztlich zu verdanken, dass sowohl das histo­rische Gebäude als auch die Leben­digkeit und das Flair vergan­gener großbür­ger­licher Wohnkultur authen­tisch bewahrt werden konnte.

Durch aufwändig gestaltete Türen, die ein beson­deres Augenmerk verdienen, betritt der Besucher den großzü­gigen Ess- und Wohnbe­reich, der wirkungsvoll Raum gibt für kostbare Möbel und Stand­uhren, denen eine große Leiden­schaft des Hausherren galt. Einladend sind Tische mit erlesenen Porzel­lanen gedeckt, und die Wände schmücken prächtige Blaker, Gemälde und Stiche, die der kunst­sinnige Ernst August Claaszen ebenso gesammelt hatte wie eine Fülle von nieder­län­di­schen Fayencen, die in ihrem Stil nicht zuletzt an die nieder­län­di­schen Wurzeln seiner Familie erinnern. Einen deutlich anderen Akzent setzt der sich anschlie­ßende licht­durch­flutete Winter­garten mit seinen filigranen Blumen­bänken, leichten Rattan­möbeln oder dem zierlichen Bambus-Vogelkäfig. Von hier aus gleitet der Blick über die hochge­legene Terrasse und die gepflegte Garten­anlage bis hinaus auf das weite Meer.

Im oberen Geschoss der Villa befanden sich die Schlaf­zimmer der Familie, das größere für die Eltern und die drei kleineren für die Kinder; nun bieten sie ausrei­chend Platz für Sonder­aus­stel­lungen, die ein breites Spektrum der Lokal- und Regio­nal­ge­schichte abdecken. Die Vielfalt der Themen spiegelt sich im breiten Angebot anspre­chender Kataloge und weiterer eigener Publi­ka­tionen wider, die der Museumsshop bereithält. Beispielhaft genannt seien zum einen die Ausstellung »Paul Puchmüller. Der Architekt, der Zoppot in eine Stadt verwandelt hat«, die im Jahr 2009 große Aufmerk­samkeit gefunden hat – und bei der ebenfalls ein Nachfahre, ein Puchmüller-Enkel, die Ausstellung mit Famili­en­stücken berei­chern konnte, zum anderen die 2021 veran­staltete umfang­reiche Präsen­tation von Fotogra­phien, die John (Johannes Theodor) Faltin von 1892 an über zwei Jahrzehnte aufge­nommen hat. Als Einwohner der Stadt und passio­nierter Amateur-Fotograph dokumen­tierte der 1846 geborene Faltin die gerade in dieser Zeit stürmische Entwicklung des Kurortes zu einer reichen mondänen Stadt. 

Im Sommer des Jubilä­ums­jahres 2023 – 1823 hatte der Arzt Johann Georg Haffner von der preußi­schen Regierung die Erlaubnis erhalten, in Zoppot eine Badean­stalt mit einem Kurbe­trieb einzu­richten – zeigt das Museum, um noch ein drittes Beispiel zu nennen, einen Teil einer Doppel­aus­stellung, die den Titel »Touristen und Badegäste« trägt. Jeweils aus der Perspektive der Besucher und Stamm­gäste wurde hier die Geschichte des Badeortes Zoppot erzählt, während parallel dazu in Zakopane – das vor 90 Jahren, 1933, die Stadt­rechte erhalten hatte – die Entfaltung des dortigen Winter­sport­zen­trums verfolgt wird.

Zum Profil des Hauses gehört – wie auch schon in diesem Falle – das erfolg­reiche Bemühen um Koope­ra­tionen. Besonders eng gestaltete sich dabei die Zusam­men­arbeit mit dem Erkenbert-Museum in der deutschen Partner­stadt Frankenthal. Zudem organi­siert das Museum Vortrags­reihen und wissen­schaft­liche Konfe­renzen. So ist für den Oktober z. B. eine inter­na­tionale, gemeinsam mit der Gemeinde Heringsdorf ausge­richtete Tagung geplant, die sich mit der Archi­tektur der Bäder im Baltikum beschäf­tigen soll.

Nicht zuletzt markiert die engagiert betriebene Bildungs­arbeit einen wesent­lichen Schwer­punkt der Tätig­keiten. Dies belegt beispielhaft die Teilnahme an den Aktionen des Jahres 2022, das der Erinnerung an Maria Grzegor­zewska (1887–1967) gewidmet war. Diese hochver­ehrte Pädagogin hat in Polen die Sonder­päd­agogik begründet und unver­wandt die respekt­volle Hinwendung zu Menschen mit geistigen Einschrän­kungen propagiert.

Hiermit rundet sich das Gesamtbild: Mit seiner Sammlungs­tä­tigkeit, der konser­va­to­ri­schen Arbeit, seinem attrak­tiven Ausstel­lungs­pro­gramm, der inter­na­tio­nalen Vernetzung und seinen vielfäl­tigen weiteren Aktivi­täten wird das Museum von der Stadt­ge­sell­schaft gewiss wertge­schätzt – und ein Besuch kann auch den Neugie­rigen unter den Gästen Zoppots vorbe­haltlos anemp­fohlen werden.