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Auf den geschichtlichen Spuren einer Stadt

Piotr Olecki ist unseren Leserinnen und Lesern schon seit längerem bekannt. Er ist der Korrespondent dieser Zeitung, der in den Notizen regelmäßig aus Thorn und der Woiwodschaft Kujawien-Pommern berichtet. Zudem hat er (in DW 4/2017) die von ihm wesentlich mit initiierte Exhumierung von Skeletten deutscher Kriegsgefangener geschildert und (in DW 9/2017) ein von ihm geleitetes Projekt zur „Lebendigen Geschichte“ erläutert. In diesen Beiträgen wurde ein Bezug zum Militärhistorischen Museum in Thorn hergestellt, und da die Redaktion diese Einrichtung genauer kennenlernen wollte, haben wir Piotr Olecki dort vor wenigen Wochen besucht und ihn zu dem Konzept und den Zielen des Museums befragt. – DW

Das Militärhistorische Museum in Thorn

DW: Der sehr all­ge­mein klin­gen­de Name Mili­tär­his­to­ri­sches Muse­um ist nicht ganz selbst­ver­ständ­lich, und vor allem rech­net man nicht damit, dass der Besu­cher dafür ein Schul­ge­län­de betre­ten muss …

Piotr Ole­cki: Die­ser Name klingt tat­säch­lich für man­che Leu­te schon gefähr­lich oder zumin­dest geheim­nis­voll. Wenn man sich aber die­sem Muse­um genau­er zuwen­det, ent­steht ein ganz ande­res Bild. Es unter­schei­det sich tief­grei­fend von sonst übli­chen Muse­en. Es wur­de 2003 von jun­gen Leu­ten gegrün­det, zumeist von den Schü­lern der I. Kopernikus-Oberschule in Thorn (frü­her König­li­ches Gym­na­si­um zu bzw. Niko­laus Koper­ni­kus Gym­na­si­um in Thorn), wobei die­ser Beginn frei­lich auch damit zusam­men­hängt, dass ich in die­sem Jahr mei­ne Arbeit als Leh­rer an die­ser Schu­le auf­ge­nom­men habe.

DW: Wie sind die man­nig­fa­chen Expo­na­te, die die Besu­cher hier ken­nen­ler­nen kön­nen, zusammengekommen?

Piotr Ole­cki: Die ers­te Samm­lung war zunächst noch recht schlicht :  Sie bestand aus eini­gen Doku­men­ten, Uni­form­tei­len und mili­tä­ri­schen Aus­rüs­tungs­ge­gen­stän­den aus dem Zwei­ten Welt­krieg. Aber schon im Sep­tem­ber 2003 tra­fen wir uns in der Schul­au­la mit frü­he­ren Absol­ven­ten und Kriegs­ve­te­ra­nen. Obwohl ich mich seit mei­ner Kind­heit für die neu­es­te Geschich­te inter­es­sier­te, wuss­te ich bis dahin noch nichts von der rei­chen Tra­di­ti­on die­ses Gym­na­si­ums und sei­ner Bedeu­tung für vie­le Gene­ra­tio­nen der Stadt­be­woh­ner. Von damals an habe ich das Gebäu­de mit ande­ren Augen gese­hen und auf alte Kar­ten, Schul­sa­chen, Bän­ke, Tafeln oder Doku­men­te Acht gege­ben, die sich zufäl­lig in Neben­räu­men fin­den lie­ßen. Beson­ders ergie­big waren für mich stets „letz­te“ Besu­che von frü­he­ren deut­schen und pol­ni­schen Schü­lern, die sich auf­grund ihres hohen Alters von ihrer guten alten „Bude“ ver­ab­schie­den woll­ten. Obwohl ich kein Geschichts­leh­rer bin, habe ich mich erfolg­reich bemüht, die­ses Inter­es­se für die Ver­gan­gen­heit und den Respekt vor deren Relik­ten mei­nen Schü­lern wei­ter­zu­ver­mit­teln. Im Unter­schied zu „nor­ma­len“ Muse­en waren wir nicht auf Ankäu­fe ange­wie­sen und muss­ten auch nicht auf even­tu­el­le Spon­so­ren war­ten. Wir gin­gen statt­des­sen in die alten, zur Sanie­rung vor­ge­se­he­nen Gebäu­de, vor allem in die Kel­ler oder auf die Dach­bö­den. Vie­les haben wir auch auf dem Müll gefun­den. Zudem haben unse­re Bei­trä­ge in der Lokal­pres­se oder im Rund­funk die älte­ren Thor­ner Bür­ger auf unse­re Tätig­keit auf­merk­sam gemacht. Sie brach­ten uns ihre Geschich­ten, die wir dann doku­men­tiert haben.

DW: Die Räu­me des Muse­ums erwe­cken den Ein­druck von „Kata­kom­ben“. Das passt eigent­lich gut zu den The­men des Muse­ums. Wie ist es denn zur Ein­rich­tung der Aus­stel­lung im Unter­ge­schoss der Schu­le gekom­men – und ist der Ver­bleib an die­sem Ort wirk­lich auf Dau­er gesichert ?

Piotr Ole­cki: Die Expo­na­te wur­den anfäng­lich auf dem Dach­bo­den der Schu­le aus­ge­stellt. Dort haben wir eine alte Klas­se mit­hil­fe his­to­ri­scher Möbel und dazu pas­sen­der Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de aus­ge­stat­tet. Alle Schü­ler träum­ten gera­de­zu davon, dass ihr Unter­richt dort abge­hal­ten wür­de. Auch offi­zi­el­le Tref­fen oder Bera­tun­gen der Schul­lei­ter aus Thorn und der Woi­wod­schaft Kujawien-Pommern fan­den dort statt. Alle woll­ten unse­re Samm­lung bewun­dern. Mit der Zeit hat sie sich dann ste­tig ver­grö­ßert, so dass wir gezwun­gen waren, das Muse­um in das Unter­ge­schoss der Schu­le zu ver­le­gen. 2010 haben wir zudem beschlos­sen, als Trä­ge­rin des Muse­ums eine rich­ti­ge Stif­tung zu errich­ten. Sie ist seit­dem offi­zi­ell beim Amts­ge­richt regis­triert. – Mitt­ler­wei­le haben sich übri­gens auch Spe­zia­lis­ten der Nikolaus-Kopernikus-Universität bereit­erklärt, uns bei der Kon­ser­vie­rung oder tech­ni­schen und digi­ta­len Bear­bei­tung der Expo­na­te zu unterstützen.

DW: Ange­sichts so vie­ler Expo­na­te aus der deut­schen Zeit – ganz zu schwei­gen von etli­chen Sym­bo­len des Natio­nal­so­zia­lis­mus, die hier häu­fig zu ent­de­cken sind – lässt sich ver­mu­ten, dass solch eine Aus­stel­lung poli­tisch nicht ganz unan­stö­ßig (gewe­sen) ist ?

Piotr Ole­cki: Die meis­ten Fund­stü­cke stam­men aus deut­schen Zei­ten. Es war mir klar, dass wir sie noch vor 20 Jah­ren aus poli­ti­schen Grün­den nicht hät­ten aus­stel­len kön­nen. Man woll­te damals die deut­sche Geschich­te der Stadt und auch die­ser Schu­le am liebs­ten ver­ges­sen. Von alten Leh­rern hör­te ich vie­le Geschich­ten von  deut­schen Schü­lern, die die Schu­le besucht hat­ten, nach dem Krieg als Tou­ris­ten nach Thorn kamen – und denen dann der Ein­tritt zu den Gebäu­den ver­sagt wur­de. Inzwi­schen haben sich die Zei­ten zum Glück geän­dert, und vie­le Schü­ler, Leh­rer und Stadt­be­woh­ner betrach­ten die alte Stadt­ge­schich­te als gemein­sa­mes Gut und Erbe.

DW: Wel­che inhalt­li­chen Schwer­punk­te wer­den bei der Arbeit gesetzt, und wel­che pädagogisch-didaktischen Effek­te erge­ben sich mög­li­cher­wei­se aus dem Zusam­men­wir­ken mit so vie­len, an dem Pro­jekt betei­lig­ten jun­gen Leuten ?

Piotr Ole­cki: Aus räum­li­chen Grün­den haben wir unser For­schungs­ge­biet begrenzt, und zwar auf die Pha­sen vom Beginn des Ers­ten Welt­kriegs bis zum Jah­re 1956. Im Muse­um prä­sen­tie­ren wir Schick­sa­le der Stadt- und Land­be­woh­ner sowie der Men­schen – vor allem Sol­da­ten –, die in Thorn in ver­schie­de­nen Armeen gedient haben oder im Zwei­ten Welt­krieg z. B. als Kriegs­ge­fan­ge­ne im Sta­lag XXA/XXC inhaf­tiert wor­den waren. Durch unse­re Inter­net­sei­te erfah­ren vie­le Leu­te in der Welt vom Muse­um. Fast jede Woche besu­chen uns Fami­li­en aus Aus­tra­li­en, dem Ver­ei­nig­ten König­reich, aus Ame­ri­ka, Neu­see­land, Russ­land, Deutsch­land oder der Ukrai­ne in der Hoff­nung, etwas mehr über die Kriegs­schick­sa­le ihrer Ange­hö­ri­gen zu erfah­ren. Und dabei kön­nen wir oft hel­fen, und wir machen das sehr ger­ne. Unser gro­ßer Vor­zug liegt dar­in, dass wir über sol­che oft schwie­ri­gen The­men ohne jeg­li­chen Hass reden kön­nen. Das ler­nen von Beginn an auch die jun­gen Volon­tä­re unse­rer Stif­tung. Sie sind imstan­de, die aus­län­di­schen Besu­cher eigen­stän­dig durch die gan­ze Muse­ums­samm­lung zu füh­ren. Dabei beschränkt sich das Leben des Muse­ums nicht nur auf die Ent­wick­lung, Pfle­ge und Aus­wer­tung der Samm­lung. Gera­de die Erzie­hung der jun­gen Gene­ra­ti­on ist mir das wich­tigs­te Ziel. Jeden Frei­tag­nach­mit­tag tref­fen sich hier Schü­ler, Stu­den­ten und Sym­pa­thi­san­ten, um nicht nur Neu­es aus und über die Geschich­te zu erfah­ren, son­dern um sich auch zuguns­ten des Muse­ums nütz­lich zu machen. Zudem kom­men wir zum Sin­gen und Spie­len zusam­men. Für Jugend­li­che orga­ni­sie­ren wir Biwaks oder Aus­flü­ge. Man kann uns oft auch auf den Stra­ßen von Thorn bei Aktio­nen der „Living Histo­ry“ sehen, beson­ders wäh­rend natio­na­ler Gedenk­ta­ge. Dann kos­tü­mie­ren wir uns und bie­ten den Zuschau­ern ver­schie­de­ne Ereig­nis­se aus der Stadt- und Lan­des­ge­schich­te dar.