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Im Nebel der Geschichte 

Der Ritterorden von Calatrava im unteren Weichselland

Von Bartosz Gondek

Nur wenige Kilometer südlich von Mewe liegt das Dorf Thymau (Tymawa), das Historiker immer wieder zu Hypothesen, wenn nicht Spekulationen angeregt hat und weiterhin anregt: Dies soll anscheinend der Ort sein, an dem sich – vermutlich an der Stelle, an der heute die Dorfkirche steht – im frühen 13. Jahrhundert ein spanischer Ritterorden niedergelassen hat.

Die ers­te urkund­li­che Erwäh­nung des von Hügeln umge­­benen Dor­fes, des­sen Name »Thy­mau« von der Bezeich­nung eines Flus­ses oder Baches her­zu­kom­men scheint, erfolg­te im Jah­re 1224. Auf einem sanf­ten, angeb­lich zum Wein­an­bau genutz­ten Hang eines Hügels sie­del­te in den 1220er Jah­ren der Orden von Calat­rava, ein mit den Zis­ter­zi­en­sern nahe ver­wand­ter Rit­ter­or­den, des­sen Ursprung auf dem Gebiet des heu­ti­gen Spa­ni­ens zu suchen ist. Sei­ne Prä­senz im unte­ren Weich­sel­land gehört zu den größ­ten Rät­seln, die die mit­tel­al­ter­li­che Geschich­te die­ser Regi­on stellt. Die Vor­gän­ge wur­den in der wis­sen­schaft­li­chen For­schung inten­siv dis­ku­tiert, z. B. von Kle­mens Bruski, Jan Powier­ski, Gerard Labu­da und – in neue­rer Zeit – Marek Smo­liń­ski. Dabei scheint es plau­si­bel, dass der Trupp der bewaff­ne­ten Rit­ter­brü­der unter Füh­rung des Ordens­meis­ters Flo­ren­ti­us in den Nor­den kam, weil zuvor ent­spre­chen­de Ver­ein­ba­run­gen mit Hein­rich dem Bär­ti­gen (um 1165 bis 1238) oder mit groß­pol­ni­schen bzw. pom­me­rel­li­schen Her­zö­gen, ins­be­son­de­re mit Swan­to­polk, getrof­fen wor­den waren. Es könn­te aber auch sein, dass der Orden von den Zis­ter­zi­en­sern, deren bewaff­ne­ter Arm er war, ins pru­ßi­sche Grenz­ge­biet geru­fen wur­de und dabei Bischof Chris­ti­an von Preu­ßen (um 1180 bis 1245) die Initia­ti­ve ergrif­fen hatte.

Wer sich mit die­ser Epi­so­de beschäf­ti­gen möch­te, steht vor einer schwie­ri­gen Auf­ga­be ;  denn wäh­rend zur Geschich­te des Ordens in West­eu­ro­pa eine brei­te Quel­len­ba­sis besteht, ist eine ent­spre­chen­de Über­lie­fe­rung zur Expe­di­ti­on in den nord­öst­li­chen Teil Euro­pas nahe­zu ver­siegt. Die Doku­men­te sind der­art spär­lich, dass es oft beque­mer erscheint, die­sen Zusam­men­hang in über­grei­fen­den Dar­stel­lun­gen zu über­ge­hen. Vor­zu­wei­sen ist ledig­lich – oder doch :  immer­hin – eine Urkun­de vom 9. August 1224, kraft derer Sam­bor II. dem Zis­ter­zi­en­ser­or­den in Oli­va eine Schen­kung macht ;  und dort wer­den drei Ordens­brü­der aus Thy­mau – Kon­rad, Her­bord und Magnus mit Namen – aus­drück­lich als Zeu­gen des Akts ange­führt. Zudem ist die­ses Doku­ment u. a. mit einem Sie­gel des Flo­ren­ti­us, des Obe­ren des Thy­mau­er Ordens­hau­ses, ver­se­hen. Eine ande­re Urkun­de, die nur das Jah­res­da­tum 1230 trägt, steht in einem indi­rek­ten Zusam­men­hang mit den Rit­ter­brü­dern. Sie ent­hält eine von Äbten der Zis­ter­zi­en­ser­klös­ter in Lek­no und Lond aus­ge­stell­te Bestä­ti­gung des von Bischof Chris­ti­an mit dem Deut­schen Orden geschlos­se­nen Ver­tra­ges, in dem er dem Orden sei­nen Ter­ri­to­ri­al­be­sitz im Kul­mer­land über­tra­gen hatte.

So unbe­stimmt die Geschich­te des Ordens von Calat­rava im Weich­sel­land ist, so klar las­sen sich hin­ge­gen sei­ne Spu­ren auf der ibe­ri­schen Halb­in­sel ver­fol­gen. Gegrün­det wur­de er 1158 vom Abt Rai­mun­do, einem Zis­ter­zi­en­ser aus Fitero in Kas­ti­li­en. Damit folg­te er dem Gebot der Stun­de :  Elf Jah­re zuvor hat­te König Alfons VII. die von den Mau­ren beherrsch­te Burg Calat­rava, eine stra­te­gisch wich­ti­ge, zwi­schen Tole­do und Cór­do­ba gele­ge­ne Fes­tung, zurück­er­obert. Bei einer neu­er­li­chen Offen­si­ve der Ara­ber zogen sich die Temp­ler, die bis­lang die Ver­ant­wor­tung für die Fes­tung über­nom­men hat­ten, zurück. In die­ser zuge­spitz­ten Situa­ti­on über­trug König Sancho III. die Stadt und das Kas­tell dem Zis­ter­zi­en­ser­or­den, Abt Rai­mun­do orga­ni­sier­te ein gro­ßes Heer, das die Angrei­fer abschreck­te, – und Calat­rava war gerettet.

Der nun flo­rie­ren­de Orden wur­de 1164 von Papst Alex­an­der III. offi­zi­ell aner­kannt. Zuge­ord­net wur­de er der Pri­mar­ab­tei Mori­mond. Sei­ne Regu­la­ri­en folg­ten den­je­ni­gen des Zisterzienser-Ordens und schlos­sen die zusätz­li­che Ver­pflich­tung mit ein, den Kampf gegen die Hei­den zu füh­ren. Die Brü­der tru­gen kür­ze­re Kut­ten, so dass sie ein Pferd bestei­gen konn­ten. Ihre Regel for­der­te glei­cher­ma­ßen Fröm­mig­keit und Kriegs­dis­zi­plin. Im Refek­to­ri­um sowie in der Schlaf­kam­mer herrsch­te Schwei­gen, die Brü­der folg­ten einem stren­gen Rhyth­mus im Beten und Fas­ten ;  schla­fen durf­ten sie stets nur in ihrer Rüs­tung. Im Unter­schied zum Johanniter- oder Temp­ler­or­den nahm der Orden Kan­di­da­ten aller Stän­de auf. Eine adli­ge Abstam­mung wur­de somit nicht vorausgesetzt.

Nach­dem der Kalif und mau­ri­sche Heer­füh­rer Abū Yūsuf Yaʿ­qūb al-Mansūr in der Schlacht bei Alar­cos 1195 gesiegt hat­te, nahm er im fol­gen­den Jahr auch Calat­rava wie­der ein und ließ die über­le­ben­den Ver­tei­di­ger hin­rich­ten. Der Orden wur­de dadurch aber nicht dau­er­haft geschwächt ;  viel­mehr betei­lig­te er sich bald tat­kräf­tig an der Recon­quis­ta, ins­be­son­de­re an der sieg­rei­chen Schlacht bei Las Navas de Tolosa (1212), in deren Gefol­ge neu­er­lich auch Calat­rava zurück­er­obert wur­de. Dies ist ein wich­ti­ges Ereig­nis in der mit­tel­al­ter­li­chen Geschich­te der Ibe­ri­schen Halb­in­sel, und es mar­kiert zugleich den Punkt, von dem an der Orden zuneh­mend an Ein­fluss – und an Reich­tum – gewann und sich (bis ins 15. Jahr­hun­dert hin­ein) sogar von der Herr­schaft der Köni­ge von Kas­ti­li­en zu eman­zi­pie­ren vermochte.

Der Orden kam somit zu einer Zeit gro­ßer Erfol­ge und macht­vol­len Wir­kens an die Weich­sel. Dabei folg­te er den Zis­ter­zi­en­sern, die unbe­waff­net, als Boten des Glau­bens, schon Ende des 12. Jahr­hun­derts in die­ses christlich-heidnische Grenz­ge­biet gegan­gen waren. Die hier bestän­dig viru­len­ten Kon­flik­te bil­den einen Flucht­punkt für alle Über­le­gun­gen, war­um die Rit­ter­brü­der in den 1220er Jah­ren wohl nach Thy­mau gezo­gen sind. Die pru­ßi­sche Nach­bar­schaft bedeu­te­te für die christ­li­chen Herr­scher des Lan­des eine stän­di­ge Bedro­hung. In die­sem Zusam­men­hang geht Gerard Labu­da davon aus, dass der Orden ver­mut­lich 1226, gege­be­nen­falls auch erst um 1228 ins Land gekom­men sei, nach­dem die Klös­ter in der Regi­on von den Pru­ßen geplün­dert wor­den waren. Dabei sticht ins­be­son­de­re der Über­fall der pome­sa­ni­schen und erm­län­di­schen Pru­ßen auf das Klos­ter Oli­va her­vor, das die Hei­den nie­der­brann­ten und des­sen Mön­che sie vor den Augen der Ein­woh­ner ermordeten.

Eben­so wie bei der Fra­ge nach den Grün­den für das Unter­neh­men und nach des­sen prä­zi­sem Beginn las­sen sich auch im Blick auf die Her­kunft der Rit­ter nur Mut­ma­ßun­gen anstel­len. Wahr­schein­lich stamm­ten sie nicht aus Spa­ni­en, son­dern eher aus Frank­reich oder kamen aus einem der Zis­ter­zi­en­ser­klös­ter Meck­len­burgs. – Im Rah­men all die­ser Hypo­the­sen soll an die­ser Stel­le auch eine inter­es­san­te Über­le­gung von Marek Smo­liń­ski refe­riert wer­den :  Er ver­weist dar­auf, dass es in Navar­ra – unweit des Mut­ter­klos­ters des Ordens in Fitero – ein Zisterzienser-Kloster gege­ben habe, das »La Oli­va« hieß, und er schließt dar­auf­hin nicht aus, dass sich die Ordens­rit­ter von Calat­rava wegen der Gleich­heit des ihnen ver­trau­ten Namens in der Nähe des bei Dan­zig gele­ge­nen Klos­ters nie­der­ge­las­sen hätten.

Dass kaum Zeug­nis­se vom Wir­ken des Ordens von Calat­rava ver­füg­bar sind, spricht dafür, dass es sich ledig­lich um eine kur­ze his­to­ri­sche Epi­so­de han­delt. Der His­to­ri­ker Kle­mens Bruski mach­te dar­auf auf­merk­sam, dass sich in den Urkun­den der Zis­ter­zi­en­ser ein Schrei­ben zwei­er pol­ni­scher Her­zö­ge aus dem Jah­re 1245 befin­det, in dem sie sich an den Abt von Mori­mond wen­den und ihm das Anlie­gen unter­brei­ten, er möge ihnen Rit­ter des Calatrava-­Ordens sen­den. Ange­sichts der Tat­sa­che, dass sich in Thy­mau die ein­zi­ge Nie­der­las­sung des Ordens in Ost­mit­tel­eu­ro­pa befun­den hat, muss­te das Haus somit zu jener Zeit schon wie­der auf­ge­löst wor­den sein. Die meis­ten For­scher nei­gen zu der Ver­mu­tung, dass die Rit­ter­brü­der das Land bereits in den 1230er Jah­ren ver­las­sen hät­ten. Hier könn­te ins Spiel kom­men, dass die Dienst­pflicht auf 16 Jah­re begrenzt war und zwi­schen­zeit­lich viel­leicht aus­ge­lau­fen war. Mög­li­cher­wei­se ist aber auch Meis­ter Flo­ren­ti­us, der als ein­zi­ger auf Lebens­zeit an den Ort sei­nes Klos­ters gebun­den war, ver­stor­ben und hat dadurch das Ende des Unter­neh­mens her­vor­ge­ru­fen. Nicht zuletzt müss­te damit gerech­net wer­den, dass die Brü­der ihrer­seits durch die Hand der Pru­ßen umge­kom­men sind ;  denn die Hei­den lie­ßen in ihren Bemü­hun­gen, das christ­li­che Nach­bar­land zu erobern, kei­nes­wegs nach :  1236 brann­ten sie bei­spiels­wei­se erneut das Klos­ter Oli­va nie­der und töte­ten dabei sechs Mön­che und 34 Dienstleute.

Trotz der poli­tisch beding­ten, in den 1240er Jah­ren unter­nom­me­nen Bemü­hun­gen, den Orden von Calat­rava neu­er­lich in die­se Gegend zu holen, kamen die Rit­ter­brü­der aber nie wie­der an die Weich­sel zurück. Neben den äußer­li­chen Schwie­rig­kei­ten, solch eine weit­ge­hend iso­lier­te Nie­der­las­sung auf Dau­er zu hal­ten, wirk­te sich hier vor allem die Ent­schei­dung der Ordens­lei­tung aus, ihre bewaff­ne­ten Brü­der nicht mehr außer­halb der Ibe­ri­schen Halb­in­sel ein­zu­set­zen. – Anfang des 14. Jahr­hun­derts wur­de Thy­mau samt der Pfar­rei in Peh­sken (Piasecz­no) schließ­lich vom Deut­schen Orden über­nom­men, als er in Mewe sei­nen ers­ten Brü­cken­kopf am lin­ken Weich­sel­ufer errichtete.

Über­set­zung aus dem Pol­ni­schen: Joan­na Szkolnicka