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Samt und Seide aus dem späten Mittelalter

Danziger Paramente in beeindruckenden Aufnahmen und sorgfältiger Bearbeitung

Im Kulturerbe Danzigs kommt dem Paramentenschatz der Marienkirche eine herausragende Bedeutung zu. Er ist aber nicht nur mit Blick auf die Geschichte des unteren Weichsellandes von Interesse: Bei ihm handelt es sich auch jenseits der regionalen Geschichte um einen der größten Bestände an Textilien für den gottesdienstlichen Gebrauch, die aus dem Mittelalter erhalten sind.

Ein Teil dieser wertvollen Stücke wird heute im Danziger Natio­nal­museum aufbe­wahrt, zahlreiche Paramente aus Danzig kamen jedoch nach dem Zweiten Weltkrieg nach Westdeutschland. Sie sind nach wie vor kirch­licher Besitz und befinden sich überwiegend im Lübecker St. Annen-Museum sowie – in gerin­gerer Anzahl – im Germa­ni­schen Natio­nal­museum Nürnberg. (Die Wege, auf denen diese Teile des Paramenten-Schatzes nach Westdeutschland gelangt sind, hat Hans-Jürgen Kämpfert in DW 2/2018 ausführlich nachge­zeichnet.) Während in Polen ein eigenes Forschungs­projekt zur Erfassung der dortigen Bestände läuft, hat sich die Kunst­his­to­ri­kerin Birgitt Borkopp-Restle der Stücke in den deutschen Museen angenommen. Die Forscherin stammt aus dem Rheinland und war Direk­torin des Museums für Angewandte Kunst in Köln, ehe sie 2009 eine Professur an der Univer­sität Bern antrat. Ihr Spezi­al­gebiet sind die textilen Künste, und zu den Paramenten aus Danzig hat sie nun eine statt­liche Publi­kation vorgelegt.

Man kommt nicht umhin, gleich zu Anfang den größten Vorzug dieses Bandes zu nennen: die aufwändige, höchst beein­dru­ckende Bebil­derung. Selbst wer bisher kein gestei­gertes Interesse an histo­ri­schen Textilien hatte, wird mit einiger Faszi­nation den Katalogteil des rund 400 Seiten starken Buches durch­blättern und perfekt ausge­leuchtete ganzseitige Ansichten der einzelnen Stücke ebenso bestaunen wie aussa­ge­kräftige Detail­auf­nahmen, die Webtech­niken genauer erkennen lassen und Aufschluss geben über Ornamente und bildliche Darstellung auf den Textilien.

Die Gewänder und Mäntel aus dem Danziger Schatz entstanden zum größten Teil vor der Refor­mation, im 14. und frühen 15. Jahrhundert, blieben aber auch danach noch lange in Gebrauch. Auch nachdem die Paramente spätestens im 18. Jahrhundert aus den Gottes­dienst­feiern verschwanden, wurden sie weiterhin aufbe­wahrt. Gefertigt sind sie aus Stoffen, welche aus Norditalien und Zentral­asien impor­tiert wurden – auf den Fernhandel verstand man sich in der Hanse­stadt Danzig natur­gemäß recht gut. Wohlha­bende Hanse­kauf­leute stifteten die Textilien der Marien­kirche: „In unüber­treff­licher Weise konnten und sollten sie wohl“, wie die Autorin feststellt, „die finan­zielle Leistungs­fä­higkeit der Bürger, die ihre Kirche so reich zu beschenken vermochten, den Zeitge­nossen und der Nachwelt sichtbar vor Augen führen.“

Kein Stück gleicht hier dem anderen, die Vielfalt der Farben und Schmuck­formen lässt das späte Mittel­alter in Danzig geradezu opulent erscheinen. Dass viele Motive auf den Textilien eigentlich nicht zum Weltbild der Kirche passten, scheint nicht als störend empfunden worden zu sein. Unter anderem sind dort phantas­tische Jagdszenen, arabische Inschriften und von China beein­flusste Tierdar­stel­lungen zu sehen. Zumeist auf gestickten Besätzen finden sich darüber hinaus natürlich auch Heili­gen­dar­stel­lungen oder biblische Themen. Erst im 15. Jahrhundert wird dann das Granat­ap­fel­muster zum beherr­schenden Textil­dekor, von dem es wiederum, wie Birgitt Borkopp-Restle erläutert, viele Varianten gibt.

Wie handwerklich kostbar und ästhe­tisch komplex Textilien sein können, die unter dem Stichwort „Paramente“ zusam­men­ge­fasst werden, zeigt beispielhaft ein „Chorman­tel­schild“, von dem angenommen wird, dass er um 1500 in Norddeutschland gefertigt worden ist. Dieses Schmuck­element wurde im oberen Rücken­be­reich eines Pries­ter­ge­wandes getragen. Mit der Zeit hatte die Größe dieser Schilder mehr und mehr zugenommen und sie waren zu einem eigen­stän­digen Bildträger geworden. Das ist auch bei dem Danziger Chorman­tel­schild geschehen – und zwar in außer­ge­wöhn­licher Weise: Die Darstellung zeigt den heiligen Georg im Kampf mit dem Drachen und ist als plastische Relief­sti­ckerei ausge­führt. Es mutet wie ein aus Stoff gefer­tigter Schrein an, vergleichbar den skulp­tu­ralen Altar­bildern, die damals von Meistern wie Tilman Riemen­schneider aus Holz gefertigt wurden. Der Chorman­tel­schild verwendet Seide, Goldsamt und andere kostspielige Materialien. Diesen „ganz außer­or­dent­lichen materi­ellen Aufwand“, so schreibt Birgitt Borkopp-Restle, hätten die Zeitge­nossen „zweifellos wahrge­nommen und verstanden“.

Weniger prächtig, aber ebenfalls inter­essant, ist ein etwa 15 Zenti­meter breites Täschchen aus Baumwolle und Seide. In der älteren Forschung wurde das Stück als „Almosen­beutel“ bezeichnet.  Birgitt Borkopp-Restle meint jedoch, seine ursprüng­liche Funktion sei unbekannt: „Nicht selten gelangten jedoch profane Gegen­stände, vor allem wenn sie mit beson­derem Aufwand gestaltet worden waren, in kirch­lichen Besitz; dies konnte für modische Acces­soires ebenso gelten wie für Interieurtextilien.“

Zum Teil, so erfährt man als Leser des Katalogs, hat sich das Aussehen der Stücke mit den Jahrhun­derten durchaus gewandelt. Zwar wurden sie in späteren Epochen kaum noch verändert, doch ein gewisser Verfall der Materialien ist unver­meidlich. Die häufig roten Grundie­rungen etwa sind mit der Zeit oft zu mattem Gelb verblasst. Aufge­setzte Fluss­perlen, wie sie an manchen Textilien noch zu sehen sind, könnten mit der Zeit ebenfalls teilweise verlo­ren­ge­gangen sein. Die Lanze, die der heilige Georg auf dem Danziger Chorman­tel­schild vermutlich trug, fehlt ebenso.

Insbe­sondere mit den minutiösen Gewebe­ana­lysen im Katalogteil – als Beispiel sei die Beschreibung „Lancier­schuss: Ledergold, offen Z‑gedreht um bräunlich-weiße Baumwoll­seele“ genannt – ­richtet sich der Band zweifellos an die Fachöf­fent­lichkeit. Dennoch wagt Birgitt Borkopp-Restle den Spagat, das Thema zugleich einem breiten Publikum nahezu­bringen. Vieles wird erklärt, zum Beispiel was genau eine Kasel ist oder wie Damast gewebt wird. Sofern das nicht schon im Textteil geschieht, hilft das angehängte Glossar weiter. Ein wenig verwundert angesichts der sonstigen Sorgfalt das völlige Fehlen von Bildun­ter­schriften, die bei manchen Detail­auf­nahmen von Textilien oder histo­ri­schen Abbil­dungen die Einordnung erleichtert hätten.

Im Lübecker St. Annen-Museum waren die Danziger Paramente wegen eines Umbaus einige Jahre lang im Depot einge­lagert. Ausge­wählte Objekte – darunter der Chorman­tel­schild mit der Darstellung des heiligen Georg – sind dort nun wieder zu sehen. (Über die Wieder­eröffnung hat Hans-Jürgen Kämpfert in DW 2/2019 berichtet.) Neben dem berühmten Passi­ons­altar von Hans Memling bilden sie dort nun einen der Höhepunkte der Dauerausstellung.

Alexander Klein­schrodt