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Bestattung in Würde

Die Exhumierung von Skeletten deutscher Kriegsgefangener in Thorn-Glinki

Während der letzten Monate ist das Gelände des früheren sowjet­rus­si­schen Lagers in Glinki (im südlichen Teil von Thorn) wieder in den Fokus des allge­meinen Inter­esses gerückt. Im Sommer vorigen Jahres stießen Bauar­beiter dort auf mensch­liche Überreste. Daraufhin wurden die weiteren Arbeiten an dem neuen Wohnviertel unter­brochen ;  das Institut des Natio­nalen Gedenkens (IPN) nahm entspre­chende Unter­su­chungen auf und betei­ligte daran eine Reihe von Histo­rikern und Heimat­for­schern. Nachdem es über die Herkunft und Zuordnung der Funde zunächst noch unter­schied­liche Vermu­tungen gab, stellten Experten bald unzwei­deutig fest, dass es sich um Überreste von deutschen Kriegs­ge­fan­genen handelte. Damit wurden zugleich komplexe Zusam­men­hänge bestätigt, um deren Erhellung sich unser Korre­spondent Piotr Olecki als Gründer und Leiter des Militär­his­to­ri­schen Museums in Thorn seit langem bemüht. Deshalb haben wir ihn gebeten, exklusiv für den Westpreußen neben den aktuellen Exhumie­rungen auch deren bereits 1992 einset­zende Vorge­schichte zu schildern.

Am 7. November 1939 wurde in Thorn das Kriegs­ge­fan­ge­nen­lager Stalag XX A einge­richtet. Die von der Wehrmacht gefangen genom­menen Soldaten aus Polen, Frank­reich, Großbri­tannien, Belgien, den Nieder­landen und Serbien wurden in den alten, aus den 1880er Jahren stammenden und auf der linken Weich­sel­seite gelegenen preußi­schen Forts unter­ge­bracht. Kurz vor dem Angriff auf die Sowjet­union begann man mit dem Bau eines neuen Baracken­lagers in Glinki. Es umfasste eine Fläche von 90 ha und wurde zunächst als Stalag 312, späterhin als Stalag XX C Thorn bezeichnet. Es waren aller­dings auch andere Namen wie »Kopernikus-Lager« oder »Sowjet-­Heide« im Gebrauch. In diesem Lager gab es drei Zonen, und zwar für sowje­tische und englische Kriegs­ge­fangene sowie ab 1943 für inter­nierte italie­nische Soldaten. Mitte Januar 1945 räumte man das Lager. Fast alle Gefan­genen wurden in langen Märschen nach Westen evakuiert.

Im Februar 1945 begann dann ein neues Kapitel in der Geschichte des Stamm­lagers XX C. Die Russen richteten dort ein Übergangs­lager für deutsche Soldaten ein. In einer ersten Phase nahm es verwundete Soldaten aus der Garnison Thorn auf, denen es nicht gelungen war, aus dem Thorner Kessel auszu­brechen. Danach kamen gefangene Soldaten aller Waffen­gat­tungen aus dem Raum Graudenz und Schwetz und sogar aus Kolberg hinzu. Schließlich fanden sich unter den Häftlingen auch Zivilisten aus allen Gegenden, die meisten aber aus Thorn.

Nach den Erinne­rungen von Überle­benden handelte es sich nicht um ein Arbeits­lager. Nur gelegentlich seien Arbeits­kom­mandos organi­siert und zu Einsätzen in Thorn oder im Umland beordert worden. Nach kurzem Aufenthalt verschleppte man die Soldaten in den sowje­ti­schen Gulag. Das Lager in Thorn bestand bis Anfang 1946. Aufgrund schlechter Ernährung und grassie­render Infek­ti­ons­krank­heiten wurde die Zahl der Kriegs­ge­fan­genen erheblich dezimiert. Heimkehrer aus Russland sprachen späterhin von 8.000 in Glinki verstor­benen Deutschen. Wo aber waren sie beerdigt worden ?

Seit 1993 kamen Famili­en­an­ge­hörige von gefal­lenen oder im russi­schen Lager verstor­benen Soldaten ins Militär­his­to­rische Museum in Thorn und baten bei ihrer Suche nach Spuren ihrer Männer, Väter oder Großväter um Unter­stützung. Sie brachten eigene Erinne­rungen, aber auch Dokumente wie Skizzen und Karten mit. Auf dieser Grundlage konnten auch auf dem ehema­ligen Lager­ge­lände vermu­teten Grabstellen bestimmt werden. Behilflich waren dabei beispiels­weise Bäume, deren Standorte auf den Karten vermerkt wurden. Auf diese Weise konnte bereits im Jahre 1996 bei der sogenannten »Busschleife« ein Massengrab identi­fi­ziert werden, aus dem dann in Zusam­men­arbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegs­grä­ber­für­sorge die sterb­lichen Überreste von 926 Soldaten geborgen worden sind.

15 Jahre später wurden weitere Probe­gra­bungen vorge­nommen, die aber ohne Erfolg blieben. Dabei kamen die Fachleute von der Kriegs­grä­ber­für­sorge und der polni­schen Stiftung »­Pamięć« (Erinnerung bzw. Gedenken) zu der höchst wahrschein­lichen Annahme, dass früher vorhandene Überreste »wegge­räumt« worden sein müssten. Mit solchen Befunden ist durchaus zu rechnen ;  denn wenn ­Unter­nehmen beispiels­weise bei Bauar­beiten auf Knochen­über­reste oder ­einschlägige Gegen­stände stoßen, ist keineswegs auszu­schließen, dass sie die Umstände und Verzö­ge­rungen, die eine ordnungs­gemäße Infor­mation staat­licher Stellen unwei­gerlich nach sich zieht, so stark scheuen, dass sie den Baugrund lieber »säubern« lassen, und die Funde dann »verschwinden«.

Solche einfachen »Lösungen« standen 2016 aller­dings nicht zu befürchten, als die neuen Gräber entdeckt worden sind. Die Archäo­logen der Univer­sität Thorn sowie die Mitar­beiter der Stiftung »Pamięć« haben nun bis zum jüngst, am 16. März, erreichten Abschluss der Arbeiten in drei Massen­gräbern insgesamt 2.855 mensch­liche Überreste von deutschen Soldaten (sowie auch von einigen Frauen und einem Kind) entdeckt und geborgen. Die Biofakte, Erken­nungs­marken (EM) und persön­lichen Gegen­stände, die eindeutig einem bestimmten Soldaten zugeordnet werden konnten, wurden sorgfältig gesammelt, fotogra­fiert, gemessen und beschrieben. Dann kamen sie in spezielle kleine Pappsärge, die in einem Leichenhaus aufbe­wahrt werden. Ihre letzte Ruhestätte sollten die Soldaten ursprünglich auf dem Militär­friedhof in Mielau (Mławka) finden. Aufgrund ihrer großen Zahl werden sie nun aber auf der Kriegs­grä­ber­stätte Bartossen (Bartosze) bei Lyck (Ełk) bestattet. Daneben bemüht sich das Militär­his­to­rische Museum darum, alle während der Ausgra­bungen gefun­denen Gegen­stände, deren Prove­nienz nicht geklärt werden konnte, in Verwahrung nehmen und in seiner Dauer­aus­stellung zeigen zu dürfen, um auch auf diese Weise die Erinnerung an die in Thorn verstor­benen deutschen Soldaten in der Öffent­lichkeit wachzu­halten. Noch weiter­ge­hende Pläne betreffen den Ort der Exhumie­rungen selbst: Histo­riker und Heimat­for­scher sind an den Stadt­prä­si­denten heran­ge­treten und haben ihn gebeten, hier in angemes­sener Weise eine Möglichkeit für ein würdiges Gedenken zu schaffen. Vielleicht wird sogar der Vorschlag des Militär­his­to­ri­schen Museums aufge­nommen, zur Ehre aller im Stalag und im sowjet­rus­si­schen Lager umgekom­menen Soldaten auf dem ehema­ligen Lager­ge­lände eine inter­na­tionale Gedenk­stätte – The Inter­na­tional ­Memory Centre of Stalag XXA/XXC Toruń – einzurichten.

Piotr Olecki