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Mission: Versöhnung – Das Wirken des Ökumenikers Comenius von 1642 bis 1648 in Westpreußen

Von Manfred Richter

Johann Amos Come­ni­us (1592–1670), der 1628 das schwe­re Schick­sal der Ver­trei­bung aus sei­ner mährisch-böhmischen Hei­mat hat­te erle­ben müs­sen, war als Exu­lant mit mehr als tau­send sei­ner Gemein­de­glie­der und Pries­ter­kol­le­gen aus der Kir­che der Böh­mi­schen Brü­der in dem unweit der Gren­ze gele­ge­nen, damals pol­ni­schen Städt­chen Lis­sa (Lesz­no) gast­freund­lich auf­ge­nom­men wor­den – und nicht nur das: Die Stadt blüh­te mit ihren Flücht­lin­gen schnell auf. Ihre Schu­le wur­de gera­de auch durch Come­ni­us auf einen hohen Stand gebracht und zog Schü­ler ver­schie­de­ner Kon­fes­si­on und Her­kunft an. Da er sich nicht nur Gedan­ken über die Ver­bes­se­rung des Schul­we­sens mach­te, son­dern über­haupt über die Ver­bes­se­rung der Wis­sen­schaf­ten – und mit­hin der mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten –, drang sein Ruf bis nach Eng­land. Ein­la­dun­gen erfolg­ten dort­hin eben­so wie nach Hol­land und Frank­reich, von wo Gelehr­te mit ihm kor­re­spon­dier­ten. Spä­te­re Rei­sen führ­ten ihn bis nach Schwe­den, wo der Hof ihn für sich ver­pflich­te­te, damit er für die Erneue­rung des schwe­di­schen Schul­we­sens tätig wür­de. So wur­de ver­ein­bart, dass er in die Regi­on an der unte­ren Weich­sel kom­men soll­te, wo Schwe­den, im Dau­er­kon­flikt mit Polen um die Vor­herr­schaft an der Ost­see, damals die Hafen­stadt Elb­ing unter sei­ner Kon­trol­le hielt. Dort leb­te Come­ni­us dann von 1642 bis 1648.

Zugleich wur­de er auch von pol­ni­scher Sei­te um Unter­stüt­zung gebe­ten. Der Anstoß dazu kam von Wła­dysław IV.: Der pol­ni­sche König hat­te Gesprä­che der Katho­li­ken mit den Pro­tes­tan­ten in Thorn ange­setzt, die zu einem fried­li­chen Aus­gleich der reli­giö­sen Span­nun­gen in sei­nem Reich bei­tra­gen soll­ten. Den Theo­lo­gen Come­ni­us bat ein Mit­tels­mann des Königs, hier­bei als Ver­mitt­ler bei den Pro­tes­tan­ten auf­zu­tre­ten. Und die­ser wil­lig­te ein – obgleich er wuss­te, dass das damals ein heik­les Geschäft war; die luthe­ri­schen Schwe­den, für die er an den Schul­bü­chern arbei­te­te, lehn­ten solch eine Initia­ti­ve gänz­lich ab. Er jedoch hielt es für ein »hei­li­ges« Geschäft, sich für den Reli­gi­ons­frie­den unter Chris­ten ein­zu­set­zen, und er war sich sicher, dass man nur so letzt­lich auch zu einem euro­päi­schen Frie­den kom­men werde.

Die Pro­tes­tan­ten selbst waren damals unschlüs­sig, ob sie teil­neh­men soll­ten, und waren zudem  auch unter­ein­an­der zer­strit­ten. Die Sor­ge war groß, bei die­sem Gespräch von der katho­li­schen Sei­te in Nach­teil gesetzt zu wer­den. Come­ni­us för­der­te das Zustan­de­kom­men des Gesprächs mit Zure­den, in Syn­oden und beson­ders durch sei­ne Schrif­ten jener Jah­re, die bis heu­te fast unbe­kannt geblie­ben sind. Die­se tausch­te er mit den katho­li­schen Part­nern aus – beson­ders auch mit dem Bera­ter des Königs in die­ser Reli­gi­ons­an­ge­le­gen­heit, Pater Vale­ria­nus Magni, einem Ange­hö­ri­gen des Kapu­zi­ner­or­dens. So schuf er eine soli­de Grund­la­ge für die Debat­ten in Thorn.

In Elb­ing, wo Come­ni­us sich nie­der­ge­las­sen hat­te, – und eben­so im König­reich Polen – ent­sprach die Situa­ti­on nicht der europä­ischen Groß­wet­ter­la­ge: In der Stadt wur­de reli­giö­se Tole­ranz zwi­schen den pro­tes­tan­ti­schen Rich­tun­gen geübt. Es war eine Zeit, da in Polen Frie­den herrsch­te, wäh­rend das Hei­li­ge Römi­sche Reich im 30-jährigen Krieg ver­wüs­tet wur­de. Fer­ner traf Come­ni­us hier auf ein blü­hen­des geis­ti­ges Leben: Man pfleg­te den Aus­tausch natür­lich nach Dan­zig und Däne­mark, wie auch nach Königs­berg und Riga, aber auch bis Eng­land, Schott­land und in die Schweiz. Die Schrif­ten des Come­ni­us aus sei­ner Elb­in­ger Zeit wur­den zuerst in Dan­zig gedruckt, wo er vie­le wich­ti­ge Freun­de unter den Gelehr­ten hat­te und auch Schul­bü­cher von ihm erst­mals erschie­nen waren.

Die in Elb­ing ver­fass­ten Schrif­ten sind her­vor­ra­gen­de Doku­men­te des his­to­risch bedeu­tungs­vol­len »fried­li­chen Reli­gi­ons­ge­sprächs« zwi­schen Katho­li­ken und Pro­tes­tan­ten, des »Col­lo­qui­um Cha­ri­ta­ti­vum«, das in Thorn dann im Jah­re 1645 statt­fand: dazu hat­te der König in die über­wie­gend luthe­ri­sche Stadt ein­ge­la­den, die sich auch als vor­bild­lich gast­freund­lich erwies. Von aus­wär­ti­gen Gäs­ten wur­de die Tole­ranz der Stadt viel­fach gerühmt. Wäh­rend des Vier­tel­jahrs der Durch­füh­rung – vom 28. ­August bis zum 22. Novem­ber 1645 – wur­den vom Rat der Stadt wöchent­lich am Frei­tag öffent­li­che Fas­ten­ta­ge aus­ge­ru­fen und got­tes­dienst­li­ches Gebet für das Gelin­gen einer bes­se­ren Ver­stän­di­gung zwi­schen den Kir­chen ange­ord­net. Come­ni­us selbst fuhr zum Thor­ner Gespräch mit der Karos­se des Elb­in­ger Rats und kehr­te auch mit die­ser zurück.

Die Gesprä­che waren von der Sei­te des Königs her gut vor­be­rei­tet: Er hat­te kla­re Instruk­tio­nen for­mu­liert, um die übli­chen Streit­ge­sprä­che der Theo­lo­gen zu ver­mei­den. So soll­te man sich zunächst auf Gemein­sam­kei­ten besin­nen, erst danach die Unter­schie­de sowie prak­ti­sche Fra­gen behan­deln. Zudem hat­te er einen könig­li­chen Lega­ten als Prä­si­den­ten bestellt, und die drei Reli­gionsparteien, wie man damals sag­te, erhiel­ten jeweils glei­ches Rede­recht: Katho­li­ken, Refor­mier­te, mit der Brü­der­kir­che zusam­men, und Luthe­ra­ner (die­se hat­ten auf einer eige­nen Dele­ga­ti­on bestan­den). Der Ver­lauf wur­de von Nota­ren pro­to­kol­liert. Letzt­lich schei­ter­te das Vor­ha­ben aber an den unter­schied­li­chen Erwar­tun­gen und Posi­tio­nen der ein­zel­nen Parteien.

Als Come­ni­us aus Thorn zurück­kehr­te, und zwar noch vor Ende des Kol­lo­qui­ums, das doch »lieb­reich« ver­lau­fen soll­te, von dem er aber kei­nes­wegs zufrie­den­ge­stellt wor­den war, fing er an mit der Arbeit an sei­nem immensen Haupt­werk All­ge­mei­ne Bera­tung über die Ver­bes­se­rung der mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten (De rer­um humana­rum emen­da­tio­ne con­sul­ta­tio catho­li­ca). 1648 ver­ließ er El­bing wie­der. Nach­dem er 1656 durch einen Über­fall krie­ge­ri­scher Ban­den in Lis­sa fast alle sei­ne Manu­skrip­te ver­lo­ren hat­te und gera­de noch das Leben sei­ner Fami­lie ret­ten konn­te, muss­te er von neu­em ins Exil gehen: Ams­ter­dam nahm ihn auf, wo er, von sei­ner Mäze­na­ten­fa­mi­lie de Geer unter­stützt, bis zu sei­nem Lebens­en­de 1670 wei­ter arbei­ten konn­te. Und dort, in Hol­land, stell­te er die­ses Werk schließ­lich fer­tig – ein Leucht­turm noch für unse­re Zeit.

Wie bli­cken wir heu­te in Polen, in Deutsch­land – und Euro­pa – auf den Öku­me­ni­ker Come­ni­us und sein Wir­ken in Westpreußen?

In sei­nem Ein­satz für ein Polen, in dem Gewis­sens­frei­heit herrsch­te und wei­ter­hin herr­schen soll­te, hat man ihn dort lan­ge Zeit übel miss­ver­stan­den.  1655, als Carl X. Gus­tav von Schwe­den Polen fast schon in Besitz hat­te, war Come­ni­us von pol­ni­schen Adli­gen ersucht wor­den, einen »Panegy­ri­cus«, eine Lob­re­de, auf den Herr­scher zu ver­fas­sen (Panegy­ri­cus Caro­lo Gustavo). Dabei hat er zwar all­fäl­li­ge Hul­di­gun­gen und Lob­prei­sun­gen for­mu­liert, zwi­schen den Zei­len aber auch Ermah­nun­gen erteilt. So erin­ner­te er den Herr­scher aus­drück­lich an die in Polen hoch geschätz­te Frei­heit der Bür­ger, die der König nicht unter­drü­cken dür­fe. Sei­ne Absich­ten hat man ihm spä­ter­hin aller­dings ganz falsch aus­ge­legt, und so wur­de Come­ni­us auf­grund die­ses Tex­tes aus natio­na­lis­ti­scher und anti­pro­tes­tan­ti­scher Sicht gera­de­zu als Ver­rä­ter Polens gebrand­markt. Das hat ihn jahr­hun­der­te­lang in den Schat­ten gestellt. Die­se Fehl­in­ter­pre­ta­ti­on wur­de inzwi­schen aber kor­ri­giert. Heu­te wür­digt man ihn in Polen wie in Deutsch­land als Vor­kämp­fer für Frie­den und Gerech­tig­keit in ganz Europa.

Und in den Kir­chen ist er zugleich als Vor­kämp­fer des heu­ti­gen Öku­me­nis­mus aner­kannt, der aus sei­ner Erfah­rung der Feind­schaft wie des Zusam­men­le­bens der Völ­ker und Kon­fes­sio­nen schon zu sei­ner Zeit die ein­zig rich­tig Fol­ge­rung gezo­gen hat: dass sie fried­lich mit­ein­an­der bera­ten sol­len, um gemein­sam Wege zu fin­den, wie sie zur Ein­tracht gelan­gen kön­nen – im welt­li­chen wie im geist­li­chen Leben. Dafür waren ihm die Ver­heis­sun­gen und die Mah­nun­gen der Hei­li­gen Schrift das Maß.