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Die Bedeutung des Deutschen Ordens für die Entwicklung des Ostseeraumes

Von Udo Arnold

Anwege und Optionen

Die Regi­on, die viel spä­ter den Namen West­preu­ßen erhielt, lag vor der Ankunft des Deut­schen Ordens im 2. Vier­tel des 13. Jahr­hun­derts weit ent­fernt von den christ­li­chen Vor­stel­lun­gen, die sich eher dem Mit­tel­meer­raum als dem Ost­see­raum zuwand­ten, wenn­gleich die Gebie­te dem Kauf­mann durch­aus bekannt waren. Die Kreuzzugs­ideologie rich­te­te sich aber inzwi­schen nicht mehr nur auf das Hei­li­ge Land, son­dern gene­rell auf nicht­christ­li­che Län­der. Damit geriet auch der Ost­see­raum stär­ker in den Fokus. Längst waren Mis­si­on und poli­ti­sche Unter­wer­fung als ter­ri­to­ria­le Erwei­te­rung eines Herr­schafts­rau­mes gleich­ge­setzt. Kreuz­zugs­ideo­lo­gie und Ter­ri­to­ri­al­den­ken deck­ten sich.

Bis­lang hieß die füh­ren­de Macht im Ost­see­raum Däne­mark. Das König­reich griff zu Beginn des 13. Jahr­hun­derts inten­siv nach Osten aus, Liv­land hieß das Ziel. Vom damals unter däni­scher Herr­schaft ste­hen­den Erz­bis­tum Lund (Schwe­den) wur­de das Bis­tum Reval am Fin­ni­schen Meer­bu­sen 1219 begrün­det. Von der Weser­mün­dung her erfolg­te der Aus­griff auf die Dün­a­mün­dung, das Erz­bis­tum Hamburg-­Bremen erhoff­te sich mit der Grün­dung des Bis­tums Riga zu Beginn des 13. Jahr­hun­derts ein neu­es Ein­fluss­feld. Auch Kai­ser und Papst rich­te­ten in den 20er Jah­ren ihre Auf­ru­fe in Regio­nen, in denen sie nicht zu spät kom­men woll­ten beim Erschlie­ßen neu­er Macht­be­rei­che. Am wenigs­ten betrof­fen von die­sem Aus­grei­fen war noch das Land zwi­schen Weich­sel und Memel.

Polen hat­te seit der Mit­te des 12. Jahr­hun­derts die Herr­schafts­form des Seni­o­rats: Der jeweils Ältes­te der ver­zweig­ten Piasten­sip­pe soll­te König sein, die Ober­herr­schaft  rotie­ren, damit kein Zweig der Fami­lie die ande­ren domi­nier­te. Die­se Theo­rie ließ sich in der Pra­xis jedoch nicht durch­füh­ren. Der Kampf um die Füh­rungs­po­si­ti­on kann­te daher zu Beginn des 13. Jahr­hun­derts zwei pias­ti­sche Kraft­fel­der: Schle­si­en und Masowien-Kujawien, also im Süden und im Nor­den Polens. Maso­wi­en hat­te einen Nach­teil und einen Vor­teil zugleich – in den Pru­ßen besaß es heid­ni­sche Nach­barn. Lie­ßen sie sich unter­wer­fen und tau­fen, besaß Her­zog Kon­rad von Maso­wi­en ein ent­schei­den­des Plus gegen­über sei­nem Vet­ter Her­zog Hein­rich I. dem Bär­ti­gen von Schle­si­en und damit den höhe­ren Anspruch auf die gesamt­pol­ni­sche Herrschaft.

Doch inzwi­schen konn­te der aus Pom­me­rel­len oder Kuja­wi­en kom­men­de Zis­ter­zi­en­ser Chris­ti­an eini­ge Tau­f­erfol­ge in Preu­ßen auf­wei­sen, so dass der Papst ihn 1215 zum Bischof von Preu­ßen ernann­te. Aber der pru­ßische Wider­stand wuchs, nicht zuletzt durch den Plan einer Ver­bin­dung der Mis­si­on mit der Unter­wer­fung unter Maso­wi­en. Damit geriet Her­zog Kon­rad sel­ber in die Defen­si­ve. In die­ser Situa­ti­on such­te er 1225 Hil­fe am Kaiserhof.

Fried­rich II. geriet dadurch in eine Zwick­müh­le. Zwar hat­te er im Jahr zuvor ein Mani­fest an die bal­ti­schen Völ­ker erlas­sen, das sei­ne Inter­es­sen dort wider­spie­gelt. Doch sein bereits 1215 in Aachen gege­be­nes Kreuz­zugs­ver­spre­chen gegen­über der Kurie und sei­ne nicht zuletzt mit der Hei­rat Isa­bel­las von Bri­en­ne, der Erbin des König­reichs Jeru­sa­lem, in den Mit­tel­meer­raum gerich­te­te Poli­tik hat­te Vor­rang. In die­ser Situa­ti­on erhoff­te er sich Unter­stüt­zung bei dem längst fäl­li­gen Kreuz­zug ins Hei­li­ge Land durch den regie­ren­den Land­gra­fen Lud­wig von Thü­rin­gen, den Mann der spä­ter hei­lig­ge­spro­che­nen Eli­sa­beth von Ungarn. Ihm ver­sprach er die Anwart­schaft auf Preu­ßen, das Lud­wig sich nach dem Kreuz­zug aller­dings erst erobern müsste.

Die Thü­rin­ger hat­ten sich im Zuge der Thron­fol­ge­wir­ren zwi­schen Stau­fern und Wel­fen schließ­lich Fried­rich II. zuge­wandt, und neben der ver­spro­che­nen Even­tu­al­nach­fol­ge in der Mark Mei­ßen war dies die zwei­te Mög­lich­keit für die auf­stre­ben­de Land­graf­schaft, eine wich­ti­ge­re Rol­le im Reichs­ge­fü­ge ein­neh­men zu kön­nen. Wesent­lich betei­ligt an die­sen Über­le­gun­gen auf einem Hof­tag in Rimi­ni 1226 war Her­mann von Sal­za, von Hau­se aus thü­rin­gi­scher Minis­te­ria­le, Hoch­meis­ter des Deut­schen Ordens und enger Bera­ter des Kaisers.

Eine Seu­che, der auch Lud­wig 1227 zum Opfer fiel, ver­hin­der­te noch in Süd­ita­li­en den Beginn von Fried­richs Kreuz­zug. Das änder­te jedoch nicht den aus­grei­fen­den poli­ti­schen Blick des Kai­sers und des Hoch­meis­ters. Der Deut­sche Orden trat in die ursprüng­lich auf Land­graf Lud­wig aus­ge­rich­te­te Poli­tik ein. Sie pass­te gut zu den Plä­nen des Hoch­meis­ters, für sei­nen Orden ein eige­nes Ter­ri­to­ri­um zu erwerben.

Den ers­ten Erfolg ver­spre­chen­den Ansatz hat­te es im unga­ri­schen Bur­zen­land gege­ben, in das er 1211 von König An­dreas II. zum Kampf gegen die heid­ni­schen Kuma­nen geru­fen wor­den war. Auf dem Hin­ter­grund einer gene­rel­len poli­ti­schen Umori­en­tie­rung Ungarns, ver­bun­den mit inne­ren Aus­ein­an­der­set­zun­gen des Königs mit sei­nem Adel, hat­te der Orden jedoch 1225 das Land wie­der ver­las­sen müs­sen. Zur glei­chen Zeit hat­te er wei­te­re Optio­nen, im König­reich Arme­ni­en, im Hei­li­gen Land, in Spa­ni­en – nun kam Preu­ßen hin­zu. Wel­che der Optio­nen sich als trag­fä­hig für die Zukunft erwei­sen wür­de, ließ sich nicht vor­her­se­hen. Nun erkun­de­te der Orden 1228 das in Fra­ge kom­men­de Gebiet und ver­han­del­te nach sei­nen nega­ti­ven Erfah­run­gen mit Ungarn sehr vor­sich­tig, bis Her­zog Kon­rad von Maso­wi­en (Kon­rad Mazowiecki) ihm 1230 das zu Maso­wi­en gehö­ren­de, aber von Pru­ßen­ein­fäl­len betrof­fe­ne Kul­mer­land ohne Vor­be­hal­te schenk­te. Bis zum Ende des 20. Jahr­hun­derts blieb dies ein Pro­blem pol­ni­scher Tages­po­li­tik, hieß es doch in der Pole­mik gegen den ers­ten nicht­kom­mu­nis­ti­schen Pre­mier­mi­nis­ter Polens, Tade­usz Mazowiecki, dass schon ein­mal ein Mazowiecki das Unglück Polens vor­be­rei­tet habe.

Landnahme und Territorialausbau

Nach­dem Fried­richs kei­nes­wegs unpro­ble­ma­tisch ver­lau­fe­ner Kreuz­zug nach Jeru­sa­lem 1229 mit kräf­ti­ger Unter­stüt­zung des Deut­schen Ordens erfolg­reich abge­schlos­sen wor­den war und 1230 die Aus­söh­nung des Kai­sers mit dem Papst unter Ver­mitt­lung Her­mann von Salz­as gelang, begann die Erobe­rung des Kul­mer­lan­des und anschlie­ßend Preu­ßens durch den Deut­schen Orden. Die Pru­ßen nah­men Bischof Chris­ti­an 1233 gefan­gen und räum­ten damit den kir­chen­recht­li­chen Kon­kur­ren­ten des Ordens aus dem Weg, so dass 1234 die päpst­li­che Pri­vi­le­gie­rung des Ordens für sein Preu­ßen­un­ter­neh­men erfolg­te („Rie­ti­bul­le“). Recht­zei­tig vor der Mün­dig­keit und damit der Mög­lich­keit eines Erb­an­spruchs Her­manns II. von Thü­rin­gen, des Soh­nes und Erben Lud­wigs und der 1234 hei­lig­ge­spro­che­nen Eli­sa­beth, stell­te Fried­rich II. 1235 sein Pri­vi­leg für den Orden in Preu­ßen aus („Rimi­ni­bul­le“). Es wur­de auf den Hof­tag von 1226 rück­da­tiert und besaß einen Inhalt, der für Lud­wig sicher nicht geplant gewe­sen war. Der Orden hat­te inzwi­schen ein päpst­li­ches Lehns­ver­bot, die Exem­ti­on, erhal­ten, und damit konn­te Preu­ßen nicht mehr Teil des Deut­schen oder Römi­schen Rei­ches wer­den. Das wur­de ent­schei­dend für die preu­ßi­sche Ent­wick­lung bis ins 19. Jahrhundert.

Die Unter­wer­fung des Lan­des zwi­schen Weich­sel und Memel durch den Deut­schen Orden fand in den nächs­ten fünf Jahr­zehn­ten statt. Fran­zis­ka­ner und Domi­ni­ka­ner über­nah­men die Mis­si­on. Durch die Inkor­po­ra­ti­on der liv­län­di­schen Schwert­brü­der in den Deut­schen Orden 1237 kam Liv­land als Hei­den­kampf­front hin­zu, des­sen Ost­gren­ze gegen­über dem Groß­fürs­ten­tum Now­go­rod durch die Schlacht auf dem Pei­pus­see 1242 für die fol­gen­den Jahr­hun­der­te fixiert wur­de – bis in die Gegen­wart als Gren­ze zwi­schen Est­land und Russ­land. Als Teil der pol­ni­schen und jün­ge­ren Riga­er Kir­chen­pro­vinz muss­te der Orden in Preu­ßen den ent­ste­hen­den Bis­tü­mern ein Drit­tel des erober­ten Ter­ri­to­ri­ums über­ge­ben. Im Gegen­zug ver­such­te der Orden, sich die Bis­tü­mer zu inkor­po­rie­ren. Das gelang für Kulm, Pome­sa­ni­en, Sam­land und Kur­land, miss­lang für Erm­land und die liv­län­di­schen Bis­tü­mer. Im Ergeb­nis bedeu­te­te das für Preu­ßen ein weit­ge­hend ein­heit­li­ches Ter­ri­to­ri­um unter der Ober­ho­heit des Ordens.

In Preu­ßen erfolg­te ein sys­te­ma­ti­scher Ter­ri­to­ri­al­aus­bau. Die Pru­ßen hat­ten nur eine locke­re Stam­mes­or­ga­ni­sa­ti­on beses­sen, wenn­gleich sie bereits weit­ge­hend sess­haft und von einer Natur­re­li­gi­on geprägt waren, die durch­aus Tri­ni­täts­vor­stel­lun­gen kann­te. Der Orden hat­te sie nach dem ers­ten Auf­stand im Christ­bur­ger Frie­den von 1249 als Part­ner akzep­tie­ren müs­sen, sofern sie sich tau­fen lie­ßen und sei­ner Herr­schaft unter­stell­ten. Damit war ein eth­ni­sches Neben­ein­an­der vor­pro­gram­miert, das in den kom­men­den Jahr­zehn­ten sich ver­stär­ken soll­te infol­ge inten­si­ver deut­scher Sied­lung. Mit der Erobe­rung des Her­zog­tums Pom­me­rel­len west­lich der Weich­sel mit sei­nem Haupt­ort Dan­zig zu Beginn des 14. Jahr­hun­derts kam ein erheb­li­cher Anteil sla­wi­scher Unter­ta­nen hin­zu; etli­che hat­te es bereits im Kul­mer­land gege­ben. Doch aus die­sem eth­ni­schen Neben­ein­an­der wur­de ein Mit­ein­an­der, es ent­stand der Neu­stamm der Preu­ßen, der infol­ge wirt­schaft­li­cher, recht­li­cher und kul­tu­rel­ler Domi­nanz deutsch geprägt war und sei­ne pru­ßi­schen und sla­wi­schen Wur­zeln seit dem Beginn des 17. Jahr­hun­derts kaum noch erken­nen ließ. Namens­for­men der Gegen­wart sind jedoch noch ein deut­li­ches Erbe.

Die deut­sche länd­li­che Sied­lung in Preu­ßen war stark thü­rin­gisch und schle­sisch bestimmt, die neu gegrün­de­ten Städ­te vor allem im Küs­ten­be­reich nie­der­deutsch. Kauf­leu­te und Bau­ern sie­del­te der Orden an, jedoch kei­nen Adel, da er kei­nen gro­ßen, kon­kur­rie­ren­den Grund­be­sitz wünsch­te. Der Orden gab den Neu­sied­lern ein ein­heit­li­ches, von ihm geschaf­fe­nes, deutsch­recht­lich ori­en­tier­tes Recht, das sein Ter­ri­to­ri­um deut­lich zusam­men­schloss und gegen­über den Nach­barn abgrenz­te. Genau­so grenz­te er selbst sich gegen­über sei­nen Unter­ta­nen ab, da sein Nach­wuchs an Rit­tern aus dem Deut­schen Reich kam und eine ihm ver­gleich­ba­re Schicht des nie­de­ren Adels und der Minis­te­ria­li­tät in Preu­ßen nicht exis­tier­te. Das bedeu­te­te auto­ma­tisch eine Über­nah­me west­li­cher Kul­tur, auch wenn sie teil­wei­se eige­ne Aus­for­mun­gen erhielt, wie in der Archi­tek­tur oder der Dichtung.

Im benach­bar­ten Liv­land, nicht nur unter der Herr­schaft des Ordens, son­dern auch der nicht inkor­po­rier­ten Bis­tü­mer, erreich­te die bäu­er­li­che deut­sche Sied­lung die Gebie­te nicht. Es kam der Ordens­rit­ter aus dem Reich, vor allem aus West­fa­len und dem Rhein­land. Ihm folg­te – im Gegen­satz zu Preu­ßen – der dor­ti­ge Adel, häu­fig Ver­wand­te, der in den Bis­tumster­ri­to­ri­en die Guts­wirt­schaft auf­bau­te; im eige­nen Ter­ri­to­ri­um ver­such­te der Orden eine ähn­li­che Struk­tur wie in Preu­ßen durch­zu­set­zen. Die Bau­ern stell­ten die Auto­chtho­nen. In den Städ­ten sie­del­ten sich nie­der­deut­sche Kauf­leu­te an. Auf die­sem Wege war zwar die Ober­schicht eben­falls deutsch, doch es blieb eine rela­tiv gro­ße Zahl undeut­scher Unter­ta­nen. Somit war zwar die wirt­schaft­li­che, recht­li­che und kul­tu­rel­le Prä­gung eben­falls weit­ge­hend deutsch, doch kam es nicht zur Bil­dung eines deutsch gepräg­ten Neu­stam­mes, auch wenn sich eth­ni­sche Ver­schie­bun­gen bei der Urbe­völ­ke­rung erga­ben. Daher konn­ten sich nach dem Ers­ten Welt­krieg mit Est­land und Lett­land eige­ne Natio­nal­staa­ten entwickeln.

Strukturen der Landesherrschaft

Ein­zu­ge­hen ist auf eine wei­te­re Ent­wick­lungs­stu­fe der Lan­des­herr­schaft in den Ordens­ge­bie­ten. Der Orden war dar­auf bedacht, in Preu­ßen als Rah­men sei­ner Ter­ri­to­ri­al­herr­schaft ein ein­heit­li­ches Recht im gesam­ten Land durch­zu­set­zen mit einem eige­nen Ober­hof in Kulm; so gab es lübi­sches Recht nur im nicht inkor­po­rier­ten Bis­tum Erm­land, und nach der Erobe­rung Pom­me­rel­lens wur­den die dor­ti­gen Städ­te, z. B. Dan­zig, umge­rech­tet nach Kul­mer Recht. Eben­so schuf er eine ein­heit­li­che Mün­ze und ein ein­heit­li­ches Maß­sys­tem. So ließ er außer den Bet­tel­or­den kei­ne ande­ren Orden im Lan­de zu, da der Grund­be­sitz eben­falls in sei­ner Hand blei­ben soll­te. Nur in Pom­me­rel­len gab es bereits vor der Erobe­rung durch den Orden ­eini­ge Zis­ter­zi­en­ser­klös­ter wie Oli­va und Pel­plin, dort und in Preu­ßen sel­ber nur ganz weni­ge Frau­en­klös­ter mit mini­ma­lem Besitz. Die­se Form einer ver­ein­heit­li­chen­den Lan­des­herr­schaft war im 13. /14. Jahr­hun­dert sehr unge­wöhn­lich; sie stellt einen Vor­läu­fer des früh­neu­zeit­li­chen euro­päi­schen Flä­chen­staa­tes dar. Das Ergeb­nis lässt sich auch in Kunst und Kul­tur fest­stel­len. Wir haben es zwar mit einer Art Kolo­ni­al­land­schaft zu tun, in die aus Süden wie Wes­ten impor­tiert wur­de, in der sich aber eige­ne For­men im städ­ti­schen wie im länd­li­chen Bereich entwickelten.

Einen wesent­li­chen Unter­schied zu ande­ren Ter­ri­to­ri­en bil­de­te auch die Form der Ter­ri­to­ri­al­herr­schaft. Lan­des­herr war nicht etwa der seit 1309 in Preu­ßen resi­die­ren­de Hoch­meis­ter, son­dern der Orden als Gesamt­heit; jeder Ordens­rit­ter war somit Teil der Lan­des­herr­schaft. Es gab also kei­ne per­so­na­le Herr­schaft, son­dern eine kor­po­ra­ti­ve. Da der Orden in der Erobe­rungs­zeit das Land mit einem recht dich­ten Netz von Bur­gen über­zo­gen hat­te, die die Verwaltungs- und Wirt­schafts­zen­tren des Lan­des dar­stell­ten, war der Lan­des­herr in ganz ande­rer Art prä­sent als dies etwa in Liv­land in den Bis­tums­ge­bie­ten der Fall war. Dort saß neben dem Bischof und den Dom­ka­pi­teln ein loka­ler Adel als Vasal­len, was es in Preu­ßen nicht gab. Die lan­des­herr­li­che Durch­drin­gung des Ter­ri­to­ri­ums Preu­ßen war damit weit stär­ker, als es in jedem ande­ren mit­tel­al­ter­li­chen Ter­ri­to­ri­um der Fall sein konn­te. Auch das schuf inten­si­ve For­men der Ver­ein­heit­li­chung wie des kul­tu­rel­len Transfers.

Die­se kleingliedrig-dominierende Lan­des­herr­schaft war zudem aufs engs­te mit der kon­gru­ent dis­po­nier­ten Grund­herr­schaft ver­bun­den; der Orden bewirt­schaf­te­te über sei­ne Bur­gen und Vor­wer­ke das Land, das sonst dem Adel gehört hät­te. Das bedeu­te­te ein erheb­lich höhe­res Maß an Ein­künf­ten, als sie ande­re Lan­des­her­ren erhiel­ten. Hin­zu kam ein wei­te­res Spe­zi­fi­kum. Gera­de inner­halb des Deut­schen Rei­ches stamm­ten anfangs vie­le Ordens­brü­der aus dem städ­ti­schen Patri­zi­at, also aus einer mit Wirtschafts- und Han­dels­fra­gen ver­trau­ten Sozi­al­schicht. Auf die­sem Erfah­rungs­schatz auf­bau­end, betei­lig­te er sich mit einem umfang­rei­chen Eigen­han­del von Preu­ßen aus am nord­eu­ro­päi­schen Wirt­schafts­le­ben, völ­lig unge­wöhn­lich für einen mit­tel­al­ter­li­chen Lan­des­herrn. Damit erreich­te er eine bedeu­ten­de Liqui­di­tät, die ihm auch poli­tisch erheb­li­che Bewe­gungs­frei­heit im Ost­see­raum gab. Polen und der euro­päi­sche Adel hat­ten dem Orden gehol­fen, sei­ne Lan­des­herr­schaft in Preu­ßen auf­zu­bau­en und dort ein auto­no­mes, sou­ve­rä­nes, kei­nem Reichs­ver­band ange­hö­ren­des Ter­ri­to­ri­um zu schaf­fen. Preu­ßen wie auch die Ordens­ter­ri­to­ri­en in Liv­land bil­de­ten eine schar­fe poli­ti­sche, jedoch nicht wirt­schaft­li­che Abgren­zung zu den jewei­li­gen Nach­bar­ter­ri­to­ri­en, wobei für Liv­land die Abgren­zung zur ortho­do­xen Welt, also zu Häre­tikern hin­zu­kam. Das bedeu­te­te in vie­len Fäl­len auch eine kul­tu­rel­le Abgren­zung. Das damit ver­bun­de­ne Bewusst­sein erhielt sich nicht nur bis in die Refor­ma­ti­ons­zeit hin­ein, son­dern ist bis in die Gegen­wart zu spüren.

Der Niedergang einer Regionalmacht

Die poli­ti­sche Macht des mit­tel­al­ter­li­chen Ordens bedeu­te­te für den gesam­ten Ost­see­raum einen prä­gen­den Fak­tor. War es noch zu Beginn des 13. Jahr­hun­derts Däne­mark gewe­sen, das den Raum domi­niert hat­te, so wur­de des­sen Ein­fluss deut­lich zurück­ge­drängt. Bereits in der von Däne­mark gegen die nord­deut­schen Fürs­ten und Städ­te ver­lo­re­nen Schlacht von Born­hö­ved 1227 hat­te sich ent­schie­den, dass der nord­deut­sche Raum ein­deu­tig Reichs­ge­biet blieb. Auch der däni­schen Aus­deh­nung in die Ost­see war damit ein deut­li­cher Rie­gel vor­ge­scho­ben. Das zeigt sich sowohl hin­sicht­lich Pom­merns als auch der nord­liv­län­di­schen Gebie­te, d. h. Har­ri­ens und Wier­lands. Der Orden hat sie im 14. Jahr­hun­dert Däne­mark abge­kauft. Es blieb für das däni­sche König­tum nur der skan­di­na­vi­sche Raum als Expan­si­ons­ge­biet, die süd­li­che und öst­li­che Ost­see­küs­te war von der pom­mer­schen Ost­gren­ze an durch die Mili­tär­macht des Ordens besetzt. Die­se Geg­ner­schaft soll­te in der Kal­ma­rer Uni­on, dem Zusam­men­schluss der drei nor­di­schen Rei­che unter der däni­schen Köni­gin Mar­ga­re­the I. 1397, noch­mals einen Höhe­punkt fin­den, auch in der Geg­ner­schaft zum Deut­schen Orden.

Selbst in die­sen Raum griff der Orden aus, wenn­gleich nicht dau­er­haft. So besetz­te er zu Beginn des 15. Jahr­hun­derts die Insel Got­land, um dem See­räu­ber­un­we­sen ein Ende zu berei­ten, auch wenn die Insel anschlie­ßend an Däne­mark zurück­ge­ge­ben wur­de. Gleich­zei­tig kauf­te er dem böhmisch-luxemburgischen Königs­haus die Neu­mark ab, damit sie nicht in die Hän­de des Nach­barn Polen gelang­te, mit dem es seit der Erobe­rung Pom­me­rel­lens Anfang des 14. Jahr­hun­derts dau­er­haf­te Pro­ble­me gab. Der Orden war zu jenem Zeit­punkt auf der Höhe sei­ner Macht. Gleich­zei­tig war ihm jedoch im Nord­os­ten und Osten ein mäch­ti­ger Geg­ner erstan­den durch die polnisch-litauische Hei­rat und die damit ver­bun­de­ne Chris­tia­ni­sie­rung Litau­ens am Ende des 14. Jahr­hun­derts. Es war ihm trotz aller Ver­su­che nicht gelun­gen, das west­li­che Litau­en zu erobern, das wie ein Keil die preu­ßi­schen und liv­län­di­schen Ordens­lan­de von­ein­an­der trenn­te. Nun saß er in der Zan­ge, die sich weni­ge Jah­re spä­ter schloss. 1410 erlitt er sei­ne schwers­te Nie­der­la­ge in der Schlacht von Tan­nen­berg. Sie kos­te­te ihn viel Geld, jedoch bedeu­te­te sie kei­ne Ter­ri­to­ri­al­ver­lus­te. Die Ter­ri­to­ri­al­herr­schaft des Ordens wur­de nun zwar auch inner­halb des Lan­des durch das Begeh­ren vor allem der Städ­te nach Teil­ha­be an der Herr­schaft erschüt­tert, doch konn­te er sich noch bis in die Mit­te des 15. Jahr­hun­derts hal­ten – er blieb eine poli­ti­sche Macht im Ost­see­raum, mit der man zu rech­nen hatte.

Der ent­schei­den­de Ein­bruch erfolg­te erst in der Jahr­hun­dert­mit­te, als sich die Unter­ta­nen vor allem der west­li­chen Städ­te gegen ihren Lan­des­herrn erho­ben, mit dem pol­ni­schen König ver­bün­de­ten und das Geld für einen Krieg auf­brach­ten, den der Orden man­gels Finan­zen und eige­ner mili­tä­ri­scher Res­sour­cen nicht gewin­nen konn­te. Ergeb­nis war der Zwei­te Thor­ner Frie­de von 1466, der das Land teil­te in ein Orden­spreu­ßen mit dem Zen­trum Königs­berg im Osten und ein königlich-polnisches Preu­ßen mit den Zen­tren Dan­zig, Elb­ing, Thorn im Wes­ten. Auch wenn der Orden sich in sei­nem öst­li­chen Lan­des­teil noch sechs Jahr­zehn­te hal­ten konn­te, war er doch als wich­tigs­te Macht im Ost­see­raum aus­ge­schie­den. Damit ging gera­de im spä­te­ren West­preu­ßen eine deut­li­che eth­ni­sche Durch­mi­schung sla­wi­scher (kaschu­bi­scher und pol­ni­scher) und deut­scher Bevöl­ke­rungs­tei­le ein­her, die ihre Nach­wir­kun­gen bis ins 20. Jahr­hun­dert im Bewusst­sein der Bevöl­ke­rungs­grup­pen hatte.

Die Unter­stel­lung Hoch­meis­ter Albrechts von Brandenburg-­Ansbach nach Abfall vom Orden als Her­zog in Preu­ßen unter den pol­ni­schen König Sigis­mund I. Sta­ry 1525 stell­te nur eine ein paar Jahr­zehn­te ver­zö­ger­te Fol­ge­er­schei­nung der Lan­des­tei­lung von 1466 dar. Damit ver­lor der liv­län­di­sche Ordens­teil sei­nen letz­ten Rück­halt in der Regi­on, so dass er den Ansturm Mos­kaus in der Mit­te des 16. Jahr­hun­derts eben­falls nicht mehr abweh­ren konn­te – 1562 gab es den Deut­schen Orden im Ost­see­raum nicht mehr, vor allem Polen-Litauen hat­te die Macht übernommen.

Was ist geblie­ben? Zum einen Ter­ri­to­ri­al­gren­zen, die teil­wei­se über Jahr­hun­der­te, sogar bis in die Gegen­wart Bestand hat­ten. Das gilt sowohl für die im Frie­den am Mel­no­see 1422 fest­ge­leg­te Gren­ze, die die Gren­ze Ost­preu­ßens zu Polen noch im 20. Jahr­hun­dert dar­stell­te, wie auch die estnisch-russische Gren­ze an der Newa heu­te. Hin­zu kam die Ein­glie­de­rung eines Rau­mes in den Gel­tungs­be­reich der römi­schen Kir­che und der nach­fol­gen­den Refor­ma­ti­on, damit die Abwehr eines kirchlich-politischen Ein­flus­ses vom ortho­do­xen Osten. Die Erwei­te­rung Polens nach Osten wie auch die Refor­ma­ti­on schu­fen im dor­ti­gen König­reich zwangs­wei­se einen mul­ti­kon­fes­sio­nel­len Raum, des­sen Tole­rie­rung eine poli­ti­sche Über­le­bens­not­wen­dig­keit für das katho­li­sche König­tum dar­stell­te. Die Ent­wick­lung in Preu­ßen und im Bal­ti­kum hat­te ein Staa­ten­sys­tem zur Fol­ge, das noch in der Euro­päi­schen Uni­on Bestand hat.

Die staats­recht­li­che Fun­die­rung des Ordens­lan­des Preu­ßen als eines sou­ve­rä­nen, außer­halb der Gren­zen des Deut­schen wie des Römi­schen Rei­ches gele­ge­nen Ter­ri­to­ri­ums bot 1525 die Mög­lich­keit der Lehns­un­ter­stel­lung des Her­zog­tums Preu­ßen unter die pol­ni­sche Kro­ne und die Mit­be­leh­nung der übri­gen hohen­zol­lern­schen Lini­en Ans­bach und Bran­den­burg. Das war die Grund­la­ge für die Erlan­gung der Sou­ve­rä­ni­tät des Her­zog­tums Preu­ßen durch den bran­den­bur­gi­schen Kur­fürs­ten im Frie­den von Oli­va 1660 und die Krö­nung des bran­den­bur­gi­schen Kur­fürs­ten zum König in Preu­ßen 1701 – inner­halb des Hei­li­gen Römi­schen Rei­ches Deut­scher Nati­on wäre die­ser Vor­gang nicht mög­lich gewor­den. Damit blieb der Name des mit­tel­al­ter­li­chen Ordens­ter­ri­to­ri­ums erhal­ten für eine neue Mon­ar­chie – die Mark­gra­fen von Bran­den­burg wur­den zu Köni­gen in Preu­ßen. Nach der Über­nah­me der Herr­schaft in einem neu­en Deut­schen Reich 1871 durch jene Mon­ar­chie wur­de die­ser Name sogar zum Syn­onym für das neue Reich. Das galt auch noch für die natio­nal­so­zia­lis­ti­sche Aus­prä­gung jenes Rei­ches, so dass die alli­ier­ten Kon­troll­mäch­te in einer Art Lei­chen­fled­de­rung sich 1947 bemü­ßigt fühl­ten, den Staat Preu­ßen end­gül­tig für erlo­schen zu erklä­ren – eine zumin­dest unge­wöhn­li­che Form der Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung und des Kamp­fes gegen einen Schat­ten, den der auch nach 1525 im Deut­schen Reich und nach des­sen Zer­stö­rung durch Napo­le­on im Kai­ser­reich Öster­reich wei­ter exis­tie­ren­de Deut­sche Orden schon lan­ge nicht mehr sel­ber warf.

Neben Gren­zen und staats­recht­li­chen Fol­gen gab es eine deut­sche Prä­gung der süd­li­chen und öst­li­chen Küs­ten­län­der des Ost­see­rau­mes, die eben­falls bis in die Mit­te des 20. Jahr­hun­derts Bestand hat­te. Die Fol­ge war eine ent­spre­chen­de wirt­schaft­li­che, recht­li­che, sprach­li­che und kul­tu­rel­le Prä­gung, die das ehe­ma­li­ge Ordens­land Preu­ßen in der Ideo­lo­gie des 19. Jahr­hun­derts sogar zum deut­sches­ten aller deut­schen Lan­de mach­te – eine Anschau­ung, die noch wäh­rend der deutsch-polnischen Schul­buch­ge­sprä­che der 70er Jah­re des 20. Jahr­hun­derts ein Pro­blem dar­stell­te. Die wirt­schaft­li­che, recht­li­che und sprach­li­che Prä­gung exis­tiert seit der Mit­te des 20. Jahr­hun­derts nicht mehr. Unüber­seh­bar geblie­ben sind jedoch Zeug­nis­se der kul­tu­rel­len Prä­gung in Archi­tek­tur, Male­rei, Skulp­tur, Gold­schmie­de­kunst etc., kurz all den Berei­chen, mit denen sich die Kunst­ge­schich­te beschäf­tigt. Ihre Bedeu­tung wird glück­li­cher­wei­se nicht mehr unter natio­na­len Gesichts­punk­ten gese­hen, son­dern als wert­vol­ler Teil einer gesamt­eu­ro­päi­schen Kul­tur, die es zu bewah­ren, zu erfor­schen und wei­ter­zu­ver­mit­teln gilt über den engen Raum hin­aus – die Auf­nah­me der Mari­en­burg oder der Stadt Thorn in das Welt­kul­tur­er­be der UNESCO stel­len signi­fi­kan­te Bei­spie­le dar. In die­sem Rah­men haben auch heu­te noch die Hin­ter­las­sen­schaf­ten des Deut­schen Ordens eine für uns teil­wei­se her­aus­ra­gen­de Bedeu­tung. Die­se in gemein­sa­mer Arbeit zu erken­nen und zu erschlie­ßen, ist eine glei­cher­ma­ßen reiz­vol­le und loh­nen­de Auf­ga­be, unab­hän­gig von moder­nen Staats­gren­zen und Nationalitäten.