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Zum guten Schluss

Über mehrere Kilometer führt die hier gezeigte große Allee schnur­gerade von Danzig nach Langfuhr und vermittelt auch heute noch einen Eindruck von Weite und Großzü­gigkeit. Sie ist als Motiv dieser Schluss­seite ausge­wählt worden, um auf ein Jubiläum aufmerksam zu machen :  1767, vor 250 Jahren, wurde mit dem Bau, der Anlage und Bepflanzung der Linden-Allee begonnen. (Fertig­ge­stellt wurde sie 1769.) Diesen Zeitschnitt zu akzen­tu­ieren, heißt freilich zugleich, auf einen weiteren Jahrestag einzu­gehen, denn in jenem Jahre 1767 starb Daniel Gralath d. Ä., der bedeu­tende Natur­wis­sen­schaftler und Mitbe­gründer der Natur­for­schenden Gesell­schaft. Darüber hinaus war Gralath aber auch Bürger­meister der Recht­stadt, und in diesem Kontext ergibt sich ein enger Zusam­menhang zwischen seinem Tod und dem Beginn der Arbeiten an der großen Allee : Von ihm stammte nicht nur die Idee, diese pracht­volle Verkehrs­achse anzulegen, sondern er hatte auch in seinem Testament eine erheb­liche Summe für diesen Zweck bestimmt. – An diesen Bürger­meister und seine wohltätige Stiftung hat vor einigen Jahren (2001) der Schrift­steller Paweł Huelle erinnert. In seinem Roman Mercedes-Benz schildert er eine Fahrt „durch den Pferde­trakt, an den alten Linden entlang, die vor über zweihundert Jahren von dem Geld Daniel Gralaths in dieser Allee gepflanzt worden waren“ ;  und, neugierig geworden, folgen wir seinen weiteren Überle­gungen zum „Geist der Freimaurer“, der „von Opfer und Brüder­lichkeit“ spräche. Dieser Freimau­rer­geist aber sei, so fährt der Erzähler fort, „aus unserer Stadt schon lange verschwunden“. Davon zeuge für ihn auch der Name der Allee :  „Zuerst hieß sie Große Allee, dann Hindenburg-Allee, danach Adolf-Hitler-Allee, dann Rokos­sow­skiego und schließlich Sieges­allee, ganz so, als fürch­teten sich die Macht­haber der Stadt vor Gralath, wenn auch nur in der Erinnerung, und so war es sicher auch, denn durch die Allee zogen von der Oper zur Innen­stadt Fackelzüge, von der Innen­stadt zur Oper Erste-Mai-Umzüge, und irgendwo im unsicht­baren Strom der Zeit vermischten sich all die Haken­kreuze, Hämmer, Sicheln und Orchester“ – bis letztlich die Zeit für die große „Synthese“ gekommen sei, „der rücksichts­losen schöp­fe­ri­schen Tätigkeit, der Arith­metik des bloßen Gewinns, reinge­wa­schen vom Schmutz überflüs­siger Ideen“. – So verlo­ckend es sein mag, Paweł Huelle bei seiner Fahrt mit Fräulein Ciwle, seiner Fahrleh­rerin, noch länger zu begleiten, haben diese wenigen Sätze doch gewiss schon hinrei­chend erkennen lassen, welche scharf­sin­nigen Assozia­tionen und Refle­xionen sich mit dem Bild-Motiv dieses Monats verknüpfen lassen. Nicht zuletzt haben wir auf diese Weise auch noch beiläufig die Strecke von einem Zeitschnitt zu einem nächsten zurück­gelegt :  Im vergan­genen Monat, am 23. Juli, jährte sich Gralaths Todestag zum 250. Male, im kommenden Monat, am 10. September, feiert Paweł Huelle seinen 60. Geburtstag. Die Chance, diesem bemer­kens­werten Autor zu gratu­lieren und ihn den Lesern dieser Zeitung genauer bekannt­zu­machen, wird sich DW nicht entgehen lassen. 

Text: Ursula Enke
Foto: Artur Andrzej via Wikimedia