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Marienburg – Eine Ordensburg als Namenspatronin

Sechs Schiffsgeschichten

Selbst wenn die Wahl eines Schiffsnamens von starken Zufällen abhängt – dass vom späteren 19. Jahrhundert bis ins Jahr 1939 sechsmal der Name »Marienburg« nachweisbar ist, zeugt zumindest von einer auffälligen ­Vorliebe für die nationale Symbolik, die sich gerade in dieser Zeit mit dem Hochmeistersitz an der Nogat verbunden hatte. Überdies erlaubt die Häufigkeit dieser Namenswahl, die Schiffsschicksale sogar in eine eigene chronologische Abfolge zu bringen, in der sich ihrerseits dann zum Teil wichtige Momente der jüngeren deutschen Geschichte widerspiegeln.

Unverschuldeter Verlust 

Beim ältes­ten der nach­weis­ba­ren Schif­fe mit dem­Na­men Mari­en­burg han­delt es sich um ein 1871 / 1872 in Schott­land gebau­tes Schrau­ben­dampf­schiff, des­sen Eig­ne­rin die Dan­zi­ger Schifffahrts-­Aktiengesellschaft war. Es hat­te einen Brutto-Raumgehalt von 2.524,7 cbm und einen Netto-Raumgehalt von 1.853,3 cbm, was 891,22 bzw. 654,21 bri­ti­schen Register-Tons entsprach.

Die wich­tigs­ten Infor­ma­tio­nen über die­ses Schiff lie­fert der »Spruch des See­amts zu Dan­zig vom 29. März 1879«, der den »See­un­fall« der Mari­en­burg betraf. Der Damp­fer hat­te, bela­den mit Wei­zen, sei­ne Rei­se von Neu­fahr­was­ser nach Ant­wer­pen am 14. März die­ses Jah­res ange­tre­ten. Neben dem Kapi­tän umfass­te die Beman­nung 18 See­leu­te. Drei Tage spä­ter kam es zu einem schwer­wie­gen­den tech­ni­schen Defekt an der Antriebs­wel­le, der zum Abbre­chen der Schiffs­schrau­be und zu einem Was­ser­ein­bruch führ­te. Glück­li­cher­wei­se kam der Dan­zi­ger Damp­fer Blon­de zu Hil­fe und über­nahm die ­Besat­zung ;  der Ver­such, die Mari­en­burg in Schlepp­tau zu neh­men, miss­lang, so dass nach eini­ger Zeit das lecke Schiff »in der See vor den Augen der Mann­schaft, unweit Hirtshals-Leuchtthurm« – an der Nord­west­küs­te Jüt­lands –, »in 27 Faden Was­ser­tie­fe« verschwand.

Nach Abwä­gen aller Fak­to­ren und Ent­schei­dungs­op­tio­nen kam das See­amt zu dem Schluss,

dass weder der Schif­fer noch der Steu­er­mann durch Hand­lun­gen oder Unter­las­sun­gen den Unfall oder des­sen Fol­gen ver­schul­det hat :  dass auch nicht Män­gel in der Bau­art, Beschaf­fen­heit, Aus­rüs­tung, Bela­dung oder in der Beman­nung des Schiffs den Unfall oder des­sen Fol­gen her­bei­ge­führt haben.

Im Südamerika-Dienst 

Eben­falls noch im 19. Jahr­hun­dert – im Dezem­ber 1893 – lief bei der Flens­bur­ger Schiffbau-Gesellschaft eine neue Marien­burg vom Sta­pel. Das Fracht­schiff maß 2.296 Brutto- und 1.587 Netto­Registertonnen, war 88 m lang und 12 m breit ;  als Besat­zung waren 37 Mann vor­ge­se­hen. Einen Monat nach dem Sta­pel­lauf, im Janu­ar 1894, wur­de es von der Deut­schen Dampfschiffahrts-Gesellschaft ›Han­sa‹ in Dienst gestellt.

In einer frü­hen Zeit der »Glo­ba­li­sie­rung«, in der »Welt­aus­stel­lun­gen« ver­an­stal­tet wur­den, Mög­lich­kei­ten des inter­na­tio­na­len Güter- und Per­so­nen­ver­kehrs gera­de­zu explo­si­ons­ar­tig anwuch­sen und sich nicht zuletzt auch das deut­sche Kai­ser­reich noch als Kolo­ni­al­macht zu eta­blie­ren such­te, fan­den Ree­de­rei­en wie die 1881 in Bre­men gegrün­de­te DGG ›Han­sa‹ ein lukra­ti­ves Betä­ti­gungs­feld. Neben Fahr­ten ins Bal­ti­kum oder ins west­li­che Mit­tel­meer rück­ten Zie­le in Fern­ost und Süd­ame­ri­ka in den Fokus. So war die Mari­en­burg bereits unmit­tel­bar für den Ein­satz im Lini­en­ver­kehr zum Rio de la Pla­ta geor­dert wor­den und ver­sah aus­schließ­lich die­sen Dienst bis zum Jah­re 1904, in dem sie – gemein­sam mit ihrem Schwes­ter­schiff Harz­burg – an die Ham­bur­ger Ree­de­rei F. Laeisz ver­äu­ßert wurde.

Von nun an befuhr das Schiff – in Kybros umbe­nannt – für die Deut­sche Levante-Linie (DLL) bis 1919 das öst­li­che Mit­tel­meer ;  im August 1921 wur­de es von der Ree­de­rei M. Slo­man jr. in Ham­burg über­nom­men und 1925 nach Ita­li­en ver­kauft. Wäh­rend die­ser bei­den Pha­sen hieß es Alme­ria bzw. Fedel­tà und war noch bis 1933 im Einsatz.

Eine Marienburg in Königsberg 

Das beweg­te Schick­sal des drit­ten Schiffs in die­ser Rei­he hat es nur für drei Jah­re in Ost­preu­ßen vor Anker gehen las­sen und ihm ledig­lich in die­ser Zeit ver­gönnt, den Namen Mari­en­burg zu tra­gen. Der Damp­fer war (mit 1.192 BRT) 1922 als Duis­burg von der Deut­schen Werft in Ham­burg gebaut und an die HAPAG in Ham­burg abge­lie­fert wor­den. 1924 wur­de die Ost-West Ree­de­rei, Lübeck / Ham­burg, sei­ne Eig­ne­rin, ver­kauf­te ihn aber schon 1926 wie­der, und zwar an die Königs­ber­ger ­Kohlen-Import & Posei­don Schif­fahrts AG. Sie war nach dem Welt­krieg von Hugo Stin­nes über­nom­men wor­den, der – nach­dem das ober­schle­si­sche Koh­le­re­vier ver­lo­ren gegan­gen war – dadurch eine Infra­struk­tur für den Ver­kauf von Ruhr-Kohle in Ost­deutsch­land ent­wi­ckeln woll­te. Nun hieß der Damp­fer auch tat­säch­lich Mari­en­burg – aller­dings nur weni­ge drei Jah­re, denn 1929 wur­de er nach Por­tu­gal ver­kauft, erhielt den Namen Sena und wur­de dort erst 1952 außer Dienst gestellt. Ver­mut­lich dien­te er danach noch län­ge­re Zeit als Lagerschiff.

Im Krie­ge versenkt 

Das nächs­te Schiff, ein mit 1.322 BRT nur gering­fü­gig grö­ße­rer Damp­fer, erscheint in die­ser chro­no­lo­gi­schen Abfol­ge eigent­lich eine Posi­ti­on zu spät, denn er wur­de als Moor­drecht in Hol­land bereits 1917 für eine Ree­de­rei in Rot­ter­dam erbaut. Ab 1928 fuhr er dann unter dem Namen Kemi für ein fin­ni­sches Unternehmen.

Die­se Ver­schie­bung ist trotz des frü­he­ren Bau­jahrs aber durch­aus gerecht­fer­tigt, denn die Kemi gelang­te 1930 in den Besitz der Kohlen-Import & ­Posei­don Schif­fahrts AG in Königs­berg und trat dort als Mari­en­burg qua­si die Nach­fol­ge des zuvor por­trä­tier­ten gleich­na­mi­gen, 1929 ver­kauf­ten Schif­fes an. Ange­sichts die­ser Ver­ket­tung wäre es nicht ein­mal unwahr­schein­lich, dass die Geschäfts­füh­rung aus­drück­lich Wert dar­auf gelegt hat, in der Flot­te eine Mari­en­burg zu haben.

Die­ses Schiff ging dann im Zwei­ten Welt­krieg ver­lo­ren :  Am 1. Novem­ber 1943 ist es nach einem Luft­tor­pe­do­tref­fer sowje­ti­scher Flug­zeu­ge gesunken.

Ein Wrack am Strand 

1938 ent­stand in der Dan­zi­ger Werft eine wei­te­re Mari­en­burg und wur­de von H. Bisch­off & Co., Weser­mün­de, über­nom­men. Das Fische­rei­mo­tor­schiff maß 325 BRT (nach einer Neu­ver­mes­sung im Jah­re 1947 307 BRT). Für die Ree­de­rei H. Bisch­off & Co. hat die Werft in jenem Jahr ins­ge­samt sechs Schif­fe von die­sem Typ gebaut.

Im Mai 1940 wur­de die Mari­en­burg durch die Kriegs­ma­ri­ne für die Hafen­schutz­flot­til­le Bor­kum ange­for­dert und war nach dem Krieg vom Juni 1945 bis zum Novem­ber 1946 bei den deut­schen Minen­räum­ver­bän­den im Ein­satz. Danach wur­de sie an die Ree­de­rei zurück­ge­ge­ben und bis zum April 1947 bei den Howaldts­wer­ken Ham­burg zum Fische­rei­mo­tor­schiff zurück­ge­baut. Sie erhielt das Fische­rei­kenn­zei­chen PG.534, und ihr Heimat­hafen war ab 1948 Bremerhaven.

Beson­de­re Auf­merk­sam­keit erreg­te die­se Mari­en­burg schließ­lich dadurch, dass sie am 6. Dezem­ber 1952 mit dem eben­falls in Bre­mer­ha­ven behei­ma­te­ten Fisch­damp­fer Franz Schau kol­li­dier­te. In der Tages­pres­se wur­de aus­führ­lich von dem Unglück berich­tet. So beschrieb die Cux­ha­ve­ner Pres­se am 13. Dezem­ber, dass die Franz Schau den Bug fast mitt­schiffs in die Mari­en­burg ramm­te und sie, nach­dem das Was­ser gur­gelnd durch das Rie­sen­leck ein­ström­te, in Schlepp­tau nahm. Da das schwer beschä­dig­te Schiff nicht in den Hafen von Diep­pe gebracht wer­den durf­te, setz­te sie ein Schlep­per auf den Strand. Danach ergab sich eine Situa­ti­on, die der Ver­fas­ser des Arti­kels in einem heu­te eigen­tüm­lich ­anmu­ten­den Ton fol­gen­der­ma­ßen beschreibt :

Aus dem Leck floß der Hering wie ein Was­ser­strahl. Der Strand war bald voll davon, und scha­ren­wei­se kamen Franz­män­ner und ‑frau­en, den Segen des Kanals mit Taschen, Säcken und Hand­wa­gen in die häus­li­chen Pena­ten zu bugsieren.

Schließ­lich ver­mel­det der Bericht:  »Es bums­te, als das Schiff auf 85 Grad Schlag­sei­te kipp­te. Das Bild davon steht in die­sen Tagen in allen Zei­tun­gen der Welt.« – Am 18. Dezem­ber ist die Mari­en­burg schließ­lich durch­ge­bro­chen, wur­de zum Total­ver­lust erklärt und 1953 an der Stran­dungs­stel­le verschrottet.

Kreuzfahrtschiff auf dem Schwarzen Meer 

Das letz­te der nach­ge­wie­se­nen Schif­fe, die den Namen Mari­en­burg tru­gen, war ein von den Stet­ti­ner Oder­wer­ken A. G. gebau­tes Tur­bi­nen­schiff, das am 14. Okto­ber 1939 vom Sta­pel lief. Es maß 6.300 BRT und sei­ne Län­ge betrug 131, sei­ne Brei­te 18 m. Die­se Mari­en­burg – aus­ge­legt für eine Besat­zung von 176 Mann sowie für etwa 550 Pas­sa­gie­re – war der vier­te und größ­te Neu­bau für den See­dienst Ost­preu­ßen und soll­te von der Stet­ti­ner Dampfschiffs-Gesellschaft J. F. Braeun­lich beree­dert werden.

Der Aus­bruch des Zwei­ten Welt­kriegs ver­hin­der­te die Fer­tig­stel­lung des Schiffs, das dann 1945 an die Sowjet­uni­on über­ge­ben und 1950 auf der Mathias-Thesen-Werft ­Wis­mar zu Ende gebaut wur­de. In Dienst gestellt wur­de es aller­dings erst 1955, und zwar von der Black Sea Steam­ship Com­pa­ny in Odes­sa. Von die­ser Ree­de­rei wur­de sie Len­so­wjet (Ленсовет) bzw., ab 1965, Abcha­si­ja (Абхазия) genannt und befuhr die Stre­cke Odessa–Batumi sowie bei Som­mer­kreuz­fahr­ten auch die Rou­te Odessa–Warna. Sein Ende fand es in der kata­lo­ni­schen Stadt Vil­a­no­va i la Gel­trú, in der es durch die dort behei­ma­te­te Gesell­schaft Sal­va­men­to y Demo­li­ci­on Naval ab März 1980 ver­schrot­tet wurde.

Die­ter Kokot