Die Haffuferbahn von Elbing nach Braunsberg
Von Magdalena Pasewicz-Rybacka
Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden in dem bis dahin beschaulich-ruhigen Landstrich am Frischen Haff Eisenbahngleise verlegt, und in den kleinen Städten und Dörfern hörte man nun das Pfeifen und Klappern von Dampflokomotiven ; denn im Jahre 1899, am 7. September, war der Betrieb der Haffuferbahn auf der kompletten, von Elbing bis nach Braunsberg führenden Strecke aufgenommen worden. Seitdem fuhren die Züge über hundert Jahre das Haffufer entlang, und das 120. Jubiläum jener Eröffnungsfahrt bildet einen trefflichen Anlass, die Geschichte der regional bedeutenden „HUB“ Revue passieren zu lassen.
Die Inbetriebnahme der malerisch gelegenen Haffuferbahn bildete den erfolgreichen Abschluss der langjährigen Bemühungen von vielen Förderern. Von dieser neuen Verkehrsverbindung profitierte nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern auch die lokalen Industrieunternehmen, und dem Tourismus eröffneten sich ebenfalls neue Perspektiven. Die Eisenbahnstrecke wurde zu einem bestimmenden Element der Haff-Landschaft und für Elbing zu einem regelrechten Wahrzeichen der Stadt. Freilich hatte sie auch beständig mit Problemen einer mangelnden Rentabilität zu kämpfen. Vor dem Ersten Weltkrieg nutzte Kaiser Wilhelm II. die Bahn für seine Reise in die Sommerresidenz in Cadinen. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm die polnische Verwaltung die Linie und führte den Betrieb jahrzehntelang fort. Inzwischen fährt die HUB schon seit einigen Jahren nicht mehr – die Bewohner der Region haben sie aber immer noch in Erinnerung behalten und denken ein wenig wehmütig an diese Zeit zurück.
Vom Projekt bis zur Realisierung
Die ersten Vorhaben zum Bau einer Eisenbahnlinie am Ufer des Frischen Haffs entstanden während der Planung der Ostbahn in den 1840er Jahren. Einer der Abschnitte dieser Magistrale sollte durch Elbing, Tolkemit, Frauenburg und Braunsberg führen. Diese Überlegungen wurden von den lokalen Behörden allerdings abgelehnt, weil sie nicht bereit waren, kostenlos Grund und Boden für den Bau zur Verfügung zu stellen. Deshalb wurde diese Strecke weiter südlich geführt : durch Schlobitten und Güldenboden. Diejenigen, die den Bau der Strecke befürwortet hatten, hauptsächlich ortsansässige Unternehmer und Grundbesitzer, blieben sich jedoch weiterhin der Vorteile bewusst, die eine solche Investition mit sich brächte. Ihr Konzept zielte vornehmlich darauf hin, den lokalen Fabriken, Ziegeleien und Mühlen einen Eisenbahnanschluss zu verschaffen und den aufkommenden Fremdenverkehr weiter zu fördern. Aus diesem Grunde wurden ab den 1870er Jahren wiederholt Petitionen an die Regierung in Berlin gerichtet, in denen darum ersucht wurde, auf Staatskosten eine Eisenbahn entlang des Haffufers zu bauen. Diese Anträge wurden allerdings regelmäßig abgelehnt.
Neue Perspektiven eröffneten sich erst im Jahre 1892. Zu dieser Zeit wurde das „Gesetz über Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen“ erlassen. Diese neue Art von Eisenbahnverbindungen sollte Nachbarkreise oder ‑gemeinden miteinander verknüpfen und einen Zugang zu den Hauptstrecken bieten. Im Vergleich zu Vollbahnen waren die technischen Anforderungen an Kleinbahnen weniger restriktiv, weshalb deren Errichtung wesentlich billiger war. In dieser Lösung sahen die Verfechter einer Linie, die an der Haffküste entlangführte, eine neue Chance und beschlossen, für den Bau private Investoren zu gewinnen. Noch im selben Jahr wurde das Komitee für die Erbauung einer Haffuferbahn gegründet. Es nahm eine Kooperation mit dem Unternehmen Lenz & Co. auf, das seinen Sitz in Stettin hatte und sich seit seiner Gründung im Jahre 1892 bald als bedeutender Konzern für Neben- und Kleinbahnen etablierte. Lenz & Co. sollten die Anlage errichten und die Hälfte der Kosten übernehmen. In den folgenden Jahren wurden vom Staat und von lokalen Behörden die notwendigen Genehmigungen eingeholt sowie auch Subventionen eingeworben. Am 12. August 1896 wurde schließlich als erstes privates Kleinbahnunternehmen in Ost- und Westpreußen die Haffuferbahn-Actien-Gesellschaft mit Sitz in Elbing gegründet. Den Vorsitz übernahm der Aktivste unter den Initiatoren des Projekts, Ernst Hantel, ein Mühlenbesitzer aus Frauenburg, der diese Position für die nächsten 20 Jahre innehatte. Das Anlagekapital betrug 2.750.000 Mark und umfasste 2.750 Aktien zu je 1.000 Mark. Hauptaktionär war die Firma Lenz & Co., die 75 % der Anteile übernahm, aber auch einzelne Kommunalverwaltungen und Privatpersonen waren am Kapital beteiligt.
Nachdem die staatlichen Genehmigungen vorlagen und die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung standen, konnte jetzt endlich mit der Realisierung der Pläne begonnen werden. Der erste Spatenstich wurde am 2. November 1897 bei Frauenburg vollzogen. Die Arbeiten wurden vom Baumeister Ernst Baum geleitet. Während der nächsten Monate hatte die Gesellschaft mit unerwarteten Problemen zu kämpfen, durch die die Investitionskosten erheblich erhöht wurden. Dabei schlug insbesondere zu Buche, dass in den Kalkulationen die Preise für den anzukaufenden Grund und Boden viel zu niedrig angesetzt worden waren. Dies betraf sowohl den Landkreis als auch – nochmals verschärft – die Stadt Elbing selbst, weil hier die Strecke ursprünglich in den östlichen Vorstädten verlaufen sollte, dann aber mitten durch die Innenstadt geführt wurde. Aufgrund der Kostensteigerung mussten Hypothekendarlehen in Höhe von insgesamt 1.790.000 Mark aufgenommen werden.
Die Bauarbeiten wurden nach eineinhalb Jahren abgeschlossen. Am 20. Mai 1899 wurde der Personenverkehr zunächst auf der Strecke von Elbing bis nach Frauenburg aufgenommen. Der vollständige Betrieb vom Staatsbahnhof Elbing bis zum Endpunkt Braunsberg begann dann am 7. September 1899. Vier Tage später – am 11. September – organisierte der Vorstand des Unternehmens zur Eröffnung offizielle Feierlichkeiten, zu denen viele Ehrengäste geladen wurden. Die Teilnehmer fuhren die gesamte Strecke in einem festlich geschmückten Zug, der an den einzelnen Stationen verweilte, weil dort Reden gehalten wurden, Orchester aufspielten und in den Bahnhofsrestaurants lukullische Speisen genossen werden konnten.
Die Haffuferbahn bis zum Zweiten Weltkrieg
Den täglichen Betreib leitete und beaufsichtigte die Bahnverwaltung, die ihren Sitz in der Brandenburgerstraße 5 in Elbing genommen hatte. Als Direktor wirkte zunächst Hermann Eschment. Ihm folgte ab 1901 Otto Wolff nach. In der Zwischenkriegszeit wurde diese Funktion von Otto Rieseler wahrgenommen, der als sehr tatkräftiger und ideenreicher Bahnverwalter in Erinnerung geblieben ist.
Jeden Tag befuhren die Züge die 48,3 km lange Strecke entlang des Haffufers. Anfangs verkehrten täglich drei bis vier Zugpaare zwischen Elbing und Braunsberg sowie auf einigen kürzeren Teilstrecken. Die Geschwindigkeit der Züge stieg allmählich von 20 auf 30 km/h, und eine Fahrt über die gesamte Distanz dauerte zunächst durchschnittlich zwei Stunden und zwanzig Minuten. In der Zwischenkriegszeit fuhr die Eisenbahn sechs- bis achtmal am Tag, und die Reisezeit betrug jetzt nur noch etwas mehr als eineinhalb Stunden. Die immer noch geringe Geschwindigkeit, die die Kleinbahn erreichen konnte, gab den Einwohnern von Elbing Anlass, auf die HUB bekannte Scherze über die Gemütlichkeit solcher Züge zu übertragen. Deshalb hieß es auch hier, dass man in den Wagen doch lieber Verbotstafeln mit der Inschrift „Blumen pflücken während der Fahrt verboten!“ anbringen sollte.
Der erste Streckenabschnitt in Elbing – zwischen dem Staatsbahnhof und dem Haffuferbahnhof – war mit wenigen Ausnahmen vom Personenverkehr ausgenommen. Die Elbinger nutzten die Bahnstation im Norden der Stadt, wo sich am Exerzierplatz, dem späteren Carlson-Platz, das eindrucksvolle Gebäude mit dem Restaurant von George Speiser befand. Dort konnte man Fahrpläne und Fahrkarten kaufen. Zusätzlich zu den einfachen Fahrkarten hatten Reisende die Wahl zwischen verschiedenen Ermäßigungstickets: Rückfahr‑, Ausflugs‑, Arbeiterwochen- oder Schülerfahrkarten. Sehr beliebt waren Marktkarten, die zur Fahrt zum nächsten Markt und sonntags zur Kirche berechtigten. Von Elbing aus verliefen die Gleise nach Norden und dann am Ufer des Haffs entlang bis zur Endstation in Braunsberg.
Die einerseits reizvolle Lage der Kleinbahn brachte andererseits aber auch viele Probleme mit sich. Die größte Gefahr bildete die Wassernähe, denn die Fluten des Frischen Haffs griffen immer wieder die Bahndämme an, die ständig verstärkt werden mussten. Die ersten Überschwemmungen traten bereits im Oktober und Dezember 1899 ein. Der Schaden war so groß, dass der Zugverkehr sogar zeitweilig eingestellt werden musste. Im Winter führte starker Schneefall ebenfalls zu Betriebsstörungen, weil Schneeverwehungen das Durchkommen der Lokomotiven erschwerten ; und im Frühjahr konnten sich auch noch Eisschollen bilden, die sich auf den Gleisen zu unüberwindlichen Barrikaden aufschichteten. Auf dem östlichen Streckenabschnitt wiederum, in Lisettenhof bei Braunsberg, hatte das Unternehmen jahrelang gegen den sumpfigen Boden anzukämpfen, der gegen Erdrutsche gesichert werden musste. Die Milderung bzw. Überwindung all dieser Schwierigkeiten machten Jahr für Jahr erhebliche finanzielle Aufwendungen der Gesellschaft notwendig.
Bei den Haltestellen kam Cadinen eine Sonderstellung zu. Dieser Ort, in dem sich ab 1898 die Sommerresidenz von Kaiser Wilhelm II. befand, war auf Ersuchen der örtlichen Verwaltung vom öffentlichen Verkehr ausgenommen und diente exklusiv der kaiserlichen Familie. Deshalb tauchte Cadinen auch nicht in den Fahrplänen auf, und Passagiere, die dorthin wollten, mussten bereits in Panklau aussteigen und zu Fuß weitergehen. Nach mehrjährigen Streitigkeiten zwischen der Haffuferbahn A. G. und der Cadiner Verwaltung wurde das Verbot allerdings aufgehoben. Seitdem konnten Reisende auch diese Haltestelle nutzen – außer in den Zeiten, in denen sich die kaiserliche Familie in Cadinen aufhielt. Dieser eigene Charakter der Haltestelle änderte sich naturgemäß nach dem Ersten Weltkrieg, als die Ortschaft in Staatsbesitz überging.
Die Haffuferbahn diente freilich nicht nur den Einwohnern, sondern gab auch der lokalen Industrie wichtige Impulse zur Weiterentwicklung. Nachdem der Betrieb angelaufen war, sorgten etliche Firmen für eigene Anschlüsse. Insgesamt wurden etwa dreißig Anschlussgleise gelegt – darunter etwa ein Dutzend in Elbing –, deren Gesamtlänge fast 10 km betrug. Über solche Anschlüsse verfügten beispielsweise die Schichau-Werke, die Brauerei Englisch Brunnen, die auch über eigene, weiße Kühlwagen verfügte, die Zigarrenfabrik Loeser & Wolff, die Likörfabrik Haertel & Co., die Metallwarenfabrik Zillgitt & Lehmke, die Maschinenfabrik F. Komnick oder das Ostpreußenwerk. Doch nicht nur die großen Industriebetriebe erkannten das Potenzial der Kleinbahn. Nebengleise entstanden auch in den kleinen Ortschaften am Frischen Haff, denen sie den Zugang zum zeitgemäßen Güterverkehr eröffneten. So verfügten auch zwölf Ziegeleien entlang der Haffküste, die Häfen in Tolkemit und Frauenburg, die Thonwerke in Luisenthal-Wieck oder die Preßtorffabrik in Sankau über eigene Nebengleise.
Ausflüge mit der Haffuferbahn
Ganz besonders dankbar ist ein Besuch der Haffküste mit der Haffuferbahn (Bahnhof am Kl. Exerzierplatz). Auch hier nimmt die Fahrt in den elegant eingerichteten Aussichtswagen durch die Aussicht nach dem Haff und der Frischen Nehrung sowie nach den Abhängen der Haffküste die Aufmerksamkeit des Reisenden so sehr in Anspruch, daß er schon von der Fahrt vollkommen befriedigt ist.
Dies schrieb der Autor des Fremdenführers durch Elbing und Umgegend von 1905. Aufgrund ihrer besonderen Lage wurde die Haffuferbahn schnell zu einer Hauptattraktion des regionalen Fremdenverkehrs. Die weitgehend direkt am Ufer verlaufende Kleinbahn bot Ausblicke, die beim Fahren oder Wandern auf der Straße nicht möglich waren. Den besten Zeitraum für solche Ausflüge bildete der Frühling, insbesondere während der Kirschbaumblüte, in der die Obstgärten zwischen Steinort und Panklau einem weißen Blütenmeer glichen. In diesen Wochen strömten die Fahrgäste dank der Kleinbahn in die Ortschaften am Haff, insbesondere nach Succase, um die Pracht zu bewundern.
Neben dem Vergnügen des Reisens selbst und dem Genuss der pittoresken Landschaft bot die Haffuferbahn zudem eine bequeme Anreise zu den bekannten Anziehungspunkten für Ausflügler. Dazu gehörten Cadinen, wo das Kaiserschloss besichtigt werden konnte, Panklau mit den berühmten „Heiligen Hallen“, wie die dortigen hochstämmigen Buchenwälder genannt wurden, sowie die Station Wieck Forsthaus, von der aus der „Heilige Stein“, der vor der Küste liegende große Findling, leicht zu erreichen war. Auch Frauenburg und Braunsberg mit ihren Bau- und Kulturdenkmälern waren für Touristen höchst attraktiv ; und nicht zuletzt zog auch Tolkemit die Besucher an, weil sich mit dem Dampfschiff von dort aus der Badeort Kahlberg auf der Gegenseite des Frischen Haffs, auf der Nehrung, erreichen ließ. Die Verbindungen über das Haff wurden von der Dampfschiffs-Reederei A. Zedler und in der Zwischenkriegszeit auch von der Reederei Schichau bedient.
Die Zeit ab 1939
Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde der Normalbetrieb der Haffuferbahn nachdrücklich beeinträchtigt. Militärtransporte nahmen erheblich zu, denn die Kleinbahn wurde als günstige Alternative zur längeren Strecke der ehemaligen Ostbahn genutzt : Sie erleichterte nicht nur eine schnellere, sondern auch direktere Verbindung zwischen den Garnisonen in Elbing und Braunsberg. Außerdem verkehrten während des Krieges an Werktagen vier und an Sonn- und Feiertagen fünf Personenzug-Paare. Zu den Fahrgästen gehörte bis kurz vor dem Einmarsch der sowjetischen Armee in das Haffufergebiet auch regelmäßig Prinz Louis Ferdinand, der Enkel Wilhelms II. und letzte, noch aus der kaiserlichen Familie stammende Besitzer des Schlosses Cadinen. 1945 fand die Haffuferbahn dann, nachdem sie 45 Jahre lang eine eigenständige Betriebseinheit des deutschen Eisenbahnnetzes gebildet hatte, ihr Ende.
Nachdem die Kriegszerstörungen behoben worden waren, kehrten die Züge auf die Strecke zurück. Die Bahn war wieder sehr beliebt, sowohl bei Einheimischen als auch bei Touristen, die an der Haffküste Erholung und Entspannung suchten. Zudem nutzten die Häfen sowie die Unternehmen und Betriebe den Schienenverkehr auch weiterhin intensiv. Nachdem 1958 die Innenstadt-Strecke vom Hauptbahnhof bis zur Station Englisch Brunnen geschlossen worden war, wurde in den Jahren von 1975 bis 1982 in den westlichen Vororten eine neue Eisenbahnumfahrung zum Hauptbahnhof gebaut. Die Anzahl der Züge erhöhte sich wieder schrittweise, und modernere Fahrzeuge kamen zum Einsatz, wodurch sich die Geschwindigkeit der Züge weiter steigern ließ.
Mit der Zunahme des Autoverkehrs allerdings verschlechterten sich die Bedingungen für den Bahnbetrieb allmählich. Versuche, dieser Abwärtsspirale durch eine Reduzierung des Fahrplans Einhalt zu gebieten, blieben wirkungslos, so dass die unzureichende Rentabilität im Jahre 2006 zur endgültigen Einstellung des Zugverkehrs führte. Auch gut gemeinten Wiederbelebungsversuchen, die bis in die jüngste Zeit hineinreichen, ist regelmäßig kein Erfolg mehr beschieden gewesen. Deshalb fahren heute auf der Strecke der ehemaligen Haffuferbahn nur selten einzelne Sonderzüge : Eisenbahn-Enthusiasten organisieren dann noch einmal eine nostalgische Reise in die Zeit, in der das Schlagen der Eisenbahnräder den Lebensrhythmus der Menschen an der Haffküste prägte.