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Nigra crux mala crux. Die schwarze und weiße Legende des Deutschen Ordens

Von Bartosz Skop

Unter dem Titel Nigra crux mala crux – der im Deutschen etwa lautet: »Das schwarze Kreuz [ist ein] schlechtes [niederträchtiges, wenn nicht teuflisches] Kreuz« – verfolgt das Schlossmuseum Marienburg ein bemerkenswertes, anspruchsvolles Vorhaben, dessen Ergebnisse zunächst in einer großangelegten Ausstellung präsentiert worden sind und nun in einem zweiteiligen Katalog dokumentiert werden sollen. Der erste Band ist jetzt erschienen und lieferbar.

Die Aus­stel­lung, die vom 27. Sep­tem­ber 2023 bis zum 15. Janu­ar 2024 gezeigt wor­den ist, bil­de­te in gewis­ser Wei­se den Schluss­stein einer 2019 begon­ne­nen Rei­he, in der die Geschich­te der Mari­en­burg erschlos­sen wor­den ist. Am Beginn stand die Aus­stel­lung »›Sapi­en­tia Aedi­fi­ca­vit Sibi Dom­um.‹ Die Weis­heit hat sich ihr Haus gebaut«, in der die Ent­wick­lung des Bau­werks und sei­nes geis­ti­gen bzw. geist­li­chen Hori­zonts in der Zeit des Mit­tel­al­ters im Zen­trum stand. Der zwei­te Abschnitt war den – in der Geschichts­schrei­bung nicht über­mä­ßig beach­te­ten – Jahr­hun­der­ten des König­li­chen Preu­ßen gewid­met, in denen die Mari­en­burg als Resi­denz der pol­ni­schen Mon­ar­chen dien­te. Dem­entspre­chend wur­de im vor­an­ge­stell­ten Mot­to – »Regnum defen­si­ve ense et alis stric­to« – der Aspekt des wehr­haf­ten König­reichs akzen­tu­iert. Der drit­te Bei­trag zu die­sem Zyklus – »›So muss die hei­li­ge Jung­frau ihren Sitz ent­weiht sehen‹. Die Mari­en­burg zwi­schen Sacrum und Poli­tik« – wand­te sich schließ­lich der Mari­en­burg in der Tei­lungs­zeit zu und bot damit Ein­sich­ten in die Pha­se, in der das Schloss wäh­rend der preu­ßi­schen Herr­schaft zunächst ver­fiel und dann in der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts als »Preu­ßi­sches West­mins­ter« wie­der­errich­tet wer­den sollte.

Das Pro­jekt Nigra crux mala crux bil­det kein wei­te­res Glied in die­ser Ket­te his­to­ri­scher Epo­chen, son­dern über­wölbt sie, indem es die Per­spek­ti­ve wei­tet und die Wirkungs- und Rezep­ti­ons­ge­schich­te des Deut­schen Ordens ins­ge­samt in den Blick nimmt. Inso­fern kann es mit Recht als »Schluss­stein« die­ser gan­zen Sequenz bezeich­net wer­den. Die Aus­stel­lung frag­te somit nach den unter­schied­li­chen Urtei­len, die über den Deut­schen Orden seit dem Mit­tel­al­ter gefällt wor­den sind, beleuch­te­te die Ver­fah­ren, mit deren Hil­fe Bil­der von ihm in pole­mi­scher Absicht ent­wor­fen und für eige­ne, oft pro­pa­gan­dis­ti­sche Zwe­cke instru­men­ta­li­siert wur­den – und bis­wei­len heu­te noch wer­den, und sie ver­folg­te die Gegen­kräf­te, die auf eine Über­hö­hung und Ver­klä­rung der Ordens­rit­ter und ihrer über­ra­gen­den Kul­tur­leis­tun­gen »im Osten« zie­len. Dass sich deut­sche und pol­ni­sche Posi­tio­nen bevor­zugt um jeweils einen der bei­den Wer­tungs­po­le grup­pie­ren – dass die »schwar­zen Legen­den« aus pol­ni­schen und litaui­schen Quel­len stam­men, wäh­rend die deut­sche Tra­di­ti­on (bis zur Eta­blie­rung der ehe­ma­li­gen DDR) »wei­ße« Erzäh­lun­gen bevor­zugt –, war dabei im Vor­hin­ein aus­ge­macht und gehör­te gleich­sam zu den Prä­mis­sen der Ver­suchs­an­ord­nung. Umso ver­dienst­vol­ler ist des­halb der Ansatz, den Grün­den für die gegen­sätz­li­chen Kon­zep­te auf bei­den Sei­ten nach­zu­ge­hen und die Ergeb­nis­se der his­to­ri­schen Unter­su­chun­gen voll­stän­dig zwei­spra­chig zu ver­öf­fent­li­chen. Dadurch wer­den vor­züg­li­che Vor­aus­set­zun­gen geschaf­fen, einen fai­ren Dia­log über die­se höchst vor­aus­set­zungs­rei­chen und ideo­lo­gisch kon­ta­mi­nier­ten Zusam­men­hän­ge füh­ren zu können.

Die Kura­to­ren haben sich zunächst aus kri­ti­scher Distanz bemüht, das Selbst­bild des Deut­schen Ordens zu ver­deut­li­chen: Mit der 1199 voll­zo­ge­nen Wand­lung zum Rit­ter­or­den sah er sei­ne Bestim­mung dar­in, für den Glau­ben zu strei­ten und dadurch eine beson­de­re Mis­si­on auf Erden zu erfül­len. Die Mili­tes Chris­ti, die Rit­ter ­Chris­ti, woll­ten als eine unbe­sieg­ba­re Gemein­schaft erschei­nen, die im Namen Got­tes kämpft und von ihrer Schutz­pa­tro­nin, der Hei­li­gen Jung­frau Maria, tat­kräf­tig unter­stützt wird. Dadurch soll­te zugleich die Iden­ti­tät ihrer Mit­glie­der gestärkt und deren Moral geho­ben wer­den – und die­ser Nim­bus, den der Orden für sich bean­spruch­te und den er in sei­nem Schrift­tum wie durch die Anla­ge sei­ner Bur­gen und Kir­chen­bau­ten immer wei­ter zu fes­ti­gen such­te, ziel­te nicht zuletzt auch dar­auf, geist­li­che und welt­li­che Auto­ri­tä­ten sowie die Rit­ter­schaft davon zu über­zeu­gen, dass der Orden bei sei­nem gott­ge­fäl­li­gen Werk jede Form von Unter­stüt­zung verdiente.

Die posi­ti­ve, licht­vol­le Selbst­deu­tung ließ in der har­ten Rea­li­tät aller­dings schon bald Zwei­fel an ihrer Trag­fä­hig­keit auf­kom­men. Bereits im 13. Jahr­hun­dert wur­de über die Bru­ta­li­tät berich­tet, mit der die Ordens­rit­ter gegen die heid­ni­schen Pru­ßen vor­gin­gen. Eine regel­rech­te »schwar­ze« Legen­de ent­wi­ckel­te sich aus den Vor­wür­fen, dass der Orden bei der Beset­zung Pom­me­rel­lens 1308 in Dan­zig ein Mas­sa­ker ange­rich­tet habe. Zudem tru­gen die häu­fi­gen Kon­flik­te mit Polen, die 1410 in der Schlacht von Grun­wald bzw. Tan­nen­berg kul­mi­nier­ten, dazu bei, dass dem Deut­schen Orden nega­tiv besetz­te Ste­reo­ty­pen zuge­ord­net wurden. 

Nur ein Jahr spä­ter kam es dann zu der seit Jahr­hun­der­ten kol­por­tier­ten Untat auf der Dan­zi­ger Burg, dem hin­ter­häl­ti­gen Mord an den Bür­ger­meis­tern Con­rad Letz­kau und Arnold Hecht sowie dem Rats­herrn Bar­tho­lo­mä­us Groß, die der Kom­tur Hein­rich von Plau­en als Emis­sä­re zu diplo­ma­ti­schen Ver­hand­lun­gen ein­ge­la­den hat­te. Es war übri­gens die­ser Auf­se­hen erre­gen­de Vor­fall, der den Dan­zi­ger Bür­ger­meis­ter Eber­hard Fer­ber (1463–1529) zu der The­se »Nigra crux mala crux« ver­an­lass­te, die jetzt den Haupt­ti­tel des Pro­jekts bil­det. Weni­ge Jahr­zehn­te nach dem Ver­bre­chen sorg­te schließ­lich der Drei­zehn­jäh­ri­ge Krieg dafür, dass die schwar­ze Legen­de nun noch erheb­lich kla­rer pro­fi­liert und dau­er­haft wach­ge­hal­ten wur­de: Bis 1766 fan­den im König­li­chen Preu­ßen Jahr­hun­dert­fei­ern statt, die jeweils an das Ende der Ordens­herr­schaft erinnerten.

In den gut 200 Jah­ren, in denen die Geschi­cke des Lan­des an der unte­ren Weich­sel vom Deut­schen Orden bestimmt wor­den waren, hat­ten sich aus his­to­ri­schen Ereig­nis­sen und deren Inter­pre­ta­tio­nen somit viel­fäl­ti­ge Aspek­te von gegen­sätz­li­chen Selbst- und Fremd­bil­dern erge­ben, auf die spä­te­re Zei­ten zurück­grei­fen konn­ten, um sie eige­nen poli­ti­schen oder ideo­lo­gi­schen Zwe­cken dienst­bar zu machen. So wur­de zu Beginn des 19. Jahr­hun­derts bei­spiels­wei­se die mythi­sche Figur eines Deutsch­or­dens­rit­ters als Sym­bol für die preu­ßi­sche Eigen­staat­lich­keit kon­zi­piert, hin­ter dem sich wäh­rend der Napo­leo­ni­schen Krie­ge die von unter­schied­li­chen Inter­es­sen gelei­te­te Gesell­schaft ver­sam­meln und beim Kampf gegen den Ein­dring­ling ver­ei­nen konn­te. Dies war zugleich ein Ansatz­punkt für die – wäh­rend der Kai­ser­zeit dann gras­sie­ren­de – Vor­stel­lung, dass Preu­ßen den Ordens­staat fort­set­ze und des­sen geschicht­li­che Mis­si­on als Boll­werk gegen den Osten erfolg­reich voll­enden sol­le. Dass die­se Sicht­wei­se der­je­ni­gen der pol­ni­schen Mit­bür­ger kon­trär ent­ge­gen­lief, ver­steht sich von selbst: Sie streb­ten ihrer­seits doch gera­de nach Unab­hän­gig­keit von der Tei­lungs­macht und fan­den im Sieg bei Grun­wald das­je­ni­ge his­to­ri­sche Ereig­nis, an dem sie – vor allem in der Lite­ra­tur und bil­den­den Kunst – ihrer ent­schie­de­nen Gegen­po­si­ti­on sym­bo­li­schen Aus­druck zu ver­lei­hen vermochten.

Nach die­sem Vor­lauf nimmt es nicht wun­der, dass die Sicht­wei­sen auf den Deut­schen Orden erst recht im 20. Jahr­hun­dert von sol­chen ant­ago­nis­ti­schen Kräf­ten domi­niert wor­den sind: Die Natio­nal­so­zia­lis­ten trie­ben die Iden­ti­fi­ka­ti­on mit dem Ordens­staat und der »Rein­heit« sei­ner Mis­si­on bis ins Gro­tes­ke; und das kom­mu­nis­ti­sche Polen wur­de nicht müde, Ber­lin 1945 und Grun­wald 1410 zu par­al­le­li­sie­ren oder in dem Bild von Kon­rad Ade­nau­er, auf dem er als 1958 neu auf­ge­nom­me­nes Mit­glied einen Ordens­man­tel trägt, zum Inbe­griff des kapi­ta­lis­ti­schen und remi­li­ta­ri­sier­ten Deutsch­land zu erklären.

Die seit Jah­ren größ­te Aus­stel­lung des Schloss­mu­se­ums fand in drei Dor­mi­t­ori­en, dem Son­der­aus­stel­lungs­saal im Hoch­schloss und dem Gro­ßen Rem­ter statt und ver­sam­mel­te rund 300 Objek­te, die aus 30 Muse­en, Archi­ven und Pri­vat­samm­lun­gen aus Polen, Öster­reich, Ita­li­en, der Ukrai­ne und Litau­en ent­lie­hen wor­den waren. So konn­ten dort neben mit­tel­al­ter­li­chen Quel­len die aus dem 19. Jahr­hun­dert über­lie­fer­te Fah­ne mit dem Bild Her­manns von Sal­za oder Skiz­zen von Jan Mate­j­ko sowie eine Viel­zahl von Medail­len, Druck­wer­ken, Gemäl­den oder Pla­ka­ten gezeigt und – nahe­zu selbst­ver­ständ­li­cher­wei­se – die berühm­ten Schlacht­sze­nen aus Alek­san­der Fords Ver­fil­mung der »Kreuz­rit­ter« von Hen­ryk Sien­kie­wicz aus dem Jahr 1960 vor­ge­führt werden.

Eine voll­stän­di­ge Über­sicht über die Expo­na­te wird der zwei­te Band des bereits erwähn­ten Kata­logs bie­ten, der noch in Vor­be­rei­tung ist. Für die inten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit dem kom­ple­xen The­ma der Wirkungs- und Rezep­ti­ons­ge­schich­te trägt aber schon jetzt der bereits erschie­ne­ne ers­te Band bei. Nach einem grund­le­gen­den Ein­füh­rungs­auf­satz von Janusz Trupin­da, dem Muse­ums­di­rek­tor und Lei­ter des Kuratoren-Teams, geht Alek­san­der Masłow­ski auf die ambi­va­len­te Bezie­hung zwi­schen dem Orden und der Stadt Dan­zig sowie auf die Wur­zeln der dort ent­wi­ckel­ten »schwar­zen Legen­de« ein. Das Feld der kunst­his­to­ri­schen Unter­su­chun­gen betritt sodann Igor Kąko­lew­ski: Er ver­folgt iko­no­gra­phisch die Dar­stel­lung des Deut­schen Ordens vom Spät­mit­tel­al­ter bis zur Neu­zeit; ihm folgt Tomasz Tor­bus, der in einem wei­te­ren Bei­trag dif­fe­ren­ziert das Arran­ge­ment sol­cher Moti­ve in der deut­schen bil­den­den Kunst des 19. und 20. Jahr­hun­derts ana­ly­siert. Bern­hard Huber wen­det sich der auf­wän­di­gen Eröff­nungs­fei­er des Hoch­schlos­ses zu, die nach dem Abschluss der Restau­rie­rungs­ar­bei­ten am 5. Juni 1902 durch­ge­führt wor­den war. Dar­auf­hin wirft Adria­na Pogoda-Kołodziejak anhand von Adam Mickie­wicz’ Kon­rad Wal­len­rod (1828) und Ernst Wicherts Hein­rich von Plau­en (1881) einen ver­glei­chen­den Blick auf lite­ra­ri­sche Gestal­tungs­an­sät­ze zwei­er Hoch­meis­ter in pol­ni­schen bzw. deut­schen his­to­ri­schen Roma­nen; und zwei Bei­trä­ge von Rafał Żyty­niec rücken schließ­lich die Rezep­ti­on des Ordens im 20. Jahr­hun­dert in den Mit­tel­punkt: Er ver­folgt die Tra­di­ti­on der dis­kre­di­tie­ren­den Ste­reo­ty­pen in der Lite­ra­tur der kom­mu­nis­ti­schen Volks­re­pu­blik Polen sowie die Bil­der, die vom Deut­schen Orden nach 1949 in der Bun­des­re­pu­blik und in der DDR ent­wor­fen wor­den sind.

Die­se, wie bereits gesagt, voll­stän­dig auch auf Deutsch ver­öf­fent­lich­ten Tex­te (die aller­dings von einem abschlie­ßen­den Fremd­spra­chen­lek­to­rat noch pro­fi­tiert hät­ten) bie­ten alle­samt viel­ver­spre­chen­de Zugän­ge zu einer Pro­ble­ma­tik, deren Bedeu­tung für die deutsch-polnische Bezie­hungs­ge­schich­te schwer­lich über­schätzt wer­den kann. Des­halb gibt es meh­re­re gute Grün­de, die­sen opu­len­ten, mit Illus­tra­tio­nen, Aus­klapp­ta­feln und Bei­la­gen attrak­tiv aus­ge­stat­te­ten und von Rys­zard Bie­nert auch im Lay­out ambi­tio­niert gestal­te­ten Band immer wie­der zur Hand zu nehmen.