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Karten-Bilder von Westpreußen

Was ist „Westpreußen“? Dass die Antworten auf diese Frage sehr unterschiedlich ausfallen, hängt oft mit den variablen „Bildern“ zusammen, die sich in Landkarten niederschlagen, aber auch von Karten selbst hervorgerufen werden.

Anders als beispiels­weise im Falle Ostpreußens erweist sich eine angemessene Veran­schau­li­chung von »Westpreußen« als zunehmend schwierig, weil diese Provinz zum einen bereits 1920 unter­ge­gangen ist und sich zum anderen auch nach 1945 keine Kräfte mehr vor Ort entwi­ckelt haben, die der Region in sich einen übergrei­fenden Zusam­menhalt hätten bieten können.

Die Verle­genheit, die sich aus dieser Lage ergibt, zeigt sich schlag­licht­artig an der Karte, die im lands­mann­schaft­lichen Kontext immer noch häufig benutzt wird. Sie orien­tiert sich an der terri­to­rialen ­Konstel­lation von 1920 und verdeut­licht die »Vierteilung« Westpreußens, macht aber auch noch ­einen fünften Sektor kenntlich: Er umfasst Bromberg (Stadt und Land) sowie den Kreis Wirsitz. Unter der Voraus­setzung, dass Landkarten mit ihren Städte­namen und ­topogra­phi­schen Markie­rungen eine eigene »Realität« schaffen, die ihrer­seits Vorstel­lungen und Handlungs­op­tionen von Menschen bestimmt, erhebt sich hier freilich die Frage, ob dieses eine »Bild« für sich mittler­weile nicht veraltet ist, möglicher Weise sogar in die Irre führt? Immerhin werden hier die Folgen von Versailles  gleichsam einge­froren und unter­schwellig taucht sogar noch die Kontur des »Reichsgaus« auf.

Der deutsch-polnische Dialog macht es demge­genüber erfor­derlich, für »Westpreußen« Anschlüsse an die Gegenwart herzu­stellen, die zugleich die für Westpreußen prägende Zeit vor dem Ersten Weltkrieg berück­sich­tigen. Es entsteht die Notwen­digkeit, alter­native Karten-Bilder zu entwerfen. Deshalb ist im Rahmen eines Forschungs­pro­jekts 2013 ein erster entspre­chender Versuch unter­nommen worden, dessen Ergeb­nisse hier vorge­stellt werden sollen. Er geht von den Konstel­la­tionen der Jahre 1878 und 1998 aus. 1878 wird die Provinz mit ihrer Haupt­stadt Danzig wieder­her­ge­stellt. Nach den unter­schied­lichen Konfi­gu­ra­tionen der Zeit ab 1772  bildet sich jetzt ein Zustand, der zumindest für 42 Jahre Bestand hatte und bis heute die Vorstel­lungen von den Konturen der Provinz prägt – und überdies noch keine offen­baren deutsch-polnischen Konflikt­linien zu erkennen gibt. In vergleich­barer Weise lässt sich 1998, das Jahr, in dem die Neuglie­derung der polni­schen Woiwod­schaften umgesetzt worden ist, als Ergebnis einer Konso­li­dierung deuten: An ihrem Ende scheint sich die frühere Einheit der Region aufgelöst  zu haben; denn die früheren Kreise der histo­ri­schen Provinz gehören jetzt immerhin fünf verschie­denen Woiwod­schaften an und orien­tieren sich somit adminis­trativ, aber auch ökono­misch oder kulturell an unter­schied­lichen regio­nalen Zentren.

Damit werden aller­dings nicht nur zwei histo­rische Zeitschnitte – sozusagen die »deutsche« Vergan­genheit und die »polnische« Gegenwart – gegen­ein­ander gestellt. Vielmehr zielt der Ansatz darauf, die beiden Kristal­li­sa­tionen des histo­ri­schen Prozesses wechsel­seitig zu spiegeln. Auch wenn die beiden Abbil­dungen hier nur schwarz-weiß wieder­ge­geben werden können, lassen sie dieses Konzept doch hinlänglich erkennen:

Die feste Kontur der Provinz Westpreußen wird von gestri­chelten Linien durch­zogen, die – unter­gründig – bereits die Grenzen der heutigen Woiwod­schaften anzeigen. In der paral­lelen Karte der heutigen Verwal­tungs­ein­heiten wiederum taucht wie eine verblas­sende Spur der Raum der histo­ri­schen Provinz nochmals auf: als deutscher Erinne­rungsort, zugleich aber auch als Orien­tie­rungsraum für die heutigen Bewohner, die dem kultu­rellen Erbe und der gemein­samen deutsch-polnischen Geschichte ein wachsendes Interesse entgegenbringen.

Für die Umsetzung dieses Konzepts ­konnte der Berliner Grafiker Stefan Walter gewonnen werden, der auch schon Karten für Ausstel­lungen und Kataloge des »Zentrums gegen Vertrei­bungen« gestaltet hat. Während der Zusam­men­arbeit ergab sich die Perspektive, innerhalb des Rahmens von 1878 und 1998 im gleichen Zuschnitt auch die Stationen 1920 und 1939 wieder­zu­geben, so dass sich letztlich eine kohärente Folge von vier Karten zur jüngeren ­Terri­to­ri­al­ge­schichte Westpreußens ergab. Auch wenn diese Serie Problem­stellen aufweist, die bei solchen Versuchen didak­ti­scher Reduktion unver­meidlich sind, erschien das Ergebnis zumindest so überzeugend, dass die Folge in die Dauer­aus­stellung des Westpreu­ßi­schen Landes­museum übernommen wurde – und dort jetzt zu tieferen Einsichten, aber sicherlich auch zu manchen kriti­schen Diskus­sionen Anlass gibt.

Erik Fischer / KSW


Seit kurzem sind die vier Karten aus der Dauer­aus­stellung auch als Set im DIN A4-Format  in einer von Thomas Hölscher entwor­fenen Mappe erhältlich und können im Museum zum Preis von € 4,95 erworben werden.