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Die Eheleute Gulgowski und die Erweckung der kaschubischen Landschaft

Von Oliwia Murawska

Die kaschubische Regionalbewegung

Auf­grund ihrer Lage im deutsch-polnischen Grenz­raum geriet die Kaschub­ei in der ers­ten Hälf­te des 20. Jahrhun­derts immer wie­der zwi­schen die Fron­ten. Dabei war sie nie eine Ver­wal­tungs­ein­heit, nie im Besitz klar umris­se­ner Gren­zen, son­dern viel­mehr ein Raum poli­ti­scher Grenzaus­handlungen nicht-kaschubischer Mäch­te. Als Kon­takt­zo­ne war die Kaschub­ei zunächst Zen­trum deutsch-polnischen Kul­tur­aus­tau­sches, nach 1918 zuneh­mend auch national-politischer Kon­flik­te. Die­ser Umstand wirk­te sich nicht zuletzt auf die zu die­ser Zeit flo­rie­ren­de kaschu­bi­sche Regio­nal­be­we­gung aus. Ihre Prot­ago­nis­ten und Protago­nistinnen, die alle­samt typi­sche Grenzraum­biografien besa­ßen, pfleg­ten grenz­über­grei­fen­de Netz­wer­ke und pro­fi­tier­ten vom kul­tu­rel­len Aus­tausch, doch muss­ten sie immer auch mit Anfein­dun­gen und Res­sen­ti­ments rech­nen, je nach­dem, wel­cher natio­na­len oder kul­tu­rel­len Sphä­re sie sich zuge­hö­rig fühl­ten oder viel­mehr zuge­rech­net wurden.

Ein eben­sol­ches Schick­sal teil­te das Ehe­paar Gul­gow­ski, das sich auf beein­dru­cken­de Wei­se für die Samm­lung, Bewah­rung, Erfor­schung und Ver­mitt­lung kaschu­bi­scher Kul­tur ein­ge­setzt und damit dau­er­haft in die Geschi­cke, das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis und die Land­schaft der Kaschub­ei ein­ge­schrie­ben hat: Sie, Teodo­ra Gul­gows­ka (1860–1951), gebo­re­ne Feth­ke, eine als „kaschu­bi­sier­te Deut­sche“ bezeich­ne­te, in Ber­lin aus­ge­bil­de­te Künst­le­rin, er, Izy­dor Gul­gow­ski ali­as Ernst Seefried-Gulgowski (1874–1925), Pole, preu­ßi­scher Beam­ter, Volks­schul­leh­rer und volks­kundlicher Auto­di­dakt. Auf die in der Lite­ra­tur viel­fach gestell­te Fra­ge, wer von bei­den die trei­ben­de Kraft gewe­sen sei, wird zumeist auf Teodo­ra als die­je­ni­ge ver­wie­sen, die die nöti­gen Netz­wer­ke und Ideen aus Ber­lin in die Kaschub­ei impor­tiert habe. Gleich­wohl wird die Her­aus­stel­lung kau­sa­ler Zusam­men­hän­ge die­ser sym­bio­ti­schen Bezie­hung nicht gerecht: „Sie haben sich gegen­sei­tig ergänzt, und es ist schwer, ihre Arbeit von­ein­an­der abzu­gren­zen: Die Früch­te sind Wer­ke der Gemein­sam­keit“, schreibt 1950 der pol­ni­sche Lite­ra­tur­his­to­ri­ker Andrzej Bukow­ski, der Teodo­ra noch per­sön­lich gekannt hatte.

Die „Urhütte“ und das Freilichtmuseum

Bereits die Grün­dung des ers­ten und bis heu­te exis­tie­ren­den Frei­licht­mu­se­ums in der Kaschub­ei – übri­gens eines der ers­ten sei­ner Art über­haupt in Euro­pa – ist das Ergeb­nis die­ser gleich­ur­sprüng­li­chen Bezie­hung: Im Jahr 1906 erwar­ben die Gul­gow­skis ein zum Abriss vor­ge­se­he­nes kaschu­bi­sches Lau­ben­haus in Wdzyd­ze (dt. auch Sand­dorf), wor­in sie nach skan­di­na­vi­schem Vor­bild ihre Volkskunst­sammlung aus­stell­ten. Die cha­rak­te­ris­ti­sche Bauern­einrichtung soll­te den Besu­chern ein mög­lichst authen­ti­sches Bild vom kaschu­bi­schen Land­le­ben ver­mit­teln, ganz so, als sei in der Hüt­te soeben das Kamin­feu­er erlo­schen, wie Izy­dor Gul­gow­ski schreibt. Frei­lich schweb­te den Gul­gow­skis neben der Samm­lung von Kopf­hau­ben, Möbeln und land­wirt­schaft­li­chen Gerä­ten von Anbe­ginn an die Nach­stel­lung eines kom­plet­ten Dor­fes vor.

Die Grün­dung des Muse­ums hat­te eine tie­fe sym­bo­li­sche Bedeu­tung: Nicht nur wur­de zum ers­ten Mal die kaschu­bi­sche mate­ri­el­le Kul­tur zur Volks­kunst auf­ge­wer­tet und einem grö­ße­ren Publi­kum zugäng­lich gemacht, son­dern die Muse­ums­hüt­te ent­wi­ckel­te sich auch zu einem Ort der Begeg­nung für pol­ni­sche, deut­sche und kaschu­bi­sche Intel­lek­tu­el­le, sie wur­de zur Inspi­ra­ti­ons­quel­le der kaschu­bi­schen Regio­nal­be­we­gung – zur kaschu­bi­schen Urhüt­te. Am Ursprungs­my­thos Wdyzdze als Nukle­us der Regio­nal­be­we­gung haben die Gul­gow­skis kräf­tig mit­ge­ar­bei­tet, mit all der dazu erfor­der­li­chen Selbst­in­sze­nie­rung: Auf dem Muse­ums­ge­län­de befand sich gleich gegen­über der Muse­ums­hüt­te auch ihre Wohn­stät­te, die sie als „kaschu­bi­sche Vil­la“ bezeich­ne­ten. Bedau­er­li­cher­wei­se wur­den sowohl die Urhüt­te als auch die Vil­la 1932 durch ein Feu­er zer­stört; ledig­lich die Hüt­te wur­de wie­der­errich­tet, und dies an jener Stel­le, an der zuvor die Vil­la gestan­den hat­te. Auf Foto­gra­fien insze­nier­ten sich die Gul­gow­skis einem Künst­ler­paar gleich, was uns Bil­der aus zeit­ge­nös­si­schen Künst­ler­ko­lo­nien in Erin­ne­rung ruft: Ger­ne lie­ßen sich die Gul­gow­skis mit Freun­den beim Segeln oder bei einem Pick­nick am See in strah­lend wei­ßen Klei­dern, aus kaschu­bi­schem Geschirr Kaf­fee trin­kend, inmit­ten der länd­li­chen Idyl­le ablich­ten, was gewiss eher einer städ­ti­schen Vor­stel­lung von Länd­lich­keit ent­sprach als den rea­len Ver­hält­nis­sen auf dem Lan­de. Unweit der rekon­stru­ier­ten Urhüt­te haben die Gul­gow­skis auf einer Anhö­he, von der aus der Blick auf den Weit­see, den Jezio­ro Wdzyd­ze, fällt, ihre Ruhe­stät­te ein­ge­rich­tet – wie es der Mythos will, an gera­de jenem Ort, an dem sich die Ehe­leu­te der Über­lie­fe­rung nach ein­an­der das ers­te Mal begeg­net sind. Heu­te kön­nen wir ihr Grab auf dem Gelän­de des Frei­licht­mu­se­ums besu­chen und die­sen herr­li­chen Aus­blick genießen.

Kontakte und Engagement

Die Gul­gow­skis stan­den in engem Kon­takt zur deut­schen Hei­mat­be­we­gung, die als ein Aus­druck zeit­ge­nös­si­scher Zivi­li­sa­ti­ons­kri­tik in der Umbruchs­zeit der Jahr­hun­dert­wen­de ent­stand. So nimmt es nicht wun­der, dass sich die Akti­vi­tä­ten der Ehe­leu­te in vie­len Punk­ten mit dem Pro­gramm der Hei­mat­be­we­gung deck­ten, etwa dem Natur- und Land­schafts­schutz, der Brauch­pfle­ge, der his­to­ri­schen Erfor­schung der eige­nen Lebens­welt oder der Erhal­tung von Bau­denk­mä­lern und typi­schen Bau­for­men. In ihrem Rück­zug in die kaschu­bi­schen Wäl­der lag kei­nes­wegs ein zivi­li­sa­ti­ons­mü­der Eska­pis­mus, viel­mehr ging es ihnen um Reform, und die Muse­ums­grün­dung war nur der Anfang eines kon­ti­nu­ier­li­chen Schaf­fens­we­ges: So setz­ten sich die Gul­gow­skis für die Revi­ta­li­sie­rung des soge­nann­ten kaschu­bi­schen Haus­flei­ßes ein, zu dem u. a. die Sti­cke­rei, die Lei­nen­we­be­rei, die Töp­fe­rei und die Korb­flech­te­rei zähl­ten. Damit ver­folg­ten sie einer­seits ideel­le Absich­ten, wie die Kul­ti­vie­rung des künst­le­ri­schen Sinns auf dem Lan­de, und ande­rer­seits öko­no­mi­sche Zie­le, nament­lich die Ver­bes­se­rung der mate­ri­el­len Situa­ti­on der Landbevölkerung.

Mit künst­le­ri­scher Frei­heit begann Teodo­ra Gul­gows­ka im Win­ter 1906/07 die auf kaschu­bi­schen Möbeln, Kopf­hau­ben und Glas­ma­le­rei­en auf­find­ba­ren flo­ra­len Moti­ve zu Stickerei-Mustern zu kom­po­nie­ren und grün­de­te in Wdzyd­ze eine eige­ne Schu­le. Kei­nes­wegs such­te sie die Authen­ti­zi­tät uralter Mus­ter her­auf­zu­be­schwö­ren, son­dern beton­te, dass sie aus dem Vor­rat volks­kund­li­cher Samm­lun­gen und Stu­di­en ihres Man­nes aus dem Vol­len geschöpft und stets neue Mus­ter erson­nen habe. Mit ihren Sti­cke­rei­en traf sie den Geschmack ihrer städ­ti­schen Kun­den und erziel­te Erfol­ge auf inter­na­tio­na­len Volks­kunst­mes­sen. Auch wenn die Sti­cke­rei­en nicht im eigent­li­chen Sin­ne der kaschu­bi­schen Volks­kul­tur ent­spran­gen und erst spä­ter Ein­zug in die bäu­er­li­chen Häu­ser erhiel­ten, trug Teodo­ra zur Ver­brei­tung und Eta­blie­rung eines als kaschu­bisch iden­ti­fi­zier­ba­ren For­men­schat­zes bei.

Indes arbei­te­te Izy­dor emsig an der Insti­tu­tio­na­li­sie­rung einer kaschu­bi­schen Volks­kun­de. Gemein­sam mit dem Sla­wis­ten Fried­rich Lorentz grün­de­te er 1907 in Kart­haus (Kar­tu­zy) den Ver­ein für kaschu­bi­sche Volks­kun­de. Obschon der Ver­ein eher als eine deut­sche Orga­ni­sa­ti­on behan­delt wur­de – die Verkehrs- und Publi­ka­ti­ons­spra­che war Deutsch –, ver­band er vie­le ansäs­si­ge Polen und Kaschub­en, dar­un­ter Leh­rer, Ärz­te, Schrift­stel­ler und Geist­li­che. Laut Sat­zung war der Ver­ein unpo­li­tisch und ver­schrieb sich dem Ziel, „alles auf die kaschu­bi­sche Volks­kun­de im wei­tes­ten Umfan­ge bezüg­li­che Mate­ri­al zu sam­meln“. Nur ein Jahr nach der Ver­eins­grün­dung erschien erst­mals des­sen Publi­ka­ti­ons­or­gan, die Mit­tei­lun­gen des Ver­eins für kaschu­bi­sche Volks­kun­de, die Gul­gow­ski und Lorentz herausgaben.

Konkurrenz und Freundschaft

Par­al­lel und kon­kur­rie­rend zur Tätig­keit der Gul­gow­skis ent­stand eine Art Gegen­be­we­gung: die Jung­ka­schub­en. Die­ser unter dem Mot­to „Was kaschu­bisch ist, ist pol­nisch“ agie­ren­den, eher poli­tisch aus­ge­rich­te­ten Grup­pe stand der in Berent (Kościer­zy­na) gebo­re­ne Arzt und Schrift­stel­ler Alek­san­der Maj­kow­ski (1876–1938) vor. Nach­dem er zunächst selbst Mit­glied des von Gul­gow­ski gegrün­de­ten Ver­eins war, gab Maj­kow­ski ab 1908 die Zeit­schrift Gryf (Der Greif) her­aus, grün­de­te 1912 die Gesell­schaft Towar­zyst­wo Mło­do­ka­s­zu­bów (Gesell­schaft der Jung­ka­schub­en) und 1913 das pommersch-kaschubische Muse­um in Zop­pot. Wenn­gleich Maj­kow­ski auch wei­ter­hin in den Mit­tei­lun­gen und umge­kehrt Gul­gow­ski im Gryf publi­zier­ten, bestand zwi­schen den bei­den Akteu­ren, ihren Orga­ni­sa­tio­nen und Orga­nen ein Kon­kur­renz­ver­hält­nis, das sicher­lich auch, aber nicht allein, auf die jewei­li­ge natio­na­le Posi­tio­nie­rung zurück­zu­füh­ren war. Denn bereits im Hin­blick auf die Fra­ge, wel­che Stra­te­gien zur Errei­chung der zwar gemein­sam geteil­ten Zie­le wie der Samm­lung, Bewah­rung und Revi­ta­li­sie­rung der kaschu­bi­schen Kul­tur und Iden­ti­tät zu wäh­len sei­en, bestand kein Kon­sens. Die Jung­ka­schub­en stün­den, so Maj­kow­ski 1908, dem Ver­ein für kaschu­bi­sche Volks­kun­de wohl­wol­lend gegen­über, doch die Auf­ga­be die­ses Ver­eins bestehe allein im Sam­meln, nicht aber in der Bewah­rung der kaschu­bi­schen Kul­tur: Nur die Jung­ka­schub­en sei­en imstan­de, das Kaschub­entum wie­der­zu­be­le­ben. Schon ein Jahr spä­ter wird sein Ton rau­er: Maj­kow­ski spot­tet über die unpo­li­ti­sche Hal­tung des Ver­eins, die er in Anbe­tracht der ger­ma­ni­sie­ren­den Bestre­bun­gen des Deut­schen Ost­mar­ken­ver­eins für unan­ge­mes­sen hält. Fer­ner kri­ti­siert er scharf des­sen rein musea­li­sie­ren­de Aktivitäten:

Für kur­ze Zeit nahm man an, dass wir Kaschub­en schon Lei­chen sei­en, an denen man Obduk­tio­nen durch­füh­ren, ihre Tei­le kata­lo­gi­sie­ren, in Spi­ri­tus ein­le­gen und gelehr­te Trak­ta­te über sie schrei­ben kön­ne. […] Wir aber […] ver­kün­den gegen­über Gott und dem Vol­ke, dass wir noch immer leben und leben wollen.

Ganz gewiss sah sich der hier ange­grif­fe­ne Gul­gow­ski nicht in der Rol­le eines Lei­chen­se­zie­rers, auch wenn er die Zukunft der Kaschub­ei durch­aus in den Hän­den der Wis­sen­schaft wis­sen woll­te und den musea­len Gedan­ken hoch­hielt. Maj­kow­ski und die Jung­ka­schub­en folg­ten hin­ge­gen einer poli­ti­schen Visi­on von der Erneue­rung des kaschu­bi­schen Geis­tes und such­ten mit ihrem Akti­vis­mus die Kaschub­en selbst zu mobi­li­sie­ren, ihre Regio­nal­kul­tur aus eige­ner Kraft zu beleben.

Eben­so hat­te Teodo­ra Gul­gows­ka eine Art Gegen­spie­le­rin, und zwar in Maj­kow­skis Schwes­ter Fran­ciszka, die ihren Bru­der bei sei­nen Akti­vi­tä­ten unter­stütz­te. Auch sie inter­es­sier­te sich für Sti­cke­rei­en und arbei­te­te zunächst mit Teodo­ras Mus­tern, um schließ­lich 1910 ihre eige­ne Stickerei-Schule zu grün­den. Wie ihr Bru­der pfleg­te Fran­ciszka einen recht direk­ten Umgangs­ton, was sich einem Inter­view aus dem Jah­re 1956 ent­neh­men lässt: „Wdzyd­ze hat die kaschu­bi­schen Mus­ter zer­stört !“ Damit äußer­te sie ihr Unbe­ha­gen am fort­wäh­ren­den künstlerisch-freien Umgang mit den – wohl­weis­lich von Teodo­ra Gul­gows­ka ent­wi­ckel­ten – Moti­ven und for­der­te öffent­lich eine Kano­ni­sie­rung der Mus­ter in Form und Far­be. Bei die­sem Kon­flikt ging es nicht allein um Fra­gen der Ästhe­tik, son­dern vor­dring­lich um die Deu­tungs­ho­heit über die kaschu­bi­sche Sym­bo­lik und die dar­an geknüpf­te Identität.

Unge­ach­tet öffent­lich zur Schau gestell­ter Kon­flik­te erlitt der unter­des­sen rege geführ­te Dis­kurs über die kaschu­bi­sche Kul­tur und Iden­ti­tät kei­nen Abbruch. Bis­wei­len hat es sogar den Anschein, als sei der Kon­flikt eine Stra­te­gie, Auf­merk­sam­keit her­vor­zu­ru­fen, um damit die Wie­der­be­le­bung der Kaschub­ei zu beför­dern. Das Pri­va­te indes­sen scheint unge­trübt vom öffent­lich aus­ge­tra­ge­nen Streit. So ver­band Alek­san­der Maj­kow­ski und die Gul­gow­skis eine tie­fe Freund­schaft: Man traf sich zu gemüt­li­chen Kaf­fee­run­den in Wdzyd­ze, schrieb sich freund­schaft­li­che Brie­fe und unter­nahm gemein­sa­me Segel­tou­ren. Ein Freund­schafts­be­weis war der 1938 von Alek­san­der Maj­kow­ski unter dem Titel Zor­ze Kas­zubs­kie [Die kaschu­bi­schen Mor­gen­rö­ten] auf Izy­dor Gul­gow­ski ver­fass­te Nach­ruf, in dem er Lebens­werk und Enga­ge­ment des ver­stor­be­nen Freun­des in der Regio­nal­be­we­gung würdigt:

Zugleich ent­stand in Wdzyd­ze das kaschu­bi­sche Muse­um, in einer ein­fa­chen Lau­ben­hüt­te. Es wur­de ohne Vor­bil­der geschaf­fen, das ein­zi­ge Muse­um sei­ner Art. Daher mach­te es auch so gro­ßen Ein­druck. Vor allem auf die kaschu­bi­sche Jugend. […] Und es ent­stan­den Plä­ne, die­ses Kaschub­entum zum Leben zu erwe­cken, das dort wie in einem Volks­mär­chen ein­ge­schla­fen war, in die­sem Reich des Zau­bers. […] Aber dort am Weit­see ist der kaschu­bi­sche Geist wie­der­ge­bo­ren. Dort ent­stan­den die Ideen zur Grün­dung des volks­kund­li­chen Ver­eins in Kar­tu­zy, zur Gesell­schaft der Jung­ka­schub­en, zur Zeit­schrift „Gryf“. All die­se Bestre­bun­gen sind trotz des toben­den Haka­tis­mus* in die Tat umge­setzt wor­den und ver­lie­hen der Kaschub­ei bis zum Aus­bruch des gro­ßen Krie­ges ihr gegen­wär­ti­ges Ant­litz. […] So bra­chen in Wdzyd­ze die Mor­gen­rö­ten der Wie­der­be­le­bung des Kaschub­entums an.

Die Erweckung kaschubischer Landschaft

Als Inspi­ra­ti­ons­quel­le ihres Schaf­fens galt den Gul­gow­skis die süd­ka­schu­bi­sche Land­schaft, die sie in ihren Arbei­ten qua­si ver­stoff­wech­sel­ten: Izy­dor besang die Land­schaft nicht nur in sei­nen Gedich­ten, son­dern auch in sei­ner unter dem Pseud­onym Ernst Seefried-Gulgowski im Jah­re 1911 in deut­scher Spra­che erschie­ne­nen volks­kund­li­chen Mono­gra­fie zur Kaschub­ei. Die­se Abhand­lung mit dem spre­chen­den Titel Von einem unbe­kann­ten Vol­ke in Deutsch­land eröff­net er mit einem Kapi­tel über die Land­schaft, in dem der Autor, anders als in den nach­fol­gen­den, sach­lich und wis­sen­schaft­lich gehal­te­nen Kapi­teln, ein durch­weg emo­tio­nal gestimm­tes Land­schafts­bild liefert:

Der süd­li­che Teil der Kaschub­ei – die Quel­le des vor­lie­gen­den Wer­kes – ist der unbe­kann­tes­te. Und doch muß ich hier gleich her­vor­he­ben, daß er land­schaft­lich der eigen­ar­tigs­te ist. […] Es ist ein gewal­ti­ges Stim­mungs­bild mit her­bem, schwermütig-melancholischem Unter­ton. Das Auge schweift unge­hin­dert hin­aus über die wei­ten Hei­den mit den dunk­len Seen. Die Kie­fern­wäl­der am Hori­zont sind meist in eine fei­ne blaue Dunst­hül­le getaucht. Die­se ruhi­gen, wei­chen Lini­en ver­lei­hen der Land­schaft etwas Großzügiges.

Mit die­sen Wor­ten gelingt es Izy­dor Gul­gow­ski vor­treff­lich, nicht nur sich selbst und sei­ne Arbeit, son­dern auch sei­ne Leser und Lese­rin­nen in der Süd­ka­schub­ei zu ver­or­ten und ihnen bild­haft die dort herr­schen­de Stim­mung vor Augen zu führen.

Wäh­rend Izy­dor in sei­nen Tex­ten von der „wun­der­ba­ren Far­ben­stim­mung“, dem „Far­ben­reich­tum“ und der „Farb­sym­pho­nie“ schwärmt, die sich auch in der Vor­lie­be der Kaschub­en für bun­te und leuch­ten­de Far­ben spie­ge­le, hält sei­ne Gat­tin die­se in ihren Gemäl­den und Skiz­zen fest. Ins­be­son­de­re aber in ihren flo­ra­len Stickerei-Mustern scheint Teodo­ra die land­schaft­li­che Far­ben­stim­mung und zugleich die kolo­ris­ti­schen Prä­fe­ren­zen der Kaschub­en ein­ge­fan­gen und ver­dich­tet zu haben. Bis­wei­len wirkt es so, als sei­en die­se Moti­ve zunächst aus der kaschu­bi­schen Land­schaft her­vor­ge­tre­ten, um fort­an die kaschu­bi­sche Lebens­welt zu beset­zen: Auch gegen­wär­tig sind die kaschu­bi­schen Mus­ter sowohl im pri­va­ten als auch öffent­li­chen Raum der Kaschub­ei omni­prä­sent und defi­nie­ren dadurch zugleich den geo­gra­fi­schen Radi­us der Kaschub­ei, die ansons­ten kei­ne fest­ge­leg­ten Gren­zen besitzt.

Mit ihren mate­ri­el­len wie geis­ti­gen Her­vor­brin­gun­gen haben sich die Ehe­leu­te Gul­gow­ski tief in das kol­lek­ti­ve Gedächt­nis und die Land­schaft der Kaschub­ei ein­ge­schrie­ben. Ihre auf uns gekom­me­nen Wer­ke – die kaschu­bi­schen Mus­ter, die wis­sen­schaft­li­chen Schrif­ten, die Urhüt­te, das Frei­licht­mu­se­um – sind Aus­weis eines Zusam­men­schwin­gens der schöp­fe­ri­schen Kraft ihrer Urhe­ber mit der schöp­fe­ri­schen Kraft der süd­ka­schu­bi­schen Land­schaft, die auch heu­te noch dazu ein­lädt, sich auf ihre ruhi­gen, wei­chen Lini­en und die sie durch­herr­schen­de sub­ti­le Schön­heit einzulassen.

* Die Hakata ist die polnische (pejorative) Bezeichnung für den Deutschen Ostmarkenverein, eine 1894 gegründete (und bis 1934 bestehende) nationalistische deutsche Organisation. Die Bezeichnung wurde aus den Anfangsbuchstaben der Gründer (Ferdinand von Hansemann-Pempowo, Hermann Kennemann-Klenka, Heinrich von Tiedemann-Seeheim) gebildet. Ziel des Vereins war es, die Germanisierung der infolge beider Teilungen Polens von Preußen annektierten Gebiete Posen und Westpreußen anzutreiben.

Die Wiedergabe der Aufnahme von der „Kaffeetafel in Wdzydze“ geschieht mit freundlicher Genehmigung des Museums für kaschubisch-pommersches Schrift- und Liedgut in Neustadt (Muzeum Piśmiennictwa i Muzyki Kaszubsko-Pomorskiej w Wejherowie). Alle anderen Fotografien werden im Archiv des von den Gulgowskis gegründeten Freilichtmuseums Kaszubski Park Etnograficzny im. Teodory i Izydora Gulgowskich we Wdzydzach Kiszewskich aufbewahrt und werden hier mit der freundlichen Genehmigung des Museums reproduziert.