Zurück

Zur elektronischen Ausgabe

Zum Heft

Zur Rubrik

Józef Semmerling – Bildhauer aus der Krockower Heimat

Eine Einladung in eine „heile Welt“, in der Sie den Bildhauer Józef Semmerling aus Lissau treffen

Gibt es heut­zu­ta­ge den Begriff „Hei­mat“ immer noch ? Kön­nen wir ihn noch verstehen ?

Kön­nen wir noch unser Leben nach geglie­der­ten natür­li­chen und kul­tu­rel­len Gewohn­hei­ten rich­ten und dar­in eine Bestä­ti­gung unse­rer Iden­ti­tät fin­den ?  In einer Welt, in der Migra­ti­on selbst­ver­ständ­lich, wenn nicht not­wen­dig gewor­den ist ;  in der das Gefühl der Sicher­heit, einen fes­ten Boden für eine eige­ne Ent­wick­lung zu haben, so oft bedroht scheint ;  in der die Gren­zen unver­wech­sel­ba­rer Tra­di­ti­on für uns nicht mehr sicht­bar sind ?  Anders gefragt :  Brau­chen wir solch einen Begriff über­haupt noch in die­sen Tagen ?

Wenn Sie sich ähn­li­che Fra­gen stel­len, soll­ten Sie ver­su­chen, eine Zeit im Kroc­kower Muse­um zu fin­den, in der nicht zu vie­le Besu­cher anwe­send sind, weil Sie sich dann in ange­mes­se­ner Ruhe mit der neu­en Aus­stel­lung aus­ein­an­der­set­zen kön­nen. In einem fast geschlos­se­nen Raum, der etwas abge­dun­kelt ist und in dem nur die Skulp­tu­ren ein­zeln ange­strahlt wer­den, kön­nen Sie dann an einem Mys­te­ri­um teil­ha­ben :  Sie ent­de­cken einen Ort, der ver­trau­ens­er­we­ckend ist, ein Gefühl der Sicher­heit ver­mit­telt – und zu der tie­fen Erkennt­nis führt, was es bedeu­tet, ein Teil des Uni­ver­sums zu sein.

Ein Hir­ten­kna­be, die Schäf­chen hütend, beginnt, für Sie auf der Flö­te eine ein­fa­che Melo­die zu into­nie­ren. Ein Wind­hauch nimmt die Töne auf und trägt sie mit sich auf einen nahe lie­gen­den Hügel ;  dort gewinnt ein Wan­de­rer aus ihnen die Zuver­sicht, noch vor dem Abend wie­der heim­zu­kom­men. Sein Pfad führt an einem Feld vor­bei, auf dem Ern­te­ar­bei­ter die letz­ten Roggen-Ähren mähen und eine tief gebück­te Frau danach die Hal­me zu Gar­ben zusam­men­bin­det. Eine Vogel­scheu­che wird zum Spiel­ka­me­ra­den eines Hir­ten­jun­gen. Wenn wir, den Wan­de­rer wei­ter beglei­tend, im Dorf ankom­men, begrü­ßen uns die Klän­ge einer kaschu­bi­schen Kapel­le, spü­ren wir aber auch den Hauch des Mee­res, den Fischer aus ihrer ganz eige­nen Lebens­welt mit sich bringen.

Wir brau­chen dem Wan­de­rer aller­dings nicht nur zu den ein­fa­chen Men­schen zu fol­gen, son­dern kön­nen uns auch gleich dem Reli­giö­sen und Spi­ri­tu­el­len zuwen­den. Reli­efs erzäh­len Geschich­ten aus der Bibel :  wie Adam und Eva uns die ers­te Sün­de auf­la­den bis Jesus für uns am Kreuz stirbt – oder viel­leicht las­sen Sie sich eher vom Hei­li­gen Jakob inspi­rie­ren ?  Mit Sicher­heit wird Sie die Figur des Chris­tus in der Rast fas­zi­nie­ren, ein Motiv, „das sich in Polen schon im 16. Jahr­hun­dert ver­brei­te­te. Aus dem 17. Jahr­hun­dert stam­men die ältes­ten erhal­te­nen Denk­mä­ler die­ser Figu­ren“. Die hier zitier­te Elwira Worzała, die Autorin einer die Aus­stel­lung beglei­ten­den Publi­ka­ti­on, setzt ihre Erläu­te­run­gen fol­gen­der­ma­ßen fort :  „Der von Józef Sem­mer­ling geschnitz­te Chris­tus in der Rast stellt den sit­zen­den Jesus dar, der sei­nen Kopf auf sei­ne Hand stützt. Auf dem Kopf sieht man eine Dor­nen­kro­ne, auf dem Kör­per las­sen sich dar­über hin­aus vie­le Gei­ßel­spu­ren erken­nen. Nach Mei­nung des Künst­lers sym­bo­li­siert die­se Gestalt sowohl das Lei­den Chris­ti als auch das Leid bezüg­lich des mensch­li­chen Schick­sals. Man muss außer­dem anmer­ken, dass die feins­ten Details der Gesichts­zü­ge und der Mimik der Figu­ren die sanf­te Model­lie­rung der Augen und des Mun­des wider­spie­geln sowie Zärt­lich­keit, Gut­mü­tig­keit und Barm­her­zig­keit des vom Künst­ler geschnitz­ten Chris­tus in der Rast unterstreichen.“

Ich gebe es ger­ne zu, dass gera­de die­se Figu­ren mich vor eini­gen Jah­ren auf die Kunst des Bild­hau­ers auf­merk­sam gemacht haben, – und wie könn­te es anders sein :  Auch bei mir zu Hau­se, in einen Bild­stock ein­ge­fügt, beglei­tet mich der Chris­tus in sei­ner Ver­sen­kung an jedem Tag.

Ein­fach­heit, Auf­rich­tig­keit, ein gro­ßes, aber im Stil­len wir­ken­des Herz und künst­le­ri­sche Sen­si­bi­li­tät, dies waren die Eigen­schaf­ten des Künst­lers, die auch Elwira Worzała dazu geführt haben, die klei­ne Mono­gra­phie über den Bild­hau­er vor dem Hin­ter­grund der volks­tüm­li­chen Skulp­tur zu ver­fas­sen. Mit ihrer Beschrei­bung von Sem­mer­lings künst­le­ri­schem Weg ist die­se Publi­ka­ti­on ein wesent­li­ches Sei­ten­stück die­ser Aus­stel­lung ;  und sie bestä­tigt nach­drück­lich unser eige­nes Emp­fin­den, nach­dem die Ent­schei­dung des Künst­lers in hohem Maße rich­tig war, „aufs Land zurück­zu­keh­ren, um alle Rei­ze des kaschu­bi­schen Dor­fes genie­ßen zu kön­nen, und zwar frei von städ­ti­scher Hek­tik und dem in der Stadt all­ge­gen­wär­ti­gen Lärm“. Offen­bar nur hier ent­fal­tet sich sein Kön­nen, hier, in der Nähe von Kroc­kow, in Lissau (Lise­wo) lebt er in den Som­mer­mo­na­ten, nimmt an kul­tu­rel­len Pro­gram­men teil, arbei­tet und schöpft – „mit dem väter­li­chen Erbe auf phy­si­sche, geis­ti­ge und emo­tio­na­le Wei­se ver­bun­den“ – „aus die­ser Regi­on posi­ti­ve Ener­gie sowie viel schöp­fe­ri­sche Inspi­ra­ti­on“. Und hier trägt ihn – und ver­mit­telt sich auch uns – das siche­re Gefühl, wie­der zu wis­sen, was „Hei­mat“ bedeutet.

Gra­zy­na Patryn