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„Wir schreiben Geschichte“

Lechia Gdańsk gewinnt Polnischen Pokal

„My tworzymy historię“ – „Wir schreiben Geschichte“. Am Nachmittag des 2. Mai gaben die Fans von Lechia Gdańsk mit ihrer Choreographie dem Sieg ihrer Mannschaft im Finale des polnischen Fußballpokals „Puchar Polski“ einen ­würdigen Rahmen, denn dieser Titel war für alle diejenigen, die zum polnischen Erstligaverein aus Danzig halten, von historischer Bedeutung. Gerade dies wurde ebenfalls durch die Choreo der Anhänger angedeutet, bei der riesig die zwei Jahreszahlen 1983 und 2019 auf der Tribüne prangten: der letzte Pokalerfolg für den Club lag bereits 36 Jahre zurück.

Der KS (Klub Spor­to­wy = Sport­club) Lechia Gdańsk ist der wohl bedeu­tends­te Sport­ver­ein im heu­ti­gen Dan­zig. 1945 als Werks­ver­ein für Dan­zi­ger Hafen­ar­bei­ter gegrün­det, fand des­sen Fuß­ball­mann­schaft bereits 1948 ihren Weg in die obers­te pol­ni­sche Spiel­klas­se. Der wei­te­re sport­li­che Wer­de­gang war dabei aller­dings weni­ger grad­li­nig, als man viel­leicht erwar­ten wür­de. Denn neben sport­lich erfolg­rei­chen Pha­sen, vor allem in den 1950er und 1980er Jah­ren, gab es auch zahl­rei­che Tiefs zu ver­zeich­nen, die nach eini­gen Abstie­gen und glück­lo­sen Fusio­nen mit ande­ren Ver­ei­nen in der Neu­grün­dung durch die Fans im Jah­re 2001 kul­mi­nier­ten. Sie war mit dem Neu­start in der sechs­ten Liga ver­bun­den, doch Lechia Gdańsk schaff­te es inner­halb von nur sie­ben Jah­ren, in die höchs­te pol­ni­sche Spiel­klas­se zurück­zu­keh­ren. Seit 2008 spielt Lechia nun unun­ter­bro­chen in der „Eks­tra­kla­sa“ und kann mit der jüngs­ten Ent­wick­lung des Ver­eins höchst zufrie­den sein.

Als bis­lang größ­ter Erfolg galt der sen­sa­tio­nel­le Pokal­er­folg im Jah­re 1983, als man sich im Fina­le als Dritt­li­gist gegen den höher­klas­si­gen Club aus Glei­witz (Piast Gli­wice) mit 2 : 1 durch­setz­te. Dadurch war Lechia in der fol­gen­den Sai­son zur Teil­nah­me am Euro­pa­po­kal der Pokal­sie­ger berech­tigt. Dort war­te­te auf das Team kein Gerin­ge­rer als der ita­lie­ni­sche Rekord­meis­ter Juven­tus Turin unter der Regie von Gio­van­ni Tra­pat­to­ni, mit welt­be­kann­ten Spie­lern wie Michel Pla­ti­ni und Zbi­gniew Boniek, dem heu­ti­gen Prä­si­den­ten des pol­ni­schen Fußballverbandes.

Das Rück­spiel in Dan­zig – das nach einer 7 : 0‑Hinspiel-Niederlage uner­war­tet mit nur 2 : 3 ver­lo­ren wur­de – stellt bis heu­te einen wich­ti­gen geschicht­li­chen Bezugs­punkt für vie­le Lechia-Fans dar und ist ein zen­tra­ler Bestand­teil der Ver­einsi­den­ti­tät. Davon zeu­gen noch zahl­rei­che, zum Teil anti­kom­mu­nis­ti­sche Ban­ner und Fah­nen mit Solidarność-Bezug – nicht umsonst spricht der Ver­ein selbst auf sei­ner Web­site vom Lechia-Stadion als einer „Oase der Frei­heit in den düs­te­ren kom­mu­nis­ti­schen Zei­ten“. Doch was gab die­sem Spiel die­se immense Bedeu­tung ?  Schät­zungs­wei­se bis zu 40.000 Zuschau­er wur­den an die­sem 28. Sep­tem­ber 1983 Zeu­gen von ohren­be­täu­ben­den Soli­da­ri­täts­be­kun­dun­gen mit dem dort eben­falls anwe­sen­den Solidarność-Vorsitzenden Lech Wałę­sa. Die Sicher­heits­kräf­te hat­ten ihn zuvor unter der fälsch­li­chen Annah­me ins Sta­di­on gelas­sen, das Publi­kum wür­de sich gegen ihn stel­len. Die Kon­se­quenz aber war nun, dass die Über­tra­gung der Par­tie auf dem pol­ni­schen Staats­sen­der unter­bro­chen wer­den muss­te und man sich schließ­lich dazu ent­schied, den Rest der Par­tie ohne Audio­spur aus­zu­strah­len – ein klei­ner, aber wich­ti­ger Sieg, der der unter erheb­li­chen Repres­sio­nen lei­den­den Bewe­gung neu­en Auf­wind gab.

Zurück in die Gegen­wart :  Nun also der zwei­te Pokal­er­folg im Puchar Pol­ski für Lechia Gdańsk. Das Pokal­fi­na­le gegen Jagiel­lo­nia Białys­tok konn­te die Mann­schaft im pol­ni­schen Natio­nal­sta­di­on in War­schau erst im letz­ten Augen­blick der Nach­spiel­zeit durch den 1 : 0 Sieg­tref­fer des Ex-Hannoveraners Artur Sobiech für sich ent­schei­den, nach­dem in der Schluss­pha­se des Spiels bereits ein Tref­fer auf­grund einer Abseits­stel­lung zurück­ge­nom­men wor­den war. Unter den Augen der 44.158 Zuschau­er zeig­te sich zunächst ein aus­ge­gli­che­nes Spiel, wobei Jagiel­lo­nia über lan­ge Stre­cken des Spiels ein wenig gefähr­li­cher wirk­te und mehr­mals nur von dem Schluss­mann der Dan­zi­ger, Zla­tan Alo­mero­vić, gestoppt wer­den konn­te. Die­ser Tri­umph dürf­te die Lechia-Fans jeden­falls gebüh­rend für das zum Teil sehr lan­ge Aus­har­ren vor dem Sta­di­on ent­schä­digt haben :  Ein Teil der Lechia-Anhänger gelang­te erst nach Anpfiff des Spiels in das Sta­di­on, nach­dem es durch unge­wöhn­lich gründ­li­che Sicher­heits­kon­trol­len zu län­ge­ren War­te­zei­ten vor den Ein­gän­gen gekom­men war. Doch nach dem Schluss­pfiff dürf­te all dies ver­ges­sen gewe­sen sein – die Freu­de über den Pokal­ge­winn nach solch einer viel­jäh­ri­gen Durst­stre­cke war Spie­lern, Funk­tio­nä­ren und Fans glei­cher­ma­ßen anzu­mer­ken. Im Nach­gang der Par­tie wid­me­te der Trai­ner der sieg­rei­chen Dan­zi­ger Mann­schaft, Piotr Sto­ko­wiec, den Pokal dem Anfang die­sen Jah­res tra­gisch ver­stor­be­nen Bür­ger­meis­ter der Stadt, Paweł Adamowicz.

Abseits des beschrie­be­nen Pokal­er­folgs ver­lief auch die aktu­el­le Sai­son in der „Eks­tra­kla­sa“, die der ers­ten Bun­des­li­ga ent­spricht, außer­ge­wöhn­lich gut. Die Weiß-Grünen spiel­ten lan­ge um den ers­ten Platz mit und konn­ten am Ende eine respek­ta­ble Dritt­plat­zie­rung vor­wei­sen – dies war ihnen bis dato ledig­lich ein­mal, und zwar in der Sai­son 1955/56, gelun­gen. Vor ihnen lan­de­te auf Platz zwei der Seri­en­meis­ter Legia Wars­za­wa, der damit erstaun­li­cher­wei­se das ers­te Mal seit Jah­ren ohne den Titel­ge­winn blieb sowie als Über­ra­schungs­meis­ter Piast ­Gli­wice. Wenn man von der Sai­son 2017/18 absieht, die man ernüch­tern­der Wei­se auf dem 13. Platz been­de­te, hat Lechia es somit in den ver­gan­ge­nen Spiel­zei­ten geschafft, sich im obe­ren Tabel­len­drit­tel zu etablieren.

Dem­entspre­chend stieg auch wie­der das Zuschau­er­inter­es­se, und so schau­ten im Schnitt ca. 14.700 Zuschau­er die Spie­le der ver­gan­ge­nen Sai­son. Die Anhän­ger des Ver­eins wird es zudem sehr gefreut haben, dass der regio­na­le Erz­ri­va­le Arka Gdy­nia sowohl in der Liga als auch durch den Pokal­sieg in die Schran­ken gewie­sen wer­den konnte.

Jeden­falls kann man in Dan­zig zwei­fel­los auf die wohl erfolg­reichs­te Sai­son in der 74-jährigen Ver­eins­ge­schich­te zurück­bli­cken – dem­entspre­chend groß sind auch die Eupho­rie im Umfeld des Ver­eins sowie die hoch­ge­spann­te Erwar­tung auf die kom­men­de Sai­son und die Rück­kehr Lechi­as auf die Büh­ne des euro­päi­schen Fußballs.

Frederic Engelbrecht-Schnür