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Samuel Thomas Soemmerring und Georg Forster: Zwei „Seelenbrüder“ vom Unterlauf der Weichsel

Von Rolf Siemon

Der Anatom, Arzt und Naturwissenschaftler Samuel Thomas Soemmerring und der Naturforscher, Weltumsegler, wissenschaftliche Schriftsteller und Revolutionär Georg Forster gehörten zu den berühmtesten Gelehrten ihrer Zeit – sie waren durch eine außerordentlich enge Freundschaft miteinander verbunden.

Bei­de waren um die Wen­de 1754 /55 am Unter­lauf der Weich­sel gebo­ren – Soem­mer­ring in Thorn, Fors­ter in Nas­sen­hub­en im Dan­zi­ger Wer­der. Sie begeg­ne­ten sich im Alter von 23 Jah­ren erst­mals in Lon­don, leb­ten und arbei­te­ten dann gemein­sam in Kas­sel und spä­ter noch­mals in enger Nach­bar­schaft in Mainz. Die vom Geis­te der eng­li­schen Auf­klä­rung gepräg­te Uni­ver­si­täts­stadt Göt­tin­gen spiel­te für bei­de eine wich­ti­ge Rol­le und beein­fluss­te ihre medi­zi­ni­schen, natur­kund­li­chen bzw. natur­his­to­ri­schen For­schun­gen in beson­de­rer Wei­se :  auf Grund der her­vor­ra­gen­den Mög­lich­kei­ten für Lite­ra­tur­stu­di­en in der Biblio­thek, der prak­ti­schen Anschau­ung dank den Samm­lun­gen des Aca­de­mi­schen Muse­ums sowie des Aus­tau­sches mit den füh­ren­den Köp­fen der wis­sen­schaft­li­chen For­schung. Auch das nahe­ge­le­ge­ne Kas­sel mit sei­nen natur­his­to­ri­schen Samm­lun­gen (Otto­ne­um / Muse­um Fri­de­ri­cia­num) und dem Ana­to­mi­schen Thea­ter war für bei­der beruf­li­che Arbei­ten über­aus förderlich.

Dass die erst 1736 gestif­te­te Göt­tin­ger Lehr­stät­te neben Jena und Hal­le zu den fort­schritt­lichs­ten Uni­ver­si­tä­ten in Deutsch­land gehör­te und die bei­den ande­ren Hoch­schu­len schließ­lich über­flü­gel­te, dar­an hat­te ohne Zwei­fel die Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek einen wesent­li­chen Anteil. Deren Ent­wick­lung und Bedeu­tung ist untrenn­bar mit dem Namen des Alt­phi­lo­lo­gen Chris­ti­an Gott­lob Hey­ne (1729–1812) ver­knüpft, der sie ab 1763 lei­te­te. Der Ruf als her­vor­ra­gen­de deut­sche Reform­uni­ver­si­tät hat­te vie­le Stu­den­ten und Gelehr­te, dar­un­ter auch Johann Wolf­gang Goe­the, angezogen.

Von Nassenhuben nach Kassel

Georg Fors­ter wur­de am 27. Novem­ber 1754 in der klei­nen bäu­er­li­chen Ansied­lung Nas­sen­hub­en an der Mott­lau im Dan­zi­ger Wer­der gebo­ren, auf dem Gebiet des unter pol­ni­scher Ober­ho­heit ste­hen­den König­li­chen Preu­ßen, auch „Polnisch-Preußen“ genannt. Von Anbe­ginn war Georg Fors­ters Leben eng mit dem sei­nes Vaters Rein­hold Fors­ter ver­bun­den, eines Theo­lo­gen, der 1729 in Dir­schau zur Welt gekom­men war. Er unter­rich­te­te sei­nen Sohn selbst und bei­de erforsch­ten höchst auf­merk­sam zum einen jagend und zum ande­ren (nach Lin­nés neu­er Nomen­kla­tur) bota­ni­sie­rend die Natur des Dan­zi­ger Wer­ders. Unglück­lich in sei­nem Pfarr­amt, unter­nahm Rein­hold Fors­ter 1765 im Auf­trag von Zarin Katha­ri­na II.  eine natur- und volks­kund­li­che For­schungs­rei­se an die unte­re Wol­ga, zu den deut­schen Sied­lungs­ko­lo­nien, wohin er sei­nen kaum elf­jäh­ri­gen, erst­ge­bo­re­nen Sohn Georg mitnahm.

Nach einem Auf­ent­halt in St. Peters­burg ver­lie­ßen bei­de Russ­land und sie­del­ten 1766 nach Lon­don über. Schon auf der Über­fahrt war Georg Fors­ter mit der eng­li­schen Spra­che ver­traut gewor­den. Nach eini­gen Mona­ten in War­ring­ton (York­shire), wo er an der dor­ti­gen renom­mier­ten „Dis­sen­ters Aca­de­my“ stu­dier­te, leb­ten bei­de mit der inzwi­schen aus Dan­zig nach­ge­kom­me­nen Fami­lie wie­der in Lon­don. Dort ent­wi­ckel­te Georg Fors­ter unter der Anlei­tung und Auf­sicht des Vaters sein Talent als Über­set­zer wis­sen­schaft­li­cher Publi­ka­tio­nen, bevor­zugt von Reiseliteratur.

Mit der Ein­la­dung der Roy­al Socie­ty an Rein­hold Fors­ter, James Cook (1728–1779) auf des­sen zwei­ter Rei­se um die Welt (1772–1775) als Natur­kund­ler und wis­sen­schaft­li­cher Chro­nist mit­zu­fah­ren, änder­te sich auch Georg Fors­ters Leben schlag­ar­tig :  Der erst Sieb­zehn­jäh­ri­ge durf­te den Vater als natur­kund­li­cher Zeich­ner und Gehil­fe begleiten.

Ins­be­son­de­re in der Süd­see erforsch­ten Vater und Sohn aus­gie­big die Flo­ra und Fau­na sowie die Kul­tur der frem­den Völ­ker und leg­ten zudem umfang­rei­che eth­no­gra­phi­sche und natur­kund­li­che Samm­lun­gen an. Nach ihrer Ankunft in Lon­don 1775 wur­den bei­de als Wis­sen­schaft­ler gefei­ert und geehrt. Erst recht nach der Her­aus­ga­be der (zusam­men mit sei­nem Vater ver­fass­ten) Rei­se­be­schrei­bung im Jah­re 1777 war Georg Fors­ters Name bald in aller Mun­de. Die phi­lo­so­phi­schen, phil­an­thro­pi­schen und kul­tur­anthro­po­lo­gi­schen Reflek­tio­nen, die geprägt waren durch den auf­ge­klär­ten Blick auf frem­de Völ­ker und die Kri­tik an der euro­päi­schen Kul­tur – der gegen­über sogar der Kan­ni­ba­lis­mus der neu­see­län­di­schen Mao­ri ver­tei­digt wur­de – erreg­ten Auf­se­hen in den gelehr­ten Zir­keln Europas.

Von dem Ber­li­ner Ver­le­ger Johann Karl Phil­ipp Spe­ner enga­giert für die Fort­set­zung der deut­schen Über­set­zung von Buf­fons „All­ge­mei­ner Natur­ge­schich­te“ sowie auf der Suche nach einer wis­sen­schaft­li­chen Anstel­lung für den Vater, reis­te Georg Fors­ter 1778 auf den Kon­ti­nent. Auf sei­ner Fahrt erreich­te er auch die Resi­denz­stadt Kas­sel und wur­de dort von Land­graf Fried­rich II. von Hessen-Kassel zum ordent­li­chen Pro­fes­sor und Leh­rer der Natur­kun­de am Col­le­gi­um Caro­li­num ernannt. Mit Fors­ter konn­te der Land­graf sei­ner Kas­se­ler Lehr­an­stalt einen beson­de­ren Glanz ver­lei­hen und ließ sich dabei nicht zuletzt von der Hoff­nung lei­ten, dadurch ver­mehrt zah­lungs­kräf­ti­ge Stu­den­ten zu gewinnen.

Zunächst aber reis­te Fors­ter wei­ter nach Göt­tin­gen. Von der Uni­ver­si­tät erhielt er am 30. Dezem­ber 1778 den Magis­ter­ti­tel. Er wur­de mit zahl­rei­chen Göt­tin­ger Gelehr­ten bekannt, dar­un­ter dem Ana­tom und Anthro­po­lo­gen Johann Fried­rich Blu­men­bach (1752–1840), Johann David Michae­lis (1717–1791), einem Theo­lo­gen und Ori­en­ta­lis­ten, und dem ein­gangs bereits genann­ten Alt­phi­lo­lo­gen Chris­ti­an Gott­lob Hey­ne – Georg Chris­toph Lich­ten­berg (1742–1799), der als Mathe­ma­ti­ker und Natur­for­scher (und ers­ter Expe­ri­men­tal­phy­si­ker) wirk­te und bis heu­te vor allem als Begrün­der des deutsch­spra­chi­gen Apho­ris­mus in Erin­ne­rung geblie­ben ist, hat­te die Fors­ters bereits in Lon­don besucht.

Von Thorn nach Kassel

Am 28. Janu­ar 1755, nur zwei Mona­te nach Fors­ters Geburt, kam Samu­el Tho­mas Soem­mer­ring in Thorn zur Welt. Nach dem Besuch des evan­ge­li­schen Aka­de­mi­schen Gym­na­si­ums durf­te der Sohn des Arz­tes und Stadt­phy­si­kus Johan­nes Tho­mas Soem­mer­ring (1701–1781) in Göt­tin­gen Medi­zin studieren.

Soem­mer­ring woll­te aller­dings nicht – dem Wunsch des Vaters ent­spre­chend – Arzt in Thorn wer­den, son­dern absol­vier­te ein umfang­rei­ches medi­zi­ni­sches Stu­di­um, hör­te auch Vor­le­sun­gen in benach­bar­ten Fächern wie Bota­nik und Phy­sik, mit dem Ziel, spä­ter an Aka­de­mien zu leh­ren. Der Ana­to­mie des Gehirns und des Ner­ven­sys­tems der Men­schen und Tie­re galt sein beson­de­res Inter­es­se. Zu sei­nen Vor­bil­dern bei sei­nen theo­re­ti­schen Stu­di­en gehör­te der schwei­ze­ri­sche, als Natur­for­scher wie als Schrift­stel­ler bedeu­ten­de Uni­ver­sal­ge­lehr­te Albrecht von Hal­ler (1708–1777), den Soem­mer­ring eben­so ver­ehr­te wie den in Lei­den wir­ken­den Ana­tom Bern­hard Sieg­fried Albin (1697–1770). Wäh­rend sei­nes Stu­di­ums lern­te er bereits vie­le der nam­haf­ten Göt­tin­ger Pro­fes­so­ren ken­nen, die Georg Fors­ter erst in spä­te­ren Jah­ren aufsuchte.

Im Win­ter 1777 / 78 ver­fass­te Soem­mer­ring sei­ne Dis­ser­ta­ti­on, deren Titel, aus dem Latei­ni­schen über­setzt, „Über die Basis des Hirns und den Ursprung der Hirn­ner­ven“ lau­te­te. Die Erläu­te­rungs­ta­feln zeich­ne­te er selbst. Im April 1778 schloss er die­se Schrift ab, die sein Anse­hen als füh­ren­der deut­scher Neu­ro­ana­tom begrün­de­te und ihn schnell über die Gren­zen der deut­schen Län­der hin­aus bekannt wer­den ließ.

Auf einer aus­ge­dehn­ten Stu­di­en­fahrt durch die Nie­der­lan­de, Eng­land und Schott­land such­te Soem­mer­ring sodann die medizinisch-anatomischen Kory­phä­en sei­ner Zeit auf. Bereits auf der Hin­rei­se lern­te er in Lon­don die bei­den berühm­ten deut­schen Natur­for­scher Rein­hold und Georg Fors­ter ken­nen, die er – wie vie­le ande­re deut­sche Eng­land­rei­sen­de – in deren Hau­se auf­such­te. Dabei schlos­sen Soem­mer­ring und Georg Fors­ter bald eine per­sön­li­che Freund­schaft. Ein Zei­chen für die­ses wech­sel­sei­ti­ge Ver­trau­en lässt sich dar­in erken­nen, dass Fors­ter den Freund auch in den Kreis der Frei­mau­rer ein­führ­te, dem er sich in Lon­don ange­schlos­sen hatte.

Als Soem­mer­ring im April 1779 wie­der nach Göt­tin­gen zurück­kehr­te, hat­te er kein eige­nes Aus­kom­men und nahm sich eine Woh­nung bei sei­nem ehe­ma­li­gen Leh­rer Wris­berg. Fors­ter kam jetzt sei­ner­seits häu­fi­ger von Kas­sel nach Göt­tin­gen, nutz­te die umfang­rei­chen Biblio­theks­be­stän­de für sei­ne viel­fäl­ti­gen Arbei­ten und pfleg­te wis­sen­schaft­li­che und per­sön­li­che Kon­tak­te zu Göt­tin­ger Pro­fes­so­ren – und vor allem zu sei­nem Freund Soemmerring.

Gemeinsam am Collegium Carolinum

Als am Col­le­gi­um Caro­li­num eine Ana­to­mie­pro­fes­sur neu zu beset­zen war, enga­gier­te sich Fors­ter geschickt für Soem­mer­ring:  Die­ser erhielt am 23. Mai 1779 in Kas­sel sei­ne ers­te Anstel­lung und fand an dem gera­de erst errich­te­ten Ana­to­mi­schen Thea­ter in der Unter­neu­stadt her­vor­ra­gen­de Arbeits­be­din­gun­gen vor. Die Freund­schaft zwi­schen den bei­den wur­de nun immer inten­si­ver, zumal sie auch in wis­sen­schaft­li­cher Hin­sicht in enger Wech­sel­be­zie­hung zuein­an­der stan­den. Noch wei­ter gefes­tigt wur­de ihre auch für dama­li­ge Zeit der „Emp­find­sam­keit“ außer­ge­wöhn­lich ver­trau­te Bezie­hung durch ihr gemein­sa­mes Enga­ge­ment im gehei­men Kas­se­ler Rosenkreuzer-Zirkel. Wäh­rend Soem­mer­ring eine Amts­woh­nung in der Ana­to­mie – und mit­hin in der Unter­neu­stadt – zuge­wie­sen bekam, leb­te Fors­ter zunächst in der Ober­neu­stadt, dem geho­be­nen Wohn­vier­tel der Resi­denz­stadt. Dann zog er aller­dings eben­falls in die Unter­neu­stadt, um sei­nem „See­len­bru­der“ näher zu sein. Bei­de betrie­ben zusam­men Osteo­lo­gie und Palä­on­to­lo­gie, Phy­sik und ver­glei­chen­de Ana­to­mie. Sie kamen sich noch näher als Brü­der, nann­ten sich „Her­zens­freund“ und „intims­ter Freund“ und leb­ten und arbei­te­ten gemein­sam in einer unver­brüch­li­chen Sym­bio­se. Die­ser Ver­bin­dung setz­te Georg Fors­ter im August 1779 ein reiz­vol­les Denk­mal, als er Soem­mer­ring in des­sen Stamm­buch einen Flie­gen­schnäp­per aus der Süd­see zeich­ne­te. (Jenes präch­ti­ge Stammbuch-Blatt ist inner­halb des Soemmerring-Beitrags von Ulri­ke Enke in DW 3/2018 abge­druckt zu finden.)

Am 30. Sep­tem­ber 1783 kam der Natur­for­scher und Dich­ter Johann Wolf­gang Goe­the (1749–1832) in Kas­sel an und such­te Soem­merring in der Ana­to­mie auf. Zu die­ser Zeit war der Ana­tom gera­de mit Bal­lon­ver­su­chen beschäf­tigt, was auch Goe­the zu sel­bi­gen in Wei­mar inspi­rier­te. Hier­bei arbei­te­te Soem­mer­ring natür­lich mit Fors­ter zusam­men. Bei­de stan­den zugleich mit Lich­ten­berg in Göt­tin­gen im Aus­tausch. Auch in Han­no­ver und Darm­stadt fan­den der­ar­ti­ge Ver­su­che statt. Es war ein regel­rech­ter Wett­streit, wo in Deutsch­land der ers­te Frei­bal­lon auf­stei­gen wür­de. Soem­mer­ring expe­ri­men­tier­te vor­ran­gig mit orga­ni­schen Mate­ria­li­en, vor allem Frucht­bla­sen. Er war bei die­sen Expe­ri­men­ten der füh­ren­de Kopf, dem am 1. Novem­ber 1783 die Fül­lung einer prä­pa­rier­ten Schweins­bla­se mit Was­ser­stoff und deren anschlie­ßen­der Auf­stieg gelan­gen :  Am 18. Novem­ber 1783 ließ Soem­mer­ring in Kas­sel den ers­ten Frei­bal­lon in Deutsch­land aufsteigen.

Wiedervereint in Mainz

Als Fors­ter im April 1784 Kas­sel ver­ließ, um eine Pro­fes­sur für Natur­kun­de in Wil­na anzu­neh­men, war damit auch die fünf­jäh­ri­ge enge Gemein­schaft der bei­den See­len­freun­de zunächst been­det. Das Col­le­gi­um befand sich inzwi­schen in Auf­lö­sung und die meis­ten Pro­fes­so­ren wech­sel­ten an die land­gräf­li­che Uni­ver­si­tät in Mar­burg. Soem­me­ring ver­ließ im Okto­ber 1784 eben­falls Kas­sel und zog in das katho­li­sche Mainz, wo er eine Medi­zin­pro­fes­sur über­nahm. Gleich­wohl blie­ben die bei­den Freun­de in regel­mä­ßi­gem Brief­kon­takt mit­ein­an­der. Fors­ter kehr­te im Jah­re 1785 für eine kur­ze Zeit nach Göt­tin­gen zurück, um dort The­re­se Hey­ne (1764–1829) zur Frau zu neh­men. Die Mög­lich­keit, die von Fors­ter und Chris­ti­an Gott­lob Hey­ne hoch­ge­schätz­te wech­sel­sei­ti­ge Bezie­hung dadurch zu ver­tie­fen und zu ver­ste­ti­gen, so dass der väter­li­che Freund nun auch zum Schwie­ger­va­ter wur­de, scheint bei der Wahl der Braut eine nicht unwe­sent­li­che Rol­le gespielt zu haben. Soem­mer­ring war bei der Göt­tin­ger Hoch­zeit selbst­ver­ständ­li­cher Wei­se eben­falls zuge­gen, als Trauzeuge.

Nach einem wei­te­ren Göt­tin­ger Zwi­schen­auf­ent­halt folg­te Georg Fors­ter sei­nem Freund 1788 an die Uni­ver­si­tät Mainz. Vor allem durch die Ver­mitt­lung des aus der Schweiz stam­men­den His­to­ri­kers Johan­nes Mül­ler (1752–1809), der mit Fors­ter und Soem­mer­ring eben­falls am Kas­se­ler Col­le­gi­um Caro­li­num gelehrt hat­te (und auch Mit­glied im gehei­men Rosenkreuzer-Zirkel war), wur­de Fors­ter von Kur­fürst und Erz­bi­schof Carl Joseph von Erthal beru­fen und erhielt eine Stel­le als Biblio­the­kar der Uni­ver­si­tät. Sei­ne Woh­nung nahm er zusam­men mit sei­ner Ehe­frau und der in Wil­na gebo­re­nen Toch­ter The­re­se im Nach­bar­haus von Soemmerring.

1790 unter­nahm Fors­ter mit dem jun­gen und noch unbe­kann­ten Natur­for­scher Alex­an­der von Hum­boldt (1769–1859) sei­ne spä­ter­hin berühm­te Rei­se ent­lang des Rheins nach Eng­land und Frank­reich und begrün­de­te mit sei­nen dar­auf fußen­den „Ansich­ten vom Nie­der­rhein“ eine neue, künst­le­risch anspruchs­vol­le Art der Rei­se­be­schrei­bung. In die­ser Schrift wur­de zugleich sein Über­gang vom bürgerlich-humanistischen Auf­klä­rer zum revo­lu­tio­nä­ren Demo­kra­ten erkenn­bar. Nicht nur Goe­the reagier­te auf die­ses Werk posi­tiv und schrieb an Fors­ter im Juni 1792 :  „Man mag, wenn man geen­digt hat, gern wie­der von vor­ne anfan­gen und wünscht sich mit einem so guten, so unter­rich­te­ten Beob­ach­ter zu rei­sen.“ Frei­lich erkann­te Goe­the auch Fors­ters Nähe zu revo­lu­tio­nä­ren Posi­tio­nen, denen er sei­ner­seits kei­nes­wegs unein­ge­schränkt zustim­men konnte.

Wie unter­schied­lich, wenn nicht gegen­sätz­lich die poli­ti­schen Sicht­wei­sen von Fors­ter und Goe­the waren, trat deut­lich zuta­ge, als Goe­the mit Her­zog Karl August von Sachsen-Weimar-­Eisenach am Rhein­feld­zug gegen das revo­lu­tio­nä­re fran­zö­si­sche Heer teil­nahm und auf dem Weg ins Feld­la­ger auch Mainz auf­such­te, wo er die zwei Tage und Aben­de des 21. und 22. August im Hau­se der Fami­lie Fors­ter ver­brach­te. Zu der Gesell­schaft, die sich dort traf, gehör­ten der Schrift­stel­ler Lud­wig Fer­di­nand Huber (1764–1804) und Caro­li­ne Böh­mer (1763–1809), die Toch­ter des bereits genann­ten Göt­tin­ger Ori­en­ta­lis­ten Johann David Michae­lis, die neben The­re­se Fors­ter als eine der geist­volls­ten Frau­en im Deutsch­land der dama­li­gen Zeit gel­ten darf :  Nach dem frü­hen Tode ihres Man­nes war sie zunächst mit August Wil­helm Schle­gel und, von ihm wie­der geschie­den, schließ­lich mit Fried­rich Schel­ling ver­hei­ra­tet. Und nicht zuletzt gehör­te zu die­sem Kreis natür­lich auch Samu­el Tho­mas Soem­mer­ring. Goe­the schrieb spä­ter über die ange­neh­me Atmo­sphä­re sei­nes Besuchs in Mainz : 

Sodann ver­bracht’ ich mit Söm­mer­rings, Huber, Fors­ters und andern Freun­den zwei mun­te­re Aben­de :  hier fühlt’ ich mich schon wie­der in vater­län­di­scher Luft. Meist schon frü­he­re Bekann­te, Studien-Genossen, in dem benach­bar­ten Frank­furt zu Hau­se [Soem­me­rings Gat­tin war eine Frank­fur­te­rin] […]. Die Frei­heit eines wohl­wol­len­den Scher­zes auf dem Boden der Wis­sen­schaft und Ein­sicht ver­lieh die hei­ters­te Stimmung.

Danach aber fährt er bezeich­nen­der­wei­se fort :

Von poli­ti­schen Din­gen war die Rede nicht, man fühl­te, daß man sich wech­sel­sei­tig zu scho­nen habe :  denn wenn sie repu­bli­ca­ni­sche Gesin­nun­gen nicht ganz ver­leug­ne­ten, so eil­te ich offen­bar mit einer Armee zu zie­hen, die eben die­sen Gesin­nun­gen und ihrer Wir­kung ein ent­schie­de­nes Ende machen sollte.

Nach der Beset­zung von Mainz durch fran­zö­si­sche Trup­pen am 21. Okto­ber 1792 wur­de Fors­ter zu einem der füh­ren­den Köp­fe der Revo­lu­ti­on, avan­cier­te Anfang 1793 zum Prä­si­den­ten des Main­zer Jakobiner-Klubs und am 17. März sogar zum Vize­prä­si­den­ten des Rheinisch-Deutschen Natio­nal­kon­vents, in des­sen Auf­trag er sich kur­ze Zeit spä­ter auf den Weg nach Paris mach­te. Die­se ent­schie­de­nen poli­ti­schen Akti­vi­tä­ten führ­ten aller­dings zum Bruch der Freund­schaft mit Soem­mer­ring, der sich (durch­aus repu­bli­ka­nisch gesinnt) nach außen poli­tisch neu­tral ver­hielt, Mainz ver­ließ und sich nach Frank­furt, dem Wohn­ort sei­ner Schwie­ger­el­tern, zurückzog.

Epilog

Nach­dem Mainz sich den Trup­pen der anti-französischen Koali­ti­on hat­te erge­ben müs­sen, blieb Fors­ter, unter der Reichs­acht ste­hend, als poli­ti­scher Flücht­ling in Paris. Er stand in engem Brief­kon­takt mit sei­ner auf Schei­dung drän­gen­den Frau, den bei­den Töch­tern sowie Huber, die inzwi­schen gemein­sam in der Schweiz leb­ten. Der immer mehr krän­keln­de Fors­ter, des­sen Gesund­heits­zu­stand ins­be­son­de­re unter den Ent­beh­run­gen wäh­rend der Teil­nah­me an der ­Cook’schen Welt­um­se­ge­lung sehr gelit­ten hat­te, zog sich ver­mut­lich eine Lun­gen­ent­zün­dung zu und starb am 10. Janu­ar 1794 in Paris in der Rue des Moulins. Goe­the, der sicher­lich kein Anhän­ger der Fran­zö­si­schen Revo­lu­ti­on war, nahm gleich­wohl das Tra­gi­sche die­ses frü­hen Todes wahr und schrieb in einem Brief an Soem­mer­ring :  „So hat der arme Fors­ter denn doch auch sei­ne Irrt­hü­mer mit dem Leben büßen müs­sen !  wenn er schon einem gewalt­sa­men Tode ent­ging !  Ich habe ihn herz­lich bedau­ert.“ Soem­mer­ring sei­ner­seits war vom Tode des frü­he­ren Her­zens­freun­des tief getrof­fen. Inzwi­schen hat­te er längst Mit­leid für ihn emp­fin­den kön­nen, weil er in Fors­ters Ehe­pro­ble­men eine wesent­li­che Ursa­che für des­sen radi­ka­le Hand­lungs­wei­sen ver­mu­te­te und für die­se miss­li­che Situa­ti­on The­re­se Fors­ter ver­ant­wort­lich mach­te. Ihre Lie­bes­be­zie­hung zu dem vor­ma­li­gen Haus­freund Huber war Georg Fors­ter bekannt gewe­sen, und er hat­te sie in Mainz zumin­dest gedul­det (wahr­schein­lich war Huber auch der Vater von zwei in Mainz gebo­re­nen und früh ver­stor­be­nen Kin­dern). Auch Soem­mer­ring erkann­te die­se „Ménage-à-trois“, wes­halb er zu The­re­se Fors­ter zuneh­mend auf Distanz gegan­gen war. Dabei ist ergän­zend anzu­mer­ken, dass für Soem­merring der Umgang mit sehr selbst­be­wuss­ten und gebil­de­ten Frau­en auch sonst schon immer pro­ble­ma­tisch war.

Nach­dem der Bruch in der Bezie­hung nun nach­träg­lich für Soem­mer­ring durch Außen­ein­flüs­se erklärt und deut­lich abge­mil­dert wer­den konn­te, küm­mer­te er sich sehr selbst­be­wusst und enga­giert um Fors­ters Nach­lass in Mainz und ver­tei­dig­te ihn ent­schie­den gegen Ansprü­che, die vor allem der Vater, Rein­hold Fors­ter, jetzt erhob. Soem­mer­ring wand­te viel Zeit und Kraft dafür auf, die Biblio­thek des Freun­des zu ord­nen und öffent­lich ver­stei­gern zu las­sen. Den Ver­kaufs­er­trag der Bücher ließ er Fors­ters bei­den Töch­tern – The­re­se und Cla­ra – zukommen.

Nie wie­der soll­te Soem­mer­ring in sei­nem spä­te­ren, bis zum 2. März 1830 wäh­ren­den Leben einen Freund fin­den, der sei­ner See­le ähn­lich nahe gekom­men wäre wie Georg Fors­ter. So geht er noch 1828 – in sei­nem letz­ten Brief an Goe­the vom 1. Mai die­ses Jah­res – auf ihn ein : 

Ihre mich hoch­be­eh­ren­den Jubel Geschen­ke, hät­te wahr­lich nichts her­zer­he­ben­de­res als die Benen­nung Erprob­ter Freund in gol­de­nen Let­tern beglei­ten kön­nen. Ermun­terndst blie­ben mir stets die unver­gess­li­chen Äuße­run­gen an Georg Fors­ter, dass ich Ihnen ein Treu­er Freund schiene.

Goe­the hat­te Soem­mer­ring zu des­sen 50-jährigem Dok­tor­ju­bi­lä­um beglück­wünscht sowie ihm vier Sil­ber­me­dail­len in einem ele­gan­ten Etui mit einer Inschrift in Gold­gra­vur geschenkt. Die­se Wid­mung lau­te­te :  „Sei­nem erprob­ten Freun­de und Studien-Genossen Söm­mer­ring […] in treu­er Anhäng­lich­keit Goe­the“. Dar­auf­hin dank­te Soem­mer­ring mit den zitier­ten Worten.


AKTUELLE BUCHVERÖFFENTLICHUNG:

Frank Vor­pahl
Der Welt­erkun­der. Auf der Suche nach Georg Fors­ter
Ber­lin: Galia­ni, 2018, 544 S., € 32,– (ISBN: 978–3‑86971–149‑2)

Frank Vor­pahl war schon seit sei­ner frü­hen Kind­heit von Georg Fors­ter fas­zi­niert – seit 20 Jah­ren inten­siv. Seit­dem besuch­te er Archi­ve in aller Welt und reis­te sys­te­ma­tisch an Orte, an denen Fors­ter sich auf­hielt. Er traf Rei­se­for­scher wie Thor Heyer­dahl, Geschichts- und Poli­tik­ken­ner wie Klaus Harp­p­recht, Bio­lo­gen, Öko­lo­gen, Sprach­wis­sen­schaft­ler, aber auch Fischer auf der Oster­in­sel, Bio-Drogen-Dealer auf Ton­ga und die angeb­lich letz­ten „Kan­ni­ba­len“ auf Tan­na. Mit einer von sei­nem Vor­bild inspi­rier­ten Neu­gier such­te Vor­pahl dort nach Spu­ren Fors­ters und fand im Lau­fe der Jah­re Erstaun­li­ches: unbe­kann­tes Archiv­ma­te­ri­al, Res­te der Cook’schen Expe­di­ti­on, Stel­len, an denen Fors­ter stand und mit deren Hil­fe man Zeich­nun­gen geo­gra­phisch ver­or­ten kann; ver­ges­se­ne Tex­te, unbe­kann­te Zeich­nun­gen. Detail­ge­nau regis­triert er, wie ver­schie­de­ne Welt­ge­gen­den sich seit Fors­ters Zei­ten änder­ten. Zudem bil­det er sich sein ganz eige­nes Bild des Autors. In sei­nem Buch lie­fert Vor­pahl uns den Bericht über eine von Pas­si­on getra­ge­ne, jahr­zehn­te­lan­ge Spu­ren­su­che rund um die Welt, bei der Georg Fors­ter neu Gestalt annimmt. Frank Vor­pahl ist Redak­teur von „aspek­te“ beim ZDF. Der pro­mo­vier­te His­to­ri­ker dreh­te zahl­rei­che Fil­me über Fors­ter, initi­ier­te und edier­te meh­re­re Forster-Publikationen (u. a. in der „Ande­ren Biblio­thek“) und ist Kura­tor der Georg-Forster-Dauerausstellung in der UNESCO-Welterbestätte Schloss Wörlitz.