Wer in Göttingen, der Stadt an der »Märchenstraße«, im Vorgarten des Museums am Ritterplan Objekte der Stadtgeschichte betrachtet und dort, um ein wenig auszuruhen, eine Bank ansteuert, wird auf deren Sitzfläche eine kleine Frosch-Skulptur entdecken. Zudem findet er an der Rückenlehne einen wichtigen zusätzlichen Hinweis: Die Bank ist im Grunde selbst ein Exponat und wurde von der Stadt Thorn als Zeichen der Verbundenheit mit ihrer Partnerstadt Göttingen gestiftet. Damit ist eine eindeutige Spur gelegt, die sich direkt bis zur wasserspeienden Frosch-Population des Thorner Flissakenbrunnens – und mithin bis in den Sagenschatz dieser Stadt hinein verfolgen lässt. Eine dieser Geschichten erzählt von einer Bettlerin, die aus Thorn hinausgejagt worden sei und die Stadt aus Rache mit einem Fluch belegt habe. Eine andere spricht lediglich von einer großen Überschwemmung. Beide aber führen zu dem Punkt, an dem sich eine Froschplage immer weiter ausbreitet und die Bürger verzweifeln lässt. In dieser kritischen Situation verspricht der Bürgermeister demjenigen, der die Stadt von den Fröschen befreit, die Hand seiner Tochter und ein Säckchen Gold. Nachdem sich viele andere vergeblich bemüht haben, löst ein junger Flößer, Iwo mit Namen, das Problem: Eigentlich möchte er nur unbekümmert auf dem Stadtmarkt seine Geige spielen, um sich etwas Geld zu verdienen. Plötzlich aber wird er von Tausenden von Fröschen umringt, und ihm gelingt Ähnliches wie dem Rattenfänger von Hameln: Er verzaubert mit seiner Musik die Frösche, führt sie durch das Kulmer Tor hinaus und weiter in Richtung Mocker – und sie kehren nie wieder zurück. So hat sich der junge Flößer schließlich den versprochenen Preis redlich verdient (und erhält ihn auch tatsächlich). – In Erinnerung an diese Sage haben sich die Bürger der Stadt im frühen 20. Jahrhundert für die Errichtung eines Flissakenbrunnens eingesetzt. Den Auftrag erhielt Georg Wolf, der ältere der beiden Brüder von Julie Wolfthorn (die in dieser Ausgabe des Westpreußen ausführlich gewürdigt wird). Das Denkmal, mit einer Bronzefigur des musizierenden Flößers auf einem Sandsteinsockel und acht Fröschen aus Messing am Brunnenrand, wurde am 18. Juni 1914 im Rathaushof feierlich eingeweiht und blieb dort bis 1943 stehen ; nach dem Kriege wurden ihm nacheinander verschiedene Orte zugewiesen, bis es 1983 neben dem Rathaus, auf der westlichen Seite des Altstädtischen Marktes, einen neuen, dauerhaften Ort gefunden hat. – Die Faszination der gebannt lauschenden Frösche durch die Musik lässt sich besonders intensiv erahnen, wenn Iwo, der Flissake, aus derjenigen Perspektive gezeigt wird, die gerade nach der Blickrichtung des Frosches benannt wird. Die Kraft der Verzauberung scheint aber auch auf die Tierchen selbst zurückgewirkt zu haben: Bis heute gilt in Thorn, dass Wünsche in Erfüllung gehen, wenn man nicht nur intensiv an sie denkt, sondern gleichzeitig einen der Brunnen-Frösche streichelt.
Text: Piotr Olecki/DW
Foto: Sebastian Poznański