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Johann Amos ­Comenius und das Colloquium Charitativum von Thorn 1645. Ein Beitrag zum Ökumenismus

Neue Aspekte der Geschichte und Kirchengeschichte Polens im 17. Jahrhundert

Auf mehr als 700 Sei­ten fin­det sich in der 2018 erschie­ne­nen Antho­lo­gie mit dem pro­gram­ma­ti­schen Titel Heim­weh­land eine reprä­sen­ta­ti­ve ­Samm­lung von Erzäh­lun­gen, Roman­aus­zü­gen und ande­ren Pro­sa­tex­ten, Essays, Gedich­ten und Lied­tex­ten – eine facet­ten­rei­che Fund­gru­be und eine umfas­sen­de Gesamt­schau der deut­schen Nach­kriegs­li­te­ra­tur zum The­ma Hei­mat und Hei­mat­ver­lust. „Heim­weh­land“, so der Her­aus­ge­ber Axel Dorn­emann zur Titel­wahl, „steht für alles, was nicht mehr greif­bar, nicht mehr wirk­lich ist und uns doch dau­er­haft emo­tio­nal einnimmt.“

Das unlängst im Copernicus-Verlag erschie­ne­ne Buch ist streng wis­sen­schaft­lich gehal­ten und zugleich so vol­ler Schil­de­run­gen von Ereig­nis­sen und Fak­ten aus der Geschich­te Euro­pas (ins­be­son­de­re Tsche­chi­ens, Polens und Deutsch­lands, aber auch Öster­reichs, Eng­lands und Hol­lands), dass es nicht nur Fach­leu­te für die Geschich­te der Reli­gi­on und des Öku­me­nis­mus mit Inter­esse und Ver­gnü­gen lesen wer­den. Der Autor berich­tet über das Leben und Schick­sal eines der wich­tigs­ten euro­päi­schen Theo­lo­gen und Den­ker :  Johann Amos Come­ni­us (1592–1670). Die Arbeit kon­zen­triert sich auf ein ein­zel­nes, aber wich­ti­ges Ereig­nis – das soge­nann­te „Col­lo­qui­um Cha­ri­ta­ti­vum“ (Fried­li­ches Reli­gi­ons­ge­spräch) von Thorn 1645, das vom pol­ni­schen König Wła­dysław IV. ein­be­ru­fen wor­den war und zu dem man Come­ni­us um Mit­wir­kung gebe­ten hat. Die wich­tigs­ten Fak­ten betref­fen den Zeit­raum zwi­schen 1642 und 1645, jedoch erwähnt der Autor neben­bei eine Viel­zahl von Fra­gen und Pro­ble­men, die sowohl mit dem Leben und Werk von Come­ni­us selbst als auch mit dem Leben im Euro­pa der ers­ten Hälf­te des 17. Jahr­hun­derts ver­bun­den sind. Der damals unge­wöhn­li­che Ver­such eines öku­me­ni­schen Gesprächs in Thorn 1645 bil­de­te für Man­fred Rich­ter den Aus­gangs­punkt für das Nach­den­ken über das Schick­sal von Come­ni­us selbst, über das Schick­sal Euro­pas und den Zustand des Dia­logs zwi­schen den Kir­chen. Das Buch besteht aus einer Ein­lei­tung, drei Kapi­teln und Schluss­fol­ge­run­gen. Die Ein­füh­rung bie­tet eine Viel­zahl neu­er Per­spek­ti­ven auf reli­giö­se und poli­ti­sche Fra­gen, in his­to­ri­scher wie in zeit­ge­nös­si­scher Sicht. Dabei wirbt der Autor für eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on der Geschich­te – und Kir­chen­ge­schich­te – Polens im 17. Jahr­hun­dert, wie sie in der deut­schen For­schung noch aussteht.

Das ers­te Kapi­tel des Buches (Come­ni­us – die Ent­wick­lung sei­nes Den­kens im euro­päi­schen und pol­ni­schen Kon­text bis 1642) prä­sen­tiert das Leben und Werk des Come­ni­us von sei­ner Geburt bis 1642. Im zwei­ten Kapi­tel (Unter­wegs zum Col­lo­qui­um Cha­ri­ta­ti­vum :  Die Bedeu­tung des Come­ni­us für sei­ne Vor­be­rei­tung 1642 bis 1645 – Ana­ly­se von sechs ein­schlä­gi­gen Schrif­ten) sind die all­ge­mei­ne Situa­ti­on der Kir­chen – der Römisch-­Katholischen, Luthe­ri­schen, Refor­mier­ten und der Brü­der­kir­che – sowie die Vor­aus­set­zun­gen für ein öku­me­ni­sches Reli­gi­ons­ge­spräch in Thorn dar­ge­stellt. Einen wich­ti­gen Teil die­ses Kapi­tels nimmt die Inter­pre­ta­ti­on von sechs wenig bekann­ten Tex­ten ein, die bis­lang noch nicht aus dem Latei­ni­schen in moder­ne euro­päi­sche Spra­chen über­setzt wor­den sind. Dar­über hin­aus wer­den in die­sem Kapi­tel die Bezie­hun­gen von Come­ni­us zu sei­nen zwei berühm­ten römisch-katholischen Zeit­ge­nos­sen, Bar­tho­lo­mä­us Nig­ri­nus (1595–1646) und Vale­ria­nus Magnus (1586–1661) unter­sucht. Der Autor beschreibt aus his­to­ri­scher und zeit­ge­nös­si­scher Sicht die Posi­tio­nen aller Ver­tre­ter der Dis­kus­si­on in Thorn, wobei der Situa­ti­on und dem Ver­hält­nis von Pro­tes­tan­ten und Katho­li­ken beson­de­re Auf­merk­sam­keit zukommt, neben den theo­lo­gi­schen Streit­fra­gen u. a. ihrer Ein­stel­lung zu wich­ti­gen sozia­len Pro­ble­men. Das drit­te Kapi­tel des Buches (Das Col­lo­qui­um von Thorn und die wei­te­re Ent­wick­lung der öku­me­ni­schen Visi­on) stellt die Fort­ent­wick­lung der öku­me­ni­schen Ideen des Come­ni­us – und damit die Rezep­ti­on des Col­lo­qui­um Cha­ri­ta­ti­vum – nach 1645 dar. Hier kon­zen­triert sich der Autor vor allem auf die öku­me­ni­sche Ana­ly­se der nach 1645 ver­fass­ten Haupt­tex­te von Come­ni­us :  Das Tes­ta­ment der ster­ben­den Mut­ter, der Kir­che ;  All­ge­mei­ne Bera­tung über Ver­bes­se­rung der mensch­li­chen Ange­le­gen­hei­ten ;  Clamo­res Eliae, Das ein­zig Not­wen­di­ge (Unum neces­sa­ri­um). Die Inter­pre­ta­ti­on die­ser Tex­te erfolgt auf dem Hin­ter­grund des wei­te­ren Lebens­wegs von Come­ni­us, d. h. im Zusam­men­hang mit dem polnisch-schwedischen Krieg und der anschlie­ßen­den Emi­gra­ti­on des Gelehr­ten nach Hol­land. Sehr inter­es­sant sind die in den Schluss­fol­ge­run­gen geäu­ßer­ten Mei­nun­gen des Autors über die Wir­kung des Come­ni­us auf die öku­me­ni­schen Ideen in Euro­pa, von der Epo­che von Leib­niz über die deut­sche Roman­tik (Her­der und Schlei­er­ma­cher) bis in die Neuzeit.

Die Stu­die von Man­fred Rich­ter zeich­net sich dadurch aus, dass sie einer­seits wich­ti­ge und aktu­el­le phi­lo­so­phi­sche und theo­lo­gi­sche The­men auf­wirft und ande­rer­seits in einer für jeden Leser ver­ständ­li­chen Spra­che geschrie­ben ist. Offen­sicht­lich wird dies erreicht durch die klu­ge und geschick­te Ver­bin­dung des Berichts über die his­to­ri­schen Ereig­nis­se und das indi­vi­du­el­le Schick­sal von Come­ni­us mit den Pro­ble­men des heu­ti­gen Öku­me­nis­mus, und zwar sowohl auf dem Hin­ter­grund der theo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen und der poli­ti­schen Geschich­te des 17. Jahr­hun­derts, als vor allem auch auf dem­je­ni­gen unse­rer Gegen­wart, dem Euro­pa des 21. Jahrhunderts.

Roman Mnich

Man­fred Rich­ter
Johann Amos Come­ni­us und das Col­lo­qui­um Cha­ri­ta­ti­vum von Thorn 1645. Ein Bei­trag zum Öku­me­nis­mus
2. Auf­la­ge. Müns­ter 2018. 546 S. (= Quel­len und Dar­stel­lun­gen zur Geschich­te West­preu­ßens, Nr. 41).

Die 1. Auf­la­ge erschien 2013 in Siedlce.