Zurück

Zum guten Schluss

Wer sich der Marienburg von Westen her nähert, den erwartet ein beein­dru­ckender Anblick: Über die Nogat hinweg ungehindert sichtbar, hat das Ensemble aus umlau­fenden Mauern, breit lagernden Bauten und akzen­tu­ie­renden Türmen bis heute seine die Landschaft prägende Stellung behalten. Wenn die Sonne günstig steht, werden aus dieser Richtung die Postkar­ten­an­sichten der im späten 13. Jahrhundert durch den Deutschen Orden errich­teten Backsteinburg aufge­nommen. Von Osten kommend, steht unter Umständen ein eher diffuser Eindruck am Anfang des Besuchs. Zwar sind – wie das Titelbild der DW-Ausgabe vom letzten Februar gezeigt hat – die Reste der mehrtei­ligen Befes­ti­gungs­anlage zur Landseite der Burg hin gut erkennbar. Doch bestimmt ist das Umfeld zunächst von Siedlungs­häusern und Funkti­ons­ge­bäuden – und von Parkplätzen. Immerhin handelt es sich hier um eine der meist­be­suchten Sehens­wür­dig­keiten in Polen. Mitten in dieser Übergangszone, zwischen der heutigen Stadt Malbork und dem histo­ri­schen Bezirk der Ordensburg, ergibt sich eine anfangs etwas merkwürdige, dann aber doch aufschluss­reiche Perspektive. In den Vorder­grund schiebt sich ein Modell, das die Marienburg ungefähr im Maßstab 1:70 wiedergibt. Im Verhältnis zu dem, nur einen Steinwurf entfernten, Original ist es – vermutlich einfach, um sich in das Gehweg­pflaster einfügen zu können – um etwa 90 Grad gedreht. Die mittel­al­ter­liche Herrschafts­ar­chi­tektur, in Wirklichkeit ausge­dehnt über mehrere Hundert Meter, schrumpft sozusagen auf Vorgar­ten­format zusammen und wird handhabbar. Dass die Marienburg so auf einen Blick zu erfassen ist, wäre immer noch zu viel gesagt. Aber mehr als ein paar Schritte braucht es nicht, um das Anschau­ungs­objekt wie eine Skulptur zu umgehen. Beim anschlie­ßenden Besuch der Burg wird die Orien­tierung danach gleich etwas leichter fallen. Die Gegen­über­stellung von Baudenkmal und Minia­turbau lädt natürlich auch zum Vergleichen ein. Einige Unter­schiede fallen dabei bald ins Auge, denn das Modell ist nicht einfach eine verklei­nerte Verdop­pelung der Realität. Deutlich anders sieht zum Beispiel der Turm des Hochschlosses aus. Er verfügt hier über ein Walmdach, das zu einem mittel­al­ter­lichen Ideal­zu­stand der Burg gehört. Der gerade Abschluss mit Zinnen­kranz, wie er sich am echten Turm im Hinter­grund erkennen lässt, war eine Erfindung des 19. Jahrhun­derts, die nach der Zerstörung des Turms im Zweiten Weltkrieg auch wieder ergänzt worden ist. Bei einem zentralen Merkmal ist das Modell hingegen mit dem Original in Überein­stimmung gebracht worden: Dort ist inzwi­schen bereits das Madon­nenbild am Chor der Schloss­kirche eingefügt, das, im Krieg zerstört, als Wahrzeichen der Burg rekon­struiert und erst vor eineinhalb Jahren enthüllt worden ist. In der kleinen Ausgabe hätte es keines­falls fehlen dürfen.

Text und Foto: Alexander Kleinschrodt