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Silberschmiedearbeiten – Beredte Zeugen der Geschichte

Von Jutta Reisinger-Weber

In der Dauerausstellung des Westpreußischen Landesmuseums bilden Silberschmiedearbeiten einen gewichtigen Teil der Exponate. Solche wertvollen, beeindruckenden Stücke werden zumeist in ihrem ästhetischen und kunsthandwerklichen Wert wahrgenommen, verdienen es aber durchaus, auch auf ihre geschichtliche Dimension hin befragt zu werden.

Ein in die­ser Hin­sicht auf­schluss­rei­ches Objekt stellt eine Zucker­do­se dar, die bereits Prot­ago­nis­tin in einer eige­nen klei­nen Geschich­te zu sein ver­mag: Anfang der 1960er Jah­re war der Elb­in­ger Has­so von Etz­dorf Bot­schaf­ter der BRD in Lon­don. In die­ser Zeit sah er in einem Geschäft eine klei­ne Zucker­do­se (Abbil­dung 1), die sei­ne Auf­merk­sam­keit erweck­te. Er ging hin­ein, besah die Dose mit dem preu­ßi­schen Adler auf dem Deckel und stell­te fest, dass ein Gold­schmied sei­ner Hei­mat­stadt sie wohl nach 1800 gefer­tigt hat­te. Er erwarb die­se Arbeit und schenk­te sie spä­ter dem West­preu­ßi­schen Lan­des­mu­se­um, das sich damals im Auf­bau befand. Für ihn war die Zucker­do­se zu einem sym­bo­li­schen Gegen­stand sei­ner Erin­ne­run­gen gewor­den: an die Hei­mat, an sei­ne Stadt oder an die eige­ne Fami­lie, die viel­leicht eine ähn­li­che Dose in ihrem ehe­ma­li­gen Fami­li­en­be­sitz hatte.

In ver­gleich­ba­rer Wei­se sind auch Silber-Exponate in ande­ren gro­ßen Samm­lun­gen mit Bedeu­tung auf­ge­la­den. In den rus­si­schen Samm­lun­gen des Mos­kau­er Kremls sowie der St. Peters­bur­ger Ere­mi­ta­ge, die bei uns kaum bekannt sind, befin­den sich wert­vol­le Gegen­stän­de, die seit mehr als 300 Jah­ren dort zusam­men­ge­tra­gen wur­den: Es waren Prä­sen­te diplo­ma­ti­scher Mis­sio­nen, Geschen­ke an den Zaren und des­sen Fami­lie (soge­nann­te Bitt­ge­schen­ke), Ein­käu­fe für den Zaren­schatz und die kai­ser­li­che Schatz­kam­mer. Wis­sen­schaft­li­che Publi­ka­tio­nen haben inzwi­schen die­se umfang­rei­chen Samm­lungs­be­stän­de sehr genau erschlos­sen und gezeigt, dass sich dar­un­ter auch Arbei­ten vie­ler bekann­ter Gold­schmie­de aus dem unte­ren Weich­sel­land fin­den. Bei ihnen wur­den Gegen­stän­de in Auf­trag gege­ben, die mit auf die Rei­se nach Russ­land gin­gen: so 1647, als der König von Polen, Wla­dis­laus IV. (1632–1648), eine gro­ße Scha­le bei Peter Rant­zen­kra­mer in Dan­zig in Auf­trag gab, die Zar Ale­xej I. Michai­lo­witsch (1645–1676) erhielt. Eine wei­te­re Grup­pe von Diplo­ma­ten reis­te 1667 nach Mos­kau. Bei die­ser Gele­gen­heit wur­den dem Zaren Ale­xej I. Michai­lo­witsch von den Gesand­ten des pol­ni­schen Königs, Johann II. Kasi­mir (1648–1668), unter ande­rem eine Kan­ne des Dan­zi­ger Gold­schmieds Chris­ti­an Paul­sen und zwei Schraub­fla­schen des Dan­zi­ger Mono­gram­mis­ten PHL über­reicht. Zwei ähn­li­che Kan­nen aus der Werk­statt von Chris­ti­an Paul­sen über­sand­te der König von Polen, Johann III. Sobie­ski (1675–1696), 1686 den Zaren­söh­nen Ivan und Peter Alexejewitsch.

Ähn­li­che Über­lie­fe­rungs­ge­schich­ten konn­ten bei Stü­cken im West­preu­ßi­schen Lan­des­mu­se­um nur sel­ten erschlos­sen wer­den. Als nach dem Zwei­ten Welt­krieg im Rah­men der Lands­mann­schaft West­preu­ßen die Sam­mel­tä­tig­keit begann, kamen fast alle Expo­na­te über den Kunst­han­del oder als Schen­kung in den Besitz des Muse­ums. Sel­ten war bei die­sen Zugän­gen die Pro­ve­ni­enz über einen län­ge­ren Zeit­raum hin nach­ge­wie­sen. Von zwei Gold­schmie­de­wer­ken aller­dings ist die Her­kunft in der Lite­ra­tur belegt: die Münz­de­ckel­scha­le von Johann Jöde, eines der her­aus­ra­gen­den Expo­na­te des Hau­ses, befand sich 1885 im Besitz von P. A. Kot­schu­bey in St. Peters­burg und wur­de 1906 ver­stei­gert; und der Kelch von Peter Rode II (Abbil­dung 2) war 1885 im Besitz von Carl Baron von Roth­schilds in Frank­furt am Main.

Auch wenn die Besitz­fol­ge ein­zel­ner Arbei­ten nur sel­ten doku­men­tiert ist – jedes ein­zel­ne Stück berich­tet für sich selbst von »Geschich­te«, ist gleich­sam ein Spei­cher von Bedeu­tun­gen, Funk­tio­nen und his­to­ri­schen Zusam­men­hän­gen. Ein Bei­spiel bie­tet der Willkomm-Pokal, dem die Besu­che­rin­nen und Besu­cher des Muse­ums gleich zu Beginn des Rund­gangs begeg­nen (Abbil­dung 3). Die­ser zeugt mit der gra­vier­ten Umschrift »Anno 1717 • Hat • Das • Löb­li­che • Gewerck • Der • Hausz • Zim­mer • Gesel­len • Die­sen • Will­kom­men • Ver­fer­ti­gen • Las­sen« von der Ord­nung der Zünf­te in der Frü­hen Neu­zeit. Im Rah­men der streng regle­men­tier­ten Fei­ern kam der­ar­ti­gen Zunft­po­ka­len zudem eine beson­de­re zere­mo­ni­el­le Rol­le zu. Neben sol­chen exqui­si­ten Sil­ber­schmie­de­ar­bei­ten kann aller­dings auch das so genann­te All­tags­sil­ber, das meist nur im Maga­zin auf­be­wahrt wird, vie­ler­lei Aus­künf­te zur Wirtschafts- und Sozi­al­ge­schich­te geben. Wo wur­de der Löf­fel her­ge­stellt? Han­delt es sich um ein Uni­kat oder eine Mas­sen­pro­duk­ti­on? Was geschah mit dem Löf­fel, und wer mach­te ihn zu dem Gegen­stand, zu dem er mit­tels Gra­vur wur­de? Auf Grund die­ser Kenn­zeich­nung konn­te er bei­spiels­wei­se zu einem Teil des Fami­li­en­sil­bers, zum Preis­sil­ber oder zum Ver­eins­sil­ber wer­den. All die­se span­nen­den Fra­gen kön­nen an einen sol­chen Gegen­stand gestellt wer­den, – und sie wer­den von ihm in der Regel auch zufrie­den­stel­lend beantwortet.


Die Autorin hat die Samm­lung des WLM an Silber­schmiedearbeiten erschlos­sen und in einem Bestands­ka­ta­log erfasst. Jede Arbeit, ob wert­vol­les Ein­zel­stück oder Gebrauchs­sil­ber, fin­det in die­ser Publi­ka­ti­on ihren Platz. Die Lese­rin­nen und Leser erhal­ten dadurch sowohl einen Über­blick über den Umfang des Bestan­des als auch zahl­rei­che neue Infor­ma­tio­nen zu den Meis­tern und den Arbei­ten selbst.