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Die Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule in Elbing

Von der Privatschule zur ­städtischen und zur staatlichen Schule

Die einstige Ordens- und Hanse­stadt Elbing war eine Schul­stadt mit Tradition. Die Söhne der wirtschaftlich gut gestellten Familien hatten die Möglichkeit, das bereits 1535 vom Rat der Stadt gegründete Gymnasium – das Athenaeum Elbin­gense – zu besuchen. Für die Töchter dieser Familien gab es bis zum Ende des 18. Jahrhun­derts keine gleich­wertige Bildungs­ein­richtung. Sie wurde – nicht nur in Elbing – gar nicht vermisst. Die Kommunen stellten dafür keine Mittel zur Verfügung, und diese Einstellung hielt sich lange, sogar als die Lücke im Bildungs­system zunehmend deutlicher wurde.

In dieser Situation traten zunächst private höhere Töchter­schulen auf den Plan. In Elbing entstand die erste davon 1801. Andere kleine Anstalten »für die gutsi­tu­ierten Bürger­kreise« folgten. Zeitweise boten mehrere Privat­schulen neben­ein­ander ihre Dienste an. Im Jahre 1832 gab es aber nur noch eine sogenannte Höhere Töchter­schule. Alle anderen waren einge­gangen. Zudem bestanden inzwi­schen aller­dings einige normale Volksschulen.

Auf Antrag des »Fräuleins Johanna Braun« durfte am 24. November 1832 in dem Doppelhaus des ehema­ligen vornehmen Gasthofes Das Englische Haus am Friedrich-Wilhelm-Platz 11/12, links vor dem Rathaus, eine zweite private höhere Töchter­schule eröffnen. Der pädago­gisch kennt­nis­reichen Elbin­gerin Johanna Braun, der Schul­vor­ste­herin, standen mehrere erfahrene Gymna­si­al­lehrer, zwei evange­lische Prediger und einige Lehre­rinnen zur Seite. Das Schulgeld dürfte ähnlich wie in Stettin und Tilsit einen bis drei Taler pro Schülerin und Monat betragen haben. 1842 wurde die Elbinger Schulwelt durch die Einrichtung der Altstäd­ti­schen Mädchen­mit­tel­schule am Elbing­fluss ergänzt.

Nach inten­siven Verhand­lungen des Magis­trats mit Johanna Braun übernahm die Stadt im Sommer 1852 die Höhere Töchter­schule mit 166 Schüle­rinnen. Johanna Braun trennte sich nach 20 Jahren von ihrem erfolg­reichen Lebenswerk und zog sich vorzeitig in den Ruhestand zurück. Sie war in der Stadt sehr angesehen, der Magistrat hatte sie immer unter­stützt, und die Schüle­rinnen hatten ihre Schul-vorsteherin verehrt. Die Stadt­ver­ord­ne­ten­ver­sammlung hatte mit der Umwandlung der Privat­schule in eine höhere öffent­liche Töchter­schule auch den Kauf des Schul­ge­bäudes beschlossen und den natur­wis­sen­schaftlich und philo­so­phisch ausge­bil­deten Dr. Rudolph Schmidt zum Schul­leiter gewählt. Auch die andere Privat­schule für höhere Töchter war inzwi­schen geschlossen worden. Seitdem gab es nur noch die städtische Schule.

Am 22. Oktober 1852 wurde die Schule als städtische Höhere Töchter­schule eröffnet. Dem Schul­leiter standen elf Lehrkräfte zur Seite :  sechs Lehrer und fünf Lehre­rinnen. Die nun 220 Schüle­rinnen besuchten sechs aufstei­gende Klassen, bald waren es acht Jahres­kurse. Da die Zahl der Schüle­rinnen in den Folge­jahren stark anstieg, sorgte die Stadt für einen eindrucks­vollen Neubau, der in den Jahren 1868–1875 am Kleinen Lustgarten, an der Ecke Altstäd­tische Wallstraße 16–17 / Poststraße, gebaut und 1875 festlich einge­weiht wurde. Inzwi­schen war die Zahl der Schüle­rinnen auf 464 angestiegen. Es gab neun aufstei­gende und drei Parallelklassen.

Das 25. Schul­ju­biläum wurde am 22. Oktober 1877 gefeiert. Bei der Berechnung wurde die Übernahme der Schule durch die Stadt zugrunde gelegt. Zu einer beson­deren Jubel­feier wurde der Festakt zum 50-jährigen Bestehen als »städtische höhere Mädchen­schule«, denn zu dieser Gelegenheit überbrachte Oberbür­ger­meister Heinrich Elditt nicht nur die Glück­wünsche des Magis­trats, sondern konnte zudem die Nachricht übermitteln, dass Kaiser Wilhelm II. ihm mit Schreiben vom 21. September 1902 die Geneh­migung mitge­teilt habe, dass die »städtische höhere Mädchen­schule in Elbing, Regie­rungs­bezirk Danzig, den Namen Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin« künftig tragen dürfe :  Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule.

Seitdem stand dieser Name bis 1945 in Goldlettern über dem Schul­portal. Die Kaiserin besuchte mehrmals die Schule, wenn sie in das von ihr sehr geliebte Cadinen fuhr. So manch einen Blumen­strauß konnte die Namens­pa­tronin von den Schüle­rinnen entgegennehmen.

Sieben Jahre später, 1909, wurde die Schule als höhere Lehran­stalt anerkannt und als Vollan­stalt (Höhere Mädchen­schule mit Lyzeum) der Höheren Knaben­schule gleich­ge­stellt. Die Höhere Töchter­schule hatte sich zu einem Lyzeum entwi­ckelt. Ab 1911 wurde die Schule nur noch Lyzeum genannt, und das Höhere Lehre­rin­nen­se­minar hieß seitdem Oberlyzeum. Dem Oberlyzeum waren eine Seminar­klasse sowie eine Frauen­schule angeschlossen. Nach einem zwischen­zeit­lichen Rückgang der Schüle­rin­nenzahl war diese bald wieder angestiegen. Um 1910 wurde der bis dahin aus 19 Personen bestehende Lehrkörper einschließlich des Direktors auf 31 Lehre­rinnen und Lehrer erweitert.

Die größer gewordene Mädchen­schule benötigte auch mehr Klassen und sonstige Räume. Daher wurde in den Jahren 1911–1912 ein Erwei­te­rungsbau geschaffen. Es handelte sich um einen Anbau auf der linken Seite der Poststraße. Er war 36 Meter lang und zwölf Meter tief, enthielt elf Klassen­zimmer, einen Zeichensaal, einen Physik- und einen Chemieraum, eine Dunkel­kammer und andere Neben­räume. An diesem Klassenbau wurde in der Poststraße auch eine 20 Meter lange und zwölf Meter breite Turnhalle mit u. a. zwei Umklei­de­räumen angebaut.

Mit der Lehrer­bil­dungs­reform in Preußen wurde 1926 auch das Lehre­rin­nen­se­minar an der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule in Elbing geschlossen. Die letzte Lehre­rin­nen­prüfung fand 1926 statt, und zeitgleich die erste Abitur­prüfung. Es kam dem Abitur an der Oberre­al­schule gleich. Aus dem bishe­rigen Lyzeum wurde das Oberlyzeum. Eine wieder neue Änderung erfolgte 1937. Aus dem Oberlyzeum wurde die Oberschule für Mädchen mit dem Zusatz »sprach­liche Form«, und 1938 trat parallel dazu der Typus der Oberschule für Mädchen in der »hauswirt­schaft­lichen Form«. Die Frauen­schule wurde abgeschafft. Die Bezeichnungs- und Namens­vielfalt führte dazu, dass die Elbinger mal vom Lyzeum, dann vom Oberlyzeum oder von der Kaiserin-­Auguste-Viktoria-Schule sprachen (wobei der zweite Vorname auch gelegentlich »Victoria« geschrieben wurde).

Alle drei höheren Schulen in der Stadt Elbing waren Gründungen bzw. Übernahmen der Stadt :  1535 das Gymnasium, 1841 (1837) die Heinrich-von-Plauen-Schule (Oberschule für Jungen) und 1852 (1832) die Kaiserin-­Auguste-Viktoria-Schule (Oberschule für Mädchen). Das Gymnasium wurde 1847 vom König­reich Preußen übernommen, die Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule übernahm 1931 der Freistaat Preußen. Nur die Heinrich-von-Plauen-Schule blieb städtisch. Die Verstaat­li­chung des damaligen Oberly­zeums brachte der Stadt in der wirtschaftlich sehr schwie­rigen Zeit um 1930 eine erheb­liche, wenn auch keine vollständige Entlastung. Die städti­schen Zuschüsse wurden deutlich gemildert. Betrug der Zuschuss 1930 noch 130.000 RM, sank er 1931 auf 9.700RM. Aller­dings hatte die Stadt vor der staat­lichen Übernahme noch stark inves­tieren müssen. Bauliche Verän­de­rungen – wie die Vergrö­ßerung des Schulhofs – machte der Staat zur Bedingung für die Übernahme. Zu den Voraus­set­zungen gehörte auch der Erwerb der benach­barten Villa Pamperin. Dort waren eine Wohnung für den Direktor und eine andere für den Hausmeister einzurichten.

Im Jahre 1942 fand wieder eine Jubilä­ums­ver­an­staltung statt. Das Lehrer­kol­legium und die Schüle­rinnen gedachten der eigent­lichen Schul­gründung durch Johanna Braun vor 110 Jahren. Da die Aula kriegs­be­dingt für den Zivil­schutz zur Verfügung gestellt worden war, wurde die Feier in Form eines Eltern­nach­mittags »kriegs­mäßig bescheiden« in der Turnhalle gestaltet. Eine Lehrerin rief in einem Vortrag die Schul­ge­schichte in Erinnerung, und Schüle­rinnen boten Stationen der Entwicklung in einer aus vier Szenen bestehenden Aufführung dar. Der bei der Wehrmacht dienende Oberstu­di­en­di­rektor Bruno Czerwinski war auf Kurzurlaub zur Feier nach Elbing gekommen und hielt eine kleine Ansprache.

Da während des Zweiten Weltkrieges das Gebäude der Heinrich-von-Plauen-Schule zeitweise als Notla­zarett genutzt wurde, fanden die Schüler und das Lehrer­kol­legium ebenfalls im Gebäude der Kaiserin-Auguste-Viktoria-Schule eine Unter­kunft. Die Räumlich­keiten wurden von beiden Schulen genutzt, und zwar im wöchent­lichen Wechsel, jeweils in der einen Woche am Vor- und in der anderen Woche am Nachmittag. Die Schüle­rinnen und Schüler tauschten in den Schul­bänken fleißig Briefe aus. Die einge­bauten Tinten­fass­hal­te­rungen dienten als Briefkästen.

Das Gebäude hat den Krieg überstanden. Dort wurde das polnische Lyzeum Nr. 1 einge­richtet, und vor wenigen Jahren ist es gründlich renoviert worden.

Text und Bilder: Hans-Jürgen Schuch