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Die „Schlacht bei Schwetzin“ im Regionalmuseum Krockow

Die Lebendigkeit der lokalen Geschichte

Am 17. Sep­tem­ber des Jah­res 1462, in der Spät­pha­se des Drei­zehn­jäh­ri­gen Krie­ges, fand in der Nähe von Kroc­kow, beim Dorf Schwet­zin (Świe­ci­no), die „Schlacht von Schwet­zin“ (Bit­wa pod Świe­ci­nem) statt. Hier tra­fen Trup­pen des Preu­ßi­schen Bun­des und sei­ner Schutz­macht Polen auf ein Heer des Deut­schen Ordens, der eine schwe­re Nie­der­la­ge erlitt. Die­ses Ereig­nis gehört sicher­lich zu den wich­ti­gen Merk­punk­ten inner­halb der lang­wie­ri­gen krie­ge­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zun­gen der Jah­re von 1454 bis 1466, gleich­wohl schei­nen die His­to­ri­ker dar­in über­ein­ge­kom­men zu sein, dass die­sem Kampf für den Krieg ins­ge­samt kei­ne über­ra­gen­de Bedeu­tung zuzu­spre­chen sei. Des­halb könn­te es ein neu­traler Beob­ach­ter viel­leicht als unan­ge­mes­sen oder über­trie­ben emp­fin­den, wenn der rekon­stru­ier­te Ablauf der Schlacht Jahr für Jahr an dem ent­spre­chen­den Ort nach­ge­spielt wird. Oder er könn­te die­ses „Event“ ange­sichts der aktu­ell sehr ver­brei­te­ten Nei­gung zu Living-History-­Veranstaltungen sogar als rei­ne Mode­er­schei­nung abtun.

Aus der loka­len Per­spek­ti­ve her­aus betrach­tet, kann man aller­dings zu einer deut­lich ande­ren Ein­schät­zung kom­men. In der Gegend von Kroc­kow ist das Andenken an die­se Vor­gän­ge immer noch höchst leben­dig. Eine Publi­ka­ti­on, die erst jüngst (2015) vom Muse­um her­aus­ge­ge­ben wor­den ist – „Strofy z Kro­kow­skiej Zie­mi“ [Ver­se aus der Kroc­kower Gegend], ent­hält bei­spiels­wei­se zwei Sagen, die sich direkt auf die Geschich­te von Schwet­zin bezie­hen. Der Autor, Wojciech Klank, ver­brach­te sei­ne Kind­heit in unmit­tel­ba­rer Nach­bar­schaft des Schlacht­fel­des bei sei­nen Groß­el­tern, die abends die alten, in der Regi­on ver­trau­ten Sagen und Legen­den zu erzäh­len pfleg­ten. Als er erwach­sen wur­de, ent­de­cke er sein Talent zum Dich­ten und hielt auf die­se Wei­se das loka­le Volks­gut fest. Im Gedicht „Guter See“ wird von der schwe­ren Ver­wun­dung von Piotr Dunin von Praw­ko­wice, dem gro­ßen pol­ni­schen Heer­füh­rer der Schlacht, und von sei­ner glück­li­chen Gene­sung dank dem hei­len­den Was­ser des Sees erzählt. Das Gedicht „Got­tes Fuß“ han­delt von der Geschich­te eines all­ge­mein bekann­ten Fels­blocks, der die­sen Namen trägt und bei den his­to­ri­schen Vor­gän­gen bedeut­sam gewor­den ist. – Auf die­se und ande­re alte Sagen muss auch der berühm­te pol­ni­sche Schrift­stel­ler, Dra­ma­ti­ker und Publi­zist Ste­fan Żerom­ski gesto­ßen sein, als er nach dem Ers­ten Welt­krieg in der Nord­ka­schub­ei leb­te und u. a. die Kroc­kower Gegend durch­forsch­te. In sei­nem 1922 erschie­ne­nen Roman „Wind vom Meer“ hat er Erzäh­lun­gen zur Geschich­te der pol­ni­schen Küs­te ver­ar­bei­tet, die häu­fig auf Mythen und Legen­den basie­ren, und er beschreibt auch die Schlacht von Schwet­zin. In sei­ner Dar­stel­lung kommt die Sehn­sucht der Zwei­ten Pol­ni­schen Repu­blik nach einem Zugang zum Meer zum Aus­druck, und mit­hin reflek­tiert sei­ne Sicht auf die Vor­gän­ge natur­ge­mäß das zur Ent­ste­hungs­zeit des Werks sehr ange­spann­te, kon­flikt­be­ton­te Ver­hält­nis zwi­schen Polen und Deutschland.

Im Umkreis von Schwet­zin leben nicht nur die alten Erzäh­lun­gen wei­ter. Die Schlacht ver­mag hier auch zu bild­ne­ri­schen Gestal­tun­gen her­aus­zu­for­dern. Dies zeigt ein Holz­re­li­ef, das Robert Wen­ta (* 1986) geschaf­fen hat. Bei der inten­si­ven, zeit­auf­wän­di­gen Arbeit an sei­nem groß­for­ma­ti­gen Werk hat sich der Künst­ler von sei­ner engen Bin­dung an die Geschich­te sei­ner Hei­mat lei­ten las­sen. Dabei eröff­net er mit sei­nen spe­zi­fi­schen Stil­mit­teln eine eigen­wil­li­ge, kri­ti­sche Sicht auf das Gesche­hen :  Der Aspekt des heroi­schen Kamp­fes wird wei­test­ge­hend unter­drückt, wäh­rend zwi­schen den bei­den – bedroh­lich auf­ein­an­der zustür­men­den – Par­tei­en die Opfer des Krie­ges ins Zen­trum der Dar­stel­lung rücken.

Jen­seits des enge­ren loka­len Umfel­des hat die Schlacht von Schwet­zin auch einen ande­ren Künst­ler zu einer schöp­fe­ri­schen Aus­ein­an­der­set­zung zu inspi­rie­ren ver­mocht. Es han­delt sich um den Maler Sta­nisław Euge­ni­usz Bodes (* 1951), der in sei­ner Kon­zep­ti­on aller­dings einen anders­ar­ti­gen Blick auf das Kampf­ge­sche­hen wirft. Er will vor­nehm­lich die atem­be­rau­ben­de Dyna­mik des Kampf­ge­tüm­mels ver­an­schau­li­chen und kon­zen­triert die Auf­merk­sam­keit der Betrach­ter auf den ent­schei­den­den Moment, in dem die Nie­der­la­ge der Deutsch­or­dens­rit­ter und ihrer Söld­ner offen­bar unab­wend­bar gewor­den ist. Die­ses Gemäl­de gehört zu einer Werk-Reihe, in der Bodes sich unter dem Ober­ti­tel „Zum Ruh­me der Hel­den“ mit der Geschich­te der eige­nen Nati­on beschäf­tigt und an der er bereits seit über zwan­zig Jah­ren arbei­tet. 2018, im Jahr, in dem das 100. Jubi­lä­um der Wie­der­erlan­gung der staat­li­chen Unab­hän­gig­keit began­gen wird, fin­den der Maler und sein Œuvre in Polen eine beson­ders gro­ße Reso­nanz. Trotz­dem hat sich der Künst­ler dazu bewe­gen las­sen, für die Aus­stel­lung in Kroc­kow kolo­rier­te Zeich­nun­gen der bei­den Haupt­kon­tra­hen­ten zu ergän­zen :  Das Abbild des spä­ter­hin gefal­le­nen Fritz von Raveneck, des aus Fran­ken stam­men­den Söld­ners, der zum Zeit­punkt der Schlacht bereits seit neun Jah­ren im Diens­te des Ordens gestan­den hat­te, zeich­net eine gewis­se Schwe­re aus, wäh­rend das­je­ni­ge sei­nes letzt­lich tri­um­phie­ren­den Gegen­spie­lers Piotr Dunin – unge­ach­tet aller Ver­let­zun­gen, die auch er erlit­ten hat – den Ein­druck einer grö­ße­ren Leich­tig­keit und Beweg­lich­keit erweckt.

Das Holz­re­li­ef von Robert Wen­ta sowie eine Repro­duk­ti­on des Gemäl­des von Sta­nisław Euge­ni­usz Bodes bil­den gleich­sam Anker der Kroc­kower Aus­stel­lung. Zudem wer­den dort Repli­ka­te gezeigt, die von der Ritter-Gilde beim jähr­li­chen „Ree­nact­ment“ der Schlacht auf den Wie­sen und Äckern von Schwet­zin genutzt wer­den. Dazu gehö­ren eine voll­stän­di­ge Rüs­tung aus der zwei­ten Hälf­te des fünf­zehn­ten Jahr­hun­derts, deren Ori­gi­nal sich in der St. Peters­bur­ger Ere­mi­ta­ge befin­det, sehr gut nach­ge­stal­te­te gro­ße Pave­si wie auch stil­ge­treue Imi­ta­te von Klei­dungs­stü­cken jener Zeit. Zu den beson­de­ren Attrak­tio­nen gehö­ren zudem 126 Expo­na­te aus der Samm­lung des Archäo­lo­gi­schen Muse­ums in Dan­zig. Die­se Aus­stel­lungs­ob­jek­te stam­men aus der mit­tel­al­ter­li­chen Geschich­te der Stadt und reprä­sen­tie­ren ein brei­tes Spek­trum der mate­ri­el­len Kul­tur. Zum einen kom­men sie aus dem Umfeld des Kamp­fes von Rit­tern und Fuß­volk :  Reit­spo­ren, Schwert-Knäufe, Speer- und Bol­zen­spit­zen, Tei­le einer Arm­brust, Enter­sä­bel sowie ein Beil und eine Hel­le­bar­de. Zum ande­ren gehö­ren sie zu den Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­den, die im Tross mit­ge­führt bzw. in der Wagen­burg benö­tigt wur­den :  Küchen­ge­schirr mit Töp­fen, Keramik-­Krügen, Tel­lern und Holz­scha­len ;  Werk­zeu­ge wie Ham­mer, Schau­fel und Sche­re ;  Vor­hän­ge­schlös­ser und Schlüs­sel ;  oder auch per­sön­li­che Gegen­stän­de wie Mes­ser, Holz­löf­fel und Kno­chen­käm­me. Dar­über hin­aus kön­nen neben Tei­len von Klei­dern und Gewän­dern sowie Schu­hen, Leder­hand­schu­hen, Schnal­len und Gür­tel­be­schlä­gen auch ver­zier­te Fibeln und Rin­ge betrach­tet wer­den. Schließ­lich ver­wei­sen ein­zel­ne Expo­na­te (Kreu­ze aus Zinn, klei­ne Glo­cken oder Pil­ger­zei­chen), die hier zum ers­ten Male außer­halb des Archäo­lo­gi­schen Muse­ums gezeigt wer­den, auf die Bedeu­tung, die das christ­li­che Mit­tel­al­ter der reli­giö­sen Pra­xis selbst – oder gera­de – im Fel­de zumaß.

Sofern die Besu­cher tie­fer in die Mate­rie ein­drin­gen wol­len, bie­ten ihnen groß­for­ma­ti­ge, den Aus­stel­lungs­raum glie­dern­de Fah­nen mit zwei­spra­chi­gen – pol­ni­schen und deut­schen – Tex­ten dazu aus­führ­lich Gele­gen­heit. (For­mu­liert hat sie Krzy­sz­tof Kwiat­kow­ski von der Uni­ver­si­tät Thorn.) Auf die­se Wei­se kön­nen eines­teils die his­to­ri­schen Fak­ten und Hin­ter­grün­de genau­er erschlos­sen wer­den ;  andern­teils eröff­nen die­se Flä­chen auch die Mög­lich­keit, sich mit Aus­zü­gen aus lite­ra­ri­schen Wer­ken – wie aus Ste­fan Żerom­skis Roman – oder aus ein­schlä­gi­gen Quel­len der zeit­ge­nös­si­schen Geschichts­schrei­bung zu beschäf­ti­gen. Hier­zu gehö­ren der Bericht des pol­ni­schen Chro­nis­ten Jan Dług­o­sz (im XII. Buch sei­ner „Anna­len bzw. Chro­ni­ken des ruhm­rei­chen Königs­reichs Polen“), der die Gescheh­nis­se vor­nehm­lich aus der Per­spek­ti­ve der König­li­chen Armee erfasst und inter­pre­tiert, sowie die Dar­stel­lung von Johann Lin­dau, einem Haupt­se­kre­tär des Dan­zi­ger Rats, der dank sei­ner Posi­ti­on über Zugän­ge zur Kor­re­spon­denz und zu münd­li­chen Infor­ma­tio­nen der poli­ti­schen Eli­ten ver­füg­te und des­sen Aus­sa­gen des­halb eine höhe­re Ver­läss­lich­keit auszeichnet.

Die Aus­stel­lung bemüht sich somit, die „Schlacht von Schwet­zin“ im Span­nungs­feld unter­schied­li­cher Gestaltungs- und Ver­ste­hens­an­sät­ze erfahr­bar zu machen und zugleich dafür zu sen­si­bi­li­sie­ren, dass solch eine Aus­ein­an­der­set­zung bis heu­te poli­tisch auf­ge­la­den und in Mus­ter der deutsch-polnischen Bezie­hungs­ge­schich­te ein­ge­le­sen wer­den kann. Dar­über hin­aus möch­te sie für die Bewoh­ner der Nord­ka­schub­ei die Chan­ce eröff­nen, ein lan­ge zurück­lie­gen­des Ereig­nis, das in Sagen und Legen­den bis heu­te fort­lebt, dif­fe­ren­ziert ken­nen­zu­ler­nen und sich der­art selbst, ratio­nal wie emo­tio­nal, in der immer noch prä­sen­ten hei­mat­li­chen Geschich­te zu verorten.

Gra­zy­na Patryn


Wer das Muse­um in Kroc­kow aus frü­he­ren Jah­ren kennt und es jetzt betritt, wird im ers­ten Moment den­ken, dass auch hier jüngst eine „Schlacht“ statt­ge­fun­den haben muss, die zu tief­grei­fen­den Ver­än­de­run­gen geführt hat. Dann aber wird sich die Über­ra­schung in Stau­nen und Bewun­de­rung ver­wan­deln: Nichts erin­nert an die eher engen und ver­win­kel­ten Räum­lich­kei­ten, viel­mehr fällt der Blick nun auf eine groß­zü­gi­ge, freie Aus­stel­lungs­flä­che; zugleich wird er nach oben hin nicht mehr von einer Zwi­schen­de­cke begrenzt, son­dern kann unge­hemmt bis zum Dach­trag­werk schwei­fen: Ein atem­be­rau­ben­der Raum­ein­druck !  Die­se völ­lig neue Dis­po­si­ti­on eröff­net für Aus­stel­lungs­ge­stal­tun­gen man­nig­fa­che neue Mög­lich­kei­ten, stellt sie zugleich frei­lich auch vor bis­lang unge­wohn­te Herausforderungen.

Bei genaue­rer Betrach­tung wird aller­dings auch klar, dass die „Kampf­hand­lun­gen“ gegen­wär­tig nur ruhen, ledig­lich für die aktu­el­le Schau unter­bro­chen wor­den sind. Die Bal­ken und Stre­ben müs­sen noch wei­ter bear­bei­tet wer­den, und im Unter­ge­schoss soll sich noch ein Gewöl­be befin­den, von dem die Direk­to­rin hofft, es erkun­den und spä­ter­hin viel­leicht sogar für ihre Zwe­cke nut­zen zu kön­nen. Die Freun­de des Muse­ums dür­fen somit dar­auf rech­nen, auch im nächs­ten Jahr von wei­te­ren Fort­schrit­ten über­rascht zu werden. 

DW