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Der Heilige Nikolaus – Der Schutzpatron der Stadt Elbing

Von Wojciech Zawadzki

Ein Beitrag über den Heiligen Nikolaus in der Juni-Ausgabe einer Zeitung? Auf den ersten Blick scheint dies exakt ein halbes Jahr zu früh (oder auch zu spät) zu sein. Es gibt aber einen wichtigen Grund dafür, sich gerade jetzt genauer mit diesem Heiligen zu beschäftigen, der für uns ansonsten ganz fest mit der Zeit vor Weihnachten verbunden ist: Der Stadtrat von Elbing hat jüngst, am 5. Mai, in einem Beschluss erklärt, dass Nikolaus zum offiziellen Schutzpatron von Elbing erhoben werden soll. Diese Entscheidung – die sicherlich nicht zufällig in das Jahr fällt, in dem das 1050. Jubiläum der „Taufe Polens“ gefeiert wird – lenkt den Blick auf den Heiligen, seine Wirkungsgeschichte und seine Verbindungen mit der Stadt, die ihn nun zu ihrem Schutzpatron erkoren hat.

Die historische Gestalt

Für His­to­ri­ker ist es eine schwie­ri­ge Auf­ga­be, über­haupt von der Per­son des Hl. Niko­laus zu spre­chen, weil bis zum heu­ti­gen Tage kei­ne ein­schlä­gi­gen Quel­len aus sei­ner Zeit auf­ge­fun­den wer­den konn­ten. Niko­laus ist aber gewiss kei­ne nur sagen­haf­te, fik­ti­ve Gestalt, die für reli­giö­se Bedürf­nis­se oder For­men des kirch­li­chen Brauch­tums erson­nen wor­den wäre. Viel­mehr las­sen sich eini­ge bio­gra­phi­sche Daten durch­aus mit hoher Wahr­schein­lich­keit fest­le­gen. Niko­laus ist gegen 270 in einer wohl­ha­ben­den Fami­lie, ver­mut­lich in Pata­ra (Pro­vinz Lyki­en), in der heu­ti­gen Süd­tür­kei, gebo­ren. Er wur­de in der Zeit der von den Kai­sern Dio­kle­ti­an und Maxi­mi­an ein­ge­lei­te­ten Christen-verfolgungen ver­haf­tet, kam aber spä­tes­tens wie­der frei, nach­dem die Mai­län­der Ver­ein­ba­rung, 313 unter Kon­stan­tin I. erlas­sen, im Römi­schen Reich zum ers­ten Male Reli­gi­ons­frei­heit gewährte.

Gemäß eini­gen Aus­sa­gen soll er 325 am Kon­zil von Nicäa teil­ge­nom­men haben; aber unstrei­tig ist die Tat­sa­che, dass er Bischof von Myra war. Heu­te heißt die­se Stadt Dem­re, ist ein Tou­ris­ten­zen­trum in der süd­west­li­chen Tür­kei am Mit­tel­meer und zugleich ein wich­ti­ger Wall­fahrts­ort, ins­be­son­de­re für die Ortho­do­xe Kir­che. Als Seel­sor­ger der Diö­ze­se wur­de Niko­laus wegen sei­ner Mild­tä­tig­keit und Barm­her­zig­keit hoch geach­tet. Er starb in Myra am 6. Dezem­ber 326 (nach man­chen Über­lie­fe­run­gen auch erst erheb­lich spä­ter) und wur­de dort bei­gesetzt; sei­ne Gebei­ne jedoch wur­den von süd­ita­lie­ni­schen Kauf­leu­ten geraubt und 1087 in deren Hei­mat, nach Bari, über­führt. Aus die­sem Grun­de fin­det in Bari bis heu­te vom 7. bis zum 9. Mai, dem ver­mut­li­chen Tag der Ankunft, jähr­lich ein gro­ßes Fest statt. – Spä­tes­tens seit der eigen­stän­di­gen Ent­wick­lung in Süd­ita­li­en ver­bin­den sich in der Gestalt des Niko­laus die Reli­gio­si­tät und Kul­tur des Morgen- wie des Abend­lan­des. Aus einer Zeit stam­mend, in der das Chris­ten­tum noch nicht von Schis­men geprägt gewe­sen ist, scheint gera­de er sich somit bei allen gegen­wär­ti­gen öku­me­ni­schen Bestre­bun­gen als Ver­mitt­lungs­fi­gur anzubieten.

Legenden und Wirkungsfelder

Schon kurz nach sei­nem Tode wur­de Niko­laus zum Akteur zahl­rei­cher Legen­den. Eine von ihnen berich­tet von drei Mäd­chen, die der Vater für eine Hei­rat nicht stan­des­ge­mäß aus­zu­stat­ten ver­moch­te und die er des­halb glaub­te, der Pro­sti­tu­ti­on über­las­sen zu müs­sen. Niko­laus nun bewahr­te sie vor die­sem Schick­sal, indem er ihnen, ohne sich per­sön­lich zu erken­nen zu geben, nach­ein­an­der jeweils einen Gold­klum­pen als Mit­gift schenk­te. Des­halb wer­den ihm in bild­li­chen Dar­stel­lun­gen häu­fig drei gol­de­ne Kugeln oder auch Äpfel als Attri­bu­te zuge­ord­net. Ande­re Legen­den zeu­gen nicht nur von Mit­mensch­lich­keit, Mil­de und Barm­her­zig­keit, son­dern sind regel­rech­te Wunder-Erzählungen, in denen Niko­laus Macht über das Schick­sal von Men­schen gewinnt, sogar die Natur­ge­wal­ten beherrscht und letzt­lich auch dem Tod Ein­halt gebie­ten kann.

Das brei­te Spek­trum sei­ner außer­ge­wöhn­li­chen, gera­de­zu gott­ähn­li­chen Kräf­te und Wir­kungs­mög­lich­kei­ten sowie die Viel­falt der Lebens­be­rei­che, auf die er in den Geschich­ten Ein­fluss genom­men hat, prä­de­sti­nier­ten ihn anschei­nend dazu, unter­schied­lichs­ten Grup­pen und Schich­ten als Schutz­hei­li­ger zu die­nen. Seit dem Mit­tel­al­ter wird er z. B. von See­fah­rern, Flö­ßern oder Fischern eben­so ange­ru­fen wie von Kauf­leu­ten, Apo­the­kern und Rechts­an­wäl­ten oder Hand­wer­kern – von Bäckern und Bier­brau­ern über Metz­ger, Weber oder Küfer bis zu Schnaps­bren­nern, Salz­sie­dern oder Dre­schern. Die Uni­ver­sa­li­tät sei­ner Zustän­dig­kei­ten zeigt sich frei­lich erst, wenn auch noch Pil­ger und Rei­sen­de, Schü­ler und Stu­den­ten sowie Lie­ben­de und Gebä­ren­de oder Alte und Kin­der genannt wer­den. (Gera­de die­ser Bezug prägt heu­te das Bild, das im volks­tüm­li­chen Brauch­tum von Niko­laus ent­wor­fen wird.) Als sozi­al geäch­te­te Grup­pen erbit­ten nicht zuletzt auch noch Die­be, Pro­sti­tu­ier­te und Gefan­ge­ne – zu denen sich über­dies die Gefäng­nis­wär­ter gesel­len – von Niko­laus Schutz und Hil­fe. Letzt­lich wäre der Umfang, in dem der Hei­li­ge ver­ehrt wird, immer noch unvoll­stän­dig erfasst, wenn nicht auch „sei­ne“ Län­der, Regio­nen und Städ­te – sei­en es Russ­land, Ser­bi­en, Loth­rin­gen, Weli­ki Nov­go­rod, Ams­ter­dam oder New York – Berück­sich­ti­gung fänden.

Der Hl. Nikolaus im Ordensland

His­to­ri­ker und Theo­lo­ge haben gezeigt, dass die Wahl der Kir­chen­pa­tro­zi­ni­en kei­nes­wegs zufäl­lig geschah. Wirk­sam wur­den hier selbst­ver­ständ­li­cher Wei­se unter­schied­li­che Fak­to­ren, die von all­ge­mei­nen natür­li­chen und sozia­len Lebens­be­din­gun­gen, gesell­schaft­li­chen bzw. sozio-ökonomischen Inter­es­sen­la­gen bis zu loka­len Tra­di­tio­nen oder Fröm­mig­keits­mo­del­len rei­chen. Selbst unter die­sen varia­blen Bedin­gun­gen bezo­gen sich – wie die neue­ren Unter­su­chun­gen von Wal­de­mar Rozyn­kow­ski gezeigt haben – im Ordens­land von Memel bis Schloch­au die meis­ten der heu­te bekann­ten bzw. erschließ­ba­ren 249 Patro­zi­ni­en mit 28 auf Niko­laus. Danach folg­ten (mit 26) Katha­ri­na, Johan­nes der Täu­fer und Johan­nes Apos­tel (mit ins­ge­samt 24) und erst dann (mit 21 Kir­chen) Maria. Die­se Popu­la­ri­tät des Hl. Niko­laus steht im Preu­ßen­land offen­bar im Zusam­men­hang mit der Kolo­ni­sa­ti­on die­ser Gebie­te durch Sied­ler aus den nörd­li­chen Tei­len Deutsch­lands sowie mit ihrer Lage in der Nähe von See­han­dels­we­gen und Häfen.

Bemer­kens­wert ist über­dies, dass auf dem Gebiet des ehe­ma­li­gen Ordens­lan­des nach wie vor Kir­chen häu­fig nach dem Hl. Niko­laus benannt wer­den: Im Bis­tum Erm­land gibt es sie­ben Kir­chen, deren Schutz­pa­tron er ist (Basi­en, Groß Bös­sau, Sturm­hü­bel, Lem­ken­dorf, Leis­sen, Süs­sen­thal, Schön­brück), im Bis­tum Pel­plin sind es acht Kir­chen (Wiel­le, Dams­dorf, Par­chau, Mewe, Nie­da­mo­wo, Lubie­wo, Groß Paglau, Alt Palesch­ken), im Bis­tum Elb­ing sechs (Damerau, Elb­ing, Königs­dorf, Lies­sau, Wer­ners­dorf, Neue Kir­che), im Bis­tum Thorn 14 (Kulm­see, Bischöf­lich Papau, Thor­nisch Papau, Zeland, Grau­denz, Schön­eich, Groß Kru­schin, Schön­see, Wolffs­er­be, Lyn­ker, Schwar­zen­au, Groß Lensk, Schwe­ni­chen, Ost­ro­metz­ko), im Bis­tum Dan­zig vier (Dan­zig, Gdin­gen, Lan­ge­nau, Schön­wald) und im Bis­tum Lyck schließ­lich eine (Niko­lai­ken). Auf ganz Polen bezo­gen, gibt es heut­zu­ta­ge über 300 Kir­chen, die unter der Schutz­herr­schaft des Hl. Niko­laus stehen.

Der Hl. Nikolaus und Elbing

In der Nikolaus-Verehrung hat sich in Elb­ing über Jahr­hun­der­te eine beson­ders inten­si­ve Tra­di­ti­on ent­wi­ckelt. Ein zen­tra­les Motiv für die­se Affi­ni­tät sind die Nähe zum Meer und das Leben in einer für lan­ge Zeit höchst bedeu­ten­den Hafen­stadt (auf deren frü­he­re Per­spek­ti­ven sich die Elb­in­ger heu­te, nach Jahr­zehn­ten vol­ler Hin­der­nis­se und Begren­zun­gen, wie­der ernst­haft besin­nen). Im Beson­de­ren ist die Stadt durch ihre lan­ge Zuge­hö­rig­keit zur Han­se eng mit Niko­laus ver­bun­den, der in die­ser Ver­ei­ni­gung eine her­aus­ra­gen­de Rol­le spiel­te. Gera­de an sol­chen Momen­ten erweist sich, dass die Han­se nicht nur eine  wirtschaftlich-politische Ver­ei­ni­gung war, son­dern auch eine Wer­te­ge­mein­schaft, die von einem gemein­sa­men Glau­ben und einem dar­auf basie­ren­den Ethos getra­gen wur­de. Die­ses Fun­da­ment schloss nicht zuletzt iden­ti­täts­stif­ten­de Gemein­sam­kei­ten im Fei­ern von Fes­ten oder in der Wahl von Schutz­pa­tro­nen mit ein.

Die enge Ver­bin­dung der Stadt zu Ihrem Schutz­hei­li­gen mani­fes­tiert sich zudem im Elb­in­ger Dom, der unzwei­fel­haft zu den schöns­ten Niko­lai­kir­chen Polens gehört. Schon kur­ze Zeit nach der Grün­dung der Stadt (1237) ent­stand in deren Mit­te eine ers­te – wohl noch pro­vi­so­ri­sche – Kir­che, die dem Schutz­hei­li­gen der See­leu­te zuge­eig­net wur­de. Dar­an hat sich in der lan­gen, beweg­ten Geschich­te des Gebäu­des nichts geän­dert: Schon seit bald 780 Jah­ren ist Niko­laus der Schutz­pa­tron die­ser Kirche.

Für die enge Ver­bin­dung zwi­schen dem Hl. Niko­laus und Elb­ing spricht schließ­lich eine Ent­wick­lung, die aus der Nach­kriegs­ge­schich­te der Stadt resul­tiert: Ab 1947 wur­den im Rah­men der von den kom­mu­nis­ti­schen Behör­den durch­ge­führ­ten „Akti­on Weich­sel“ tau­sen­de von ukrai­ni­schen Fami­li­en mit griechisch-katholischem Bekennt­nis in die soge­nann­ten „Wie­der­ge­won­ne­nen Gebie­te“ umge­sie­delt. Vie­le ihrer Nach­kom­men woh­nen bis heu­te in Elb­ing oder in der Umge­bung. Niko­laus ist ihnen aus ihrem Glau­ben her­aus als einer der wich­tigs­ten Hei­li­gen eben­so ver­traut wie den katho­li­schen Chris­ten, und in den griechisch-katholischen wie den ortho­do­xen Kir­chen der Regi­on zei­gen die Iko­no­sta­se eben­falls sein Abbild.

Der Beschluss des Elb­in­ger Stadt­rats steht somit nicht zuletzt im Ein­klang mit der Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät, die die Stadt in der jün­ge­ren Zeit geprägt hat, und kann als Ver­such ver­stan­den wer­den, Men­schen enger mit­ein­an­der zu ver­bin­den, die durch das kom­pli­zier­te Schick­sal Polens zusam­men­ge­bracht wor­den sind. Die aktu­el­le Initia­ti­ve lässt sich zugleich als Anzei­chen des Bemü­hens inter­pre­tie­ren, Wer­ten, die durch Jahr­hun­der­te die Grund­la­ge und Iden­ti­tät Euro­pas bestimmt haben, noch grö­ße­re Gel­tung zu ver­schaf­fen. Vor die­sem Hin­ter­grund scheint es ein ermu­ti­gen­des Zei­chen zu sein, dass unge­ach­tet der poli­ti­schen Kon­flik­te, die in der pol­ni­schen Gesell­schaft gegen­wär­tig viru­lent sind, die Ent­schei­dung des Elb­in­ger Stadt­rats ein­stim­mig gefasst wurde.

Prof. Dr. Wojciech Zawadzki – katholischer Priester, Leiter des Archivs der Elbinger Diözese; hält  Lehrveranstaltungen zur Neueren Geschichte an der Stefan-Wyszyński-Universität in Warschau. Autor zahlreicher Abhandlungen, u. a. zur Geschichte Preußens.