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Walther Domansky – ein Heimatschriftsteller „wie aus dem Buche“

Zum 80. Todestag des Danziger Autors

Von Peter Oliver Loew

Er war eine der vernehmlichen literarischen Stimmen Danzigs zu Beginn des 20. Jahrhunderts und einer der wichtigsten Heimatschriftsteller in der Geschichte der Stadt: Der vor achtzig Jahren gestorbene Walther Domansky prägte mit seinen Erzählungen, seinen Gedichten und seinen zahlreichen, in Zeitungen erschienenen Skizzen und Feuilletons das Wissen über Danzig entscheidend mit.

Gebo­ren wur­de Walt­her Doman­sky (der sei­nen Vor­na­men auch Wal­ter schrieb) am 2. Dezem­ber 1860 in Dan­zig als Sohn des Schiffs­ka­pi­täns Richard Doman­sky. Er wuchs in einem alten Dan­zi­ger Land­haus in Strieß auf, in dem schon Dani­el Cho­do­wiecki geweilt hat­te und dem er spä­ter ein hüb­sches Feuil­le­ton wid­me­te. Wäh­rend sein älte­rer Bru­der Carl Wil­helm die Kauf­manns­lauf­bahn ein­schlug, zog es Wal­ter nach dem Besuch des Städ­ti­schen Gym­na­si­ums zunächst zur evan­ge­li­schen Theo­lo­gie. Er stu­dier­te in Leip­zig und Königs­berg, ehe er 1885 Pfar­rer in dem klei­nen Dorf Neu­bar­ko­schin (heu­te Nowy Bar­koc­zyn) bei Berent wur­de. Hier gab es für die seit mehr als 250 Jah­ren in der Gegend sie­deln­den evan­ge­li­schen Kolo­nis­ten eine Kir­che, die jedoch zu Do­­mansky Zei­ten bereits sehr bau­fäl­lig gewe­sen sein soll.

1888 trat er eine Pfarr­stel­le in einer grö­ße­ren Ort­schaft an, im nordhessisch-waldeckischen Sach­sen­berg. Doch 1890 been­de­te er sei­ne Pfarr­erlauf­bahn, wie es heißt auf­grund sei­ner schlech­ten Gesund­heit und eines andau­ern­den Ner­ven­lei­dens. Er zog zurück nach Dan­zig, fand eine Woh­nung in der Nie­der­stadt, in der damals gera­de neu ange­leg­ten Strauß­gas­se, und wid­me­te sich der Schrift­stel­le­rei. Davon ließ sich mehr schlecht als recht leben, auch damals waren die Zei­tungs­ho­no­ra­re nicht beson­ders hoch, vom Buch­ver­kauf konn­te man eben­falls kei­ne gro­ßen Ein­künf­te erwar­ten. Und so nahm Doman­sky man­che Gele­gen­heits­ar­beit an und ver­fass­te etwa Fest­schrif­ten für Ver­ei­ne und Geschäf­te. In der Stadt war er zwar ange­se­hen, wur­de 1920 vom Dan­zi­ger Magis­trat zum 60. Geburts­tag mit einer Sil­ber­pla­ket­te geehrt und vom Deut­schen Hei­mat­bund zum 70. Geburts­tag 1930 zum Ehren­mit­glied ernannt, doch an sei­ner mate­ri­el­len Situa­ti­on änder­te dies nicht viel, so dass ihm – wie zu lesen ist –  die Stadt schließ­lich eine klei­ne Woh­nung im Auguste-Victoria-Stift auf Neu­gar­ten zur Ver­fü­gung stell­te, wo er sei­ne letz­ten Jah­re ver­brach­te. Am 8. Okto­ber 1936 starb Walt­her Domansky.

Schon in sei­ner Pfar­rer­zeit dürf­te Doman­sky lite­ra­ri­sche Ambi­tio­nen ent­wi­ckelt haben, denn bereits 1889 ver­öf­fent­lich­te er eini­ge Pre­dig­ten sowie unter dem Titel Das Hohe­lied von der christ­li­chen Lie­be eini­ge Lie­der auf eige­ne Tex­te im Druck. Kaum wie­der in der Hei­mat, folg­te 1891 im Dan­zi­ger Ver­lag Bert­ling sein ers­tes „loka­les“ Bänd­chen: Aus Dan­zigs Vor­zeit. Drei Erzäh­lun­gen für Jung und Alt. Die drei hier ent­hal­te­nen Erzäh­lun­gen zei­gen bereits, womit sich der ­Autor auch in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten am liebs­ten beschäf­ti­gen soll­te: Erbau­li­che Geschich­ten im pro­tes­tan­ti­schen Geist und die loka­le His­to­rie. Die ers­te Erzäh­lung, Der Milch­pe­ter, han­delt von einem im Dan­zi­ger Wer­der leben­den Mann, der sich sei­nen Lebens­un­ter­halt ver­dient, indem er die Milch sei­ner Zie­ge in Dan­zig ver­kauft, meist an die Fami­lie eines Rats­herrn in der Brot­bän­ken­gas­se. Eines Tages bewir­tet ihn die­ser mit einem Glas Aqua­vit, der dem ein­fa­chen Mann so zu Kop­fe steigt, dass ihm ganz übel wird. Besorgt besucht die Bürg­erfa­mi­lie den Milch­pe­ter in sei­ner Kate, und nach­dem er über­re­det wird, ein Gläs­chen sei­ner eige­nen Zie­gen­milch zu trin­ken – was er seit Jahr­zehn­ten nicht getan hat –, geht es ihm gleich wie­der bes­ser. Das ist gewiss kei­ne welt­um­stür­zen­de Geschich­te, sie lässt zudem jede Span­nung ver­mis­sen, aber sie besitzt eine gewis­se Gut­mü­tig­keit, die vie­le von Doman­skys Tex­ten kenn­zeich­net. Die zwei­te Erzäh­lung des Ban­des, Simon Mate­rn, berich­tet von der legen­den­um­wo­be­nen Dan­zi­ger Räu­ber­ge­stalt vom Anfang des 16. Jahr­hun­derts und bleibt dabei rela­tiv nahe an den his­to­risch über­lie­fer­ten Ereig­nis­sen, auch wenn ein paar erfun­de­ne Per­so­nen in die Hand­lung ein­ge­floch­ten wer­den: So gibt es hier zum Bei­spiel eine 18-jährige Jung­frau Namens Afra, die in Lie­be zu dem ver­we­ge­nen Räu­ber­haupt­mann ent­brennt. Die­ser wird schließ­lich gefan­gen, erkennt sei­ne Ver­feh­lun­gen und erhängt sich im Anker­schmie­de­turm – wor­auf­hin auch Afra das Zeit­li­che seg­net. Die Geschich­te Brot und Salz schmückt schließ­lich eine Epi­so­de aus der Bela­ge­rung Dan­zigs 1813 aus und erzählt das Schick­sal eini­ger Insas­sen des Dan­zi­ger Wai­sen­hau­ses, die dem Hun­ger in der Stadt ent­kom­men können.

Doman­skys Ver­dienst war es, Epi­so­den aus der his­to­ri­schen Lite­ra­tur lite­ra­risch zu ver­ar­bei­ten und einem (etwas) grö­ße­ren Publi­kum zugäng­lich zu machen. In einer Zeit, in der die kon­fes­sio­nel­len Bin­dun­gen noch stark waren, dürf­te der oft mora­li­sie­ren­de Ton sei­ner Tex­te auch auf eine gewis­se Reso­nanz gesto­ßen sein. Wäh­rend er sich hier in eini­gen Erzähl­bänd­chen, die kei­nen Lokal­be­zug hat­ten und in pro­tes­tan­ti­schen Ver­la­gen wie dem „Christ­li­chen Ver­ein“ Eis­le­ben, dem „Luthe­ri­schen Büche­rei­ver­ein“ Elber­feld oder der „Buch­hand­lung des Ost­deut­schen Jüng­lings­bun­des“ Ber­lin erschie­nen, kei­ner­lei Gren­zen auf­er­le­gen muss­te, wes­halb die­se Bücher mit Titeln wie Mis­si­ons­rös­lein, Aus der Refor­ma­ti­ons­zeit. Geschich­ten für unse­re Kin­der oder Tan­nen­zwei­ge heu­te allen­falls als Quel­le zur Erfor­schung pro­tes­tan­ti­scher Unter­hal­tungs­li­te­ra­tur her­hal­ten kön­nen, sind ande­re Samm­lun­gen zumin­dest noch von einem gewis­sen Inter­es­se, vor allem, wenn sie Danzig-bezogene Tex­te ent­hal­ten. Dazu gehört zum Bei­spiel das Büch­lein Resedab­lü­ten. Erzäh­lun­gen und Gedich­te, das 1901 erschien und eine Rei­he von erbau­li­chen Pas­to­ren­ge­schich­ten ent­hält, etwa über eine Pre­digt auf dem Dominik-Jahrmarkt, eine Geschich­te über den Johan­nis­tag in Dan­zig, an dem ein gelähm­tes Mäd­chen glück­lich stirbt, oder auch eini­ge Gedich­te wie Rings um die Stadt, das fol­gen­der­ma­ßen beginnt:

Bin heu­te rings um dich, o Stadt, gegan­gen,
Ein Rund­gang, der sich wahr­lich thut ver­loh­nen.
Doch mein Gemüth durch­zog ein lei­ses Ban­gen,
Wie viel des Elends drin­nen möch­te wohnen.

In Samm­lun­gen wie Der Angst­stein (1902) oder Bil­der­buch aus dem acht­zehn­ten Jahr­hun­dert (1904) kom­men eben­falls Dan­zi­ger Erzäh­lun­gen vor, und eini­ge Danzig-Stoffe fül­len sogar gan­ze Bücher: Eine gewis­se Bekannt­heit erlang­te die his­to­ri­sche Erzäh­lung Moritz Fer­bers Braut­wer­bung, die 1901 in der „Evan­ge­li­schen Ver­eins­buch­hand­lung“ Dan­zig erschien, aber bereits ein Jahr­zehnt zuvor in Fort­set­zun­gen in der Dan­zi­ger Zei­tung abge­druckt wor­den war. Auch hier wer­den die von der Geschichts­schrei­bung bekann­ten his­to­ri­schen Details über die­se Epi­so­de aus der spät­mit­tel­al­ter­li­chen Geschich­te Dan­zigs aus­ge­schmückt, ganz nach dem Gus­to ihres Autors. Als ich die­ses Büch­lein vor Jah­ren las, notier­te ich mir: „Recht schwa­ches, ganz ­biedermeierlich-pietistisch gehal­te­nes Werk­chen“, und dabei las­sen wir es auch heu­te bewenden.

Ähn­lich ver­hält es sich mit ande­ren Büchern, so mit einer 1891 erst­mals in der Dan­zi­ger Zei­tung und dann 1907 in Buch­form erschie­ne­nen Erzäh­lung, die immer­hin mit ihrem Titel eine gewis­se Auf­merk­sam­keit erheischt: Ob ein Mann sei­ne Frau zu schla­gen befugt sei. Gestützt unter ande­rem auf die far­bi­gen Danzig-Berichte des Fran­zo­sen Charles Ogier aus dem Jah­re 1635, erzählt Doman­sky die Geschich­te der Agne­te, die gericht­lich gegen ihren Mann vor­ge­hen will, weil der sie gezüch­tigt hat, deren Kla­ge aber abge­wie­sen wird. Die­se Hand­lung wird nun aber in Fami­li­en der Dan­zi­ger Aris­to­kra­tie ver­legt, wo sich Mann und Frau eben­falls gele­gent­lich strei­ten, doch am Ende wer­den – so wie bei Agne­te und ihrem Gat­ten – auch in der Fami­lie des Rats­herrn Tre­der die Miss­ver­ständ­nis­se aus­ge­räumt, und der Rats­herr kommt in einer Abhand­lung über die Fra­ge, ob Män­ner ihre Frau­en schla­gen dür­fen, zu dem Ergeb­nis, dies dür­fe nicht sein, da die Frau dem Mann eben­bür­tig zur Sei­te stehe.

Gegen­über sol­chen Ver­öf­fent­li­chun­gen waren es aber wohl mehr noch die stadt­his­to­ri­schen Feuil­le­tons und Skiz­zen, die Doman­sky beliebt mach­ten und dazu bei­tru­gen, ihn zu einem Hei­mat­schrift­stel­ler „wie aus dem Buche“ zu machen, der umfas­send über alle Aspek­te der älte­ren und jün­ge­ren Geschich­te sei­nes Wohn­orts berich­te­te. Die­se Feuil­le­tons erschie­nen über drei Jahr­zehn­te hin­weg in den loka­len Tages- und Wochen­zei­tun­gen, in den Dan­zi­ger Neu­es­ten Nach­rich­ten, der Dan­zi­ger Zei­tung, der Dan­zi­ger Bür­ger­zei­tung, auch in den loka­len Kalen­dern, und wur­den spä­ter in eini­gen Sam­mel­bän­den veröffentlicht:

Rund um den Pfarr­turm. Gesam­mel­te Erzäh­lun­gen (1928) und O Du mein Dan­zig! Aller­lei Geschich­ten (1930). Mit gro­ßer Lie­be zu den klei­nen und grö­ße­ren Details aus der Dan­zi­ger Geschich­te und Gegen­wart macht sich Doman­sky hier ans Werk, und immer wie­der holt er Ver­ges­se­nes ans Tages­licht. Beson­de­re Ver­diens­te erwarb er sich um das Upha­gen­haus, jenes seit Ende des 18. Jahr­hun­derts mit­samt sei­ner Innen­ein­rich­tung unver­än­dert erhal­te­nen Patri­zi­er­hau­ses, dem er zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts meh­re­re Tex­te wid­me­te. Damit trug er ent­schei­dend dazu bei, die­ses ein­zig­ar­ti­ge Bei­spiel Dan­zi­ger Bür­ger­kul­tur des Roko­kos zu erhal­ten, und es zu einem Muse­um wer­den zu las­sen, des­sen Bedeu­tung so groß war, dass man es auch nach der Zer­stö­rung der Stadt 1945 und dem Bevöl­ke­rungs­aus­tausch nicht ver­gaß; heu­te erzählt es wie­der­auf­ge­baut vom eins­ti­gen Reich­tum der alten Stadt.

Und es gibt noch einen wei­te­ren Bereich der Lite­ra­tur, in dem sich Walt­her Doman­sky Meri­ten erwarb – sei­ne platt­deut­schen Gedich­te. Er ver­sam­mel­te sie in zwei Bänd­chen, Dan­zi­ger Ditt­chen (1903) und Ein Bund­chen Flun­dern (1904). Sie gehö­ren zum Bes­ten, was die Dan­zi­ger Mund­art­li­te­ra­tur her­vor­ge­bracht hat. Doman­sky hat ihre Ent­ste­hung im Vor­wort zu den Dan­zi­ger Ditt­chen geschildert:

Gedich­te in platt­deut­scher Mund­art zu schrei­ben, ist immer ein Wag­nis. Zumal in unse­rem Dan­zi­ger Platt, in dem die Voka­le viel­fach eine eigen­tüm­lich dunk­le, schwer wie­der­zu­ge­ben­de Klang­far­be ange­nom­men haben. […] Nicht ohne man­nig­fa­chen Bei­rat aus höhe­ren und nie­de­ren Stän­den, wobei die Mei­nun­gen übri­gens oft aus­ein­an­der gin­gen, sind die meis­ten Wor­te in die­sen Gedich­ten vor­her gleich­sam von der Zun­ge befühlt und hin und her bewegt wor­den, ehe sie zu Papier kamen.

Zum Abschluss das Auf­takt­ge­dicht zu die­sem Band, in dem es eben um die­se Ditt­chen geht – wie man in Dan­zig (und im gan­zen preu­ßi­schen Nord­os­ten) die Sil­ber­gro­schen zu 12 Pfen­ni­gen nannte:

Dan­z’­ger Ditt­chen, so heww eck genannt
Mine Gedicht‹. Wer jen­ne noch kannt‹,
Ward gern sich damet de Tiet ver­dree­we,
Wenn em de Freid‹ am Ollen geblee­we,
On wenn de jun­ge Gene­rat­schon
Uck sich dran freit, es’t min bes­ter Lohn! 


Priv.-Doz. Dr. Peter Oli­ver Loew, Stell­ver­tre­ten­der Direk­tor in wis­sen­schaft­li­chen Fra­gen am Deut­schen Polen Insti­tut Darm­stadt, Lehr­be­auf­trag­ter an der TU Darm­stadt sowie an der TU Dres­den und Über­set­zer. Man­nig­fa­che Publi­ka­tio­nen u. a. zur Geschich­te Polens, Deutsch­lands und der deutsch-polnischen Bezie­hun­gen sowie zur Geschich­te und Gegen­wart Danzigs.