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Die Geschichte der Elbinger Mennoniten

Von Hans-Jürgen Klein

Die Jah­re kurz nach 1500 sind für die Reli­gi­ons­ge­schich­te von beson­de­rer Bedeu­tung, da sich mit den viel­fäl­ti­gen Pro­zes­sen, die wir heu­te als ›die Refor­ma­ti­on‹ bezeich­nen, eine der gro­ßen Kir­chen­spal­tun­gen voll­zog, die das Chris­ten­tum bis in die Gegen­wart prägt. So unter­schied­lich die Kon­fes­si­ons­kir­chen waren, die sich, aus­ge­hend von Mar­tin Luther, Huld­reich Zwing­li und Johan­nes Cal­vin, ent­wi­ckel­ten, ver­ein­ten ihre theo­lo­gi­schen Kon­zep­tio­nen doch die Beto­nung des per­sön­li­chen Glau­bens, der nor­ma­ti­ven Kraft des Wor­tes Got­tes und der Recht­fer­ti­gung allein aus gött­li­cher Gna­de – damit zugleich die Ableh­nung einer Gerech­tig­keit aus ›guten Wer­ken‹ (wie z. B. der Zah­lung von Ablass) und einer Gleich­ran­gig­keit von Got­tes­wort und kirch­li­cher Lehr­tra­di­ti­on. Luther begann sei­ne Refor­ma­ti­on 1517 in Wit­ten­berg, Zwing­li 1524 in Zürich und Cal­vin 1536 in Genf. Ihre Bestre­bun­gen fan­den einen so leb­haf­ten Wider­hall, dass sich die neue Leh­re in ver­schie­de­nen Schat­tie­run­gen schnell über gro­ße Tei­le Euro­pas ver­brei­te­te, obwohl sich das pro­tes­tan­ti­sche Lager durch inne­re Strei­tig­kei­ten immer wie­der selbst schwächte.

Die Anabaptisten und ihre Entfaltung in den Niederlanden

Die Men­no­ni­ten in den Nie­der­lan­den sind Nach­fol­ger der im ers­ten Refor­ma­ti­ons­jahr­zehnt ent­stan­de­nen »Wie­der­täu­fer« (grie­chisch »Ana­bap­tis­ten«) bzw. »Täu­fer«. Der Ursprung die­ser Bewe­gung liegt im »Cas­tel­ber­ger Lese­kreis«, der Anfang der 1520er Jah­re – initi­iert durch den Buch­händ­ler und Pre­di­ger Andre­as Cas­tel­ber­ger – im Umfeld Zwing­lis in Zürich ent­stand, sich jedoch all­mäh­lich von die­sem eman­zi­pier­te und zum Aus­gangs­punkt der Täufer-Bewegung wurde.

Die theo­lo­gi­schen Über­zeu­gun­gen der Täu­fer gin­gen in ent­schei­den­den Punk­ten über die bis­he­ri­ge refor­ma­to­ri­sche Lehr­ent­wick­lung hin­aus :  Die Tau­fe wur­de als Zei­chen des Bun­des mit Gott und nicht als Vor­aus­set­zung der durch Chris­ti Tod und Auf­er­ste­hung ver­mit­tel­ten Wie­der­ge­burt betrach­tet. Aus die­sem Grun­de lehn­te man die Kin­der­tau­fe ab (wie aus men­no­ni­ti­schen Kir­chen­bü­chern ersicht­lich, erfolg­te die Tau­fe meis­tens zwi­schen dem 16. und 25. Lebens­jahr). Wei­ter­hin lehn­te man im Sin­ne einer radi­ka­len jesu­a­ni­schen Ethik den Kriegs­dienst und die Eides­leis­tung ab. Wer dage­gen ver­stieß, wur­de aus der Gemein­de eben­so aus­ge­schlos­sen wie auch bei Hei­rat mit einem Ehe­part­ner ande­rer Kon­fes­si­on. Die Bezie­hung zum Staat wur­de auf das not­wen­di­ge Min­dest­maß beschränkt, jeder staat­li­che Ein­griff in Glau­bens­din­ge stieß auf strik­te Ablehnung.

Die Refor­ma­ti­on hat­te in den Nie­der­lan­den schnell Fuß gefasst. Inner­halb der nie­der­län­di­schen Reformations-bewegung gewan­nen die Täu­fer ab etwa 1530 über vier Jahr­zehn­te stark an Gewicht. Die Täufer-Bewegung war zunächst gespal­ten in radi­ka­le und gemä­ßig­te Grup­pen. Erst unter dem Ein­fluss von Men­no Simons (1492–1559), einem ehe­ma­li­gen katho­li­schen Pries­ter aus Wit­marsum / Fries­land, wur­de sie in ruhi­ge­re Bah­nen gelenkt. Ihr Sam­mel­be­cken lag in den frie­si­schen Gebie­ten der nörd­li­chen Nie­der­lan­de und in Ost­fries­land. Die­se als Erwe­ckungs­be­we­gung begon­ne­ne frü­he refor­ma­to­ri­sche Frei­kir­che wirk­te aber so revo­lu­tio­när, dass der Staat und die Kir­che deren Auf­kei­men aus Furcht vor einem Umsturz mit allen Mit­teln aus­zu­rot­ten ver­such­ten :  Nicht nur die römisch-katholische Kir­che, auch die ent­ste­hen­den pro­tes­tan­ti­schen Lan­des­kir­chen ver­wehr­ten den Täu­fern eine Gleich­be­rech­ti­gung ;  viel­mehr wur­den sie auf dem Gebiet des Rei­ches wegen der »unaus­denk­li­chen Greu­el der Täu­fe­rei« mit dem Tode bestraft.

Kai­ser Karl V. gedach­te, in sei­nen nie­der­län­di­schen Erb­lan­den für den Fort­be­stand des katho­li­schen Glau­bens zu kämp­fen. Schon die ers­ten der ins­ge­samt zwölf Ket­zer­edik­te, die er zwi­schen 1521 und 1555 erließ, führ­ten zu ­einer gefähr­li­chen Aus­gren­zung der Neu­gläu­bi­gen. Eine anhal­ten­de und blu­ti­ge Ver­fol­gung begann nach 1528, als die Täu­fer (und ande­re Neu­gläu­bi­ge) vom Kai­ser mit dem Tod bedroht wur­den, mit einem Straf­maß, das der Reichs­tag zu Spey­er schon 1526 zum Gesetz erho­ben hat­te. Der auf dem Reichs­tag zu Augs­burg 1555 geschlos­se­ne Reli­gi­ons­frie­den zwi­schen Katho­li­ken und Luthe­ra­nern schloss Refor­mier­te und Täu­fer aus, womit die­se kei­ner­lei Rechts­schutz mehr besa­ßen. Unter der kai­ser­li­chen, von 1567 bis 1573 wäh­ren­den Statt­hal­ter­schaft des Her­zogs von Alba ergoss sich über die spa­ni­schen Nie­der­lan­de eine Ter­ror­wel­le. Für ihre reli­giö­se Über­zeu­gung fan­den etwa 3.000 Män­ner und Frau­en den Tod, und schließ­lich gelang die Zer­stö­rung etli­cher Gemeinden.

Glaubensflüchtlinge im Königlichen Preußen

Unter die­sem Druck erfolg­te eine Mas­sen­aus­wan­de­rung der ver­folg­ten reli­giö­sen Gemein­schaf­ten. Durch die Handels-verbindungen der Han­se waren in den Nie­der­lan­den und Ost­fries­land die nord­öst­li­chen Hafen­städ­te wie Dan­zig und Elb­ing geläu­fig. Um der Bedrü­ckung und Ver­fol­gung in ihrer Hei­mat zu ent­ge­hen, nah­men vie­le den ver­trau­ten Weg nach Osten per Schiff von Ant­wer­pen, Enkhui­sen, Emden und ande­ren Orten aus. Ein­falls­tor für den Groß­teil der nie­der­län­di­schen Flücht­lin­ge war Dan­zig, obwohl die Stadt sich anfangs gegen den Zuzug der Täu­fer stell­te und sie vom eigent­li­chen Stadt­ge­biet fern­zu­hal­ten trach­te­te. (Die vol­len Bür­ger­rech­te wur­den Men­no­ni­ten in Dan­zig sogar bis 1808 ver­wehrt.) In den damals nicht zum Reich gehö­ren­den preu­ßi­schen Lan­den gal­ten die ent­spre­chen­den Geset­ze nicht, und so waren die Glau­bens­flücht­lin­ge dort vor Ver­fol­gung sicher. Die ers­ten nie­der­län­di­schen Men­no­ni­ten, in den Quel­len meist als »Hol­län­der« bezeich­net, wan­der­ten ab 1547 in das Weichsel- und Nogat-Mündungsgebiet ein. Im Jah­re 1568 war der Zustrom beson­ders groß. Um 1580 gab es schon fünf Täufer-Gemeinden in Dan­zig, El­bing, Mon­tau, Thorn und dem Klei­nen Mari­en­bur­ger Wer­der. Den weit­aus größ­ten Anteil unter ihnen hat­ten die Frie­sen und Fla­men, aus denen eigen­stän­di­ge frie­si­sche und flä­mi­sche Gemein­den hervorgingen.

In Elb­ing und sei­nem Umland am Ost­ufer des Weich­sel­del­tas waren seit Anfang des 16. Jahr­hun­derts flä­mi­sche, frie­si­sche und hol­ländische Ein­wan­de­rer will­kom­men. In der Stadt Elb­ing, die sich wie das König­li­che Preu­ßen ins­ge­samt seit dem Zwei­ten Thor­ner Frie­den von 1466 unter der Ober­ho­heit der Kro­ne Polens befand, setz­te sich schon früh­zei­tig eine duld­sa­me Hal­tung gegen­über die­sen Glau­bens­flücht­lin­gen durch, und sie sol­len um 1530 erst­mals Auf­nah­me in der Stadt gefun­den haben. Zwar hat­te König Sigis­mund I. von Polen in den 1520er Jah­ren stren­ge Dekre­te gegen die Täu­fer erlas­sen, durch­ge­führt wur­den die­se aber kaum, da der Rat der Stadt genü­gend Macht­mit­tel besaß, alle Bewoh­ner sei­nes Ter­ri­to­ri­ums vor Drang­sa­lie­run­gen des katho­li­schen Königs schüt­zen zu kön­nen. 1558 schließ­lich erklär­te König Sigis­mund II. für Elb­ing die all­ge­mei­ne Reli­gi­ons­frei­heit. Mit Befür­wor­tung und Unter­stüt­zung des Rates der Stadt erhiel­ten die Men­no­ni­ten dann 1615 ein eige­nes Pri­vi­leg des pol­ni­schen Königs Sigis­mund III., das ihnen freie Reli­gi­ons­aus­übung gestattete.

Weni­ger tole­rant als die Stadt­obe­ren erzeig­ten sich anfangs die Elb­in­ger Bür­ger, nament­lich die Hand­wer­ker, denen die Ein­wan­de­rer Kon­kur­renz mach­ten. Auf­grund von Kla­gen, die beim König vor­ge­tra­gen wor­den waren, for­der­te die­ser Mit­te des 16. Jahr­hun­derts vom Rat der Stadt die Aus­wei­sung der Täu­fer. Dar­auf­hin hat­ten sie zwar die Stadt zu ver­las­sen, fan­den jedoch umge­hend Unter­kom­men auf den Land­gü­tern Elb­in­ger Bür­ger. Auch müs­sen sie bald wie­der Auf­nah­me in der Stadt gefun­den haben, denn schon 1568 wer­den in El­bing eini­ge »Hol­län­der« erwähnt. Auf­grund von neu­er­li­chen For­de­run­gen der Zünf­te und Gewer­be erließ der Elb­in­ger Rat 1572 ein neu­es Aus­wei­sungs­de­kret. Dort taucht erst­mals der nach Men­no Simons gepräg­te Name »Men­no­ni­ten« für die (im Volks­mund oft »Man­nis­ten« genann­ten) Täu­fer auf. Die­ses Dekret ist aber eben­falls kaum ernst­haft durch­ge­setzt wor­den, denn 1612 wohn­ten bereits 16 men­no­ni­ti­sche Fami­li­en inner­halb der Stadtmauern.

Die ins­ge­samt ersprieß­li­chen Kon­tak­te zur Stadt beruh­ten nicht zuletzt dar­auf, dass die Men­no­ni­ten auch als Kauf­leu­te in Erschei­nung tra­ten und ein neu­es Gewer­be, den Sei­den­han­del, ein­führ­ten, wobei sie die Waren über­wie­gend von men­no­ni­ti­schen Sei­den­kauf­leu­ten aus Kre­feld bezo­gen. So erteil­te der Elb­in­ger Rat bei­spiels­wei­se 1585 den men­no­ni­ti­schen Sei­den­händ­lern Joost van Cam­pen und Hans van Ceu­len (van Köln) das begehr­te Bürgerrecht.

Wie sah es in die­ser Zeit im länd­li­chen Gebiet Elbings aus ?  Seit Mit­te des 16. Jahr­hun­derts ent­stan­den zahl­rei­che neue, zum Teil von Men­no­ni­ten bewohn­te Dör­fer. Den Anfang mach­te Mös­ken­berg (frü­her Tann­häu­ser), wo typisch nie­der­län­di­sche Namen auf­tau­chen wie Anton Joost. Als nächs­te Ansied­lung ent­stan­den ab 1565 die fünf Trif­ten des Eller­wal­des, eines wüs­ten Erlenwald- und Sumpf­ge­bie­tes vor den Toren der Stadt. Hier sie­del­ten sich vie­le Men­no­ni­ten als Päch­ter Elb­in­ger Bür­ger an und wan­del­ten die­se Wild­nis in frucht­ba­res Marsch­land um. Vor­nehm­lich war es den was­ser­bau­er­fah­re­nen nie­der­län­di­schen Men­no­ni­ten zu ver­dan­ken, dass Nie­de­rungs­ge­bie­te im Weichsel-Nogat-Delta dem Was­ser abge­run­gen und besie­delt wer­den konnten.

Mennonitische Gemeinden und Bethäuser in Elbing

Die Men­no­ni­ten hat­ten kei­ne theo­lo­gisch aus­ge­bil­de­ten Pre­di­ger, son­dern wähl­ten einen Ältes­ten als Vor­ste­her der Gemein­de. Sie hat­ten auch bewusst kei­ne Kir­chen, son­dern Bethäu­ser. Die reli­giö­sen Ver­samm­lun­gen fan­den anfangs in Pri­vat­häu­sern statt. Aber schon 1590 erbau­te die Men­no­ni­ten­ge­mein­de Elbing­Ellerwald auf dem Grund­stück des Joost van Cam­pen in der Elb­in­ger Alt­stadt – in der Kur­zen Hin­ter­stra­ße 8 (davor Ger­ber­stra­ße, spä­ter Wil­helm­stra­ße 28) – ein Bet­haus, in dem bis ins Jahr 1900 Got­tes­diens­te statt­fan­den. (2010 wur­de links neben dem Ein­gang eine Gedenk­ta­fel ange­bracht.) Dann bau­te die Gemein­de ein neu­es Got­tes­haus in der Ber­li­ner Stra­ße 20 /  Ecke Adler­stra­ße auf der Spei­cher­in­sel. Das Gebäu­de blieb 1945 unzer­stört und dient heu­te der »Polnisch-Katholische Kir­che in der Repu­blik Polen« (einer Mit­glieds­kir­che der Utrech­ter Uni­on der Alt­ka­tho­li­schen Kir­chen) als Got­tes­haus. Die Gemein­de hat­te noch ein zwei­tes Bet­haus nahe der alten Nogat in der 1. Trift Eller­wald, das 1783 unter dem Ältes­ten Ger­hard Wie­be erbaut wur­de, das heu­te aller­dings nicht mehr existiert.

Um 1847 kam es in der Gemein­de Elbing-­Ellerwald zu Dif­fe­ren­zen zwi­schen den ortho­dox aus­ge­rich­te­ten länd­li­chen, in geschlos­se­ner Gemein­schaft leben­den Mit­glie­dern und ihren städ­ti­schen Glau­bens­brü­dern, die in ­einer offe­nen und in das städ­ti­sche Leben ein­ge­bun­de­nen »moder­nen« Gemein­schaft leb­ten. Letz­te­re woll­ten sich nicht mehr mit einer Glau­bens­ver­mitt­lung durch wenig aus­ge­bil­de­te Ältes­te zufrie­den geben, son­dern wünsch­ten sich Theo­lo­gen mit aka­de­mi­scher Aus­bil­dung. Im Jah­re 1847 voll­zo­gen 24 städ­ti­sche Fami­li­en­vor­stän­de dann die Tren­nung von der Mut­ter­ge­mein­de Elbing-Ellerwald und grün­de­ten eine neue Gemein­de, die sich »Elb­in­ger Men­no­ni­ten­ge­mein­de« nann­te. Die­se ließ sich in der Stra­ße Rei­fer­bahn Nr. 9 eine neue Kir­che bau­en, in der schon am 1. August 1852 der ers­te Got­tes­dienst gehal­ten wurde.

In der Stadt Elb­ing war, im Gegen­satz zu den länd­li­chen Gebie­ten, in den Jahr­zehn­ten vor 1945 die Men­no­ni­ten­ge­mein­de sehr stark geschrumpft ;  beson­ders die zu Wohl­stand gekom­me­nen Kauf­leu­te und Hand­wer­ker leg­ten am frü­hes­ten ihren Glau­ben ab oder wur­den wegen Ehen mit Anders­gläu­bi­gen aus der Gemein­de aus­ge­schlos­sen. Vie­le von ihnen tra­ten statt­des­sen zum evangelisch-lutherischen Bekennt­nis über.

Der Autor ist Nachkomme einer Elbinger Familie, von der eine ursprünglich mennonitische Nebenlinie aus den Niederlanden stammte.