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So extrem wie sein Jahrhundert

Ein Versuch über Klaus Kinski

Von Alexander Kleinschrodt

Klaus Kinski war eine der fragwürdigsten, aber zweifellos auch beeindruckendsten Persönlichkeiten der deutschen Filmgeschichte. Er stammte aus dem Ostseebad Zoppot und wurde auf der Leinwand zu einem Weltstar. Eine Spurensuche zum Todestag des Schauspielers, der sich im November 2021 zum 30.Male gejährt hat.

Es fällt schwer, etwas Plausibles über Klaus Kinski zu schreiben, seit jeher, aber heute mehr denn je. Zeit seines Lebens hat er eigentlich alle Äußerungen über sich, von wem auch immer, abgelehnt. Trotzdem sind schon ganze Biblio­theken über ihn und seine Filme geschrieben worden. Vieles an Kinskis Biografie und seiner Herkunft war unklar geblieben, den Aussagen in seinen drei autobio­gra­fi­schen Büchern ist kaum zu trauen. Sein Ruhm ist noch heute enorm, ins kollektive Gedächtnis der Deutschen ist er aber vor allem anderen einge­gangen als der beispiel­hafte Chole­riker: Sanftmut, so scheint es, ist das Gegenteil von Klaus Kinski. Tatsächlich war Kinski aber auch ein Leidender, er war selbst­zer­stö­re­risch und er zerstörte andere. Seine Tochter Pola Kinski machte 2013 öffentlich, dass sie von ihrem Vater jahrelang missbraucht worden ist.

Eine Glori­fi­zierung von Klaus Kinski als Künst­ler­heros ist nicht angebracht. Aber er hat Spuren hinter­lassen, und in seinem Leben spiegelt sich mindestens die deutsche Gesell­schafts­ge­schichte wider. Wenn das 20. Jahrhundert, wie der britische Histo­riker Eric Hobsbawm gesagt hat, ein „Zeitalter der Extreme“ war, dann war Klaus Kinski sogar eine exempla­rische Persön­lichkeit dieser Zeit insgesamt, und zwar nicht nur, weil er selbst ein gewalt­tä­tiger Charakter war, sondern weil er auch Haupt­rollen in einigen Filmen gespielt hat, die heute noch rezipiert und als Signa­turen des zerklüf­teten 20. Jahrhun­derts verstanden werden. Ein Rückblick auf Stationen seines Lebens wird zwangs­läufig zu einer Erzählung über Armut und Dekadenz, über Bruta­lität und Verletz­lichkeit, Feind­schaft und Versöhnung.

Geboren wurde Klaus Günter Karl Nakszynski, der seinen Famili­en­namen später zu Kinski verkürzte, 1926 in Zoppot, das damals Teil der vom Völkerbund verwal­teten Freien Stadt Danzig war. Glaubt man Kinski, dann war die Familie so arm, dass er als Heran­wach­sender später in Berlin mit Einver­ständnis der Mutter stehlen gehen musste. Seine Geschwister haben dem wider­sprochen, die Nakszynskis seien gutbür­gerlich gewesen und Klaus sogar „besonders umhegt“. Kinskis Geburtshaus in Zoppot existiert noch; nach dem Ende des Ostblocks und Kinskis Tod am 23. November 1991 etablierte sich dort der Pub Kinski, eine mit Kinski-Memorabilien dekorierte, zeitweilig sehr beliebte Bar. Das Lokal ist inzwi­schen wieder verschwunden, noch immer aber findet sich an der Hausfassade die damals aufge­hängte kleine Gedenk­tafel. Aufschluss­reich für den damaligen Zeitgeist in Polen ist das dort wieder­ge­gebene Kinski-Zitat: „Ohne Freiheit kann ich nicht leben“. Für einen Moment konnte der polari­sie­rende Filmstar hier zu einer einigenden Figur werden, auch über natio­nale Grenzen hinweg.

Ab 1944 hatte Kinski noch am Zweiten Weltkrieg teilge­nommen und kam in britische Gefan­gen­schaft. Wahrscheinlich hat er dort trauma­tische Erfah­rungen gemacht. Aber er spielte auch auf provi­so­ri­schen Lager­bühnen seine ersten Theater­rollen. Es folgten ab 1946 Engage­ments an angese­henen Häusern, obwohl Kinski keinerlei einschlägige Ausbildung vorzu­weisen hatte. Nach seinen ersten Filmrollen in den fünfziger Jahren war es aber zunächst wieder die Bühne, auf der das Phänomen Kinski Fahrt aufnahm. Als „One-Man-Show“ rezitierte er Gedichte, unter anderem von François Villon, Bertolt Brecht und auch den deutschen Klassikern – mit einer Inten­sität, die Aufsehen erregte. Der spiegel setzte sein Gesicht 1961 auf die Titel­seite und berichtete, der „Dekla­mator Kinski“ habe mit seinen Bühnen­pro­grammen bereits über eine Million Menschen erreicht, „im Berliner Sport­palast, in der Wupper­taler Stadt­halle, im Auditorium maximum der Hamburger Univer­sität, in Kinos, Theatern, Turnhallen oder Wirts­haus­sälen“, das Publikum war „ergriffen, belustigt, verzückt oder angewidert“. Liest man heute diesen spiegel-Artikel mit seiner penetranten ironi­schen Distanz, kann man fast nachvoll­ziehen, warum Kinski mit den Jahren immer gereizter auf Inter­view­an­fragen und die Medien­öf­fent­lichkeit reagierte.

In den sechziger Jahren gehörte Kinski sozusagen zum Inventar der populären Edgar-Wallace-Filme (Das indische Tuch, Neues vom Hexer). Daneben war er immer häufiger im Western zu sehen. Das Spektrum dieser Filme war breit. Es reichte von braven Produk­tionen wie Winnetou 2, über das äußerst zynische, inzwi­schen als Klassiker geltende Leichen pflastern seinen Weg mit der Musik von Ennio Morricone bis hin zu schnell und billig gemachten, längst verges­senen Streifen wie 1.000 Dollar Kopfgeld. Die objektive Qualität der Filme schien Kinski gleich­gültig zu sein. Filme habe er ohnehin immer ausschließlich wegen des Geldes gemacht, gab er in den achtziger Jahren zu Protokoll. Auch den Begriff „Schau­spieler“ wies er für sich zurück. Was er tue, sei „Inkar­nation“, er verwandle sich in Figuren – oder werde von ihnen ergriffen und überwältigt. Diesen Vorgang verglich Kinski mit der Meeres­brandung, mit Stürmen oder Erdbeben. Deshalb hasse er es auch, bei Filmdrehs Szenen zu wieder­holen, weil die Regie noch nicht zufrieden war. Man frage ja schließlich die Natur­ge­walten auch nicht nach einem zweiten Durchlauf.

Kinski soll viele Angebote von promi­nenten Regis­seuren wie Federico Fellini oder Steven Spielberg abgelehnt haben, wohl weil er zu Recht davon ausging, sich in deren Vorstel­lungen einpassen zu müssen. Häufig ist gemutmaßt worden, dass ihm die Kino-Massenware, in der er hundertfach mitspielte, zum Teil lieber war als kompli­zierte Autoren­filme. Nicht nur gab es für ihn dort gute Gagen, schon allein damit der Name Kinski auf den Plakaten Besucher anlockte, vielmehr musste er auch kaum Rücksichten nehmen und hatte mehr Platz, um sich auszu­leben, wenn die Drama­turgie der Filme ohnehin nur wenig elabo­riert war.

Die große Ausnahme bildete Kinskis Zusam­men­arbeit mit dem Regisseur Werner Herzog. Ohne ihre gemein­samen Filme wie Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) oder Fitzcar­raldo (1982) wäre Kinski vielleicht im Laufe der siebziger Jahre in der Bedeu­tungs­lo­sigkeit verschwunden. Herzog war zwar ein hocham­bi­tio­nierter Filme­macher, aber er verstand es, für Kinski filmi­schen Freiraum zu schaffen und ihn auf diese paradoxe Weise zu integrieren. Kinski sagte, er habe vom Regisseur keine Anwei­sungen bekommen, Herzog beschrieb die Koope­ration mit seinem sperrigen Haupt­dar­steller als eine Art Telepathie, eine unwill­kür­liche, höhere Überein­stimmung. So sind in den Filmen Bilder von großer Eindring­lichkeit entstanden und aus ihnen wiederum Filmwelten, denen man sich kaum entziehen kann. Trotzdem waren die Filmdrehs von wüsten Ausein­an­der­set­zungen zwischen Kinski und Herzog geprägt; dieser kalte Krieg ist regel­recht zu einer zweiten Erzähl­schicht geworden, die sich über die Filme gelegt hat. Werner Herzog hat auch diese Story weiter­ent­wi­ckelt, indem er später, nach Kinskis Tod, einen eigenen Film über die äußerst angespannte, aber doch von einer beson­deren Qualität getragene Zusam­men­arbeit machte (Mein liebster Feind, 1999). Er ist ein eindrucks­volles Zeugnis geworden, aber auch ihm ist als Dokument nicht zu trauen, denn Herzog spielt geschickt mit dem Kinski-Erbe und schreibt sich selbst in dessen Mythos ein.

In den achtziger Jahren kaufte sich Kinski ein Grund­stück im nördlichen Kalifornien. Nachdem er vorher in Italien und Frank­reich allen Luxus genossen hatte, den er bekommen konnte, wohnte er dort in einer kargen Hütte, las keine Zeitung und sah über Wochen keinen Menschen. So beschrieb es die Autorin Marcelle Clements in einem der eindring­lichsten Artikel, die über Kinski verfasst worden sind, den sogar er selbst gelesen hatte und sich nicht völlig missver­standen fühlte. Clements glaubte zu verstehen, warum er sich für diesen Ort entschieden hatte: Er sei ihr erschienen wie „ein völlig unver­stelltes Bewusstsein, so verletzlich wie ein mensch­liches Organ, das man aus der schüt­zenden Hülle des Körpers heraus­ge­nommen hatte“. Der Text bietet keine psych­ia­trische Diagnose und will auch die Grenz­über­schrei­tungen keines­falls bagatel­li­sieren; er lässt aber anschaulich werden, dass die Welt Klaus Kinski permanent zu nahe kam und er ihr seiner­seits aggressiv seinen Willen aufzwingen wollte.

In seinem letzten Film „inkar­nierte“ sich Kinski 1989 als Paganini, der Teufels­geiger. Mit der histo­ri­schen Figur des italie­ni­schen Violi­nisten hat der Film freilich wenig zu tun. Er zeigt das Bild eines Mannes, der in künst­le­ri­scher und gesell­schaft­licher Hinsicht alle Maßstäbe sprengt und in dieser Welt keine Ruhe findet. Vor allem anderen ist er ein Selbst­porträt Kinskis, der hier auch die Regie übernahm, weil er Werner Herzog, dem er offenbar doch mehr vertraute als vielen anderen, nicht von diesem Projekt hatte überzeugen können. Der Film wurde ein völliger Misserfolg, und selbst von den ab den neunziger Jahren nachwach­senden Kinski-Fans wurde er weitest­gehend übergangen.

Klaus Kinski starb zwei Jahre später im Alter von 65 Jahren, äußerlich kaum noch erinnernd an den Mann, der als junger Rezitator das Publikum in seinen Bann gezogen hatte. Todes­ur­sache war eine profane Lungen­ent­zündung. Und doch wirkte dieser Tod wie der folge­richtige Schluss­punkt in einem Drama, in dem weder der Protagonist selbst noch die Öffent­lichkeit Fiktion und Realität ausein­an­der­halten konnten. Es ist eine Geschichte, die sich in dieser Weise heute wohl nicht mehr wieder­holen könnte. Zumindest das wäre dann doch etwas Beruhigendes.