
Wer die Thorner Jacobikirche, die »Perle der Neustadt«, betritt, wird sich schwerlich der Erhabenheit des Raumes und dem Reichtum seiner Ausstattung entziehen können. Das prachtvoll gestaltete Triumphkreuz, der goldene Hochaltar mit der Darstellung des Kirchenpatrons oder das wundervolle Sternengewölbe ziehen den Blick unmittelbar an. Darüber hinaus ist es die Fülle beachtenswerter Details, in die sich der Betrachter geradezu verlieren kann: vielleicht entdeckt er das freundliche Mondgesicht unter der Sichel, auf der die Madonna mit dem Jesuskind thront, oder lässt sich von den gotischen Wandmalereien, wie beispielhaft der furchteinflößenden Höllendarstellung, faszinieren; oder es gelingt ihm, im Presbyterium den beschrifteten keramischen Fries zu entziffern, der an die Grundsteinlegung dieses Bauwerks am Anfang des frühen 14. Jahrhunderts erinnert.
Gläubige, die andächtig in den Kirchenbänken Platz genommen haben, werden allerdings kaum ahnen, wer ihnen buchstäblich im Nacken sitzt. Aus dem hintersten Segment des Mittelschiffs schaut eine Fratze auf sie herab – mit stechendem, finsteren Blick und flammendem Bart, die Ohren mehrfach gespitzt, und den Mund grotesk verzerrt, zeigt er den Menschen verächtlich die Zunge. Dieses Deckenbild stellt den Teufel Tutivillus dar, der im frühen Mittelalter die Mönche beim Abschreiben der tradierten Texte beobachtete und ihre Fehler oder Auslassungen sammelte, um sie beim Jüngsten Gericht vorzulesen. Späterhin wuchs ihm darüber hinaus die Aufgabe zu, über die Kleriker und die Gemeinde insgesamt zu wachen, missbilligend ihr Fehlverhalten – wie das Zuspätkommen zum Gottesdienst, störendes Schwatzen und Tratschen oder gar ein Schläfchen während der Liturgie – erbarmungslos zu registrieren und bis zum Tag des Zorns festzuhalten.
Als die Protestanten 1557 für gut hundert Jahre in die Jakobikirche einzogen, ließen sie den Teufelskopf übertünchen. Erst bei den Renovierungsarbeiten des Jahres 2019 wurde er zufälligerweise freigelegt – und kann seinem Wächteramt nun wieder unbeirrt nachkommen.
Text und Foto: Ursula Enke