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Westpreußen als Teil einer frühen Welt-Gesellschaft

oder: Warum gibt es in Bromberg eine Esperanto-Brücke ?

Von Joanna Skolnicka

»Welche Vorstellungen haben Sie von dem, was ›Esperanto‹ bedeuten könnte ? « – Es wäre sicherlich aufschlussreich, Mitmenschen – und gerade jüngeren Leuten – einmal diese Fragen vorzulegen. Selbst wenn dabei zuweilen noch einige wüssten, dass es sich bei Esperanto um eine Plansprache handelt, um eine konstruierte menschliche Sprache, die eine internationale Kommunikation wesentlich erleichtern soll, stieße die Anschlussfrage vermutlich auf weitgehendes Unverständnis :  »Haben Sie selbst schon einmal persönliche Erfahrungen mit Esperanto gemacht – oder würden Sie sich sogar für das Erlernen dieser Sprache interessieren ? «  Diese Idee wirkt heute tatsächlich eher abwegig ;  denn die Suche nach einer universell verwendbaren und überall verständlichen Sprache ist doch schon längst – zugunsten des Englischen – entschieden. – Der Kalender der runden Geburts- und Todesjahre, der unsere Erinnerungskultur inzwischen ganz entscheidend prägt, gibt allerdings einen wichtigen Impuls, die Frage nach der Bedeutung des Esperanto nicht vorschnell zu übergehen :  Am 14. April jährt sich zum 100. Male der Todestag von Ludwik Lejzer Zamenhof, dem polnischen Augenarzt, der diese voll ausgebildete und bis in die Gegenwart noch am weitesten verbreitete Plansprache entwickelt hat. Dieses Datum kann somit einen willkommenen Anlass bieten, genauer nachzufragen, ob bzw. an welchen Orten und auf welche Weise das Konzept von Zamenhof auch in Westpreußen Fuß gefasst hat, welche geschichtlichen Zusammenhänge unter dieser Perspektive sichtbar werden – und welche Spuren der Esperanto-Bewegung sich im Land an der unteren Weichsel heute noch entdecken lassen.

Elbing 

Die Ideen von Ludwik Zamenhof fanden in den westpreu­ßi­schen Städten recht zügig eine breitere Resonanz :  Eine organi­sierte Esperanto-­Bewegung begann hier bereits Anfang des 20. Jahrhun­derts. In Elbing wurde schon 1905 ein Esperanto-Verein gegründet – in dem Jahre, in dem der erste Esperanto-Weltkongress im franzö­si­schen Boulogne-sur-Mer stattfand. Der Verein hielt seine Versamm­lungen regel­mäßig dienstags im »Ratskeller«, im Erdge­schoss des Rathauses, ab ;  der junge Verein wurde jedoch bald aus heute nicht mehr erschließ­baren Gründen aufgelöst oder setzte zumindest seine Tätigkeit aus. Neu gegründet bzw. wieder­belebt wurde er 1912. Diese Gründungs­ver­sammlung, anberaumt von einem Chemiker, Greff mit Namen, fand am 21. Oktober im Handels­lehr­in­stitut des Buchdruckerei-Inhabers Otto Siede statt. Auf der Versammlung wurde die Satzung beschlossen. Zu Vorstands­mit­gliedern wurden Herr Greff, ein Lehrer Glowitz und ein Postse­kretär Kubicki gewählt. Dem Verein traten 32 Personen bei, darunter auch Frauen (u. a. die Telegra­fistin Johanna Zellweger, ein Fräulein Penner und eine Frau Carstenn). Nach den überlie­ferten Dokumenten zu urteilen, rekru­tierten sich die Vereins­mit­glieder in erster Linie aus der Lehrer­schaft, dem Beamtentum und aus Freibe­ruflern, somit aus Berufs­gruppen und sozialen Schichten, die in beson­derem Maße an allge­meiner Weiter­bildung und Innova­tionen wie einer Hilfs­sprache inter­es­siert waren.

Der Elbinger Verein bildete zugleich eine offizielle Gruppe des Deutschen Esperanto-Bundes. Der auf der ersten Versammlung zum Vorsit­zenden gewählte Chemiker Greff hielt diese Funktion viele Jahre lang inne. Er stellte auch seine Privat­wohnung (zuerst in der Talstraße 27, später Georgendamm 25) für die offizi­ellen Versamm­lungen zur Verfügung. Die Haupt­tä­tigkeit des Vereins richtete sich auf die Durch­führung von Esperanto-­Kursen, wobei das Bemühen um eine Verbreitung dieser Kennt­nisse von den städti­schen Behörden unter­stützt wurde, indem sie dem Verein für das Abhalten des Kurs-Programms 1913 einen Saal in der altstäd­ti­schen Knaben­schule überließen. Die Esperanto-Kurse wurden allen Elbinger Vereinen angeboten, von denen anzunehmen war, dass sie die Beherr­schung einer univer­salen Sprache bei ihren Tätig­keiten als förderlich empfänden. Dies traf beispieslweise auf den Elbinger Arbeiter-Samariterbund zu, der sich um Notfall­hilfe sowie die Ausbildung von Ersthelfern kümmerte, aber überra­schender Weise auch auf den Jungdeutschland-Bund, der trotz seiner Zielsetzung einer nicht nur sport­lichen Ertüch­tigung, sondern auch vormi­li­tä­ri­schen Erziehung offenbar die Beschäf­tigung mit Esperanto-­Kursen – zumindest bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges – für hilfreich hielt.

Der Elbinger Esperanto-Verein blieb mindestens bis zur zweiten Hälfte der 1920er Jahre aktiv, seine Tätigkeit gewann jedoch keine Außen­wirkung, die derje­nigen des Schwes­ter­vereins in Danzig vergleichbar wäre. – Im Kontext der El­binger Verei­nigung muss auch der Name von Karl Vanselow (1876–1959) genannt werden – einem aus Schönlanke stammenden Schrif­steller, Verleger, Fotografen und – in seinen späteren Lebens­jahren – leiden­schaft­lichen Esperanto-Verfechter. Nach dem Tode seines Vaters (1882) hatte ihn sein älterer Bruder Julius zu sich nach El­bing geholt (wo dieser als Lehrer tätig war und auch als Schrift­steller hervortrat) und ermög­lichte ihm den Besuch des dortigen Gymna­siums. Nach Julius’ frühem, plötz­lichem Tod musste Karl Vanselow Elbing aber wieder verlassen und sich seiner­seits um den Unterhalt der Familie kümmern.

Danzig 

Der Danziger Esperanto-­Verein wurde 1907 ins Leben gerufen. Zu seinen Mitbe­gründern gehörte Anna Eliza Tusch­inski. 1908 lernte sie Ludwik Zamenhof auf dem 4. Esperanto-Weltkongress in Dresden persönlich kennen – und die beiden eröff­neten dann als Tanzpaar den Abschlussball des Kongresses. Vom 27. Juli bis zum 1. August 1912 fand in Danzig der 7. Deutsche Esperanto-Kongress statt. Neben Festreden und Vorträgen wurden in der Nikolai- und in der Marien­kirchen – jeweils getrennt für Katho­liken und Protes­tanten – Andachten mit Predigten auf Esperanto gehalten. (Ein gemein­samer »ökume­ni­scher« Gottes­dienst war – ungeachtet der fried­lichen und völker­ver­bin­denen Botschaft der Esperan­tisten – zu dieser Zeit offenbar noch völlig undenkbar.)

Während des Weltkriegs ruhten die Aktivi­täten des Danziger Vereins, der im November 1919 wieder­erstand. In der kulturell vielfäl­tigen Freien Stadt Danzig, die auch von vielen Fremden, Geschäfts­leuten wie Touristen, besucht wurde, florierte die Bewegung. Danziger Zeitungen publi­zierten Esperanto-Lektionen, es wurden Bücher in der neuen »Weltsprache« veröf­fent­licht (wie z. B. ein Danziger Reise­führer), und die auslän­di­schen Gäste konnten Auskünfte und Stadt­füh­rungen in Esperanto erhalten. Von einer auch politisch nutzbaren Dimension der univer­salen Sprache gibt 1920, bald nach dem Kriegsende, ein Artikel aus der polni­schen Zeitung Gazeta Gdańska Auskunft. Der Verfasser hebt die Bedeutung von Esperanto für alle kaufmän­ni­schen Tätig­keiten hervor, denn nun biete sich endlich die Möglichkeit, dass ein Pole angesichts der Tatsache, dass die Deutschen sich in aller Regel sowieso nicht mit dem Polni­schen ausein­an­der­setzten, in Gesprächen nicht mehr deutsch sprechen müsse, sondern auf die »neutrale« Hilfs­sprache ausweichen könne.

Einen Höhepunkt der Esperan­to­be­wegung in Danzig bildete der 19. Esperanto-Weltkongress, der vom 28. Juli bis zum 4. August 1927 im Friedrich-Wilhelm-Schützenhaus stattfand. Als Ehren­gäste des Kongresses kamen Mitglieder der Familie Zamenhof nach Danzig, zum Ehren­ko­mitee gehörten auslän­dische Diplo­maten und Würden­träger sowie Heinrich Sahm und Wilhelm Riepe, die dem Senat der Freien Stadt in diesem Jahr als Präsident bzw. Vizeprä­sident vorstanden. Die Veran­staltung wurde mit der Esperanto-Sommeruniversität verbunden, und den Gästen wurde eine Reihe von zusätz­lichen Programm­punkten angeboten, darunter eine Fahrt mit dem Dampfer Paul Beneke sowie Ausflüge nach Oliva und zur Zopotter Waldoper. Höchst symbo­lisch war das Pflanzen einer Erinne­rungs­eiche auf einem Hügel in Zoppot :  Vertreter der Esperanto-Bewegung verschie­dener Natio­na­li­täten hatten jeweils etwas Erde aus ihren Heimat­ländern mitge­bracht, die um das Bäumchen herum verteilt wurde ;  und der Hain, in dem der Baum gepflanzt wurde, hieß nun »Esperan­to­grund«. Zudem wurde an diesem Ort ein Gedenk­stein aufgestellt.

Weitere Städte in Westpreußen 

In Bromberg entstand ein Esperanto-Verein im Jahre 1908. Der von Moritz Kandt, einem Doktor der Philosphie, gelei­teten Verei­nigung gehörten sowohl Polen als auch Deutsche an. Im Juni 1910 unter­nahmen die Vereine aus Bromberg und Thorn gemein­samen einen Ausflug nach Ciech­o­cinek, das damals in Kongress­polen lag, und besuchten die dortige Schwes­ter­or­ga­ni­sation. Dieses Treffen erhielt für die Teilnehmer einen ganz beson­deren Wert, weil sich ihnen auch Ludwik Zamenhof höchst­per­sönlich zugesellte. Nach einer kriegs­be­dingten Pause erwachte die Bromberger Bewegung 1919 erneut. In den 1930er Jahren bestanden in dieser Stadt sogar vier Esperanto-Vereine parallel, und es erschien unter dem Titel Ligilo ein eigenes Esperanto-Bulletin.

1909 erreicht das Interesse an der inter­na­tio­nalen Plansprache auch andere Städte Westpreußens. In Graudenz gründet der Kaufmann Alojzy Kamrowski den dortigen Verein, und im gleichen Jahr wurde in Marienburg – nach Edward Kozyras Geschichte der Esperan­to­be­wegung in Marienburg – eine Abteilung des Orient Germana Esperan­tista Ligo (des Ostdeut­schen Esperanto-Bundes) ins Leben gerufen. Zum Vorsit­zenden wurde der Apotheker Heinrich Mehrländer gewählt. In dieser Stadt hatte Esperanto aber schon viel früher Liebhaber gefunden, denn bereits 1893 abonnierte ein gewisser H. Zeidler aus Marienburg die erste, 1889 begründete Esperanto-Zeitschrift La Esperantisto.

Blockade durch das NS-Regime 

Mit dem Jahre 1933 endeten in Deutschland jegliche weiteren Entfal­tungs­mög­lich­keiten für die Esperanto-Bewegung, denn mit der sogenannten Macht­über­nahme verschwand die Akzep­ta­bi­lität von Vorstel­lungen wie dem Univer­sa­lismus, der Völker­freund­schaft oder gar der Gleich­wer­tigkeit von Rassen und Kulturen. Damit wurden die Ideale, die die Esperan­tisten vertraten, insgesamt obsolet – ganz zu schweigen von der Tatsache, dass der Schöpfer dieser Sprache ein polni­scher Jude gewesen war. So wurde Esperanto vom Beginn des NS-Regimes an unter­drückt, auch wenn das offizielle Verbot des Unter­richts in den Schulen erst 1935 kam. 1936 wurden sodann alle Vereine, die sich der Pflege von »Kunst­sprachen« widmeten, aufgelöst. 1938 wurde schließlich die Esperanto-Eiche in Zoppot gefällt und die Erinne­rungs­tafel zerstört. Dabei soll aber nicht übergangen werden, dass die Plansprache von Zamenhof nicht nur bei Anhängern des Natio­nal­so­zia­lismus in Deutschland, sondern auch bei antise­mi­ti­schen Kreisen in Polen auf massive Ablehnung traf. Seit 1933 z. B. wurde Esperanto in Bromberg von der Gazeta Bydgoska, einer den Natio­nalen Demokraten naheste­henden Zeitung, aggressiv als »jüdische Sprache« bekämpft.

Verbote, Verfol­gungen, Drohungen und Strafen haben aber auch starke Gegen­kräfte mobili­siert. Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Albin Makowski, einem in Konitz behei­ma­teten Polen. Er hatte 1928, als 20-Jähriger, damit begonnen, Esperanto zu lernen. Nachdem er 1943 ins KZ Stutt­hof gebracht worden war, verfasste er nun aus dem Gedächtnis heraus ein Esperanto-Lehrbuch und unter­richtete heimlich seine Mithäft­linge. Das war seine Methode, sich und andere in einer solchen Ausnah­me­si­tuation durch sinnvolle Beschäf­tigung vor der Verrohung zu bewahren. Auf diese Weise entsprach sein Bemühen in einem tieferen Sinne dem Namen von »Esperanto«, denn diese Benennung ist von dem Wort »la Espera« – »Hoffnung« – abgeleitet. (Makowski überlebte den Aufenthalt in Stutthof übrigens und kehrte nach Konitz zurück. Da er zeitlebens ein leiden­schaft­licher Sammler war, wurde seine Wohnung nach seinem Tode im Jahre 1982 zu einem Teil des Konitzer Museums.)

Die Enwicklung seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 

Nach 1945 entwi­ckelte sich die zuvor verbotene Hilfs­prache in Polen zunächst sehr rege, zumal sie in der Volks­re­publik quasi ein Fenster zur Welt zu öffnen vermochte. 1959 wurde während des 15. Inter­na­tio­nalen Kongresses der Esperanto-Jugend in Zoppot an derselben Stelle, an der bis 1938 die Esperanto-Eiche gestanden hatte, ein neuer Baum gepflanzt, und auch ein Erinne­rungs­stein wurde an der Stelle des Vorgängers errichtet. Baum und Stein sind dort bis heute zu sehen. Zoppot war, vielleicht eingedenk der starken Tradi­tionen, Zamenhofs Kunst­sprache besonders zugeneigt :  Von 1972 bis 1977 gab es hier ein eigenes Esperanto-Museum, und in einer der Grund­schulen wurde von 1967 bis 1982 Esperanto-Unterricht erteilt.

In Bromberg entstand 1959 eine Abteilung des Polni­schen Esperantisten-Verbands ;  und in den 1970er Jahren wurde eine Initi­tative ergriffen, inter­na­tionale Esperanto-Treffen mit der regel­mäßig statt­fin­denden städti­schen Großver­an­staltung Tage von Bromberg zu verbinden. So wurde die Stadt zum Zentrum der gesamt­pol­ni­schen Esperanto-Bewegung. Überdies war an der Nikolaus-Kopernikus-Universität in Thorn schon in den 1950er Jahren ein studen­ti­scher Esperanto-Club aktiv, der eine eigene Zeitschrift herausgab ;  und im Thorner Pädago­gi­schen Lyzeum wurde ein Esperanto-Kurs durchgeführt.

Seitdem Englisch zu Lingua franca der modernen Welt wurde, ist die von Zamenhof erfundene Sprache aller­dings auch in seinem Heimatland nicht mehr sonderlich populär. Die Gruppen, die noch Esperanto pflegen, bestehen oft aus Enthu­si­asten, die der älteren Generation zugehören. Relativ lebendig bleibt die Bewegung noch in der Dreistadt. Als wichtiger Verfechter der Sprache wirkt der 1935 geborene Zoppoter Józef Golec, der zugleich ein verdienst­voller Pädagoge, Exlibris-Schöpfer und Kenner der Geschichte von Zoppot (und dem Teschener Schlesien) ist und der 2008 eine Monographie über die Danziger Esperanto-Entwicklung veröf­fent­lichte. Die in der Danziger Diözese lebenden Esperan­tisten haben sogar einen eigenen Seelsorger. Für sie ist Pfarrrer Stanisław Płatek zuständig, der Anfang der 1970er Jahre begonnen hatte, sich auf das Abenteuer mit der Plansprache Esperanto einzu­lassen. In Bromberg schließlich bietet die Privat­hoch­schule Inter­na­tio­nales Studium für Touristik und Kultur immer noch Esperanto als eine der Lehrsprachen an.

Auch wenn Esperanto selbst durch die neueren Entwick­lungen allmählich zu einer »toten Sprache« werden sollte, wird die hehre Grundidee von Zamenhof, die er durch seine Erfindung verwirk­lichen wollte, nicht dem Vergessen anheim­fallen. Davon zeugen neuere Namens­ge­bungen, die Zamenhof ehren und die Erinnerung an sein Werk bewahren sollen. 2014 wurde eine Grünfläche im Elbinger Traugutta-Park nach ihm benannt. (Bei dieser Gelegenheit wurde im Rathaus der Stadt auch das Monodrama Dr. Esperanto aufge­führt.) Mit beson­derer Inten­sität widmet sich Bromberg der Aufgabe, Zamenhof feste Orte in der Erinne­rungs­kultur der Stadt zuzuweisen :  Neben einer Zamenhof-Grünfläche und einem Esperanto-Haus gibt es eine Esperanto-Brücke über die Brahe. Die schon 1979 errichtete Brücke bekam ihren Namen aufgrund eines Beschlusses des Bromberger Stadt­rates im Jahre 2012. Dadurch sollten die Bedeutung der Stadt für die Esperanto-Bewegung gewürdigt und die Intention der Plansprache, eine Brücke zwischen Völkern und Kulturen zu schlagen, sinnfällig gemacht werden. Das Esperanto-Haus letztlich – ein attrak­tives, modernes Wohnge­bäude, dessen Archi­tektur sich an Konzep­tionen von Le Corbusier orien­tiert – wurde 2016 fertig­ge­stellt ;  und am 14. April des gleichen Jahres, am Todestag von Zamenhof, wurde dort eine Tafel mit einem Zamenhof-Bildnis enthüllt. Ein sehr origi­nelles Schmuck- (und Studien-)Element bilden zudem dreidi­men­sional wirkende Esperanto-Inschriften, die in den Treppen­häusern des Hauses angebracht worden sind.


EIN SPRACHGENIE AUS NEUGUT (Kreis Culm)

Beim Thema »Esperanto in Westpreußen« ist es unaus­weichlich, auch auf Antoni Grabowski einzu­gehen, der am 11. Juni 1857 in Neugut (Nowe Dobra) geboren wurde und am 4. Juli 1921 in Warschau gestorben ist. Er wuchs in Thorn auf, war ein brillanter Schüler und legte dort am Nikolaus-Kopernikus-Gymnasium sein Abitur ab. Er studierte Natur­wis­sen­schaften und Philo­sophie in Breslau, arbeitete als Chemie­in­ge­nieur, profi­lierte sich aber dank erfolg­reichen Projekt­ar­beiten auch schon bald als Wissen­schaftler. Im Kontext der Esperanto-Bewegung liegt seine heraus­ra­gende Bedeutung in dem entschei­denden Beitrag, den er zur Entwicklung von Zamenhofs Plansprache zu einer vollgül­tigen Litera­tur­sprache geleistet hat.

Grabowski hatte eine staunens­werte Sprach­be­gabung, beherrschte neben seiner Mutter­sprache neun weitere Sprachen perfekt und verfügte bei mehr als zehn weiteren über ein zufrie­den­stel­lendes Lese- und Hörver­ständnis. Unter dieser Voraus­setzung war er geradezu präde­sti­niert, die inter­na­tionale Sprache Esperanto auf vielfache Weise in Kontakt mit den natio­nalen Litera­tur­sprachen zu bringen. Bereits ab 1888, nur ein Jahr nachdem Zamenhof sein erstes Lehrbuch publi­ziert hatte, erschienen Grabowskis Überset­zungen. Diese Bemühungen kulmi­nierten schließlich 1913 im Parnass der Völker (El Parnaso de Popoloj). Diese Antho­logie umfasst 116 Gedichte, von denen Grabowski sechs selbst verfasst hat, während die anderen 110 Überset­zungen aus nicht weniger als 30 Sprachen bieten.

Um den Lesern des Westpreußen wenigstens einen kleinen Eindruck von der Litera­tur­sprache Esperanto zu vermitteln, zitieren wir in Grabowskis Esperanto-Übersetzung die ersten drei Strophen der (1822 erschie­nenen) Dichtung Die drei Budrysse von Adam Mickiewicz (1798–1855), die der polnische Dichter als »Litauische Ballade« bezeichnet hat. Begleitet wird dieses Textbei­spiel von der deutschen Übersetzung, die der Elbinger Schrif­steller, Komponist sowie Kenner und Übersetzer polni­scher Literatur, Heinrich Eduard Nitschmann (1826–1905), angefertigt und erstmals 1860 in Danzig veröf­fent­licht hat.

Tri Budrisoj

Budrys, forta kaj sana, maljunulo Litvana,
Sur la korton alvokas tri filojn :
»Iru tuj en la stalojn, selu bone ĉevalojn,
Kaj akrigu la glavojn, ĵetilojn.

Kuras famo en rondo, por tri flankoj de l’ mondo
Al ni Vilno trumpetos ordonojn :
Olgerd falos Rusujon, Skirgel iros Polujon
Princo Kejstut atakos Teŭtonojn.

Fortaj, sanaj vi estas ;  iru, filoj, mi restas ;
Litvaj dioj konduku vin, benu !
Por la vojo utila, bona vorto konsila :
Tri vi estas, tri vojojn vi prenu.[«] 

Die drei Budrysse

Einst rief der alte Budrys die Söhne zu sich her.
Von Litauns echtem Stamme drei Recken stark wie er :
»Führt aus dem Stall die Rosse, beschickt das Sattelzeug
Und schärfet eure Speere, die Säbel auch zugleich !

In Wilna ward mir Kunde, es sollen drei Armeen
nach drei verschiednen Seiten der Welt zum Kriege gehn :
Gen Reussen streitet Olgierd mit seinem Heeresbann,
Fürst Keistut greift Teutonien, die Lachen Skirgel an.

Ihr seid gesund und rüstig, so dient denn eurem Land,
Der Schutz von Litauns Göttern sei stets euch zugewandt !
Ich will dies Jahr nicht reiten, doch hab’ ich guten Rat :
Ein jeder von euch dreien zieht einen andern Pfad. [«]