Seit nunmehr fast zehn Jahren ist Graudenz um eine – buchstäblich herausragende – Touristenattraktion reicher. Deren Beliebtheit hat denjenigen Recht gegeben, die sich dafür eingesetzt hatten, auf dem Schlossberg einen Aussichtsturm zu errichten, denn von hier aus hat man jetzt nicht nur eine phantastische Sicht auf die Anlage der Stadt und ihre historischen Gebäude sowie auf die gemächlich dahinströmende Weichsel, sondern kann auch unter besten Bedingungen in weiter Ferne sogar Kulm oder Schwetz ausmachen.
Haben die Besucher das großartige Panorama ausgiebig erkundet und wollen wieder hinuntersteigen, wird ihr Blick – wie derjenige unseres Photographen – durch die Abwärtsspirale des Treppenverlaufs geradezu magisch hinab in die Tiefe bis zu einem hellleuchtenden zentralen Punkt angezogen: Hier befand sich das Verlies des damals 30 Meter hohen Bergfrieds, der innerhalb der Deutschordensburg Ende des 13. Jahrhunderts errichtet worden war; und hier musste einst auch der in der Schlacht von Tannenberg ungetreue Kulmische Ritter Nicolaus von Renys bis zum Mai 1411 auf seine Hinrichtung warten.
Zahlreiche Schautafeln mit großen Reproduktionen werden im Aufgang gezeigt, und sie informieren über die Geschichte des Turms, der schließlich am 5. März 1945 von der Wehrmacht gesprengt worden war. Reste des Gemäuers blieben über Jahrzehnte unter einem Erdhügel verborgen. Eine originalgetreue Rekonstruktion wurde nicht erwogen, stattdessen entstand 2014 an dieser Stelle ein nüchterner Funktionsbau aus Ziegeln und Stahlbeton, der nun die Erinnerung an ein bauliches Zeugnis der Ordenszeit wachhält und zugleich die Möglichkeit eröffnet, einen prächtigen Ausblick auf Stadt und Land zu genießen.
Text: Ursula Enke
Foto: XDzonox via wikimedia.org cc by-sa 4.0