Der Dichter Johannes Bobrowski, dessen Geburtstag sich im nächsten Monat zum 100. Mal jährt (und an den auch DW erinnern wird), hat im 8. Kapitel seines Romans Levins Mühle lakonisch festgestellt : »Strasburg ist eine langweilige Stadt, sagen alle Leute, sogar die Zigeuner.« Danach bemüht er sich, diese Einschätzung genauer zu begründen, dabei wird aber deutlich, dass seine Sichtweise einer gewissen Willkür gehorcht : Er hat sich entschlossen, Briesen eine größere Bedeutung zuzuerkennen, denn diese Stadt »liegt, was die Straßenverhältnisse anlangt, erheblich günstiger für unsere Geschichte.« Pflichtschuldig muss der Autor deshalb auch einräumen, dass Strasburg – »und das haben wir bislang verschwiegen« – die Kreisstadt sei. »Kreisgericht, Katasteramt, Landratsamt, das alles ist eigentlich für Strasburg bezeugt.« – Unabhängig von aller dichterischen Freiheit lässt sich gewiss fragen, welche westpreußische Kreisstadt in der frühen Kaiserzeit, in der die Handlung von Levins Mühle angesiedelt ist, nicht »langweilig« gewesen sei. Wer heute allerdings die lebendige – und nach Restaurierungen und Renovierungen geradezu herausgeputzte – Stadt an der Drewenz besucht, wird Bobrowskis Urteil gewiss nicht mehr bestätigt finden. Vor allem zeigt der hier abgebildete »Amtsturm« unübersehbar, dass Strasburg nicht erst als Kreisstadt seit dem frühen 19. Jahrhundert eine gewisse Bedeutung gewonnen hatte. Dieses Bauwerk bezeugt vielmehr, dass die Stadt schon zuvor seit Jahrhunderten auch als Komturei oder Starostei Mittelpunkt größerer Verwaltungseinheiten gewesen ist. Nach den mannigfachen, im Laufe der Zeit am Turm und an der Burg vorgenommenen Veränderungen, die zum Teil auch heute noch erkennbar sind, erscheint das Ensemble wie ein »Speicher der Geschichte«. Vom Deutschen Orden und den kriegerischen Auseinandersetzungen mit Polen und Litauen über die »Schwedische Sintflut« bis zur Nutzung als Kaserne haben die Entwicklung und das Geschick der Stadt dort ihre Spuren hinterlassen. Dabei ist es freilich Friedrich Wilhelm IV. zu danken, dass er, nachdem die Burg schon Ende des 18. Jahrhunderts als Steinbruch für den Bau von Stadthäusern genutzt worden war, 1842 die weitere Zerstörung verbot und die Aufnahme von Arbeiten zum Erhalt des Turms anordnete ; und nicht zuletzt müssen die polnischen Restauratoren Erwähnung finden, die den Turm in den 1970er Jahren einschließlich des oberen Aufsatzes mit seinen Wappenblenden und dem Zinnenkranz wiederhergestellt haben. – Dr. Rudolf Birkholz, der langjährige Heimatkreisvertreter von Strasburg, in dessen großer Monographie über den Kreis Strasburg auch dieses Bauwerk detailliert beschrieben ist, hat jüngst übrigens erläutert, dass sich der allen Westpreußen geläufige Name »Amtsturm« etwa 1940 innerhalb der deutschen Bevölkerung gebildet habe und für sie erst seitdem fest mit dem Bauwerk verbunden sei – während die Bewohner der heute polnischen Stadt Brodnica vom »Kreuzritter-Turm [Wieża Krzyżacka]« sprächen.
Text: DW / Astrid Kranefeld
Foto: Rafał Grosch